erhielt ich einen Hinweis eines aufmerksamen Lesers auf eine Stelle in Adornos “Minima Moralia” (1951).
Adorno verwirft darin die Propagierung des Ideals der absoluten Gleichheit der Menschen, das er als totalitär und intolerant kennzeichnet. Weit entfernt davon, ein absolutes Gut zu verwirklichen, dient sie vielmehr vorrangig “den abgefeimtesten Tendenzen der Gesellschaft”, die kein Anderssein dulden.
Er stellt ihr ein Konzept entgegen, das Gleichheiten und Ungleichheiten im Interesse des Ganzen auswiegen und damit die Differenzen zwischen den Menschen (wohl auch im berühmten dreifachen Sinne Hegels) “aufheben” soll:
Eine emanzipierte Gesellschaft jedoch wäre kein Einheitsstaat, sondern die Verwirklichung des Allgemeinen in der Versöhnung der Differenzen.
Bemerkenswert ist auch die frühe Kritik der Ideologie dessen, was sich heute zum “Multikulturalismus” und zur “métissage” entwickelt hat, hier “melting pot” genannt. Sie führe keineswegs zu mehr, sondern vielmehr zu weniger Demokratie, wenn nicht zu Schlimmerem.
Der melting pot war eine Einrichtung des losgelassenen Industriekapitalismus. Der Gedanke, in ihn hineinzugeraten, beschwört den Martertod, nicht die Demokratie.
Aktualisiert man “Industriekapitalismus” zu “Finanzkapitalismus”, stimmt die Gleichung wieder perfekt. Des weiteren hat er erkannt, daß sich im Postulat der Gleichheit eine subtile, übergriffige Anmaßung jener versteckt, die es aufstellen. (Womit wir nebenbei nach Astrid Lindgren einen weiteren hochbedenklichen Autor gefunden hätten, dessen Bücher von rassistischen Tendenzen gesäubert werden müßten.)
Attestiert man dem Neger, er sei genau wie der Weiße, während er es doch nicht ist, so tut man ihm insgeheim schon wieder Unrecht an. Man demütigt ihn freundschaftlich durch einen Maßstab, hinter dem er unter dem Druck der Systeme notwendig zurückbleiben muß, und dem zu genügen überdies ein fragwürdiges Verdienst wäre.
Typischerweise stellt sich der egalitär orientierte Durchschnittslinke im Grunde vor, daß in jedem Nicht-Europäer, der nach dem Augenschein noch nicht so weit “emanzipiert” oder so “gleich” ist wie er, ein linksliberaler, westlicher Weißer schlummert, den man nur zu seiner wahren Bestimmung erwecken müßte. Da er nicht imstande ist, außerhalb seiner Prämissen zu denken, fällt ihm dieser Widerspruch in der Regel kaum auf.
In meinem “Traktat über die Vielfalt” schrieb ich dazu:
Das Bild, das ihre Apologeten von der »Vielfalt« propagieren, reicht banalerweise kaum über eine Art Smartiesrollen-Ästhetik hinaus, in der eine möglichst »bunte« Ansammlung verschiedener Hautfarben auf einem Fleck schon als ausreichend gilt, um »Pluralismus« zu signalisieren. Ein »Smarty« ist eine Schokoladenlinse, die sich von den anderen seiner Sorte nur durch die Farbe ihres Zuckergusses unterscheidet. Von wirklichen Unterschieden zwischen Völkern, Geschlechtern, ja bloßen Individuen, etwa genetischer, biologischer, kultureller, religiöser, politischer, mentaler Art, will man eigentlich nichts wissen. Wo der Linke »Vielfalt« sagt, meint er im Grunde »Vielheit«.
Die Idee der Vielfalt als Wert hat in Wirklichkeit ihre legitime Heimat auf der Rechten, während ihre Beschlagnahme durch den politischen Gegner ihre Orwell’sche Verkehrung ins Gegenteil zur Folge hat. »Differenz im Sinne von ›Unterschied‹ ist einer der konservativen Gegenbegriffe zu ›Gleichheit‹, der grundsätzliche Vorzug, den man der Vielfalt gegenüber der Einfalt gibt.«
Auf der nächsten Seite also der vollständige Aphorismus Adornos aus “Minima Moralia”.
Melange. — Das geläufige Argument der Toleranz, alle Menschen, alle Rassen seien gleich, ist ein Bumerang. Es setzt sich der bequemen Widerlegung durch die Sinne aus, und noch die zwingendsten anthropologischen Beweise dafür, daß die Juden keine Rasse seien, werden im Falle des Pogroms kaum etwas daran ändern, daß die Totalitären ganz gut wissen, wen sie umbringen wollen und wen nicht. Wollte man dem gegenüber die Gleichheit alles dessen, was Menschenantlitz trägt, als Ideal fordern, anstatt sie als Tatsache zu unterstellen, so würde das wenig helfen.
Die abstrakte Utopie wäre allzu leicht mit den abgefeimtesten Tendenzen der Gesellschaft vereinbar. Daß alle Menschen einander glichen, ist es gerade, was dieser so paßte. Sie betrachtet die tatsächlichen oder eingebildeten Differenzen als Schandmale, die bezeugen, daß man es noch nicht weit genug gebracht hat; daß irgend etwas von der Maschinerie freigelassen, nicht ganz durch die Totalität bestimmt ist.
Die Technik der Konzentrationslager läuft darauf hinaus, die Gefangenen wie ihre Wächter zu machen, die Ermordeten zu Mördern. Der Rassenunterschied wird zum absoluten erhoben, damit man ihn absolut abschaffen kann, wäre es selbst, indem nichts Verschiedenes mehr überlebt. Eine emanzipierte Gesellschaft jedoch wäre kein Einheitsstaat, sondern die Verwirklichung des Allgemeinen in der Versöhnung der Differenzen.
Politik, der es darum im Ernst noch ginge, sollte deswegen die abstrakte Gleichheit der Menschen nicht einmal als Idee propagieren. Sie sollte statt dessen auf die schlechte Gleichheit heute, die Identität der Film- mit den Waffeninteressenten deuten, den besseren Zustand aber denken als den, in dem man ohne Angst verschieden sein kann.
Attestiert man dem Neger, er sei genau wie der Weiße, während er es doch nicht ist, so tut man ihm insgeheim schon wieder Unrecht an. Man demütigt ihn freundschaftlich durch einen Maßstab, hinter dem er unter dem Druck der Systeme notwendig zurückbleiben muß, und dem zu genügen überdies ein fragwürdiges Verdienst wäre.
Die Fürsprecher der unitarischen Toleranz sind denn auch stets geneigt, intolerant gegen jede Gruppe sich zu kehren, die sich nicht anpaßt: mit der sturen Begeisterung für die Neger verträgt sich die Entrüstung über jüdische Unmanieren. Der melting pot war eine Einrichtung des losgelassenen Industriekapitalismus. Der Gedanke, in ihn hineinzugeraten, beschwört den Martertod, nicht die Demokratie.
Th. W. Adorno, Minima Moralia (1951).
Martin
Sehr schöne Fundstücke!
Ich habe es hier auf diesen Seiten schon einmal erwähnt. Auch Adornos/Horkheimers bekanntestes Buch "Dialektik der Aufklärung" würde sich für eine Besprechung aus rechter Sicht sehr gut eigenen, da es im abendländischen Denken fußt.