Anmut sparet nicht noch Mühe …

von Heino Bosselmann

So begann die Kinderhymne von Brecht und Eisler, die mancher Illusionist der kurzlebigen Nachwende-DDR gern als richtige, eigentliche zugewiesen hätte.

Zur DDR muß­te man ein per­sön­li­ches Ver­hält­nis haben. Not­ge­drun­gen, zwangs­läu­fig, wohl oder übel. Sie zwang einen hin­ein und dräng­te sich einem unwei­ger­lich sehr distanz­los auf. Mit Hart­mut König for­der­te sie wie eine eifer­süch­ti­ge Frau per­ma­nent: „Sag mir, wo du stehst!“

Unbe­dingt woll­te sie genau das sein, was die Bun­des­re­pu­blik – spä­tes­tens seit die DDR über­nom­men, akku­mu­liert und treu­hän­de­risch abver­kauft war – gera­de nicht sein woll­te: eine Nati­on näm­lich. In die­sem Anspruch gebär­de­te sie sich so radi­kal wie neu­ro­tisch, ja zuwei­len pein­lich, sah sie sich doch als Voll­ende­rin und Voll­stre­cke­rin deut­scher Geschich­te. Vom Ste­din­ger- über den Bau­ern­krieg, von der März- bis zur Novem­ber­re­vo­lu­ti­on lief die Geschich­te als „Geschich­te von Klas­sen­kämp­fen“ auf das klei­ne Land zu, wo angeb­lich end­lich der Ver­rat ende­te, an dem alle bis­he­ri­ge Kämp­fe noch immer geschei­tert waren. Mein­ten unse­re Geschichtslehrer.

Wäh­rend für die­se Teleo­lo­gie zum Schluß noch Luther und Fried­rich II. von Preu­ßen rekru­tiert wur­den, saßen im Wes­ten, hieß es, die Ver­rä­ter. Daß in den Sieb­zi­gern sozi­al­de­mo­kra­ti­sche Kanz­ler regier­ten, paß­te den Kom­mu­nis­ten ins Bild – von 1918 her. Glück­li­cher­wei­se ver­füg­te man über die Hälf­te Ber­lins, dar­un­ter das Zen­trum als his­to­ri­schen Sakral­ort. Man inte­grier­te das Por­tal VI des Hohen­zol­lern­schlos­ses, vor des­sen Bal­kon Lieb­knecht am 9. Novem­ber 1918 die sozia­lis­ti­sche Repu­blik aus­ge­ru­fen hat­te, in Hon­eckers Staats­rats­ge­bäu­de. Und man hat­te außer­dem Wei­mar – mit Klas­sik und Buchen­wald, um dar­an zei­gen zu kön­nen, woher man käme und woge­gen man stün­de. Wal­ter Ulb­richt 1958: „ Wenn ihr wis­sen wollt, wie es wei­ter­geht, dann lest Goe­thes ‚Faust’ und Marx’ ‚Kom­mu­nis­ti­sches Mani­fest’. Dann wißt ihr, wie es weitergeht!“

So ein­fach. Wie freu­te man sich der Aner­ken­nungs­wel­le nach dem Ende der Hall­stein-Dok­trin! Und dach­te, es wäre vollbracht.

Was wer­fe ich – rein per­sön­lich – dem Land vor, dem aus his­to­ri­scher Per­spek­ti­ve und aus dem Abstand her­aus sehr kom­for­ta­bel alles mög­li­che vor­ge­wor­fen wer­den kann? „Ver­sor­gungs­eng­päs­se“ gar nicht, denn bei mei­ner Bedürf­nis­la­ge ver­spür­te ich kei­ne. Ich hat­te kei­nen „PKW Tra­bant“ bestellt, son­dern fuhr ein her­vor­ra­gen­des DIA­MANT-Sport­fahr­rad aus Karl-Marx-Stadt (sic).

Daß die DDR eine kras­se Staats­rä­son ent­wi­ckel­te, erschien mir, hal­ten zu Gna­den, ratio­nal nach­voll­zieh­bar, gera­de weil mir deren Opfer in den Sieb­zi­gern nicht unmit­tel­bar gegen­wär­tig waren. Als Sechs­kläß­ler war ich von der Bier­mann-Aus­bür­ge­rung irri­tiert. Wäre ich älter gewe­sen, hät­te mich das scho­ckiert. Wäre die DDR älter gewor­den, wäre ich mit mir selbst und mit dem Land in grö­ße­re Schwie­rig­kei­ten gera­ten, als das bis ’89 dann ohne­hin der Fall war. Vie­le Konjunktive …

Das Land befand sich in einem „kau­sa­len Nexus“ der eige­nen Art. Es ist ohne das Jahr 1945 und ohne den Kal­ten Krieg der Groß­mäch­te gar nicht zu den­ken. Die gän­gi­ge Dar­stel­lung, es han­del­te sich um ein iso­lier­tes, auto­no­mes, non­kau­sal exis­tie­ren­des Home­land, in dem welt-anschau­lich dege­ne­rier­te und mani­pu­lier­te Rest­deut­sche Rus­sisch lern­ten, Sta­si­büt­tel und Mau­er­schüt­zen auf­zo­gen und sich bewußt der allein selig­ma­chen­den Demo­kra­tie und deren Mar­ken-Dis­coun­tern ver­wei­ger­ten – sieht man mal vom 17. Juni, all den Flücht­lin­gen und von der Bür­ger­be­we­gung ab –, ist in etwa das von den Geschichts­bü­chern und der poli­ti­schen Bil­dung ver­mit­tel­te Bild.

Sicher ein bio­gra­phi­scher Nach­teil, daß ich kei­ne Bür­ger­be­weg­ten und Wider­ständ­ler ken­nen­ge­lernt hat­te, jeden­falls nicht sol­che, die die­se Bezeich­nung ver­dien­ten. Wie immer gab es erst nach dem Zusam­men­bruch eine sol­che Men­ge davon, daß man immer­fort wel­che traf. Ulki­ger­wei­se ins­be­son­de­re unter mei­nen Kol­le­gen Leh­rern, die so wie ges­tern noch die “füh­ren­de Rol­le der Arbei­ter­klas­se und ihrer Par­tei” heu­te schon die frei­heit­lich-demo­kra­ti­sche Grund­ord­nung der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land als Höchs­ter­run­ge­nes zu prei­sen wußten.

Ich wer­fe der DDR viel­mehr vor, daß sie, ver­meint­lich „sozia­lis­tisch“, im Ideel­len, im Geis­ti­gen, im „Über­bau“ so wenig Grö­ße hat­te, son­dern stets mehr Angst als Vater­lands­lie­be. Daher die wür­de­lo­se Zen­sur. (Die ande­rer­seits jedem zu Wich­tig­keit ver­half, der von ihr betrof­fen war, selbst sol­che, die lite­ra­risch oder künst­le­risch wenig zustan­de brach­ten.) Ich wer­fe der DDR die Pein­lich­keit vor, daß Leh­rer und Pro­fes­so­ren, die es bes­ser wuß­ten, ihren Schü­lern und Stu­den­ten zwar einer­seits ele­men­ta­re Kul­tur­tech­ni­ken bei­zu­brin­gen ver­stan­den, sie aber in der Aus­bil­dung von Urteils­kraft im Stich lie­ßen, indem sie sie aufs schlimms­te belo­gen, min­des­tens mit Blick auf die Geschich­te – selbst dann noch, als die Lei­chen im Kel­ler schon die Luft im Haus ver­pes­te­ten und wir, deren Ver­stand ein­ge­setzt hat­te, nur noch kopf­schüt­telnd die Köp­fe zusammensteckten.

An der Karl-Marx-Uni­ver­si­tät (sic) hör­te ich in den Acht­zi­gern Vor­le­sun­gen zur Geschich­te der Sowjet­uni­on, die nur von Alpha­be­ti­sie­rung, Kol­lek­ti­vie­rung und Indus­tria­li­sie­rung han­del­ten. Und von nichts ande­rem. Gele­sen von einer alten Pro­fes­so­rin, die als Exi­lan­tin den Sta­li­nis­mus in rei­ner Form dort erlebt hat­te, wo er sich aus­tob­te. Brechts „Fra­gen eines lesen­den Arbei­ters“ hät­te man da noch mal auf aktu­el­le­re Wei­se stel­len wollen.

Die DDR ging letzt­end­lich nicht wegen ihrer Wirt­schaft und wegen ihrer exe­ku­ti­ven und juris­ti­schen Unge­rech­tig­kei­ten unter – jeden­falls nicht so leicht und qua­si über Nacht, wie es dann schließ­lich geschah. Das alles brach­te die aller­meis­ten, selbst die aller­meis­ten Intel­lek­tu­el­len, nicht auf, schon gar nicht all die Uto­pis­ten der „Mensch­heits­be­frei­ung“. Nein, abge­se­hen davon, daß ihr Gor­bat­schow den ideo­lo­gi­schen und mili­tä­ri­schen Stark­strom abstell­te, schei­ter­te das Land an sei­nen schlim­men Lebenslügen.

Und daher: Nach­voll­zieh­bar und gut, daß es geschei­tert ist. Zwangs­läu­fig. Mehr als Ver­schul­dung oder öko­no­mi­sche Que­re­len fürch­te man die Lebens­lü­gen einer Gesell­schaft. Ist kei­ne kla­re Rede mehr mög­lich, fehlt der Iden­ti­fi­ka­ti­ons­raum und es tritt irgend­wann ein kri­ti­scher Zustand ein, in dem die kol­lek­ti­ve Wahr­neh­mung erkennt: Es hat kei­nen Sinn mehr. Las­sen wir es lieber.

Sek­ti­on Geschichte

Der gemes­se­ne Gang mei­ner Geschichtsprofessoren,
Mai­tres in schwe­ren Män­teln, Dienst­aus­wei­se, ernste
Par­tei­ar­bei­ter­phy­sio­gno­mien, ver­dient habi­li­tiert. Alle
Jahr­tau­sen­de, Jahr­hun­der­te, die letz­ten kal­ten Jahrzehnte,
ein Strom Rich­tung Karl-Marx-Uni­ver­si­tät Leipzig,
die Mas­sen, der Kampf, die Internationale,
Indus­tria­li­sie­rung, Kol­lek­ti­vie­rung, Alphabetisierung,
die gro­ße Initia­ti­ve der Sowjetunion!
Lager? Wel­che Lager? Straf­la­ger, na klar:
Eine Revo­lu­ti­on ist nur dann etwas wert,
wenn sie sich zu ver­tei­di­gen versteht!
In Katyn? Wel­ches Katyn? Ach, das
war die Wehr­macht! Genos­se, stell dir
nur eine Fra­ge: Wem nützt es?
Mei­ne Geschichts­pro­fes­so­ren unter den Rhododendren
des Leip­zi­ger Süd­fried­hofs, alles per­du, so trügerisch,
die stei­ner­nen Wäch­ter des Völkerschlachtdenkmals,
die Jugend­stil­schön­heit der Jog­ge­rin auf der Totenallee.

Mar­tin Mollnitz

(Mehr von Mar­tin Moll­nitz: Urstrom.)

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Kommentare (33)

Ein Fremder aus Elea

29. Mai 2013 12:57

Hey, gar nicht schlecht, insbesondere die Gitarre.

https://www.youtube.com/watch?v=tyShCNbsplI

Hammond Orgel, Gesang auch nicht schlecht, aber was tut ein Missionar auf einer Insel?

Die Esten verstehen den Sinn von jugendlichen Zusammenkünften vielleicht besser:

https://www.youtube.com/watch?v=NU5Gp-YKARk
https://www.youtube.com/watch?v=HiQhNOJQaA8

et voilà

https://www.youtube.com/watch?v=Ugl1GvODguA

Ich werd' nicht müde es zu posten. Man muß doch mit sich selber anfangen bei der Weltbeglückung.

Bei auch nur mittelmäßiger Intelligenz hätte der Ostblock die DDR doch in ein Schaufenster für den realexistierenden Sozialismus verwandeln müssen.

Ich raff's nicht.

Karl Eduard

29. Mai 2013 13:38

Wer einmal lügt, kann naturgemäß dann nicht mehr damit aufhören. Er muß immer haarsträubendere unwahrheiten erfinden. * Na, und die Lebenslügen setzen sich jetzt, im aktuellen Staate, munter fort. Wer die DDR erlebt hat, ist erstaunt, welche Parallelen hier zu finden sind. Alles schon mal dagewesen. Nur viel plumper. Den Sozialismus in seinem Lauf halten weder Ochs noch Esel auf und sie wollen es ja auch gar nicht.

Daß die Freiheit der Andersdenkenden von Rosa Luxemburg nicht so gemeint war, ändert nichts an der Tatsache, daß wir genau wieder dort angekommen sind, wo die Leute, die diesen Spruch illegalerweise entfalteten, von der Sicherheit aus der Menge geholt wurden.

*Man stelle sich mal vor, in 5 jahren tritt die Kanzlerin vor die Fernsehkamera und entschuldigt sich für ihre Klimalüge oder die "Einwanderung bereichert uns" - Lüge", das ist doch völlig unmöglich!

albert

29. Mai 2013 13:54

Herr Bosselmann,

ich finde Ihre Beitrage immer wieder klasse! Auch kürzlich der Beitrag mit der Uhr Ihres Vaters - ein echter Lesegenuss! Manche Ihrer Beiträge erinnern an die Betrachtungen von Wolf Jobst Siedler über die DDR. Mit Ihren Wortmeldungen - konservative, manchmal sentimentale Betrachtungen über die untergegangene DDR aus nationaler, asketisch-jugendbewegter Sicht - stehen Sie ganz allein auf weiter Flur.

Sehr oft stolpere ich über eine Sentenz, bei der ich mir innerlich sage: "Stimmt, daran erinnere ich mich, das habe ich schon ganz vergessen!" - so kürzlich der Geruch des Russendiesels auf staubigen Dorfstrassen aus den alten Ural-Lastern der Besatzer - eine typische DDR-Kindheitserinnerung...

Nur, was machen mit diesen Erinnerungen?

Raskolnikow

29. Mai 2013 13:55

Kindheit in der DDR,

was davon bleibt?
Ewiges Sommerferienlager, kurze Lederhosen,
Murmeln in der Tasche, Messer am Gürtel,
stets aufgeschlagene Kniee,
wegrennen vor´m ABV auf der Schwalbe,
die Atmosphäre Norbert Biskys´ früher Bilder,
mit Kleinkaliber-RPK´s rumballern,
KJS und Trainingslager,
Spätsommer, warmer Weizenduft,
Vater auf dem E 512,
Selbsterziehung durch die Großen,
mit den Freunden die Oktober-Parade anschauen,
auf dem ND-Pressefest die Türme von Panzern kreisen lassen,
die "Goldene Eins" für einen Sprung ins Luftkissen aus 15 Metern,
"Das Magazin" aus der SERO-Annahmestelle klauen,
und bei den Russen gegen Uniformen und tote Riesenratten tauschen,
Sand, Kiefernnadeln und menschenleere Seen,
Dörfer ohne Zigarettenautomaten,
Eiskugeln im Bierglas,
... unmöglich, sich dem rational zu nähern!

Es war falsch und es war schön!

Immer bereit!

R.

albert

29. Mai 2013 17:00

Schöner Beitrag, Raskolnikov - 90% kann ich sofort unterschreiben - und ja, es war schön... trotz allem Mist. Da werd' ich gleich sentimental...

kurze Lederhosen,
Murmeln in der Tasche, Messer am Gürtel,
stets aufgeschlagene Kniee

die „Goldene Eins“ für einen Sprung ins Luftkissen aus 15 Metern,
„Das Magazin“ aus der SERO-Annahmestelle klauen,

Wahnsinn, was damals alles möglich war - heute unvorstellbar...

Zamolxis

29. Mai 2013 17:04

Meine "DDR":

Meine Praktika LTL
Orwo SW Filme, ORWO Papier und ORWO Laborchemikalien
FUWO-Sonderhefte
Die Puhdys
SG Dynamo Dresden, Lok Leipzig und der BFC Dynamo Berlin
Der ständig ausgebuchte FDJ Sommercamp
Die Leipziger Messe
Mein erster Besuch im Berlin-Friedrichshain im Sommer 1985
PIKO Eisenbahn
Das vom DDR-Regime zensierte und teilweise nicht vertriebene SPUTNIK-Heft 10/1988
Der gefühlte 9. November 1989
Die Volkskammerwahl vom 18.03.1990

Weltversteher

29. Mai 2013 22:27

Ja, war schöner früher. Im Westen eigentlich auch - alles austauschbar. Und vor '45 erst! Und noch davor...
Kommt bitte wieder auf den Teppich. Daß früher alles besser war und noch früher viel mehr, wird doch kaum einer bestreiten. Aber bitte nicht kindisch werden - das lag nicht an Erich und nicht nur an Adolf.

Grau

30. Mai 2013 10:09

als biographiegefährte von heino bosselmann (aufgewachsen in "normaler" ddr-umgebung, diplomhistorikerstudium in den 80er jahren an der benachbarten mlu halle) kann ich den beitrag und auch den kommentar von raskolnikow so unterschreiben, wie sie da stehen.

dabei geht es gewiss nicht um die verklärung eines vergangenen alltags, sondern auch um die feststellung, dass – egal zu welcher zeit und unter welchen umständen – alltägliches leben mit guten und schlechten anteilen, glück und unglück immer stattfindet.
die gern gepflegte totalverteufelung bestimmter zeiten und zustände läuft daher immer wieder ins leere.

KW

30. Mai 2013 10:58

Bei mir gibt es an die DDR andere Erinnerungen: Allgemeiner Mangel, der Kaugummi schmeckte schlechter als der Westkaugummi, die Autos waren teurer und häßlicher, an modische Kleidung war nicht zu denken, Spreewälder Gurken und Halberstädter Würstechen galten als Delikatesse,
die Sprache in den Zeitungen mit den Parteireden habe ich nie verstanden und demzufolge auch nicht wiedergeben können, ein Posten bei der FDJ fiel also flach. Mich retteten in der EOS nur meine sehr guten Leistungen und mein Vater in leitender Stellung (selbstverständlich Genosse) in einer Kleinstadt, der mir dann auch den verwehrten Studienplatz verschaffte.
Als Lehrerin stieß mich die aufdiktierte Literatur ab, schon sprachlich. Seit 1990 sind wir alle zu Konsumenten mutiert, haben unser Gemeinschaftsgefühl dem Konsum geopfert, der Gier. Das jetzige Deutschland hat aus der DDR und der BRD nur das Schlechte übernommen, dabei hatten wir vor 20 Jahren eine Chance, oder doch nicht?

Konservativer

30. Mai 2013 11:17

Sicher Grau, zudem ist es nicht ehrenrührig, einmal irrational und unbefangen in Erinnerungen zu schwelgen.
Als im Westen Deutschlands geborener Ostpreuße erinnere ich mich hin und wieder ebenfalls immer wieder einmal gerne an "alte Zeiten", durchaus so in etwa nach dem Motto "wie ich wurde, was ich (heute) bin".

Heino Bosselmann

30. Mai 2013 11:55

Zwischendrin (@Konservativer) und ohne Erklärungsnotstand: Dem Beitrag geht es nicht darum, eine schnurrige und romantisierend nostalgische Rückschau zu halten, sondern um die Bedeutung von ideell resp. ideologisch verursachten gesellschaftlichen Lebenslügen im Sinne fauler Mythen, in denen ich – heute wie damals – eine entscheidende Ursache für Krisen zu erkennen meine, über alle anderen Ursachen hinaus. Und legitim: Erinnerungen gehören nun mal zu einem untergegangenen Terrain. Einen aufgerüsteten Staat untergehen sehen zu haben, das ist vielleicht meine wichtigste biographische Erfahrung. Es kann geschehen, daß ich das – freilich anders – gerade an einer sich fragwürdig verstehenden Staatengemeinschaft erlebe, die ihre eigene zweifelhafte Ideologie entwickelte. – Vielen Dank für das Interesse!

thorstein

30. Mai 2013 12:17

Eine so "liebevolle" Betrachtung der DDR hätte ich hier nicht erwartet. Ich empfinde die Dinge aber ganz ähnlich. Natürlich war der materielle Mangel allgegenwärtig, im Vergleich zum jetzigen Überfluss. Aber mein Geld ist jeden Monat alle geworden - für Bücher, für Klassik-Schallplatten.

Bei aller Nostalgie (man war jung damals, und Zukunftsoptimismus war ein Grundzug der herrschenden Ideologie) ist die DDR insofern besonders, als sie trotz aller revolutionären und internationalistischen Rhetorik eine ziemlich konservative und deutsche Veranstaltung war.
Das öffentliche Verbrennen der Staatsflagge z.B. wäre nicht als freie Meinungsäußerung durchgegangen. Es gab Gastarbeiter (aus Vietnam, Kuba, Moçambique, Angola), aber nicht das Ziel, sie zu integrieren – im Gegenteil, sie wurden isoliert untergebracht und gnadenlos zurückgeschickt, nachdem ihre Verträge abgelaufen waren. Westlicher Kultureinfluss (Jeans, engl./amerikanische Popularmusik, Anglismen) wurde, soweit möglich, bekämpft, während der (offiziell erwünschte) östliche Kultureinfluss sich in Grenzen hielt.

Man kann sich überhaupt fragen: Was war an Ulbricht und Honecker, Stalin und Breshnew eigentlich „links“ – außer, dass sie sich auf Marx berufen haben?

thorstein

30. Mai 2013 12:59

Ich bin nicht so sicher, ob die DDR an ihren Mythen und Lebenslügen zugrunde gegangen ist. Darunter hat wohl nur ein Teil der Intellektuellen gelitten. Ich vermute, daß eher die Planwirtschaft das Problem war. Wenn man die Konkurrenz als Triebkraft des ökonomischen Fortschritts ausschaltet, dann entwickelt sich eine Volkswirtschaft eben langsamer und hält auf die Dauer mit einer auf Konkurrenz gegründeten Weltwirtschaft nicht Schritt. Man muss sich das einmal vorstellen: Allmonatlich hält der Betriebsparteisekretär den Arbeitern eine Predigt und ermahnt sie, wie ein Pfarrer, daß sie nicht sündigen sollen: Nicht zu spät kommen, nicht bummeln, nicht saufen bei der Arbeit, nicht im Betrieb klauen (ist ja alles Volkseigentum – gehört ja keinem), nicht Einkaufengehen während der Arbeitszeit … Geholfen hat das naturgemäß wenig, und rausschmeißen konnte man Leute praktisch nicht – jedenfalls nicht wegen solcher Sachen.
Das Dritte Reich ist auch nicht untergegangen, weil es auf absurde Mythen gegründet war, sondern weil es den Krieg verloren hat. Die DDR und der Ostblock insgesamt haben den ökonomischen Krieg verloren. Ronald Reagan hatte gedroht: Wir werden euch tot rüsten. Und das ist schließlich gelungen.

KW

30. Mai 2013 13:15

@thorstein
Alles richtig, kleine Ergänzung: Wem nützte das Öffnen des Ostens? Richtig, den Großkonzernen und Bankstern. Eine riesige Konsummasse tat sich auf, die man mit schöner funkelnder Werbung und Bankstertricks verar... konnte. Und so glaube ich nicht an Zufall und die Öffnung der Grenze wegen Demonstranten. Es war ein abgekartetes Spiel der Hintermänner, die sich den Gorbatschow gekauft haben.

Heino Bosselmann

30. Mai 2013 14:18

@KW, @Thorstein: Ist das, liebe KW, nicht etwas verschwörungstheoretisch gedacht? – Nur: Wer von denen unterm Balkon des Palais Lobkowitz Versammelten suchte wirklich die Freiheit, wie Präsident Gauck sie versteht? Oder das, was von ihr noch über den reinen Konsum hinaus übrig ist? Als Hans Dietrich Genscher, der Hallenser, den Wartenden in der Scheinwerfergloriole (in excelsis) auf dem Balkon erschien, eröffnete er auch den Super-Markt. Ohne Zweifel: Die deutsche Einheit ist ein historischer Segen! Nur erlebte zumindest ich meine Landsleute zum nicht geringen Teil als Wirtschaftsasylanten und sah sie als solche mitunter ihre Würde gefährden. Vielleicht zwangsläufig. Vom historischen und dialektischen Materialismus blieb nur eines übrig: der Materialismus, oft der vulgäre. – Darin, daß es ökonomischer Wettstreit und ein Rüstungswettlauf verloren wurden, gebe ich Thorstein absolut recht. Wir wurden u. a. Konkursmasse. In meiner Darstellung ging es, was die Lebenslügen betrifft, um einen persönlichen Vorwurf an die „alte Heimat“. Zumindest mich störten weniger die Engpässe, um so mehr die Geschichtslügen und die Zensur. Gerade sie offenbarten andererseits die mangelnde Souveränität dieses Interimlandes im Zwischenspiel des Kalten Krieges. Als die Messen gesungen waren, ging’s um Gervais Obstzwerge und ein anständiges Auto. Vermutlich normal so. Ökonomische Versachlichung im neuen Standort Deutschland. Dem wiederum darüber hinaus, daß er Standort und Deutschland AG ist, die Ideen von sich selbst oft fehlen mögen, insofern Nation mehr ist als Markt und Bürger auch Citoyen und nicht nur Bourgeois.

ene

30. Mai 2013 15:44

"Faule Mythen" ist eine Begriffsbildung, die mich anspricht - nur: was wäre der Gegensatz dazu?
Und dann fällt mir in dem Zusammenhang noch eine tragfähige Unterscheidung von Nietzsche ein: daß nämlich die "Wirkungsmächtigkeit" einer Idee nicht über ihre "Wahrheit" entscheide.

Was mich hier doch einigermaßen irritiert, ist die Beschreibung der "alten Bundesländer" als glitzerndes Konsumparadies, die hier quasi unisono vorgetragen wird. Ich habe in dieser BRD gelebt und das deckt sich mit meiner Erinnerung keineswegs. Diese sieht eher so aus: man konnte (als Student) mit wenig Geld gut leben. Weil es preiswerte Theater- und Kinokarten gab, die Museen sowieso nichts kosteten und der öffentliche Nahverkehr mit einer Monatskarte für 20 DM abgedeckt war. Man brauchte vieles nicht (vieles war auch einfach da - ) und was man brauchte, war längst nicht so teuer...die umfassende Kommerzialisierung aller Lebensbereiche gab es in diesem Ausmaß nicht.

Was ich als "Verlust" empfinde, will ich an einem Beispiel deutlich machen. Mir fiel unlängst eine alte Literaturzeitschrift in die Hände. Über 20 Jahre alt. Mit welcher Ernsthaftigkeit da Fragen erörtert wurden wie : der Begriff der Zeit in den späten Romanen von...
Damals und heute: das ist für mich ein Verlust an Ernsthaftigkeit, ein Verlust an Kontroverse, an öffentlicher Debatte. Und das auf allen Ebenen. Zeitungen hatten ein anderes (auch sprachliches) Niveau, vor allem: man las nicht überall das gleiche...
Wie beispielsweise die deutsche Universität im Zuge der "Bologna-Reforn" entsorgt wurde - das macht mich noch immer fassungslos. Ich kann mich an keinen großen Widerstand, an keine breite öffentliche Diskussion darüber erinnern. So etwas wäre zuvor nicht denkbar gewesen. Was ist da passiert?

Inselbauer

30. Mai 2013 16:16

"Meine" DDR:
Mein Vater war österreichischer Kriminalpolizist und Organist
1981 Bachhaus in Eisenach
Danach "Erfahrungsaustausch" zwischen DDR-Beamten und meinem Vater (das hat es gegeben!)
Limonade in unbegrenzten Mengen, sonst keine Erinnerungen
1993 Ankauf einer billigen Dostojevski-Ga in Berlin
2011 Wegwurf von "Schuld und Sühne"
Wegen der sentimentalen Romanfigur "Raskolinokow"
2013 Lektüre eines schönen Gedichts eines gewissen R. ohne jeden Realitätsbezug

gerdb

30. Mai 2013 20:55

Man sollte doch sagen, dass die "DDR" als russische Satrapie schon 1953
von russischen Panzern gerettet wurde.
Als die Russen nicht mehr einschritten, war sie dann eben am Ende.
Im übrigen, in Anlehnung an ein Politikerzitat, hat die Mauer auch getrennt, was auseinander gehört, quasi als osmotische Wand.
Daher auch die vielen Missverständnisse.

Weltversteher

30. Mai 2013 21:06

Naja, Herr Bosselmann, die deutsche Wiedervereinigung mag wohl noch lange auf sich warten lassen. Erliegen Sie mal nicht den neuen Denkmustern ebenso.

waldgänger aus Schwaben

30. Mai 2013 22:33

Die BRD war vor der Wiedervereinigung auch anders. In meiner Erinnerung war sie gemütlicher und weniger doof.

Schopi

30. Mai 2013 23:06

In den frühen 80zigern - damals war ich noch ein glühender Marxist westdeutscher Prägung - hatte ich in Westberlin viele Bekannte . man konnte sich ja hier vorm Bund drücken u.A. auch Genossen vom SEW. Darüber wiederum gab es auch einige Kontakte nach Ostberlin. Nach einigen ideologischen Treffs mit Genossen aus dem Osten, wurde ich gefragt, ob ich beim nächsten Besuch nicht einmal den neuen Quelle Katalog mitbringen könnte! Soweit zum dialektischen Materialismus.

ene

31. Mai 2013 09:24

@ Schopi

Und warum eigentlich nicht? Wenn mich eines aufregt, dann ist es die Borniertheit von sogenannten Intellektuellen, die sich über die materiellen Bedürfnisse der sogenannten einfachen Leute erhaben fühlen.

@ Waldgänger aus Schwaben

Stimmt, so habe ich das auch in Erinnerung. Nur: woher kommt diese Veränderung? Sicherlich nicht aus der Ex-DDR.

thorstein

31. Mai 2013 11:09

Um noch mal auf das eigentliche Thema – die Rolle von Mythen und Lebenslügen – zurückzukommen: Ich muß gestehen, daß ich immer noch dankbar dafür bin, daß mit einem Glauben aufwachsen durfte. In meinem Fall war es der Glaube an den Sieg des Kommunismus. Es hätte eben so gut der Glaube an das Reich Gottes oder an das Tausendjährige Reich sein können – Hauptsache ein Glaube, der eine Zukunftsvision und ein klares Feindbild liefert. Wenn man erwachsen und einigermaßen intelligent ist, durchschaut man die Sache, erkennt, daß es sich um einen Mythos handelt, und löst sich zumindest intellektuell davon (emotional vielleicht nie ganz). Und man kann von Glück sagen, wenn man dann nicht der Einzige ist, der sich löst. Und wenn man nicht, verblendet im Glauben, Schuld auf sich geladen hat.

Mythen haben etwas Zweischneidiges. Der Glaube kann, wie man sagt, Berge versetzen. Er kann die Energien vieler Individuen bündeln, sie dazu bringen, das Gemeinsame über die Einzelinteressen zu stellen, im Extremfall über das eigene Leben. Gleichzeitig ist jeder Glaube, an welchen Mythos auch immer, potentiell Lebenslüge. Und ich halte auch den Nationalstaat, genauer gesagt die Idee, daß der Nationalstaat so etwa wie eine naturgegebene Organisationsform eines Volkes ist, für einen Mythos, der im Dritten Reich seine Verlogenheit offenbart hat: Der entfesselte Nationalstaat, auf dem Gipfel seiner Macht, bringt einen beträchtlichen Teil seiner Bürger um - Bürger, die er zu schützen verpflichtet gewesen wäre.

Derzeit haben große Mythen nicht gerade Konjunktur. Die Energien sind zersplittert, die Leute verfolgen ihre privaten Ziele, und, so weit sie politisch sind, sind sie gegen alles Mögliche – gegen Atomkraftwerke, Moscheen, Gentechnik, die Homo-Ehe, den Euro, gegen Rechts oder gegen Links – aber wofür sind sie eigentlich? Es fehlt eine neue Vision, ein neuer Mythos.

Heino Bosselmann

31. Mai 2013 11:36

@Thorstein: Es wäre tatsächlich dringend angezeigt, sich Gedanken darüber zu machen, inwiefern der Mythos das Totale will, wenn er es nicht selbständig in Frage stellt und die Dramatik seiner selbst zeigt, wie es bspw. im "Faust", der wohl als Mythos gelten mag, geschieht. Um kleiner anzusetzen: Ich bemerke bspw., wie schon manche Begriffe, weil sie semantisch bzw. mit bestimmter Konnotation aufgeladen sind oder werden, eine zweifelhafte Kraft verströmen, die Heil, Gesundung, Glück verheißt. Willkürliche Beispiele: "Europa" im Gegensatz zu Europa, aber ebenso Bildung, Ganztagsschule, Inklusion usw. usf. – Sie, Thorstein, haben ja recht: Sofort schließt daran Glaube an! Weil es wohl zur conditio humana gehört, glauben (d. h. ja einfach auch vertrauen) zu wollen Aktuell: Man glaubt an das Identitäre, mehr noch an die Identitären, an die AfD, an die "Bewegung", die "Nation". Und muß wohl doch permanent verifizieren oder falsifizieren, wenn man nicht im Bekenntnis zu etwas verlassen sein will. Die große Bedeutung des mir jedenfalls sympathischen Skeptizismus! Der sofort von jedem Totalitarismus und schon von jedem Hoffnungsberauschten verfolgt wird, weil Zweifel gleich als Ketzerei gilt. Auch unsere Demokratie verlangt daher immer mehr, scheint mir, ein Bekenntnis, wie ich es so nur aus der DDR kenne, bspw. das "gegen rechts". Darum, zu begreifen, was das ist oder sein soll, was zu differenzieren und schwierig zu beurteilen wäre, geht es gerade nicht. Wäre nämlich nicht Sinn und Wesen des Bekenntnisses, "gegen rechts" zu sein. – Wir beide wurden, wenn wir kritisch werden wollten, in der DDR gefragt: Bist du nun für oder gegen den Frieden, Junge? – Na dafür! – Na also, Junge! – Bekenntnis zu einem Mythos.

ene

31. Mai 2013 14:32

@ thorstein

Ihr zweiter und drittes Satz irritiert mich sehr. Es kann und darf nicht die Aufgabe eines Staates sein, Menschen zu einem Glauben an irgendeine "Idee" zu erziehen!

Glauben - das betrifft den Bereich der Transzendenz, mithin also jene Fragen des Menschlichen, welche z.B. weder die Betriebswirtschaftslehre noch die Medizin zu beantworten in der Lage ist.

Alles andere ist permanent in Frage zu stellen. Wenn wir das nicht tun, erledigt das die Geschichte, die "alte Ironikerin" wie mal jemand sagte, für uns. Leider sind dann ihre Lehren nicht immer erfreulich. Vor allem, wenn sie sich daran macht, "Ideen", an die man einst "glaubte" in der Praxis zu falsifizieren...

thorstein

31. Mai 2013 18:32

@ ene
Sie haben Recht. In meinem Fall war es aber weniger der Staat als mein Elternhaus: beide Eltern Parteifunktionäre, Großvater in der KPD seit 1920. Was den Staat betrifft: Ich hatte acht Jahre lang eine christliche Klassenlehrerin, die mit uns an Wandertagen Kirchen besichtigt hat und bei der ich angeeckt bin, wenn ich mich abfällig über die Religion geäußert habe. Auch das hat es gegeben.

Schopi

31. Mai 2013 21:38

@ene
Und warum eigentlich nicht? Wenn mich eines aufregt, dann ist es die Borniertheit von sogenannten Intellektuellen, die sich über die materiellen Bedürfnisse der sogenannten einfachen Leute erhaben fühlen.

da stimme ich Ihnen zu 100% zu. Meine Zweifel bezogen sich auf mich selbst und auf "uns" Wessi-Linke und aufkommende grüne Ideologie. Papa zahlt das Auto, Studium, Hochbett, Popkonzertbesuche, Haschisch, auf dem Nachttisch die UZ und FR, unten drunter versteckt die Pornohefte. Wer wie die Made im Speck lebt, kann sich leicht eine gleichmacherische Ideologie überstülpen.

waldgänger aus Schwaben

31. Mai 2013 23:18

@ene
Es war nicht die DDR, durch die sich BRD verändert hat.
Vielleicht ist es so, dass nach dem Ende des realexistierenden Sozialismus der Gegenspieler zum Kapitalismus fehlte und Kräfte, die bisher noch unter Kontrolle gehalten wurden, frei kamen.

@thorstein
Nicht jeder Glaube ist gleich. Augustinus schon unterschied den Aberglauben vom Glauben daran, dass der Glaube auf das Letzte zielt. Auf eine Wirklichkeit, die, für den Verstand unfassbar, Ursache ihrer selbst ist.
Der Aberglaube an Amulette, Gestirne oder eben Theorien wie den Kommunismus ist der Glaube an etwas Geschaffenes.

thorstein

1. Juni 2013 10:08

@waldgänger aus Schwaben
Die Unterscheidung zwischen Glauben und Aberglauben finde ich schwierig. Es ist leicht, den Glauben der anderen als Aberglauben, die Götter der anderen als Götzen zu disqualifizieren. Für den Amulettgläubigen ist zwar das Amulett als physisches Ding etwas Geschaffenes, aber die Kraft des Amuletts – das, was das Ding zum Amulett macht - kommt von anderswo her. Für den Atheisten ist die Bibel mit aller ihrer Offenbarung etwas Geschaffenes, Ausgedachtes, und Gott eine nicht falsifizierbare Theorie. Für den gläubigen Kommunisten ist der Kommunismus etwas, auf das die Geschichte mit Notwendigkeit hinausläuft. Der Kommunist erkennt lediglich diese Notwendigkeit an und versucht, ihr in seinem Handeln zu entsprechen – so wie der Christ Gottes Gebote anerkennt und sich nach ihnen richtet.

Ein Fremder aus Elea

1. Juni 2013 10:21

Willkürliche Beispiele: „Europa“ im Gegensatz zu Europa, aber ebenso Bildung, Ganztagsschule, Inklusion usw. usf. – Sie, Thorstein, haben ja recht: Sofort schließt daran Glaube an! Weil es wohl zur conditio humana gehört, glauben (d. h. ja einfach auch vertrauen) zu wollen Aktuell: Man glaubt an das Identitäre, mehr noch an die Identitären, an die AfD, an die „Bewegung“, die „Nation“.

Ne, ne, ne. Ein bereits zuvor existierender Glaube erkennt in diesen Dingen lediglich das ihm Gemäße. Zwar sagt man auch, daß man an Otto Rehhagel glaubt, aber damit ist dann in der Tat nur gemeint, daß man ihm etwas zutraut, üblicherweise den Erfolg.

Der Glaube hinter Bildung, Ganztagsschule, Inklusion usw. usf. ist der an die Selbstformung des Menschen, verbunden mit einer konkreten Idealform, welche sich wahrscheinlich naiv in den Besatzungsmitgliedern des Raumschiffs Enterprise (allerdings eher unter Picard als unter Kirk) ausdrückt, mithin intelligente, vorurteilsfreie, dem Gemeinwohl dienende, eine gesundes Maß an Restemotionalität besitzende Menschen.

Das Problem dieses Ideals kann man aber auch schon an Star Trek erkennen, nämlich daß eine solche Gemeinschaft außerhalb eines Kriegseinsatzes nicht recht denkbar ist.

Biedermann

2. Juni 2013 11:22

Ihre Beiträge in der Sezession sind, wie bereits ihre Kolumne in der JF, wunderbar befreiend und eine willkommene Abwechslung zur dauerhaften Beschäftigung mit den allgegenwärtigen Themen des rechten Spektrums.
Ist dort eig. bereits alles gesagt und wird leider unendlich oft an aktuellen Ereignissen aufgewärmt, gibt es bei ihnen immer etwas Neues zu entdecken.

Vielen Dank und die besten Wünsche für ihr Moränen-Projekt.

Sara Tempel

2. Juni 2013 12:29

Herr Bosselmann,
"@KW, @Thorstein: Ist das, liebe KW, nicht etwas verschwörungstheoretisch gedacht?"
Meinten Sie das ironisch? Sonst wären Sie mit diesem negativ besetzten Wort glatt selbst auf das Totschlagargument der Mainstream-Medien hereinzufallen! - Bei politisch entscheidenden Ereignissen sollte ein Skeptiker immer von Verschwörungen und Intrigen ausgehen, die höchstens zu widerlegen wären.
@ene
'„Faule Mythen“ ist eine Begriffsbildung, die mich anspricht – nur: was wäre der Gegensatz dazu?'
Ich, für meinen Teil, würde sagen, solche „Faule Mythen“ zeichnen sich dadurch aus, dass ihnen die Transzendenz fehlt. „Reife Mythen“, wären dagegen solche, die das Dasein der Menschen auf die Welt der Götter beziehen, einen großen Zusammenhang voraussetzen. Der Kommunismus ist daher faul; Europa, als bürokratisches Konstrukt der EU, im Kern verdorben!

@thorstein
Bezüglich des Aberglaubens und des Amuletts, dessen Kraft von einer jenseitigen Macht stammen muss, stimme ich mit Ihnen überein! Jedoch ist meiner Meinung nach ein "gläubiger Kommunist" per se in einem zu engen System verhaftet, denn jede nach einer menschlichen Idee geformte Zukunft, die er sich ausmalt, ist eine diesseitige Gesellschaft der Menschen. Eine ideale Zukunft kann es aber in dieser Welt nie geben, solange es sich bei uns um einzelne freie Wesen (ohne allgemeingültige Moral) handelt, der Natur mit Leid und Tod unterworfen. Die Bibel z.B. gibt feste Werte als Dogma, da von Gott stammend, vor. Sie ist zwar vom Menschen geschaffen, aber indem sie in Wahrheit den Weg hinaus weist, trägt ihre Botschaft religiöse Dimensionen. Sicher ist dies nur meine unbedeutende Meinung, denn weder bin ich Theologe, noch wurde mir von GOTT die Gnade des Glaubens geschenkt (s. dazu Augustinus).
In jedem Fall bietet unsere deutsche Wiedervereinigung die große Chance, unterschiedlich geprägte Erfahrungen auszutauschen.

Heino Bosselmann

2. Juni 2013 13:57

Vielen Dank für Interesse und Engagement! Wir schließen hier.

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