Zur DDR mußte man ein persönliches Verhältnis haben. Notgedrungen, zwangsläufig, wohl oder übel. Sie zwang einen hinein und drängte sich einem unweigerlich sehr distanzlos auf. Mit Hartmut König forderte sie wie eine eifersüchtige Frau permanent: „Sag mir, wo du stehst!“
Unbedingt wollte sie genau das sein, was die Bundesrepublik – spätestens seit die DDR übernommen, akkumuliert und treuhänderisch abverkauft war – gerade nicht sein wollte: eine Nation nämlich. In diesem Anspruch gebärdete sie sich so radikal wie neurotisch, ja zuweilen peinlich, sah sie sich doch als Vollenderin und Vollstreckerin deutscher Geschichte. Vom Stedinger- über den Bauernkrieg, von der März- bis zur Novemberrevolution lief die Geschichte als „Geschichte von Klassenkämpfen“ auf das kleine Land zu, wo angeblich endlich der Verrat endete, an dem alle bisherige Kämpfe noch immer gescheitert waren. Meinten unsere Geschichtslehrer.
Während für diese Teleologie zum Schluß noch Luther und Friedrich II. von Preußen rekrutiert wurden, saßen im Westen, hieß es, die Verräter. Daß in den Siebzigern sozialdemokratische Kanzler regierten, paßte den Kommunisten ins Bild – von 1918 her. Glücklicherweise verfügte man über die Hälfte Berlins, darunter das Zentrum als historischen Sakralort. Man integrierte das Portal VI des Hohenzollernschlosses, vor dessen Balkon Liebknecht am 9. November 1918 die sozialistische Republik ausgerufen hatte, in Honeckers Staatsratsgebäude. Und man hatte außerdem Weimar – mit Klassik und Buchenwald, um daran zeigen zu können, woher man käme und wogegen man stünde. Walter Ulbricht 1958: „ Wenn ihr wissen wollt, wie es weitergeht, dann lest Goethes ‚Faust’ und Marx’ ‚Kommunistisches Manifest’. Dann wißt ihr, wie es weitergeht!“
So einfach. Wie freute man sich der Anerkennungswelle nach dem Ende der Hallstein-Doktrin! Und dachte, es wäre vollbracht.
Was werfe ich – rein persönlich – dem Land vor, dem aus historischer Perspektive und aus dem Abstand heraus sehr komfortabel alles mögliche vorgeworfen werden kann? „Versorgungsengpässe“ gar nicht, denn bei meiner Bedürfnislage verspürte ich keine. Ich hatte keinen „PKW Trabant“ bestellt, sondern fuhr ein hervorragendes DIAMANT-Sportfahrrad aus Karl-Marx-Stadt (sic).
Daß die DDR eine krasse Staatsräson entwickelte, erschien mir, halten zu Gnaden, rational nachvollziehbar, gerade weil mir deren Opfer in den Siebzigern nicht unmittelbar gegenwärtig waren. Als Sechskläßler war ich von der Biermann-Ausbürgerung irritiert. Wäre ich älter gewesen, hätte mich das schockiert. Wäre die DDR älter geworden, wäre ich mit mir selbst und mit dem Land in größere Schwierigkeiten geraten, als das bis ’89 dann ohnehin der Fall war. Viele Konjunktive …
Das Land befand sich in einem „kausalen Nexus“ der eigenen Art. Es ist ohne das Jahr 1945 und ohne den Kalten Krieg der Großmächte gar nicht zu denken. Die gängige Darstellung, es handelte sich um ein isoliertes, autonomes, nonkausal existierendes Homeland, in dem welt-anschaulich degenerierte und manipulierte Restdeutsche Russisch lernten, Stasibüttel und Mauerschützen aufzogen und sich bewußt der allein seligmachenden Demokratie und deren Marken-Discountern verweigerten – sieht man mal vom 17. Juni, all den Flüchtlingen und von der Bürgerbewegung ab –, ist in etwa das von den Geschichtsbüchern und der politischen Bildung vermittelte Bild.
Sicher ein biographischer Nachteil, daß ich keine Bürgerbewegten und Widerständler kennengelernt hatte, jedenfalls nicht solche, die diese Bezeichnung verdienten. Wie immer gab es erst nach dem Zusammenbruch eine solche Menge davon, daß man immerfort welche traf. Ulkigerweise insbesondere unter meinen Kollegen Lehrern, die so wie gestern noch die “führende Rolle der Arbeiterklasse und ihrer Partei” heute schon die freiheitlich-demokratische Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland als Höchsterrungenes zu preisen wußten.
Ich werfe der DDR vielmehr vor, daß sie, vermeintlich „sozialistisch“, im Ideellen, im Geistigen, im „Überbau“ so wenig Größe hatte, sondern stets mehr Angst als Vaterlandsliebe. Daher die würdelose Zensur. (Die andererseits jedem zu Wichtigkeit verhalf, der von ihr betroffen war, selbst solche, die literarisch oder künstlerisch wenig zustande brachten.) Ich werfe der DDR die Peinlichkeit vor, daß Lehrer und Professoren, die es besser wußten, ihren Schülern und Studenten zwar einerseits elementare Kulturtechniken beizubringen verstanden, sie aber in der Ausbildung von Urteilskraft im Stich ließen, indem sie sie aufs schlimmste belogen, mindestens mit Blick auf die Geschichte – selbst dann noch, als die Leichen im Keller schon die Luft im Haus verpesteten und wir, deren Verstand eingesetzt hatte, nur noch kopfschüttelnd die Köpfe zusammensteckten.
An der Karl-Marx-Universität (sic) hörte ich in den Achtzigern Vorlesungen zur Geschichte der Sowjetunion, die nur von Alphabetisierung, Kollektivierung und Industrialisierung handelten. Und von nichts anderem. Gelesen von einer alten Professorin, die als Exilantin den Stalinismus in reiner Form dort erlebt hatte, wo er sich austobte. Brechts „Fragen eines lesenden Arbeiters“ hätte man da noch mal auf aktuellere Weise stellen wollen.
Die DDR ging letztendlich nicht wegen ihrer Wirtschaft und wegen ihrer exekutiven und juristischen Ungerechtigkeiten unter – jedenfalls nicht so leicht und quasi über Nacht, wie es dann schließlich geschah. Das alles brachte die allermeisten, selbst die allermeisten Intellektuellen, nicht auf, schon gar nicht all die Utopisten der „Menschheitsbefreiung“. Nein, abgesehen davon, daß ihr Gorbatschow den ideologischen und militärischen Starkstrom abstellte, scheiterte das Land an seinen schlimmen Lebenslügen.
Und daher: Nachvollziehbar und gut, daß es gescheitert ist. Zwangsläufig. Mehr als Verschuldung oder ökonomische Querelen fürchte man die Lebenslügen einer Gesellschaft. Ist keine klare Rede mehr möglich, fehlt der Identifikationsraum und es tritt irgendwann ein kritischer Zustand ein, in dem die kollektive Wahrnehmung erkennt: Es hat keinen Sinn mehr. Lassen wir es lieber.
Sektion Geschichte
Der gemessene Gang meiner Geschichtsprofessoren,
Maitres in schweren Mänteln, Dienstausweise, ernste
Parteiarbeiterphysiognomien, verdient habilitiert. Alle
Jahrtausende, Jahrhunderte, die letzten kalten Jahrzehnte,
ein Strom Richtung Karl-Marx-Universität Leipzig,
die Massen, der Kampf, die Internationale,
Industrialisierung, Kollektivierung, Alphabetisierung,
die große Initiative der Sowjetunion!
Lager? Welche Lager? Straflager, na klar:
Eine Revolution ist nur dann etwas wert,
wenn sie sich zu verteidigen versteht!
In Katyn? Welches Katyn? Ach, das
war die Wehrmacht! Genosse, stell dir
nur eine Frage: Wem nützt es?
Meine Geschichtsprofessoren unter den Rhododendren
des Leipziger Südfriedhofs, alles perdu, so trügerisch,
die steinernen Wächter des Völkerschlachtdenkmals,
die Jugendstilschönheit der Joggerin auf der Totenallee.Martin Mollnitz
(Mehr von Martin Mollnitz: Urstrom.)
Ein Fremder aus Elea
Hey, gar nicht schlecht, insbesondere die Gitarre.
https://www.youtube.com/watch?v=tyShCNbsplI
Hammond Orgel, Gesang auch nicht schlecht, aber was tut ein Missionar auf einer Insel?
Die Esten verstehen den Sinn von jugendlichen Zusammenkünften vielleicht besser:
https://www.youtube.com/watch?v=NU5Gp-YKARk
https://www.youtube.com/watch?v=HiQhNOJQaA8
et voilà
https://www.youtube.com/watch?v=Ugl1GvODguA
Ich werd' nicht müde es zu posten. Man muß doch mit sich selber anfangen bei der Weltbeglückung.
Bei auch nur mittelmäßiger Intelligenz hätte der Ostblock die DDR doch in ein Schaufenster für den realexistierenden Sozialismus verwandeln müssen.
Ich raff's nicht.