Nicht einmal die Bemerkungen Diwalds zur Zeitgeschichte bzw. Zeitgeschichtsforschung, vor allem die Behauptung, daß diese in der Bundesrepublik politischer Kuratel unterworfen sei, hätten zur Skandalisierung ausgereicht. Dazu bedurfte es der Bezugnahme auf seine These, daß die Vernichtung der europäischen Juden weniger ein systematisch geplanter Akt der NS-Führung als vielmehr ein unter extremen Kriegsbedingungen zustande gekommenes Massenverbrechen gewesen sei.
Das allerdings klang in den Ohren der gerade etablierten Zensoren unerträglich. Abgesehen von einer starken Minderheit, für die Diwalds Buch maßgebliche Bedeutung gewann, folgte die Öffentlichkeit deren Urteil auf Basis der geschichtspolitischen Sicht, die nach ’68 eingeführt wurde, aber erst mit dem durchschlagenden Erfolg der Fernsehserie »Holocaust« (1978) so befestigt war, daß niemand mehr opponieren durfte, es sei denn um den Preis der öffentlichen Ächtung. Daß Diwald sich dieser Gefahr bewußt war, darf man bezweifeln. Seine Bekanntheit reichte zwar deutlich über die Kreise der Zunft hinaus, er galt aber doch zuerst als Wissenschaftler. In Südmähren aufgewachsen, stammte er aus einer »Mischehe « zwischen einem österreichischen Vater und einer tschechischen Mutter, kam 1938 mit seiner Familie nach Nürnberg und nahm als Soldat am Zweiten Weltkrieg teil. Nach dem Zusammenbruch absolvierte Diwald zuerst ein Studium des Maschinenbaus, das er 1947 in Nürnberg abschloß, danach wechselte er an die Universitäten Hamburg und Erlangen, um Philosophie, Germanistik und Geschichte zu studieren.
In Erlangen kam er in den Bannkreis des konservativen Historikers Hans-Joachim Schoeps, bei dem er 1952 mit einer Arbeit über den »Geschichtsrealismus« des 19. Jahrhunderts promoviert wurde. Allerdings trat Diwald selbst in der Folgezeit nicht politisch hervor. Vielmehr übernahm er 1965 in Erlangen einen Lehrstuhl für Mittlere und Neuere Geschichte und legte seinen Forschungsschwerpunkt auf die frühe Neuzeit; eine gewisse Prominenz erlangten seine Arbeiten über Wallenstein und der Einleitungsband zur »Propyläen Geschichte Europas«, der die Renaissance und das Zeitalter der Reformation behandelte. Hinzu kam weiter, daß Diwald sich kaum als »Konservativer« gesehen hätte, eher als »Nationaler«. Das war besonders deutlich an seinem ersten, im genaueren Sinn politischen Buch erkennbar, das 1970 unter dem Eindruck der Neuen Ostpolitik geschrieben wurde undden Titel Die Anerkennung trug.
Mit »Anerkennung « war einerseits die faktische Anerkennung der DDR durch die Bundesrepublik gemeint, andererseits die Anerkennung der Oder-Neiße-Linie und damit der Verlust Ostdeutschlands. Bemerkenswerterweise war das Buch aber kein Generalangriff auf die »Verzichtler« in der sozialliberalen Koalition, sondern eine bittere Abrechnung mit den Deutschen der Nachkriegszeit überhaupt. Daß Diwald den Satz im letzten Abschnitt des Buches – »Die ›Deutsche Nation‹ ist schon lange zu Grabe getragen« – nicht als Feststellung, sondern als Provokation meinte, um der leblosen Nation wieder Leben einzuflößen, steht außer Frage. Man kann das auch der Tatsache entnehmen, daß er zeitgleich einen Vortrag über Ernst Moritz Arndt hielt, der in einer den damaligen Zeitgeist massiv irritierenden Weise das Loblied des großen Nationalpädagogen sang.
Als Nationalpädagoge hat sich auch Diwald verstanden und das je länger je mehr. Seine Präsenz im einflußreich werdenden Fernsehen nutzte er entsprechend, aber auch seine breiten publizistischen Möglichkeiten in der Tages- und Wochenpresse. Entscheidend war aber die Geschichte der Deutschen, die er als das Mittel betrachtete, den Deutschen mit der Geschichts- auch die Nationsvergessenheit auszutreiben. Daß Diwald an dieser Zielsetzung trotz der Hexenjagd, die man gegen ihn eröffnete, nicht irre wurde, war der Tatsache zu verdanken, daß es durchaus noch Widerstandszentren gab, daß seine Isolierung erst mit einer gewissen Verspätung griff und es ihm sein Charakter gebot, das einmal als richtig Erkannte mit allen gebotenen Mitteln zu verteidigen. Dabei stand ihm nicht nur eine ungewöhnliche schriftstellerische Begabung zur Verfügung, sondern auch eine Neigung zur Verdichtung, wenn nicht Vereinfachung, die es erlaubte, den Deutschen in einzelnen Figuren – vor allem Heinrich I. und Luther – jene Heroen zurückzugeben, die sie seit 1945 entbehrten.
Es ist unbestreitbar, daß Diwald dabei immer wieder die Grenzen der Wissenschaft überschritten hat und daß ihn das angesichts der Böswilligkeit vieler Kollegen und der Medienmächtigen immer weniger kümmerte. Fest steht aber auch, daß er zu den wirksamsten politischen Autoren der Nachkriegszeit gehörte. Als Diwald nach schwerer Krankheit im Alter von nur 69 Jahren starb, zeigte sich noch einmal das Potential der Beunruhigung, das er verkörperte. Nachdem ihm Gustav Seibt in der FAZ einen Nachruf gewidmet hatte, der den Namen nicht verdiente, zeigte wenigstens einer der Kollegen Diwalds – Karl H. Metz – den Mut, das Urteil zu fällen, das für die Masse seiner Gegner gilt: »Es gibt Formen der Verächtlichkeit, die selber verächtlich machen.«
Schriften: Wilhelm Dilthey. Erkenntnistheorie und Philosophie der Geschichte, Göttingen 1963; Wallenstein. Eine Biographie, München/Esslingen 1969; Ernst Moritz Arndt. Das Entstehen des deutschen Nationalbewußtseins, München 1970; Die Anerkennung. Bericht zur Klage der Nation, München/Esslingen 1970; Anspruch auf Mündigkeit, Propyläen Geschichte Europas, Bd. 1, 1400–1555, Frankfurt a. M./Berlin/ Wien 1975; Geschichte der Deutschen, Frankfurt a. M./Berlin/Wien 1978; Der Kampf um die Weltmeere, München/Zürich 1980; Luther. Eine Biographie, Bergisch Gladbach 1982; Die Erben Poseidons. Seemachtpolitik im 20. Jahrhundert, München 1984; Heinrich der Erste. Die Gründung des Deutschen Reichs, Bergisch Gladbach 1987; Deutschland einig Vaterland. Geschichte unserer Gegenwart, Frankfurt a. M./Berlin 1990.
Literatur: Rolf-Josef Eibicht (Hrsg.): Hellmut Diwald – sein Vermächtnis für Deutschland, sein Mut zur Geschichte, Tübingen 1994.