nicht gerade zum Gesinnungs-Lackmustest erklären, aber bezeichnend ist doch, wie sich gerade an dieser Tat die Geister scheiden: Was für den einen eine politische Tat ist, die ihre Erklärung in sich trägt und daher der Erläuterung nicht bedarf, erscheint dem anderen als ein Akt bloßer Verrücktheit, als eine “schreckliche und unnötige”, eine “gewaltsame und schlimme Geste eines Gestörten”.
Daß es Ersteren – auch mir – schwerfällt, Letzteren zu erklären, was es mit dieser Tat auf sich hat, hängt auch damit zusammen, daß man es solchen Adressaten im Grunde nicht erklären will.
Ja, man könnte durchaus aufwendig und mit analytischer Gründlichkeit zeigen, daß sie eine politische Wirkung hat, oder daß es doch zumindest nicht abwegig ist, auf eine solche zu spekulieren; schließlich bemißt sich in einer Mediengesellschaft die Wirkung einer Tat an den Schlagzeilen, die sie produziert. Man könnte zum Vergleich die tibetischen Unabhängigkeitskämpfer heranziehen, die regelmäßig durch spektakuläre Selbstverbrennungen auf ihr Anliegen aufmerksam machen, ohne daß irgendjemand sie deshalb als Verrückte abtun würde. Man könnte darlegen, warum die demonstrative Selbsttötung eine Waffe sein kann, die einem (zumal in einer Gesellschaft, die einen am liebsten mundtot machen würde) das letzte Wort sichert. Man könnte das alles tun. Aber es erschiene mir unangemessen, kleinkariert und letztlich sinnlos.
Sinnlos einer Gesellschaft gegenüber, die eine solche Tat nicht versteht, sondern bestenfalls durch sie verstört wird: Sie zu verstören, war ja genau der Sinn der Sache. Diejenigen, die es dann genauer verstehen wollen, werden ihren Weg zum Verständnis schon finden.
Sinnlos aber vor allem den konservativen Kritikern gegenüber, die durch ihre hektische Abwehr unfreiwillig zu verstehen geben, wie genau sie verstanden haben, worum es Venner ging – und die es genau deshalb ablehnen.
Ich habe, als ich von der Selbsttötung hörte, keine Sekunde daran gezweifelt, daß – wer auch immer “wir” sind – Venner einer von “uns” ist. Die Tat verstehen heißt nicht ihre Wirkung analysieren, sondern die innere Haltung verstehen und bejahen, der sie entspringt:
Es ist nämlich inkonsequent, dem drohenden Untergang des Abendlandes nicht in einem Geist und einer Haltung zu begegnen, die der Größe dieser Gefahr angemessen ist, deren absehbare Folgen jeden Vergleich mit denen aushalten, die der Untergang des Römischen Reiches nach sich zog.
Dem existentiellen Ernst der Lage, in die die Zustände uns bringen, muß die Ernsthaftigkeit der Opposition entsprechen, und die Radikalität der Opposition muß der Radikalität der Herrschenden wenigstens gleichkommen. Wer dem de facto existierenden politischen Ausnahmezustand mit der Anwendung bewährter Regeln begegnen möchte (bürgerlicher Lebensregeln, die auf den Normalzustand zugeschnitten sind und dort ihren Sinn haben), hat nicht nur ein Glaubwürdigkeitsproblem, weil sein tatsächliches Handeln nicht zu seiner theoretischen Wirklichkeitsbeschreibung paßt; er signalisiert, daß seine Opposition dem Gegner und seiner Skrupellosigkeit nicht gewachsen ist und deshalb von diesem nicht ernstgenommen zu werden braucht.
Henning Hoffgaard hat im Blog der Jungen Freiheit die Mentalität dieser Art von Opposition exemplarisch zum Ausdruck gebracht. Nicht sein unbedeutendstes Argument ist die Behauptung, daß
der Historiker seinem eigentlichen Anliegen nur geschadet hat. Die konservative familienbejahende Bewegung steht plötzlich unter dem Verdacht der Radikalität.
Für diese Art Opposition gilt es, bereits den “Verdacht der Radikalität” – und folgerichtig erst recht die Radikalität selbst – zu scheuen. Nun gut, Menschen sind verschieden, und Radikalität ist nicht jedermanns Sache. Das ist weder verdienstvoll noch verwerflich. Durchaus verwerflich, und zwar nach den von Hoffgaard selbst hochgehaltenen Maßstäben der bürgerlichen Moral, ist es, einem Toten hinterherzuspucken:
Kein Wunder also, daß die Initiatorin der Demonstrationen gegen die Homo-Ehe, Frigide Barjot, auf Distanz geht und von einer „gewaltsamen und schlimme Geste eines Gestörten“ spricht.
Dominique Venner hat keine Bewunderung verdient. Sondern Mitleid.
Der herablassende Gestus ist nicht einfach nur pietätlos (das ist er auch), und der Grund für die kaum verhohlene Aggressivität liegt erkennbar nicht in der Sache. Über Sinn oder Unsinn der Tat Venners kann man mit Argumenten diskutieren; es geht aber eben nicht um die Tat, sondern um die Haltung: um die Haltung Venners und um die seiner Kritiker. Hoffgaard gibt Auskunft:
Besonders verstörend ist die merkwürdige Selbstüberhöhung Venners, die in Sätzen wie „Meine Tat dagegen verkörpert eine Ethik des Willens“ zum Ausdruck kommt. Sie zeugt von Arroganz und erklärt diejenigen, die diesem vermeintlichen „Vorbild“ nicht folgen wollen, zu willenlosen Sklaven.
Tatsache ist, daß Venner dies mit keiner Silbe geschrieben oder auch nur angedeutet hat. Auch dürfte es kaum seine Absicht gewesen sein, einen Werther-Effekt auszulösen oder Gleichgesinnten die öffentliche Selbsttötung als Waffe der Wahl vorzuschreiben. Nicht Venner ist arrogant, sondern Hoffgaard spürt die Größe, die Ernsthaftigkeit, die Unbedingtheit, die Hingabe seiner Haltung und steht ihr befremdet gegenüber.
Ob es dem Verstorbenen bewußt war oder nicht: Sein dramatischer Abgang konfrontiert jeden Einzelnen mit einem Maßstab, dem er gerecht werden kann oder auch nicht. Es ist keine Schande, ihm nicht gerecht zu werden. Es ist keine Schande, mittelmäßig zu sein, zumal es ohne das Mittelmaß als Normalfall so etwas wie Größe gar nicht gäbe. Verachtenswert ist das Mittelmaß erst dann, wenn es sich selbst zum Maßstab erhebt, das Große nicht als solches anerkennt und dem Herausragenden den ihm zustehenden Respekt verweigert.
Luise Werner
"Zur Debatte gestellt" haben Sie diesen Beitrag. Nein, Herr Kleine-Hartlage. Da gibt es nicht viel zu debattieren. Sie bringen die Sache exakt auf den Punkt. Danke.