die Bedeutung und den Sinn einer solchen “Geste” versteht man entweder auf Anhieb, oder eben nicht. Mit denen, die sie nicht verstehen, erübrigt sich jeder weitere Dialog. Das ist eine Frage der Haltung, die man je nach Verfassung des Charakters einnehmen kann oder nicht.
Ein Kommentar wie jener von Henning Hoffgaard, bedauerlicherweise auf der Netzseite der Jungen Freiheit erschienen, ist dagegen vor allem eine Frage der Abwehrhaltung, mit anderen Worten eines ängstlichen Manövers, um bloß nicht die Deckung gewisser konservativer Lebenslügen aufgeben zu müssen. Auch das hat selbstverständlich mit Charakter zu tun.
Ich frage mich, ob der Autor auch imstande wäre, sich neben einem Jan Palach oder einem brennenden tibetanischen oder vietnamesischen Mönch aufzustellen, und diesen mit sorgenvoll gerunzelter Stirn, erhobenem Zeigefinger, gerichteter Krawatte und biederer Miene zu belehren, wie unkonservativ und unnötig und generell garstig radikal ein solcher Akt doch sei, im schönsten treuherzigsten Glauben, er würde nun munter aus der Quelle des “gesunden Menschenverstandes” schöpfen.
Warum “diskutiert” denn dieser arme, geistesgestörte Mönch nicht lieber mit seinen Besatzern oder geht grundgesetzdemokratisch gegen sie demonstrieren oder warum gründet er keine konservative Partei oder warum geht er nicht nach Hause, läßt friedlich die Gebetsmühle rotieren, damit die Götter alles wieder richten? “Gesunder Menschenverstand” in diesem Sinne genügt nicht. Man muß auch wissen, wovon man redet, ehe man die Losschwatzsicherung entriegelt.
Ich will lieber nicht wissen, wie die Antwort vermutlich ausfallen würde. Und wenn wir schon die Maßstäbe “konservativer” Wohlanständigkeit und Bedachtsamkeit an eine Ausnahmetat (die selbstverständlich nicht im buchstäblichen Sinne “vorbildhaft” sein kann) anlegen, dann erstaunt einen doch die gedankenlose Herablassung, mit der hier der Tod und das Selbstopfer eines Menschen bagatellisiert werden.
Daß man einer solchen Attitüde ausgerechnet in einer Zeitung begegnet, die das Andenken an den 20. Juli so grandios bewahrt wie kein anderes Medium in Deutschland, ist schon traurig genug. Wer nun mit dem Einwand kommt, daß wir uns doch im Gegensatz zu Stauffenberg nicht mitten in einem schrecklichen Krieg und in einer offenen Tyrannis oder Diktatur befinden, hat nicht begriffen, daß es hier um grundsätzliche Haltungen geht, und wohl ebensowenig, was das überhaupt ist: eine Haltung.
Das Ausmaß des Mißverständnisses über die Natur des “Konservatismus” offenbart sich aber erst so richtig in dem letzten Satz, in dem Hoffgaard, zweifellos “gut gemeint”, de facto aber herabschauend und arrogant, zu “Mitleid” für Venner aufruft. Das ist, wohl unbemerkt vom Autor, fast so ekelerregend wie der höhnische Auftritt einer plärrenden, tittenschwingenden Dummnudel in Notre-Dame kurz nach dem Freitod Venners. “Mitleid” und Nasenschleim, erst recht von den bien-pensants, ist nun wirklich das Allerletzte, das ein Mann wie Venner gewollt oder gar verdient hätte.
Hoffgaard scheint überhaupt nicht die geringste Ahnung davon zu haben, mit was für einem Mann er es hier zu tun hat, was er indessen auch in der Jungen Freiheit selbst hätte nachlesen können. Die Behauptung, Venner habe “es sich furchtbar einfach gemacht” ist so unverschämt, daß sie nach Satisfaktion verlangt, nicht nur wegen seines geistigen Kalibers, sondern auch, weil niemand es “sich einfach macht”, der bereit ist, sich sein Leben zu nehmen.
Letzteres ist nichts anderes als ein Kinderpfeifen im finstern Walde, die klassische Ente all jener Arg- und Ahnungslosen, die es nötig haben, ihrer Angst vor gewissen Dingen jenseits des bürgerlichen Sandkastens mit Verharmlosung zu begegnen. Können Leute dieser Art auch verstehen, daß es Menschen gibt, die sich nicht versöhnen und abfinden wollen, die in sich Überzeugungen tragen, die sich nicht kaufen und abkaufen lassen?
Vor allem sprechen wir hier nicht von jemandem, der einen Suizid aus pathologischem Lebensüberdruß begangen hat, genausowenig wie die tibetanischen Nonnen und Mönche. Ob Hoffgaard auch schon mal etwas von Sokrates oder Seneca gehört hat? Venner, ein eingefleischter, europäischer Heide, starb wie ein antiker Stoiker.
Venners Tat sei “kein Vorbild für niemanden”. “Vorbild”, auch das ist ein Ausdruck, der nach dem Fundus pädagogischer Artigkeit schmeckt. Kids, don’t try this at home! Wer redet eigentlich von “Vorbildern”? Ich will hier nicht darauf eingehen, was für diejenigen, die nun den Hut vor Venner ziehen, wirklich “vorbildlich” ist und was nicht. Es ist, wie gesagt, etwas, das man entweder auf Anhieb versteht oder nicht. Niemand muß Venners Tat gut, sinnvoll oder “vorbildhaft” finden. Aber es gibt Grenzen der Besserwisserei, die insbesondere vor dem Grab eines Menschen gezogen werden müssen.
Der Kern dieser schiefen Sicht ist, wie oben angedeutet, wohl eine autohypnotische Fehleinschätzung der Lage. Venner hat nicht, wie vielfach grob vereinfachend berichtet wurde, bloß gegen die von der Linksregierung durchgedrückte “Homo-Ehe” protestiert (die, nebenbei gesagt, weder mit Homosexuellen noch mit “Ehe” das Geringste zu tun hat). Seine Abschiedsnoten verweisen deutlich auf eine Lage, in der es um das Ganze Frankreichs und Europas geht.
Wer die Bilder von den Demonstrationen in Frankreich inhaliert wie Opium, gierig nach dem Sauerstoff der Hoffnung, hat noch nicht begriffen, daß die überwiegende Mehrheit der Franzosen ihrem “grand replacement”, wie es der (übrigens offen homosexuelle) Schriftsteller Renaud Camus formuliert hat, also dem großen demographischen “Bevölkerungsaustausch” im Namen der globalistischen Utopie mit passiver Lethargie gegenübersteht.
Venner hat eben nicht “vor den nicht in Stein gemeißelten Umständen kapituliert”, wie Hoffgaard vermutet, der sich offenbar nicht einmal die Mühe gemacht hat, die entsprechenden Erklärungen zu lesen. Au contraire:
Ich erhebe mich gegen den Fatalismus. Ich erhebe mich gegen die seelenzerstörenden Gifte und gegen den Angriff individueller Begierden auf die Anker unserer Identität, besonders auf die Familie, der intimen Säule unserer jahrtausendealten Zivilisation. Ebenso wie ich für die Identität aller Völker in ihren Heimatländern eintrete, erhebe ich mich des weiteren gegen das vor unseren Augen begangene Verbrechen der Ersetzung unserer Völker durch andere.
Was Venner nicht geteilt hat, war lediglich die Illusion, daß ein paar “artige Demonstrationen” (“gentilles manifestations”) genügen würden, um das Ruder herumzureißen. Und wie recht er damit hat, bestätigt die Reaktion der “Initiatorin der Demonstrationen gegen die Homo-Ehe”, die es für angebracht hielt, dem Toten ins Grab nachzuspucken, und anbiedernd-konformistisch von der “schlimmen Geste eines Gestörten” sprach.
Diese “Initiatorin” tritt übrigens unter einem Pseudonym auf, das offenbar aus einer Transvestiten-Show geklaut wurde: “Frigide Barjot” ist eine nicht allzu subtile Verballhornung von “Brigitte Bardot”, und heißt soviel wie “frigide Durchgeknallte”. Barjot, die aus dem Show-Biz kommt und auch äußerlich reichlich “durchgeknallt” (oder gar “gestört”?) wirkt, ist das weibliche Pendant zu Beppe Grillo, und hat auch mal ein die Bardot parodierendes Lied mit dem Titel “Fais-moi l’amour avec deux doigts” (das lasse ich mal unübersetzt), was unter ihren vielen konservativ-katholischen Anhängern sicher ein beliebter Schlager ist.
Fast könnte man hier den Verdacht einer “controlled opposition” schöpfen. Man kann “Barjots” Namen kaum zitieren, ohne das Gefühl zu haben, in einer Live-Satire oder einer Szene aus Raspails “Heerlager der Heiligen” gelandet zu sein. Das gibt auch Hoffgaards Anrufung der Kronzeugin eine nicht umkomische Note. “Venner hat sich erschossen, aber Frigida Ziege und Lady Gaga finden das gestört und uncool, Klappe zu, Affe tot.”
Im April dieses Jahres bezeichnete “Barjot” Frankreich übrigens als “Diktatur” (Wie unter Stauffenberg? Wie in Tibet?), und scheute nicht vor markigen, womöglich radikalismusverdachterweckenden Sprüchen zurück: “Hollande veut du sang, il en aura ! ” – “Hollande will Blut sehen, und das wird er bekommen!” Blut? Jenes Blut etwa, das nun tatsächlich vor dem Altar von Notre-Dame geflossen ist?
Und einer solchen Figur läuft die “konservative familienbejahende Bewegung” Frankreichs hinterher.