eine wintergrüne Halbrosettenpflanze, die fast einen Meter tief wurzelt und sich als Kriechwurzler sogar vegetativ vermehrt. Faszinierend, was für eine Überlebensstrategie eine Pflanze entwickelt. Sie bildet stark riechende Öle: Campher, Borneol, Thujon. Und diverse Bitterstoffe. Mit dem Vorteil, daß das Weidevieh sie verschmäht. Mit dem Nachteil: Weil das Pferd den Rainfarn stehenläßt, wuchert er und muß gemäht werden, damit er sich nicht ausbreitet und die anderen Wiesenpflanzen dominiert. Da sein Sproß extrem zäh ist, braucht man eine Motorsense für einen Vormittag Rainfarn-Mahd. Der starke fünfkantige Nylon-Mähfaden zerdrischt und verhäckselt alles.
Man steht als Mäher in dem frischen, urgesund anmutenden Duft und denkt: Sind es eigentlich die Maschinen selbst, die den Menschen veranlassen, ratzekahl mit der Natur aufzuräumen oder gar auf seinesgleichen loszugehen? Ist den Maschinen irgendwie verflixt-mephistophelisch als Prädikat eingeschrieben, welches Unheil sie zuweilen bereiten? Nicht mal des Rainfarns würden wir Herr, gäbe es nicht rabiate Technik. Wir wollen immer Herr werden über irgendwas.
Sicher, am Anfang mag eine ingenieurtechnische Idee stehen. Bevor Hiram Maxim 1885 das erste Maschinengewehr vorstellte, beschäftigte er sich in Maine mit dem Bau von Kutschen und Instrumenten und war dann Chefingenieur der First Electric Lighting Company. Als ihm jemand erzählte, daß in Europa Spannungen herrschten, die einen Krieg erwarten ließen, ging er nach London und richtete sich dort eine Waffenwerkstatt ein. Zwanzig Nationen rüsteten ihre Streitkräfte mit dem Maxim-Gewehr aus, das mit fünfhundert Schuß in der Minute über die Feuerkraft von 100 einfachen Gewehren verfügte.
Und es gibt schrecklichere Beispiele für Erfindungen, die aus irgendeinem Motiv heraus ersonnen wurden, dann aber wegen ihrer fürchterlichen Möglichkeiten ein Eigenleben zu beginnen scheinen. Alle Massenvernichtungsmittel bildeten so ihre Geschichte aus, oft sehr weit entfernt von der Intention ihres Erfinders. Der mitunter – wie Andrej Sacharow – durch deren Wirkung geläutert wurde.
Blödsinnig, wird es heißen, eine Motorsense mit Maschinengewehren, Giftgas und der sowjetischen Wasserstoffbombe zu vergleichen. Tatsächlich? Nie und nimmer würde ich den Rainfarn auf ca. einem Hektar mit einer Handsense gemäht haben! Keinesfalls hätte ich die auf dem alten Hof lagernden alten Eichen- und Robinienpfähle allein mit der Bügelsäge zu Brennholz verarbeitet. Ich besorgte das mit einer exzellenten Kettensäge. Die technische Möglichkeit verlangt nach tatsächlicher Wirklichkeit.
Hiram Maxim wurde von Queen Victoria in den Ritterstand erhoben. Er brachte es auf 271 Patente und erfand sogar eine Mausefalle. Sein Sohn übrigens den Schalldämpfer für Waffen, der später adaptiert für Autos genutzt wurde.
Was wollte ich eigentlich sagen? – Dem Rainfarn hat seine gesamte Evolution gegen die Motorsense nichts genützt – nicht sein harter Sproß, nicht die tiefe Wurzel, nicht die Bitterstoffe. Ich lese, die Pflanze wurde volkstümlich auch Gülde oder Westenknöpfle genannt. Ihrer kleinen festen Korbblüten wegen. Die benutzten Kinder früher als Spielgeld.
Durch ihren intensiven Geruch hält das Kraut Ungeziefer fern, beispielsweise den Kartoffelkäfer. Man soll es in Särge gelegt und Leichentücher damit getränkt haben. Zusammen mit Alaun ergeben die Blütenknöpfe ein dunkelgelbes Färbemittel; sogar ein dunkelgrünes kann man mit Eisensulfat herstellen. Von den Pflanzen leben Raupen, etwa die der Rainfarn-Mönch, der Smaragdspanner und Eulenfalter. Was für schöne Namen! Die Sackträgermotte ist sogar gänzlich auf Rainfarn spezialisiert.
Eine erstaunliche Pflanze. Wie nützlich. Und doch ist sie hier jetzt abgemäht und wird kompostiert. Weil das Pferd sie nicht frißt. Weil sie stört. Weil es diese famose Motorsense gibt, mit über einem Kilowatt Leistung. Das sind beinahe eineinhalb Pferdestärken.
Raskolnikow
Erheblichster Einspruch!
"Nie und nimmer" hätten Sie den Rainfarn gesenst? Natürlich lasse ich Sie thun, was Sie belieben, aber bei uns giebt es die sobenannten Heidesensen, in südlicheren Gegenden heißt man sie Forstsensen. Es sind treffliche Modelle von "Hahnenkopf" oder "Schwalbensensen" erhältlich!
Glauben Sie mir, lieber Herr Bosselmann, damit machen Sie uns für zwei Tage den Tolstoi und der Hektar ist tanacetum-frei. Als Sportler könnten Sie die Operation in ihren Trainingsplan implicieren und als Dichter ...
Wohlwollend betrachte ich immer die Schnitter von meinem Fensterchen hier oben, wahre Chevaliers der Wiesen, und Groll werfen meine Basiliskenäuglein auf diese schrecklich lärmenden Motorsenser. Nein, nein, Herr Bosselmann!
Und um fürbaß ein wenig weiter oberhalb zu conversieren: alle Gegner des verächtlichen Deutschen Reinheitsgebotes haben sicher keinen Schaden gelitten, wenn ich sie in Kenntnis setze, dass der Rainfarn in freieren Zeiten dem Biere zugesetzt war! Gemeinsam mit Tollkirsche, Bilsenkraut und allerlei anderen erhabenen Ingredecien ergab das ein wirklich "geistig" zu nennendes Getränk ...
Ahoi,
R.