85. Geburtstag Hans-Dietrich Sander

(Text aus dem Band Vordenker des Staatspolitischen Handbuchs, Schnellroda 2012.)

»Konsequent, hochmütig und rücksichtslos « sei der Tonfall, den der »nationale Dissident« Hans-Dietrich Sander in seinen Schriften anstimme, voller Verachtung für die »feigen fetten Fritzen der Wohlstandsgesellschaft «, was ihn »Gott sei Dank in einen unversöhnlichen Gegensatz zur großen Mehrheit der Bürger der Bundesrepublik Deutschland« bringe. Dennoch müsse verhütet werden, daß »diese stilisierte Einsamkeit, diese ›Kleistsche Radikalität‹ wieder Anhänger findet«.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

Denn: »Schon ein paar Tau­send wären zu viel für die zivi­le, par­la­men­ta­ri­sche Bun­des­re­pu­blik.« So furcht- wie respekt­voll urteil­te 1989 der Sozi­al­de­mo­krat Peter Glotz über den Mann, den Armin Moh­ler »den unbe­quems­ten Ver­tre­ter der Neu­en Rech­ten« nann­te und der sich selbst stets jeder Kate­go­ri­sie­rung die­ser Art ent­zog. San­der wuchs in einem klei­nen meck­len­bur­gi­schen Dorf auf und besuch­te ab 1939 das Gym­na­si­um in Par­chim. In Kiel erleb­te er als jun­ger Mari­ne­hel­fer den Krieg in Form von mas­si­ven Luft­an­grif­fen. Er beton­te spä­ter, daß die­se Erfah­rung kei­nen Platz für »Schuld­ge­füh­le« ließ und er den gegen Deutsch­land erho­be­nen Anschul­di­gun­gen von Anfang an skep­tisch gegen­über­stand. Er sah sich schon früh als »Reichs­deut­scher, der in der Stun­de Null nur ange­ritzt wurde«.

Ab 1949 stu­dier­te er Thea­ter­wis­sen­schaf­ten und Ger­ma­nis­tik in West-Ber­lin. Her­bert Ihe­ring ver­mit­tel­te ihm eine Hos­pi­tanz bei den Pro­ben des Ber­li­ner Ensem­bles. Die Fas­zi­na­ti­on durch Ber­tolt Brecht infi­zier­te San­der mit dem Kom­mu­nis­mus. Er brach mit dem poli­ti­schen und wirt­schaft­li­chen Sys­tem West­deutsch­lands und zog 1952 nach Ost-Ber­lin, wo er als Dra­ma­turg und Thea­ter­kri­ti­ker tätig war. Sein kom­mu­nis­ti­sches Enga­ge­ment erlosch am 17. Juni 1953, und im Dezem­ber 1957 ging er wie­der zurück in den Wes­ten, dem er aller­dings wei­ter­hin kri­tisch gegen­über­stand. 1958 bis 1962 arbei­te­te San­der unter der Schirm­herr­schaft Hans Zeh­rers als Redak­teur für die Welt. Sei­ne Arbeit die­ser Jah­re kon­zen­trier­te sich auf das Feuil­le­ton und war nur indi­rekt poli­tisch geprägt.

1963/64 ging er für ein For­schungs­pro­jekt über revo­lu­ti­ons­theo­re­ti­sche Schrif­ten nach Zürich. Im Rah­men die­ses Pro­jekts nahm er Kon­takt zu bedeu­ten­den Sozia­lis­ten, Kom­mu­nis­ten und Ex-Kom­mu­nis­ten wie Boris Sou­va­ri­ne, Gian­gi­a­co­mo Fel­tri­nel­li oder Oskar Lan­ge auf. 1965 hol­te Hans Zeh­rer San­der zur Welt zurück. Zeh­rer starb 1966, Ende 1967 wur­de San­der ent­las­sen. Die raschen Sie­ge der Stu­den­ten­re­vol­te ent­larv­ten in sei­nen Augen die Brü­chig­keit des poli­ti­schen Sys­tems. Zwischen»liberaler Restau­ra­ti­on wie ihrer lin­ken Unter­wan­de­rung« führ­te der Weg zu dezi­diert natio­na­len Posi­tio­nen, die sich im Lau­fe der Jah­re radi­kal zuspit­zen soll­ten. 1969 pro­mo­vier­te San­der bei Hans-Joa­chim Schoeps mit der dog­men­ge­schicht­li­chen Stu­die Mar­xis­ti­sche Ideo­lo­gie und all­ge­mei­ne Kunst­theo­rie.

Eine Fuß­no­te der 1970 in Buch­form erschie­ne­nen Dis­ser­ta­ti­on repro­du­zier­te erst­ma­lig den inzwi­schen berühm­ten Brief Wal­ter Ben­ja­mins an Carl Schmitt, den Theo­dor W. Ador­no in sei­ner Ben­ja­min-Edi­ti­on unter­schla­gen hat­te. Mit Schmitt pfleg­te San­der seit 1967 einen inten­si­ven Brief­wech­sel, der bis 1981 anhielt. San­ders Geschich­te der Schö­nen Lite­ra­tur in der DDR (1972), zum Teil aus der War­te eines Augen­zeu­gen geschrie­ben, lös­te eine hef­ti­ge Kam­pa­gne aus, in deren Fol­ge der Ver­lag das Buch aus dem Ver­trieb zog. San­der ver­lor nun zuneh­mend an publi­zis­ti­schem Spiel­raum. Asyl fand er in Cas­par von Schrenck-Not­zings Cri­ticón und in Wil­liam S. Schlamms Zeit­büh­ne.

1975/76 war er kurz­zei­tig Lehr­be­auf­trag­ter an der TU Han­no­ver und auf Ein­la­dung Jacob Tau­bes 1978/79 Gast­do­zent an der Frei­en Uni­ver­si­tät Ber­lin. Der natio­na­le Impe­ra­tiv (1980), sein ers­tes dezi­diert poli­ti­sches Buch, ver­sam­mel­te »Ideen­gän­ge und Werk­stü­cke zur Wie­der­her­stel­lung Deutsch­lands« und stell­te dabei gar »pro­pä­deu­ti­sche Über­le­gun­gen zum Vier­ten Reich« an. 1983–86 über­nahm er die Chef­re­dak­ti­on der Deut­schen Monats­hef­te.

Die Auf­lö­sung aller Din­ge (1988), eine meis­ter­haf­te pole­mi­sche Stu­die »zur geschicht­li­chen Lage des Juden­tums in den Meta­mor­pho­sen der Moder­ne «, über­schritt als ers­tes Buch nach 1945 den »Rubi­kon« (Haber­mas) einer kri­ti­schen Neu­sich­tung der »deutsch-jüdi­schen Fra­ge« »unter dem Gesichts­punkt der poli­ti­schen Escha­to­lo­gie«. Den Hin­ter­grund bil­de­te der Begriff der »Entor­tung« als zen­tra­les Kenn­zei­chen der Auf­lö­sungs­pro­zes­se der Moder­ne. Von Bedeu­tung sind auch die dar­in ent­hal­te­nen »The­sen zum Drit­ten Reich«.

Pünkt­lich zur Wen­de ver­wirk­lich­te San­der 1990 das lang­ge­heg­te Pro­jekt einer eige­nen Zeit­schrift, der Staats­brie­fe, die er als »Frei­statt für das offe­ne Wort« im Diens­te der »Renais­sance des natio­na­len Den­kens« kon­zi­pier­te. Als Emblem dien­te der Grund­riß des Cas­tel del Mon­te, ent­spre­chend dem küh­nen Pro­gramm einer Wie­der­be­le­bung einer ghi­bel­li­ni­schen Reichs­idee, an der San­der mit pro­vo­zie­ren­der Unbe­irrt­heit fest­hielt. Zu den Mit­ar­bei­tern der ers­ten Stun­de zähl­ten u. a. Armin Moh­ler, Gün­ter Zehm, Hans-Joa­chim Arndt, Gün­ter Maschke, Robert Hepp, Sal­cia Land­mann, Rein­hold Ober­ler­cher und Wolf­gang Strauss.

Die Hoff­nun­gen, mit den Staats­brie­fen ein wir­kungs­vol­les Pen­dant zu Hans Zeh­rers Tat und ein welt­an­schau­lich weit­ge­spann­tes Forum auf natio­na­ler Basis zu lan­cie­ren, zer­streu­ten sich aller­dings eben­so schnell wie die Erd­rutsch­stim­mung der Wen­de­zeit. Die hoch­ka­rä­ti­ge Mit­ar­bei­ter­schaft dünn­te sich bereits nach dem ers­ten Jahr­gang merk­lich aus; im Jah­re 2000 wur­de die Zeit­schrift schließ­lich ein­ge­stellt. Vier­mal im Jahr schreibt der streit­ba­re Autor noch für die öster­rei­chi­sche Zeit­schrift Neue Ord­nung, sein Haupt­au­gen­merk gilt dabei wei­ter­hin der lau­fen­den Selbst­zer­set­zung des libe­ra­len Systems.

Schrif­ten: Mar­xis­ti­sche Ideo­lo­gie und all­ge­mei­ne Kunst­theo­rie, Tübin­gen 1970 (2. erw. Aufl.: ebd. 1975); Geschich­te der Schö­nen Lite­ra­tur in der DDR. Ein Grund­riß, Frei­burg i. Br. 1972; Der natio­na­le Impe­ra­tiv, Kre­feld 1980 (2. erw. Aufl.: Essen 1990); Die Auf­lö­sung aller Din­ge, Mün­chen 1988; (mit Carl Schmitt) Werk­statt-Dis­cor­si. Brief­wech­sel 1967–1981, Schnell­ro­da 2008.

Lite­ra­tur: Hei­ko Luge (Hrsg.): Grenz­gän­ge. Liber ami­corum für den natio­na­len Dis­si­den­ten Hans-Diet­rich San­der, Graz 2008; Sebas­ti­an Maaß (Hrsg.): “Im Ban­ne der Reichs­re­nais­sance”. Hans-Diet­rich San­der im Gespräch, Kiel 2011.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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