Es blühen: Nachtviole, Akelei, Lavendel, Salbei, Enzianbäumchen. Eine lila Pracht, die einzigen gelben Farbtupfer liefern noch die mächtigen Rosenbüsche (uralte, heimische Sorte, dermaßen stachelig, daß man an den Notarzt denkt, wenn das ein oder andere Kind mal reinfällt), die duftmäßig mit den Nachtviolen konkurrieren sowie die blutjungen Entenküken (28) und Hühnerküken (2, leider bloß).
Wermutstropfen: Das Geschrei während der Mahlzeiten. Nicht, daß die Sonne uns über die Maßen aggressiv machte, nein, wir müssen nur die Fliegen übertönen, falls wir uns beim Essen unterhalten wollen. Was nicht unbedingt ratsam ist. Die Biester fliegen auch mal in einen zum Sprechen kurz geöffneten Mund.
Unsere Haustiere wohnen ziemlich weit von der Küche entfernt, und weil unser Kühlschrank Ende April auch wieder angestellt wurde, kann es an rumstehenden Lebensmitteln nicht liegen. Scheint einfach ein Fliegenjahr zu sein. Andere Jahre waren Mäusejahre, Schneckenjahre, Schnakenjahre, diesmal also die Stubenfliege als Extremplage.
Diese Klebestreifen zum Fliegenfang kannte ich bis zu meinem 28. Lebensjahr nur von Besuchen im ländlichen Schlesien, und da hatte ich immer wahnsinniges Mitleid mit den Menschen, die so ein Zeug in ihre Stube hängen müssen. Wir haben vorgestern ein halbes Dutzend dieser häßlichen Leimbänder in der Küche aufgehängt. Da waren sie noch braunbeige. Heute sind sie allesamt schwarz. Also Nachschub! Im Netz stoße ich statt auf Kauftips auf ethische Bedenken. Elektrische Fliegenklatschen gelten als zeitgemäß, die bescherten einen schmerzlosen Tod – falls das überhaupt sein müsse. Fliegen tun doch keinem weh! (Ich rechne kurz hoch und sehe mich dreieinhalb Stunden täglich mit einer elektrischen Klatsche durch die Küche wedeln.) Eine sogenannte userin stört sich
immer ein bisschen daran, wenn man das “Lebensrecht” eines Tieres davon abhängig macht, wie nützlich es für Menschen ist. Fliegen haben auch ihren Sinn, die Frage, ob etwas “Ungeziefer” ist oder “Unkraut”, betrifft doch nur die Wahrnehmung des Menschen, wie gerne er etwas um sich hat. Finde ich als Maßstab denkbar ungeeignet. Für meinen Geschmack sind diese Klebedinger schon widerlich – und ich finde es auch nicht so schön, wenn sich die Tiere daran zu Tode quälen.
Nein, wer fände das auch wirklich „schön“? Wenn sich eine Fliege am Leimband gerade zu Tode quält – und das tun sie in unserer Küche eigentlich laufend – ist das in der Tat markerschütternd. Schrillster Ton! Nur, was tun, wenn die Entscheidung für diese Fallstricke schon mal gefallen ist? Raufklettern in Deckennähe? Das arme Lebewesen entfernen? Ihm, da es aller Wahrscheinlichkeit den Rest seines Lebens als Schwerbehinderte/r mit Klebfüßchen verbringen müßte, einen raschen Tod bereiten? Wie eigentlich? Zudrücken, dabei selbst klebenbleiben? Es möglichst zärtlich entfernen und ein abgeschirmtes Hospiz für davongekommene Leimbandopfer errichten?
Oder Frösche halten, um einen natürlichen Kreislauf herzustellen? Genau, hab ich versucht. Ehrlich gesagt: nein, es ging mir nur um den pädagogischen Effekt. Ich habe nämlich eine Handvoll Kaulquappen aus dem Löschteich entnommen, grob geschätzt ein Millionstel des Bestands. Kenn ich selbst noch aus dem Kindergarten, da stand im Frühsommer oft so ein kleines Aquarium mit Kaulquappen rum. Die bekamen irgendwann Beinchen, und noch später, als kleine Frösche, durften wir sie aussetzen. Nun hatten wir hier wieder Kaulquappen in einer Babybadewanne. Entwickelten sich gut, aber womit füttern, damit es auch artgerecht ist? Das Internet kennt die Antwort: gar nicht, und wer auch nur fragt, der hat kein Herz und keine Sensibilität.
Seit 1980 ist die Entnahme von Amphibien in jeder Lebensform – sei es als ausgewachsenes Tier, sei es als Kaulquappe – gesetzlich untersagt und kann sogar als Ordnungswidrigkeit mit Geldbußen geahndet werden.
Logisch haben wir die Quappen sofort zurückgesiedelt. Das Töchterchen patschte bei der Befreiungsaktion mit den Gummistiefeln knöcheltief ins Wasser. Ihre Spuren hinterließen mindestens zehn Tote, unschöner Anblick. Es fielen harte Worte, es gab Tränen. Zum Glück war kein Kamerateam dabei und keine Polizei. Hätte teuer kommen können!
Ja, es beschämt mich letztlich immer sehr, wenn ich ratsuchend in tierischen Belangen nach Hilfe im Netz suche, was sommers häufiger der Fall ist.
Jungvogel orientierungslos auf der Landstraße aufgelesen, ein monströses Tierchen, leicht verwundet. Ein verflogener Albatros meine ich, oder wenigstens ein Geier. Kornweihe, urteilt der Mann. Die Bildersuche ergibt keinen Aufschluß, also was füttern? Körner, Würmer, Ei? Einschlägige Vogelforen müssen solche Anfragen laufend beantworten. Typische Antwort: Bring den Vogel zu einer Vogelaufzuchtsstation in deiner Nähe. Entgegnet ein Ratsuchender, die nächste Jungvogelstation sei 65 km entfernt, dann ist das exakt die falsche Antwort. Ob 65 km wohl zu viel sind, um ein Leben zu retten? Das müsse man dann schon mit seinem Gewissen vereinbaren, das könne man gut & gerne Unterlassene Hilfeleistung nennen.
Der Ton ist meist der gleiche. Ich bin eine geprüfte Tierforenleserin: Was, deine Ziege hat ihre erste Geburt, du bist unsicher und rufst nur deshalb nicht um professionelle Hilfe, weil Wochenende ist und kurz vor Mitternacht?! Du solltest keine Tiere halten! – Wie, du willst deinen krebskranken Hund nicht operieren lassen, nur weil er schon 16 Jahre alt ist und dir 600 Euro zu viel sind?!Bin gespannt, wie das bei deinem Lebensende sein wird!!!
Undsoweiter. Wir Deutschen sind extrem tierfreundlich. Eigentlich ein hübscher Zug. Anläßlich der Fliegenplage und dem im Raum stehenden Quälereivorwurfs hab ich mal nachgeschaut, wie es wäre, wenn sich ein anderes Lebewesen breitmachen würde, das nicht gewünscht wäre, nämlich ein menschliches.
Minikleine Internetrecherche, ein paar Minuten nur. Eine schreibt auf einer so beliebten wie beliebigen Frage-Antwort-Seite, sie wolle abtreiben, aber ihr Freund sei strikt dagegen. Antworten:
Vielleicht solltest du die Polizei rufen ? Er hat absolut nichts zu sagen zum Abbruch.
Oder:
Wieso nennst du diesen Menschen noch Freund? Wenn du keinen Rückhalt aus Familie oder Freundeskreis hast, wende dich an ein Frauenhaus. Man wird dich begleiten und darauf achten, dass du nicht ein paar – entscheidende – Tage weg gesperrt wirst bis die entscheidenden Fristen endlich abgelaufen sind.
Die Macherin von Abtreibung-web.de gibt an, sie habe ihre Seite ins Leben gerufen, weil sie selbst es so empfand, daß man ihr ein schlechtes Gewissen machen wollte wegen ihrer Entscheidung kontra Kind. Sachlich schildert sie die einzelnen Schritte bis zur Tat. Wenn die zur Vollstreckung ansteht, wünscht man hier frohgemut & von ganzem Herzen:
Alles Gute am Tag des Eingriffs!
Daß man das Geschehene posthum auch ziemlich cool sehen kann, davon zeugt die Rubrik „Stumme Stimmen“ auf der genannten Netzseite. Die leicht pathetische Überschrift könnte vermuten lassen, daß hier betroffene Frauen ihrem gewesenen Kind eine Stimme verleihen. Aber nein, hier sprechen die Täterinnen. „Nur wer selbst einmal in der Lage ist, erfährt, wie viele Frauen wirklich abtreiben. Es scheint fast wie eine Gemeinschaft von Verschworenen.“ Eine der Verschwörerinnen hier schreibt:
Du ich kann dir sagen, ich fühl mich so richtig gut. Es war die beste Entscheidung, seit ich denken kann. […]Und weißt du was, wenn ich meine Freundinnen mit ihren kleinen Babys sehe, dann hab ich da gar kein Problem damit, ich hab’s eigentlich schon vergessen.
Jäh fühle ich mich an die fahrlässig zertretenen Kaulquappen erinnert! Eigentlich schon vergessen, die Dinger!
Auch die Teenager-Zeitschrift Mädchen (zu meiner Zeit galt die als deutlich konservativere Version als der Bravo-Ableger Girl) hält Ratschläge für den Fall des Auftretens eines unerwünschten Gastes parat:
Du bist schwanger, kannst oder willst das Kind aber nicht bekommen? Du denkst über eine Abtreibung nach, aber es stehen noch zu viele ungelöste Fragen im Raum: “Bis zu welchen Zeitpunkt geht das?” “Müssen meine Eltern davon erfahren?” Wir haben alle wichtigen Facts für dich zusammengefaßt.
Lass dir kein schlechtes Gewissen machen! Du begehst weder ein Verbrechen, noch machst du dich strafbar oder bist ein schlechter Mensch. Du triffst deine eigene Entscheidung für dein Leben.
Mitleserin Celisha hat Senf, den sie dazugeben will:
Ich würde es abtreiben. Ich will auch keine Kinder in meinem Leben, obwohl die kleinen Kiddies, ja schon voll knuffig sind und so schön strahlen *.* Ich bleib aber lieber bei der Sims 2 Version der babys. Die gefallen mir mehr 😀
KayQii hält ebenfalls nicht mit ihrer „Meinung“ hinterm Berg:
Jeder hat seine eigene Meinung dazu, die sollte man auch so respektiern. ich könnte mit einem baby so früh nichts anfangen-man hat ja auch noch andere pläne. deshalb find ich abtreibung gut
Was soll man sagen? Die Natur gibt ihr Bestes, Fliegen fliegen oder sterben, andere Lebewesen sterben wie die Fliegen, nur stimmlos (Stichwort „Unterbrechung“ durch „schonende Absaugmethode“ ), aber immer geht´s doch irgendwie voran, oder?
Carsten
Passt doch perfekt zum asymetrischen Humanismus der Linken: Buchstäblich »keiner Fliege etwas zuleide tun« können (außer, wenn Moslems Schafe schächten wollen), aber »No tears for Krauts« brüllen. Linke Ideologie ist nun mal menschenverachtend.