Ein nun erst gesichtetes Video einer Überwachungskamera zeigt nach Ansicht von Polizeiexperten, wie ein aggressiver Clément Méric dem Skinhead Esteban M. von hinten in den Rücken fällt und versucht, ihn auf den Kopf zu schlagen. Der Anhänger des mittlerweile aufgelösten Troisième Voie dreht sich danach um, schlägt zurück, trifft Méric frontal im Gesicht, woraufhin dieser zu Boden fällt und sein Bewußtsein verliert. Später erliegt er den hierbei zugezogenen Verletzungen. RTL Frankreich: “Die Bilder schließen die Lynch-Hypothese aus, sie zeigen einen provokativen Clément Méric und stärken die These des Richters, der von einem Unfalltod infolge erlittener Schläge ausgeht.”
21. 06.:
Am 6. Juni erlag mit Clément Méric ein Antifa-Aktivist und Politikstudent in Paris seinen Verletzungen, nachdem er in einer brutalen Prügelei schlußendlich tödliche Schläge erhalten hatte. Mit mehreren Genossen hielt er sich tags zuvor in einem Bekleidungsgeschäft auf, als eine kurzhaarige Gruppe des entgegengesetzten Spektrums den Ort des Geschehens betrat.
Die Antifaschisten erkannten ihre Opponenten, bedrohten sie und versprachen ihnen, wie selbst die Jungle World einräumen muß, ein Stelldichein nach Verlassen des Ladens. Allerdings traf alsbald Verstärkung aufseiten der Skinheads ein.
Das weitere Geschehen, kurzgefaßt: Schlägerei, Koma Mérics, Tod Mérics.
Nun könnte man aus dieser sinnlosen Auseinandersetzung mit schrecklichem Ergebnis das Fazit ziehen, daß Gewalt Gegengewalt erzeugt. Man könnte auch feststellen, daß es zutiefst irrational ist, politische Gegner zu attackieren, nur weil sie zur selben Zeit ähnliche Kleidungsstücke erwerben möchten. Man könnte desgleichen einwerfen, daß sich die politischen Zustände Frankreichs weiter zuspitzen und daß es für das Paris des Jahres 2013 bezeichnend ist, wenn radikale Rechte und Linke selbst beim alltäglichen Einkaufen meinen, sich bewaffnen (der Täter hat laut Zeugenaussagen einen Schlagring verwendet) zu müssen.
Man kann aber auch, wie Nils Minkmar in der FAZ, ein etwas anderes Fazit treffen:
Es rächt sich, dass Präsident Hollande, anders als Mitterrand, die extreme Linke nicht in seine Regierung eingebunden hat, denn Mélenchon und Genossen machen nun ordentlich Druck. Und darauf warten, davon leben die Rechten. Unverkennbar ist das Aufblühen, die wachsende Militanz der extremen Rechten.
Man stellt irritiert fest: Weil sich eine Handvoll extreme Linke* und extreme Rechte** eine brutale Schlägerei lieferten, empfiehlt Minkmar die Regierungseinbindung der extremen Linken. Minkmar kritisiert zudem Marine Le Pen, die sich weigert, eine pauschale Distanzierung von rechten Gruppierungen abseits des Front National vorzunehmen, während er aber gleichzeitig implizit die Regierungseinbindung radikaler Gruppen der Linken empfiehlt, um die Rechte zu bekämpfen.
Minkmar vernachlässigt in seiner Beurteilung desweiteren beflissentlich, daß selbst der sozialistische Innenminister Manuel Valls – der Kumpelei mit rechtsorientierten Strömungen wohl unverdächtiger als jeder andere Politiker – kundtat, das Opfer sei „militanter Linksextremist“ gewesen.
Das rechtfertigt freilich unter keinen Umständen den gewaltsamen Tod eines 18jährigen, aber in Kombination mit Zeugenaussagen, die besagen, daß die Konfrontation ihren Ursprung auf der Linken nahm, bevor sie ihren verhängnisvollen Verlauf nahm, gerät die auf diesem Vorkommnis aufbauende Forderung nach einer Einheitsfront gegen rechts zur Farce.
Für den morgigen Sonntag ist nun ein frankreichweiter Aktionstag linker und linksradikaler Gruppen geplant. Es scheint, als ob sich die französische Linke nach ihrer monatelangen Ohnmacht angesichts konservativer Massenproteste neu formiert. Daß ihr Gründungsmythos auf einer tragischen Abfolge von vermeidbaren Dummheiten beiderseits basiert, wird nur die Wenigsten stören. Der junge Clément Méric wird davon jedenfalls nicht wieder lebendig.
* Méric (18) war Aktivist der Action Antifasciste Paris-Banlieu und in den letzten Wochen als Teilnehmer mehrfach – teils vermummt – auf Gegendemonstrationen zur „Manif pour tous“ konservativer Kreise.
** Der inhaftierte verdächtige Haupttäter (20) ist Skinhead und mutmaßlicher Anhänger des „Troisième Voie“ („Dritter Weg“), einer „solidaristischen“, radikal nationalrevolutionären Splittergruppe mit weniger als 150 Anhängern, deren ca. 40 Aktivisten befremdlich – uniformiert (mit schwarzen Alpha-Jacken und kurzgeschorenem Haar) wie martialisch („Kämpfen und gehorchen“-Aufnäher auf dem Unterärmel im Weltkriegs-Stil) – auftreten und in Serge Ayoub, einem französischen Nationalisten mit zum Teil christlich-libanesischen Wurzeln, ihre unumstrittene Führungsfigur besitzen. Die Gruppe soll infolge der Tat voraussichtlich am 26. Juni verboten werden.
Prolet
Die radikale "Rechte" in Frankreich scheint ziemlich aufgesplittet in diverse Kleinstgruppen. In deutschen Medien sind das alles natürlich alles Neonazis, was kompletter Blödsinn ist. Ich schreib das "Rechte" deshalb in Anführungszeichen weil gerade die Troisieme Voie einen ziemlichen Querfrontansatz vertritt. Gregor Strasser lässt grüßen. Was die "Troisieme Voie" von hiesigen deutschen Neonazis unterscheidet, ist auch, dass der Rassismus nicht so ausgeprägt ist. Sprich, es sind z.B. auch Skinheads südostasiatischer Herkunft dabei. Bei ostdeutschen Kameradschaftsgruppen oder der NPD undenkbar. Serge Ayoub ist ja auch kein "reinrassiger" Franzose. Im Prinzip aber eine unbedeutende Splittergruppe.