um für den aktuellen “bösen Wolf” der westlichen Nachrichten, den türkischen Ministerpräsidenten Recep Tayyip Erdogan, zu demonstrieren. Die Gegendemonstranten konnten nach Polizeiangaben gerade mal 600 Teilnehmer mobilisieren, die noch dazu in eher lose versprengten, heterogenen Grüppchen auftraten.
Ich kann es als Augenzeuge bestätigen: auf der einen Seite stand eine aufgeputschte, intensiv engagierte Masse, die die Innenstadt in ein Meer aus türkischen Fahnen tauchte, wie immer dominiert von mit aggressivem Stolz auftretenden jungen Männern. Der Nationalismus der Demonstranten verband sich mit unverhohlenem Islamismus: die Frauen erschienen sämtlich in Kopftüchern, “Allahu Akbar”-Rufe und ähnliches waren häufig zu hören, auch die Aufschriften auf den Transparenten waren recht eindeutig.
Die Redner, die sich zum Teil hinter österreichischen Staatsfahnen verschanzten, waren ganz auf ihr Zielpublikum eingerichtet, machten sich nicht einmal die Mühe, ihre Reden und Parolen, die mit Sprechchören beantwortet wurden, zu übersetzen – der einzige deutsche Satz, der zu hören war, war eine Danksagung an die Wache stehende Polizei.
Dagegen waren die Anti-Erdogan-Demonstrationen eine eher müde Nummer. Die erste Gruppe marschierte Richtung Türkische Botschaft, die passenderweise in der Prinz-Eugen-Straße liegt. Zahlenmäßig deutlich geringer, erreichte sie wegen der Polizeiabsperrungen ihr Ziel nur annähernd und zerstreute sich bald wieder. Hier trugen die Frauen keine Kopftücher, mehrere Österreicher mischten mit, und die kommunistische Gruppe “Atik” (“Konföderation der Arbeiter aus der Türkei in Europa”) verteilte Flugblätter, in dem “ArbeiterInnen” und “MigrantInnen” zum “Widerstand” gegen “Imperialismus” und die “faschistische AKP-Regierung” aufgerufen wurden.
Die zweite Kundgebung am Neuen Markt war bereits aufgelöst, als ich eintraf. Nach Auskunft der Polizei war es eine resonanzlose “One-Man-Show” gewesen, für die sich niemand interessiert hätte. Die dritte, offenbar vor allem kemalistisch orientierte Kundgebung plätscherte im Resselpark an der Karlskirche vor sich hin. Ein paar Atatürk-Bilder wurden hochgehalten und gegen den “Prügeldiktator” und Volksverhetzer” Erdogan ausgespielt, auch hier wurden einige Fahnen geschwenkt, darunter die des türkisch besetzten, international nicht anerkannten Nordzypern. Ab und zu lugte zaghaft und ohne erkennbaren Sinn die österreichische Fahne hervor, um schnell wieder in der Versenkung zu verschwinden.
Über Lautsprecher lief türkische Schlager- und Rockmusik, die Frauen trugen keine Kopftücher, die vielleicht 50 anwesenden Türken saßen recht entspannt am Rand des Brunnens vor der Karlskirche. Schlecht leserliche Flugblätter wurden verteilt. Die “antidemokratische und faschistische AKP-Regierung” wende sich gegen friedliche Demonstranten, die für “Demokratie, Freiheit und Gerechtigkeit” eintreten. Sie seien “jeden Alters und aus allen Schichten. Mit einem Wort: Das türkische Volk.”
Das entsprach mehr oder weniger der medial am weitesten verbreiteten Version. Auffallend war, daß selbst diese gemäßigte Kundgebung zu einer saftigen nationalen und patriotischen Rhetorik und Ikonographie griff, die bei Unsereiner als Zeichen von hochgradigem “Rechtsradikalismus” gelten würde.
Die Demonstrationen in Istanbul werden nun von den Medien vorwiegend unter derselben simplifzierenden Schablone präsentiert wie bereits der “arabische Frühling”: hier das sich heldenhaft erhebende Volk, das nach Demokratie und Emanzipation strebt, dort ein finsterer, reaktionärer, ungeliebter Diktator, der es mit Gewalt unterdrückt.
Manfred Kleine-Hartlage schrieb dazu auf pi-news:
Alle europäischen Medien und alle europäischen Regierungen sind sich einig: Der türkische Ministerpräsident Erdogan ist ein brutaler Diktator, der auf das eigene Volk schießt. So ungefähr, wenn auch mit Abstufungen, lautet der Tenor der politischen Stellungnahmen, mit denen wir seit einer gefühlten Ewigkeit bombardiert werden. Es scheint niemanden zu geben, der diese Auffassung hinterfragt, und niemanden, der gewisse Merkwürdigkeiten sowohl in den Ereignissen selbst als auch in der darauf bezogenen Berichterstattung wahrnimmt.
Jedenfalls scheint diese gängige Version der Geschichte wenig Eindruck auf die überwiegende Mehrheit der “Austrotürken” (so der Kurier) gemacht zu haben. Stattdessen zeigte sich die erdrückende Mehrheit des “türkischen Volkes”, die Gegendemonstranten um ein Dreizehnfaches überragend, mit Leidenschaft, ja Fanatismus auf der Seite des “Diktators”.
“Antidemokratisch” kann man das nicht nennen: hier hat “das Volk” auf eindrucksvolle und nicht mißzuverstehende Weise seinem Willen, seiner Sympathie und seiner Loyalität Ausdruck verliehen, und es ist weitaus geschlossener als “Volk” aufgetreten als die in sich mehrfach gespaltenen Gegendemonstranten.
Was an diesem Sonntag in Wien geschah, ist ebenso gruselig wie auf eine makabre Weise komisch. Hier ist mal wieder eine weitere Seifenblase der multikulturalistischen Ideologie zerplatzt. Dazu muß man freilich genau hinsehen.
Als sich bereits im Vorfeld der Demonstrationen abzeichnete, wohin der Wind wehen würde, gab der türkischstämmige grüne Bundesrat Efgani Dönmez, Träger eines aparten orientalischen Bärtchens, wie es auch in Neukölln Mode ist, Sprüche zum Besten, die man sonst nur von FPÖ-Bundesparteiobmann Strache kennt. Via Facebook äußerte Dönmez, nach eigener Auskunft ein “gläubiger Moslem”, den Stoßseufzer, er würde am liebsten Erdogans Anhänger in Österreich mit „5000 One-Way-Tickets” in die Heimat versorgen – “und keiner würde denen nachweinen“.
Hätte dergleichen eine Blaumiese geäußert, hätten die Grünen wohl mindestens NATO-Einsätze gefordert und die Republik wäre in eine monatelange Hysterie-Ekstase verfallen wie in den schönsten Haiderzeiten. Aber auch Dönmez kam nicht ungeschoren davon, fing sich Schelte bis Morddrohungen von islamischer Seite ein, eine “türkische Community” mit dem Namen “New Vienna Turks” forderte seinen Rücktritt, vor allem aber fiel ihm die eigene Partei – wie nicht anders zu erwarten – in den Rücken und drohte ihm mit Ausschluß. Die Grünen attackieren “fundamentalistische” und nationalistische Gesinnungen bekanntlich nur, wenn sie sich auf Seiten der einheimischen Indianer zeigen. Daraufhin ruderte Dönmez mit ein paar relativierenden Floskeln zurück.
Ich möchte aus gesundheitlichen Gründen nun lieber nicht wissen, wieviele von den 8,000 Demonstranten einen österreichischen Paß in der Tasche stecken haben und wie es um ihre tatsächliche Loyalität und Liebe zum österreichischen Staat und ihre Begeisterung für die “bunte” Gesellschaft bestellt ist, die die Grünen propagieren. Ich erlaube mir allerdings den leisen Verdacht, daß der diesbezüglichen Enthusiasmus nicht ganz so glühendheiß ausfallen würde wie für ihr Heimatland, ihren “Führer” Erdogan und seine Regierung.
Das merken nun langsam auch die Grünen, und ihnen wird ganz schön mulmig dabei. Im Anschluß an Dönmez regte Parteigenosse Peter Pilz, ein langjähriges Urgestein und Aushängeschild der Partei, zaghaft an, quasi den “Kampf gegen Rechts” auszudehnen, und die Einwanderer doch in Zukunft beim Staatsbürgerschaftsverfahren mehr nach ihrer politischen Gesinnung auszusortieren. Das ist natürlich außerordentlich lustig.
Keine Partei hat sich in den letzten Jahrzehnten leidenschaftlicher ins Zeug gelegt, um die Einwanderung nach Österreich zu beschleunigen und die Verteilung von Staatsbürgerschaften zu erleichtern als die Grünen. Das ist ja inzwischen die primäre raison d’être des ganzen Vereins. Und niemand ist unerbittlicher und blindwütiger als sie, wenn es darum geht, die Kritiker dieser Politik mundtot zu machen, selbst jene, die nicht grundsätzlich gegen Einwanderung sind, sich aber strengere Aufnahmekriterien wünschen.
Nun wundern sie sich, daß sich ihre umhätschelten Einwanderungsimporte, insbesondere die muslimischen, nicht wie typische Grün-WählerInnnen und wie linksliberale, “aufgeklärte”, “weltoffene” “Demokraten” in ihrem Sinne verhalten. Was für eine Überraschung! Bezeichnend ist auch, daß gerade Typen wie Pilz oder Dönmez die ersten sind, die laut aufschreien, wenn etwa ein “Rechtspopulist” die Abschiebung von Straftätern fordert. Sie kennen ja viel schwerere Verbrechen, wie etwa die Äußerung abweichender Meinungen, und sie träumen erst dann von Abschiebungen und “Ausgrenzungen”, wenn es um die falsche Gesinnung geht. Aber das haben sie ja in ihrer Partei gelernt.
Generalsekretär Herbert Kickl von der FPÖ nutzte die Gelegenheit, um sich bei Dönmez anzubiedern: er habe seine “lupenreine demokratische Grundhaltung” unter Beweis gestellt, und bot ihm “Asyl” bei seiner Partei an. Ein solches Geschleime, sofern es nicht bloß strategisch gemeint ist, verdient die gleiche Verachtung wie die Herren Dönmez und Pilz selbst. Denn diese stehen nun vor einem Salat, den sie selber nach Kräften mit angerichtet haben.
Oder sind sie etwa unschuldig an dieser Entwicklung, die ihnen nun Kopfzerbrechen macht? Wo sind denn all diese Tausenden militanten Erdogan-Anhänger hergekommen? Sind sie vom Himmel geregnet? Sind sie von der türkischen Regierung hergebeamt worden? Haben sie sich spontan materialisiert?
Es ist das übliche Muster: der durchschnittliche “weltoffene” Demokrat hat soviel Ahnung von der Welt und ihrer “Offenheit”, und er liebt den “Anderen” so sehr, daß er sich gar nicht mehr vorstellen kann, daß es wirklich Menschen gibt, die anders sind und anders denken als er. (Indes frage ich mich, ob Dönmez Facebook-Sprüche nicht einer ganz anderen emotionalen Quelle entspringen als seiner lupenreinen Liebe zur “Demokratie” oder gar zu “Österreich”.) Am Ende dieser Entwicklung werden den Grünen die Folgen ihrer eigenen Politik ebenso ins Gesicht fliegen, wie Claudia Roth in Istanbul die Tränengaspatrone.
Anzeichen dafür gibt es schon – so wurden auf der Demo auch Anti-Dönmez und Anti-Grünen-Plakate gesichtet:
Soviel zu den Grünen. Werden nun die restlichen Lämmer auch aufwachen? Diejenigen, die die Demonstration auf der Mariahilferstraße mitbekommen haben, werden wohl keinen Zweifel mehr haben, wie es um die “Integration”, die Integrationswilligkeit und die politischen Identifikationen breiter Schichten der “Austrotürken” tatsächlich bestellt ist. Auch, daß sich hier ein erhebliches Konfliktpotenzial und eine Spaltung der Gesellschaft abzeichnet. Und nicht wenige werden sich angesichts dieses Anblicks nach Wasserwerfern à la Erdogan gesehnt haben.
Die Mehrzahl der Wiener allerdings vergnügte sich inzwischen am Donauinselfest; und irgendwie werden die Medien auch diese Geschichte wieder so hinbiegen, daß man die Lebenslügen der österreichischen Politik nicht allzu sehr hinterfragen muß. Und das sind eben die Lebenslügen eines Liberalismus, der sich in letzter Konsequenz selbst aufhebt.
Erste Schadensbegrenzungen konnte man bereits am Sonntag in der Presse lesen. Offenbar hat auch die Kommentatorin Jeanine Hierländer angesichts der Kundgebungen einen Schreck bekommen, und sie versucht nun, das Phänomen über die Schablone “der offenen Gesellschaft und ihrer Feinde” zu fassen.
Was Österreich zu einem so lebenswerten Land macht, sind die von der Verfassung garantierten Grundrechte: Rechtsstaatlichkeit, Menschenrechte, Säkularismus. Werte, die Erdogan mit Füßen tritt. Wer ihn so offensichtlich unterstützt, muss sich den Verdacht gefallen lassen, diese historisch einmaligen Werte ebenfalls nicht zu respektieren. Und darf damit selbst infrage gestellt werden. Dönmez hat das getan. Das ist mutig und verdient Respekt.
Hier steht die Autorin an der Schwelle zur “liberalen Islamkritik”, kratzt damit aber nur an der Oberfläche des Problems. Denn was Österreich zu Österreich macht und was es “lebenswert” macht, sind nicht bloß abstrakte “von der Verfassung garantierte Grundrechte”. Eine Verfassung allein kann nichts “garantieren”, abstrakt gefaßte “Grundwerte” allein können keine festen Grundlagen bilden. Man kann es nicht oft genug wiederholen, und im Grunde müßte es jedes Kind verstehen können.
Die von Hierländer genannten Punkte verhalten sich gegenüber den “Grundwerten” und Identifikationen, wie sie die 8000 türkischen Demonstranten vertraten, wie Wasser zu Blut, und sie lösen sich im Ernstfall von selbst auf, wenn sie keinerlei Anker und Fundament außerhalb ihrer selbst finden. Selbst der durchaus patriotisch gefärbte innertürkische “Widerstand” in Wien fiel dagegen kraftlos und läppisch aus. Wann wird das Böckenförde-Diktum endlich verstanden und ernstgenommen werden?
Darum kann die Autorin auch noch nicht begreifen, daß gerade die einseitige Fixierung auf “Menschenrechte” und “Säkularismus” und die liberalistische Reduktion des Nationsbegriff (das heißt unter Ausblendung seiner historischen und ethno-kulturellen Basis) daran schuld sind, daß die Lage soweit kommen konnte, eine Lage, an deren äußerstem Fluchtpunkt – man kann es drehen und wenden wie man will – Chaos und Bürgerkrieg stehen. Wer verstehen will, warum Dönmez von der “grünen Führung nur Schmähung erfuhr”, warum die Linke und die “Gutmenschen” sich so emsig für den ihnen im Grunde ideologisch spinnefeindlichen Islam einsetzen, muß eine Schicht tiefer blicken.
Nur langsam lösen sich die Scheuklappen der Autorin:
Vielleicht waren die zwei „Ausrutscher“ ja nur billiger Wahlkampfpopulismus. Vielleicht haben die Grünen aber auch verstanden, dass es auch unter ihren Wählern Menschen gibt, die von ihrer Blauäugigkeit beim Thema Zuwanderung genug haben.
Dönmez hat einer wichtigen Debatte Aufmerksamkeit verschafft. Aus Angst vor der Nazi-Keule wagt es niemand, die Schattenseiten der Migration anzusprechen – etwa, dass es im muslimischen Teil der Bevölkerung anscheinend einen gewissen Prozentsatz gibt, dessen Gesinnung demokratischen Werten zuwiderläuft. Wer sich traut, das anzusprechen, wird öffentlich diskreditiert.
Die Grünen und die Regierungsparteien SPÖ und ÖVP fahren integrationspolitisch einen naiven, ignoranten Kurs. Sie lassen sich mit verschleierten Frauen plakatieren und geben stur allein der „Mehrheitsgesellschaft“ die Schuld daran, dass es in Österreich ein handfestes Integrationsproblem gibt. Sie verwechseln Toleranz mit Beliebigkeit. Die FPÖ reibt sich die Hände: Sie darf das Feld ganz allein beackern. Mit Erfolg.
Julius
Ich habe diese Großdemonstration auch persönlich beobachtet. Es war gespenstisch. 8000 Teilnehmer meldet die Polizei, die in diesen Fragen immer sehr konservativ schätzt. Wie schon Lichtmesz darlegt und aus folgendem Bericht beim Standard hervorgeht, war es gleichermaßen eine türkisch-nationalistische wie eine islamistische Kundgebung: https://dastandard.at/1371170405902/Pro-Erdogan-Demo-Wien-ist-mit-dir?ti=77b63685-e9e1-4edc-aaa4-c63e1ca7ae01&ti=77b63685-e9e1-4edc-aaa4-c63e1ca7ae01&at=
Sprechchöre "Ya Allah, Bismillah, Allahu Ekber!" Der türkische Ministerpräsident ist live via Telefonschaltung verbunden und wird über Lautsprecher von der Menge frenetisch bejubelt. Ein Meer aus türkischen Fahnen, die zuvor kostenlos verteilt wurden.
Auffallend waren für mich auch zahlreiche österreichische Staatsfahnen (Bundesdienstflagge, also mit Bundeswappen), die allerdings im gegebenen Zusammenhang ganz offensichtlich nicht als Zeichen der Integration, sondern viel eher der Landnahme fungierten.