Front National – Warum, woher, wohin?

49pdf der Druckfassung aus Sezession 49 / August 2012

von Karlheinz Weißmann

Der Wahlkampf um die französische Präsidentschaft ist zu Ende. Marine Le Pen hat es nicht geschafft. Erwartungsgemäß, ist zu sagen, aber der Stimmenanteil, den sie im ersten Durchgang gewann – 17,9 Prozent der Stimmen –, war doch achtunggebietend. Dasselbe Urteil gilt auch für die Wahlen zur Nationalversammlung, bei denen sich zwar bloß zwei Kandidaten des Front National (FN) durchsetzen konnten, die Partei aber in einzelnen Fällen – vor allem in den Hochburgen des Südens – bemerkenswerte Erfolge errang.

Das alles erklärt hin­rei­chend, war­um die Dis­kus­si­on über den Front Natio­nal nicht endet. Es geht dabei aber nicht nur um blei­ben­de Aktua­li­tät, son­dern auch um einen poli­ti­schen Struk­tur­wan­del. Denn vie­le Beob­ach­ter fra­gen sich je län­ger je mehr, war­um sich das Schick­sal des FN so deut­lich von dem ande­rer popu­lis­ti­scher Grup­pie­run­gen unter­schei­det? Wie­so eine der­ar­ti­ge Par­tei immer stär­ke­re Anzie­hungs­kraft auf »nor­ma­le« Bür­ger aus­übt? War­um sie sich weder durch die Unge­schick­lich­keit des Füh­rungs­per­so­nals noch die Dämo­ni­sie­rung durch Medi­en oder ton­an­ge­ben­de Krei­se davon abhal­ten las­sen, dem FN bei­zu­tre­ten oder ihm wenigs­tens in der Klau­sur der Wahl­ka­bi­ne das Votum zu geben?

Sicher spie­len die Moder­ni­sie­rungs­maß­nah­men eine Rol­le, die Mari­ne Le Pen nach dem Rück­tritt ihres Vaters ein­lei­te­te, und natür­lich kann man Kri­sen­phä­no­me­ne wie den Ver­fall der poli­ti­schen Klas­se gel­tend machen, aber es muß dar­über hin­aus tie­fe­re Ursa­chen für den Auf­stieg der »Natio­na­len Front« geben, die von einer Samm­lungs­be­we­gung frus­trier­ter National­revolutionäre, intran­si­gen­ter Katho­li­ken, Anti­kom­mu­nis­ten und Anti­gaul­lis­ten zu einer Volks­par­tei neu­en Typs wer­den konnte.

Ein Ver­such, die­ses Phä­no­men zu erklä­ren, bie­ten die Jour­na­lis­ten Nico­las Lebourg und Joseph Beau­re­gard mit ihrer gera­de erschie­ne­nen Bio­gra­phie Fran­çois Duprats (Fran­çois Duprat. L’homme qui inven­ta le Front natio­nal, Paris: Deno­ël Impacts 2012, kart., 382 S., 23.50 €), jenes Man­nes, von dem sie behaup­ten, daß er »den Front Natio­nal erfand«. Der Name Duprats dürf­te in Deutsch­land kaum bekannt sein, aber in Frank­reich spielt er nach wie vor eine Rol­le, vor allem in Krei­sen jener, für die er als »Mär­ty­rer« gilt. Jean-Marie Le Pen besucht regel­mä­ßig am 18. März das Grab Duprats, der 1978 an die­sem Tag einem Anschlag zum Opfer fiel. Eine Auto­bom­be explo­dier­te unter sei­nem Fahr­zeug, töte­te ihn und ver­letz­te sei­ne Frau schwer. Der Fall konn­te nie geklärt wer­den, als Ver­däch­ti­ge gel­ten wahl­wei­se inter­ne Geg­ner oder Links­extre­me, diver­se Geheim­diens­te inlän­di­scher oder aus­län­di­scher Herkunft.

Der Unüber­sicht­lich­keit in bezug auf die Todes­um­stän­de Duprats ent­spricht die Unüber­sicht­lich­keit sei­nes Lebens­laufs. Auf­grund sei­ner Her­kunft hät­te kaum jemand eine sol­che Bio­gra­phie erwar­tet. Duprat kam am 26. Okto­ber 1940 im kor­si­schen Ajac­cio zur Welt. Er ent­stamm­te der klei­nen Bour­geoi­sie. Sein Vater hat­te sich wäh­rend des Zwei­ten Welt­kriegs der Résis­tance ange­schlos­sen und pro­fi­tier­te davon für eine über­schau­ba­re Kar­rie­re im öffent­li­chen Dienst der Vier­ten Repu­blik. Die Geschwis­ter Duprats folg­ten alle dem ein­ge­schla­ge­nen Weg oder gin­gen wei­ter nach links. Anders Fran­çois Duprat, der früh als eigen­bröt­le­risch und ver­schlos­sen galt, das Nest­häk­chen der Fami­lie, ein kor­pu­len­ter Jun­ge (aber mit erheb­li­chem phy­si­schem Mut), der unun­ter­bro­chen las und schon als Schü­ler über erstaun­li­che Men­gen an Wis­sen ver­füg­te. Trotz­dem waren sei­ne Ange­hö­ri­gen erstaunt, daß er sich nach der Schu­le, Ende der fünf­zi­ger Jah­re, der äußers­ten Rech­ten anschloß.

Es war die Zeit der Alge­ri­en­kri­se und der Ago­nie des Par­la­men­ta­ris­mus, der von dau­ern­den Regie­rungs­wech­seln und Kor­rup­ti­ons­af­fä­ren zer­schlis­sen wur­de. Wäh­rend die Mas­se der Fran­zo­sen den Kampf um die nord­afri­ka­ni­sche Kolo­nie leid war, gab es eine Min­der­heit, die sich nicht nur ent­schlos­sen zeig­te, den Rest des empire mit Zehen und Klau­en zu ver­tei­di­gen, son­dern auch aus ihrem Wider­wil­len gegen die Repu­blik kei­nen Hehl mach­te. Lebourg und Beau­re­gard zeich­nen ein inter­es­san­tes Bild die­ses Milieus, glei­cher­ma­ßen bestimmt von den Ver­här­tun­gen des Kal­ten Krie­ges, dem tra­di­tio­nel­len Wider­wil­len des Offi­ziers­korps gegen­über der Demo­kra­tie und der ideo­lo­gi­schen Uner­bitt­lich­keit jener har­ten Rech­ten, die »das Sys­tem« besei­ti­gen woll­te, im Ide­al­fall durch eine Kom­bi­na­ti­on aus Mili­tär­putsch und Volks­auf­stand. Die Grup­pe Jeu­ne Nati­on (JN), dann der aus ihr her­vor­ge­gan­ge­ne Par­ti Natio­na­lis­te (PN) bil­de­ten den Kern die­ser Art von »Neo­fa­schis­mus«.

Auch nach­dem Alge­ri­en ver­lo­ren und der ter­ro­ris­ti­sche Weg genau­so erle­digt war wie die Vor­stel­lung von einem Staats­streich, hielt man in der Sze­ne, der Duprat sich zurech­ne­te, am Plan eines gewalt­sa­men Umstur­zes fest. Aller­dings führ­te das Ver­bot der Grup­pie­run­gen, denen er sich anschloß, dazu, daß er die Arbeit nur getarnt fort­set­zen konn­te. Die 1960 gegrün­de­te Fédé­ra­ti­on des étu­di­an­tes natio­na­lis­tes (FEN) erschien Duprat als geeig­ne­ter Rah­men. Nur war der Ver­band all­zu hete­ro­gen, und es kam rasch zu inter­nen Kon­flik­ten, die mit sei­ner Aus­sto­ßung endeten.

Es wäre leicht, als Ursa­che dafür welt­an­schau­li­che Moti­ve zu nen­nen, vor allem den Kon­flikt zwi­schen den Faschis­ten der JN und den »euro­päi­schen Natio­na­lis­ten« um Domi­ni­que Ven­ner und den jun­gen Alain de Benoist, die die Zeit­schrift Euro­pe Action her­aus­ga­ben. Aber der Grund für die Spal­tung der FEN war doch ein ande­rer: Man hat­te nicht nur ent­deckt, daß Duprat im eigent­li­chen Sinn »kein Intel­lek­tu­el­ler« (Alain de Benoist), son­dern ein Mann des Agit­prop war, son­dern auch, daß er für den fran­zö­si­schen Inlands­ge­heim­dienst arbei­te­te. Offen­bar war er schon wäh­rend einer ers­ten Inhaf­tie­rung rekru­tiert wor­den, und Duprat scheint die Auf­ga­be als Spit­zel nicht nur aus Angst vor stren­ge­rer Bestra­fung akzep­tiert zu haben, son­dern auch, weil ihn die Mög­lich­keit ver­deck­ter Macht­aus­übung faszinierte.

Ein Moment des Obsku­ren blieb auch für sei­ne wei­te­re Lauf­bahn bestim­mend, vor allem in den sech­zi­ger Jah­ren, als Duprat aus Angst vor neu­er­li­cher Ver­ur­tei­lung Frank­reich ver­ließ und in Afri­ka unter­tauch­te. Fest steht, daß er sich län­ge­re Zeit im Kon­go auf­hielt (wäh­rend die­ses Zeit­raums nicht nur ein bevor­zug­ter Tum­mel­platz diver­ser Geheim­diens­te, son­dern auch ver­schie­de­ner Söld­ner­grup­pen mit mehr oder weni­ger aus­ge­prägt-rechts­ra­di­ka­lem Hin­ter­grund), bevor er plötz­lich nach Frank­reich zurück­kehr­te und sich am Auf­bau einer neu­en stu­den­ti­schen Orga­ni­sa­ti­on, dem Mou­ve­ment Occi­dent beteiligte.

Daß man den Grün­dungs­tag auf den von Mus­so­li­nis Fasci di Com­bat­ti­men­to leg­te, war sowe­nig Zufall wie die gleich­zei­tig ver­stärk­te theo­re­ti­sche Beschäf­ti­gung Duprats mit jeder Facet­te des his­to­ri­schen Faschis­mus. Aller­dings erwies sich doch der Akti­vis­mus gegen die »gauchis­tes«, vor allem Mao­is­ten, auf die Dau­er als unfrucht­bar. Die Bewe­gung erschien immer mehr wie ein Män­ner­bund, der Gele­gen­hei­ten such­te, sich zu prü­geln. Im Stru­del der Ereig­nis­se des »Pari­ser Mai«, dem Schwan­ken zwi­schen einer kon­se­quen­ten Wen­dung gegen de Gaul­le und der Bereit­schaft, des­sen Regie­rung gegen lin­ke Angrif­fe zu stüt­zen, ging Occi­dent unter, bevor die Grup­pe auch offi­zi­ell ver­bo­ten wurde.

Bezeich­nen­der­wei­se hat­te Duprat zu dem Zeit­punkt erneut den Kurs kor­ri­giert. Er wand­te sich von den poli­ti­schen Sek­ten ab, denen er bis­her ange­hört hat­te, und pro­pa­gier­te die Ein­heit aller Natio­na­lis­ten. Das brach­te ihn bei den Mili­tan­ten selbst­ver­ständ­lich in den Ver­dacht, die bis­he­ri­ge Linie auf­zu­wei­chen, aber er ver­wies nicht nur auf Hit­lers Lega­li­täts­kurs, son­dern auch auf das aktu­el­le Bei­spiel der NPD, die in der Bun­des­re­pu­blik eini­ge erstaun­li­che Erfol­ge errang. Der wesent­lich von Duprat initi­ier­te Ord­re Nou­veau (ON) folg­te die­sem Modell einer Samm­lungs­be­we­gung aber nicht. Das Inter­es­se der Pres­se an dem wie eine K‑Gruppe auf­tre­ten­den ON war zwar groß, aber die Füh­rung schwank­te unent­schie­den zwi­schen der Radi­ka­li­tät ihrer Pro­pa­gan­da und dem Bemü­hen, Wahl­er­fol­ge zu erzielen.

Duprat erkann­te auch in dem Fall rela­tiv rasch die Zwangs­läu­fig­keit des Schei­terns und schlug im klei­nen Kreis einen wei­te­ren Stra­te­gie­wech­sel vor: Es gel­te, die Tren­nung von »Natio­na­lis­ten« und »Natio­na­len« – also Anhän­gern der bür­ger­li­chen, aber anti­gaul­lis­ti­schen Rech­ten – zu über­win­den und gegen die lin­ke »Volks­front« eine rech­te »Natio­na­le Front« zu bil­den. Eine Orga­ni­sa­ti­on die­ses Namens hat­te der bekann­tes­te Kopf der »Natio­na­len« – Jean-Marie Le Pen – schon in den fünf­zi­ger Jah­ren gegrün­det, den Front Natio­nal des Com­bat­tants, wich­ti­ger aber waren der Auf­stieg der bri­ti­schen Natio­nal Front in den sech­zi­ger Jah­ren und das Vor­bild des »natio­na­len Kom­pro­mis­ses« (anstel­le des »his­to­ri­schen«, den die Kom­mu­nis­ten betrie­ben), den der Movi­men­to Socia­le Ita­lia­no (MSI) durch den Zusam­men­schluß von Neo­fa­schis­ten, Post­fa­schis­ten und Mon­ar­chis­ten gera­de voll­zo­gen hatte.

Schon vor dem Ver­bot des ON im Juni 1973 hat­te Duprat Wei­chen für die Bil­dung des Front Natio­nal (FN) gestellt und Sor­ge getra­gen, daß einer­seits die wich­tigs­ten Trä­ger­grup­pen des ON ein­ge­bun­den blie­ben, ande­rer­seits Le Pen als unbe­strit­te­ner Füh­rer und »Gesicht« der Par­tei instal­liert wer­den konn­te. Lebourg und Beau­re­gard ver­wen­den viel Mühe dar­auf, im ein­zel­nen nach­zu­zeich­nen, wel­che Anstren­gun­gen Duprat in der Fol­ge unter­nahm, nach innen den Ein­druck von Kon­ti­nui­tät zu wah­ren, aber nach außen Mäßi­gung zu signa­li­sie­ren. Das war um so schwie­ri­ger, als er, der dem Direk­to­ri­um des FN ange­hör­te, gleich­zei­tig eine lose Orga­ni­sa­ti­on der »Natio­nal­re­vo­lu­tio­nä­re« in der Par­tei auf­recht­erhielt. Den Begriff hat­te Duprat ganz bewußt aus dem Fun­dus der Wei­ma­rer Zeit über­nom­men, zusam­men mit vie­len schil­lern­den pro­gram­ma­ti­schen For­meln, die sei­nen Ruf als ver­kapp­ter Trotz­kist oder Nazi-Mao­ist nährten.

Es spricht tat­säch­lich viel dafür, daß es Duprat nicht nur um ein tak­ti­sches Manö­ver ging, um den akti­vis­ti­schen Flü­gel der Bewe­gung ein­zu­bin­den. Aber es ist auch unver­kenn­bar, wie stark die Loya­li­tät gegen­über Le Pen war, und wie rasch sich sein Lebens­stil nach einer zwei­ten Ehe­schlie­ßung und der Auf­nah­me eines bür­ger­li­chen Berufs als Leh­rer nor­ma­li­sier­te. Lebourg und Beau­re­gard brin­gen das Dis­pa­ra­te sei­nes Cha­rak­ters, auch die Mas­si­vi­tät der Selbst­wi­der­sprü­che, auf die For­mu­lie­rung: »Fran­çois Duprat war ein jovia­ler Onkel für sei­ne Nich­ten. Er war auch ein Nazi für die Neo­na­zis, ein Intel­lek­tu­el­ler und For­scher für sei­ne Frau, Lehr­ling für die Geschäf­te­ma­cher, Des­il­lu­sio­nier­ter für sei­ne Schwes­ter, Revo­lu­tio­när für die Radi­ka­len, Atlan­ti­ker und Anti­kom­mu­nist für die Gaul­lis­ten«. Man müß­te auf­grund des hier aus­ge­brei­te­ten Mate­ri­als noch hin­zu­fü­gen: Infor­mant der lin­ken Pres­se und Spit­zel für die Polizei.

Ohne Zwei­fel steckt in der Behaup­tung, Fran­çois Duprat habe den Front Natio­nal »erfun­den«, ein Moment kal­ku­lier­ter Über­trei­bung. Aber es ist doch sehr auf­schluß­reich, anhand des Buches von Lebourg und Beau­re­gard nach­zu­voll­zie­hen, aus wel­chen Ursprün­gen die­se For­ma­ti­on her­vor­ging – jen­seits des­sen, was der Par­tei­ge­sichts­punkt oder die anti­fa­schis­ti­sche Optik bie­ten – und wel­che Muta­tio­nen sie tat­säch­lich in den vier­zig Jah­ren ihres Bestehens voll­zo­gen hat. Dabei erin­nert das Sek­tie­re­ri­sche der Anfän­ge und das Schwan­ken zwi­schen ver­ba­lem Radi­ka­lis­mus und tak­ti­scher Anpas­sung nicht zufäl­lig an ver­gleich­ba­re Erschei­nun­gen am Ursprung der tra­di­tio­nel­len Lin­ken, es spielt auch der Ruch des Unse­riö­sen mit, der den Grün­der­vä­tern sol­cher Bewe­gun­gen stets anhaf­tet, die Ver­wick­lung in das Geflecht von Spio­na­ge und Gegenspionage.

Selbst­ver­ständ­lich wur­de die Ana­ly­se für Lebourg und Beau­re­gard dadurch erleich­tert, daß die Rol­le Duprats im his­to­ri­schen Pro­zeß als abge­schlos­sen behan­delt wer­den kann, umge­kehrt wäre es inter­es­sant zu wis­sen, wel­che Anpas­sun­gen oder Rich­tungs­wech­sel die­sem Mann noch mög­lich gewe­sen wären, wenn er noch gelebt hät­te, als die Pha­se der eigent­li­chen Erfol­ge für den Front Natio­nal begann. Denn trotz einer erkenn­ba­ren Lei­den­schaft für das Außen­sei­ter­tum genüg­te es Duprat offen­bar zuletzt nicht, ein »Gro­ßer unter den Klei­nen« zu sein, wenn es Aus­sicht gab, ein »Gro­ßer unter den Gro­ßen« zu wer­den. Er, ein Mann, dem es zwar gelang, sich von sei­nen frü­hen ideo­lo­gi­schen Fixie­run­gen zu lösen, und der immer mit der poli­ti­schen Gewalt lieb­äu­gel­te, aber vor dem Schritt in den Unter­grund dann doch gezö­gert hat, und der ein Spiel über so vie­le Ban­den spiel­te, daß man nie wuß­te, was mehr ver­wun­dern soll­te: der aus­ge­präg­te machia­vel­lis­ti­sche Instinkt oder eine schon nai­ve Nei­gung, sich Fein­de zu machen.

In man­cher Hin­sicht war Duprat ein ver­spä­te­tes Opfer der »blei­er­nen Jah­re«, jenes Dez­en­ni­ums nach ’68, das nicht nur in der Bun­des­re­pu­blik, son­dern stär­ker noch in Spa­ni­en, Irland, Ita­li­en und Frank­reich geprägt war von einem mas­si­ven Aus­bruch des Ter­ro­ris­mus. Man muß die­se Pha­se aber doch not­wen­dig ver­knüp­fen mit jenen Ent­wick­lun­gen, die sich als Reak­ti­on auf die Ent­ko­lo­nia­li­sie­rung schon frü­her anbahn­ten und zu einer Besei­ti­gung der Gewiß­hei­ten des Kal­ten Krie­ges und all­ge­mei­ner Radi­ka­li­sie­rung führ­ten. Ver­gli­chen damit sind die letz­ten zwan­zig Jah­re eine Zeit der Ruhe gewe­sen. Aber es spricht wenig dafür, daß dies so bleibt. Das muß nicht hei­ßen, daß sich Duprats Erwar­tun­gen erfül­len, wel­che auch immer. Aber es kann sehr wohl dahin kom­men, daß eine Par­tei wie der Front Natio­nal weni­ger als Über­rest der alten Poli­tik, eher als Vor­bo­te einer neu­en Poli­tik erscheint.

Pierre-André Tagu­ieff, einer der klu­gen Beob­ach­ter der fran­zö­si­schen Rech­ten, hat gera­de einen Essay über den »neu­en Natio­nal-Popu­lis­mus« (Le nou­veau natio­nal-popu­lis­me, Paris: CNRS Edi­ti­ons 2012, kart., 121S., 6 €) ver­öf­fent­licht. Er hält es für not­wen­dig, die Dämo­ni­sie­rung der Rech­ten zu been­den. Sei­ner Mei­nung nach wur­zelt die­se im anti­faschistischen Reflex der Lin­ken, die ihren ideo­lo­gi­schen Sieg am Ende der sech­zi­ger Jah­re zemen­tie­ren will. Die vor­ei­li­ge Iden­ti­fi­zie­rung der Rech­ten mit dem Faschis­mus füh­re aber nur dazu, daß man über­se­he, daß die­se nicht nur eine Front­stel­lung gegen die Lin­ke ken­ne, son­dern auch eine gegen das Kon­zept der Mas­sen­de­mo­kra­tie. Und wäh­rend der alte Anti­kom­mu­nis­mus kaum noch mobi­li­sie­re, sei durch­aus damit zu rech­nen, daß die Kri­tik des Plu­ra­lis­mus in Zukunft Anzie­hungs­kraft gewinne.

Denn prin­zi­pi­ell, so Tagu­ieff, las­se die kri­sen­haf­te Zuspit­zung, deren Zeu­gen wir wer­den, nur noch zwei Alter­na­ti­ven zu: die Voll­endung des tech­no­kra­ti­schen Turm­baus oder eine hef­ti­ge Reak­ti­on, das, was er eine »wil­de Ent­glo­ba­li­sie­rung« nennt. Als Trä­ger einer sol­chen Strö­mung sei­en lin­ke wie natio­nal­po­pu­lis­ti­sche Par­tei­en vor­stell­bar, die nicht nur gegen die Erstar­rung und Kor­rup­ti­on der Eli­ten auf­tre­ten, son­dern es schaf­fen könn­ten, eine Men­ge an Nor­mal­bür­gern hin­ter sich zu sam­meln, die weni­ger ideo­lo­gisch, als viel­mehr dar­an inter­es­siert sind, ihre Selbst­ver­tei­di­gung zu orga­ni­sie­ren. Es liegt auf der Hand, daß Tagu­ieff den Front Natio­nal in der Gestalt, die er heu­te annimmt, als ers­ten Anwär­ter auf eine ent­spre­chen­de Funk­ti­on im poli­ti­schen Sys­tem Frank­reichs betrachtet.

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