Den Griffel führen

50pdf der Druckfassung aus Sezession 50 / Oktober 2012

von Baal Müller

Kunst kommt von Können, Theorie heißt Anschauung, und Zeus war ganz einfach der Stärkste der Götter. Am Beginn steht das Konkrete, geradezu Handgreifliche. Besonders deutlich ist dies beim Stil, denn der stilus war ursprünglich nichts anderes als das Schreibgerät, mit dem man in ein Wachstäfelchen ritzte.

Wer mit siche­rem Griff einen guten Grif­fel führ­te, hat­te einen guten Stil. Von die­sem zum Stil über­haupt war es ein wei­ter Weg; jahr­tau­sen­de­lang zeig­te sich Stil nur dar­in, es inner­halb eines vor­ge­ge­be­nen Rah­mens zur Meis­ter­schaft zu brin­gen und dabei die ästhe­ti­schen Prin­zi­pi­en der jewei­li­gen Kul­tur und Epo­che zu ver­wirk­li­chen – erst in der Moder­ne kann jemand schlecht­hin Stil haben, sei­nen eige­nen Stil aus­prä­gen, aber nie­mals sonst war Stil auch so sehr bedroht: durch die Stil­losigkeit von Mode und Mas­sen­pro­duk­ti­on, durch kom­mer­zi­el­le oder ideo­lo­gi­sche Nivellierung.

Stil ist nicht ange­bo­ren; man ver­wirk­licht ihn in einem bewuß­ten, schöp­fe­ri­schen Akt – Tie­re haben kei­nen Stil, Maschi­nen eben­falls nicht; weder das »nur Leben­di­ge« noch das Regel­mä­ßig-Mecha­ni­sche, son­dern das Leben­dig-Indi­vi­du­el­le, sofern in ihm eine Per­sön­lich­keit zum Aus­druck gelangt. Ein unbe­schränk­ter Indi­vi­dua­lis­mus, der sich ganz sei­nen anar­chi­schen Lau­nen hin­gä­be, könn­te eben­so­we­nig einen Stil ent­wi­ckeln, wie der Fluß ohne das Bett zu flie­ßen ver­mag, das ihn ein­schränkt und ihm dadurch sei­ne Form gibt; Fluß und Bett – nicht aber Sumpf oder Kanal – brin­gen eine Land­schaft her­vor. Es bedarf also der den Stil bedro­hen­den Extre­me – Cha­os oder Scha­blo­ne, Kau­zig­keit und Kon­for­mis­mus –, die er sich anver­wan­delt, um sein »indi­vi­du­el­les Gesetz« (Georg Sim­mel) zu ver­wirk­li­chen. Stil ist Arbeit; wer nach ihm strebt, »hat den grif­fel der sich sträubt zu füh­ren«, wie der Dich­ter aus Geor­ges Gedicht »Im Park«.

Wer Stil hat, wird ihn allen ver­füg­ba­ren Din­gen auf­prä­gen, aber es ist kein Zufall, daß sich der Stil­be­griff ursprüng­lich vom Schreib­akt her­lei­te­te und sodann auf das Wie der Beschrei­bung (statt auf das Beschrie­be­ne selbst) bezog; schließ­lich ist das Schrei­ben eine ganz beson­de­re Bewe­gung: Wie in jedem leben­di­gen Bewe­gungs­ab­lauf kommt in ihm ein Wesen zum Aus­druck, aber gegen­über den meis­ten ande­ren Bewe­gun­gen hat es den inter­pre­ta­to­ri­schen Vor­teil, ers­tens eine blei­ben­de Spur – die Schrift – zu hin­ter­las­sen und sich zwei­tens den Wider­part des Geis­ti­gen einzuverleiben.

Der Schrei­ben­de beschreibt etwas Geis­ti­ges und offen­bart dabei sei­ne spe­zi­fi­sche Leben­dig­keit. Die Höhe des Stils, den die­se Ver­bin­dung erreicht, bezeich­net Lud­wig Kla­ges in sei­ner Gra­pho­lo­gie als »Form­ni­veau«. Kla­ges war es auch, der die Gra­pho­lo­gie auf eine neue Grund­la­ge gestellt hat: zum einen, indem er sie als Teil einer all­ge­mei­nen Aus­drucks- und Cha­rak­ter­kun­de ver­stand, die sich ihrer­seits in die Meta­phy­sik des Lebens ein­ord­net, deren onto­lo­gi­sche Kate­go­rien er in sei­nem Geist als Wider­sa­cher der See­le dar­zu­le­gen such­te; zum ande­ren dadurch, daß er sie von einer posi­ti­vis­ti­schen in eine her­me­neu­ti­sche Dis­zi­plin verwandelte.

Wäh­rend die älte­re Gra­pho­lo­gie etwa des Abbé Michon noch von ein­deu­ti­gen Merk­ma­len aus­ging, die sich tabel­la­risch bestimm­ten Cha­rak­ter­zü­gen zuord­nen las­sen soll­ten, erkann­te Kla­ges die Pola­ri­tät des Aus­drucks­phä­no­mens: Es gibt nicht ein­fach ein gra­pho­lo­gi­sches Kenn­zei­chen etwa für Wil­lens­stär­ke, son­dern die in der Schrift erschei­nen­den Cha­rak­ter­zü­ge, in denen sich Stär­ke oder Schwä­che, Beharr­lich­keit oder Unru­he des Wil­lens zei­gen, sind jeweils zwi­schen zwei Polen auf­ge­spannt. Kei­ne Cha­rak­ter­ei­gen­schaft ist für sich gut oder schlecht oder über­haupt iso­liert erkenn­bar, son­dern nur eine her­me­neu­ti­sche Betrach­tung, die den Zir­kel vom Gan­zen zu sei­nen Tei­len und von die­sen zu jenem beschrei­tet, kann zur annä­hern­den Erkennt­nis eines Cha­rak­ters füh­ren. Was in dem einen Schrift­bild auf maß­vol­le Beschei­den­heit ver­weist, läßt im ande­ren viel­leicht auf klein­li­che Eng­her­zig­keit schlie­ßen, und ebenso­wenig wie eine Schrift künst­le­ri­sches Form­niveau hat, wenn jemand schwung­vol­le Schlei­fen unter sei­ne Unter­schrift zieht, hat jemand schon Stil, weil er teu­re Kra­wat­ten oder extra­va­gan­te Hüte trägt.

Trotz­dem las­sen sich Grund­re­geln ange­ben: Regel­mä­ßig­keit der Schrift steht für Vor­herr­schaft des Wil­lens, Unre­gel­mä­ßig­keit für ein Vor­wal­ten des Gefühls; gera­de Stel­lung für »Hal­tung«, Schräg­stel­lung für Empa­thie und gesel­li­ge Nei­gung; eine gro­ße Schrift für Begeis­te­rungs­ver­mö­gen, Groß­zü­gig­keit oder Stolz, eine klei­ne kann auf Wirk­lich­keits­sinn, Pflicht­ge­fühl oder Demut hin­wei­sen. Star­ker Druck mag auf Wil­lens­stär­ke, aber auch auf Ver­krampft­heit, Schwä­che des Dru­ckes auf Zart­ge­fühl oder Weh­lei­dig­keit beru­hen. Spricht bogi­ge Wei­te bald für Frei­mü­tig­keit, bald für Flüch­tig­keit und Unge­duld, so kann win­ke­li­ge Enge aus Zurück­hal­tung oder aus Zag­haf­tig­keit und Ängst­lich­keit fol­gen. Ver­bun­den­heit der ein­zel­nen Ele­men­te kann einer sys­te­ma­ti­schen, aber auch einer fah­ri­gen, das ein­zel­ne ver­nach­läs­si­gen­den Den­kungs­art ent­stam­men, Unver­bun­den­heit mit Acht­sam­keit, aber auch mit Ver­bohrt­heit zusammenhängen.

Betrach­tet man die hier abge­bil­de­ten Schrift­pro­ben, fällt als ers­tes ihre Unter­schied­lich­keit ins Auge, und es ist ver­füh­re­risch, vom jewei­li­gen Stil des Schrei­bens zu dem des Den­kens hin­über­zu­sprin­gen, da die von den Jahr­hun­dert­au­to­ren hin­ter­las­se­nen Wer­ke die Inter­pre­ta­ti­on der Schrift schein­bar erleich­tern, tat­säch­lich aber eher den unbe­fan­ge­nen Blick ver­stel­len. Man­cher Vor­den­ker zeigt sich plötz­lich von sei­ner »all­zu­mensch­li­chen« oder weni­ger sti­li­sier­ten Sei­te. Wenn man nicht gleich Freund und Feind oder den Unter­gang des Abend­lan­des wie­der­erken­nen will, wird man statt eines »Aha« eher ein »Hopp­la« ausrufen.

Womög­lich eig­net Jün­gers Schrift etwas Gezier­tes und Ver­schnör­kel­tes, das hin­ter dem Krie­ger­dich­ter den Dan­dy in Uni­form her­vor­tre­ten läßt; und der ganz anders gear­te­te Ästhe­ti­zis­mus Geor­ges ver­rät in sei­ner auf per­len­des Gleich­maß, Ein- und Unter­ord­nung aller weg­stre­ben­den Län­gen ange­leg­ten Schrift etwas von Ver­zicht und Beschrän­kung. Frei von jeder Sti­li­sie­rung ist dage­gen die Hand­schrift Carl Schmitts, der über­haupt jede Form und Ord­nung abzu­ge­hen scheint; das halt­lo­se Hin­auf und Hin­un­ter sei­nes fah­ri­gen Schrift­bil­des steht in äußers­tem Gegen­satz zu den har­ten, gesto­che­nen, fast in einem mecha­ni­schen Takt gemei­ßel­ten Zügen Speng­lers, aus des­sen Schrift das Kom­man­do des zivi­li­sa­to­ri­schen »Cäsa­ren« ver­nehm­li­cher spricht als das ruhi­ge Wach­sen der Kulturkreise.

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