Man erkennt die Konvertiten mehr am geistigen als am physischen Habitus, an der Häufung von Worten wie »Kritik«, »Dialektik«, »Widerstand«, an der Selbstverständlichkeit, mit der sie – oft zustimmend – Marx und Lenin zitieren, und daran, daß sie überhaupt nicht staatstragend sind – womit nicht nur die Extremisten unter ihnen bei in der Wolle gefärbten Konservativen nicht selten ein irritiertes Stirnrunzeln ernten.
Die Distanz irgendeines Linken zu den Herrschenden könnte nicht größer sein – und ist doch oftmals geringer als die der rechten Ex-Linken. Der Verfasser, der sich selbst diesem Typus zurechnet, hat überhaupt erst als Rechter zu jener Fundamentalkritik gefunden, die das westliche Herrschaftssystem verdient, die einem Linken aber schon deshalb verwehrt ist, weil dieses System sich auf dieselben utopischen Ideale beruft wie er selbst. Linke Kritik sieht im Gedanken der Emanzipation – was auch immer jeweils konkret damit gemeint sein mag – eine gute Idee, deren Verwirklichung vom bestehenden System aber behindert werde; rechte Kritik sieht in ihm eine schlechte Idee. Der Linke ist systemkritisch, weil die gegebene Herrschaft der Verwirklichung der Utopie im Weg stehe, der rechte Ex-Linke aus dem entgegengesetzten Grund. Es ist nur folgerichtig, daß die Linke um so regierungsfrommer wird, je deutlicher die Herrschaft selbst utopischen Wahnideen hinterherläuft; Opposition, die mehr ist als nur regressives Scheinrebellentum nach Art der Piratenpartei, kann heute nur von rechts kommen.
Neben diesem ex-linken Rechtsintellektuellen macht sich zunehmend noch ein anderer Typus des Konvertiten bemerkbar, der des desillusionierten Gutmenschen. Er arbeitet häufig in typisch linken Bereichen, als Sozialpädagoge, wissenschaftlicher Mitarbeiter an sozial- oder kulturwissenschaftlichen Fachbereichen, in Schulen, Kirchen und Gewerkschaften, kurz: in der Sozial‑, Integrations- und Ideologieindustrie. Er wird dort zwangsläufig mit Realitäten konfrontiert, die in krassem Gegensatz zu allem stehen, was er für wahr gehalten hat und bei Strafe des beruflichen Ruins auch weiterhin öffentlich vertreten muß – was der Grund dafür ist, daß dieser Typus in der Öffentlichkeit wenig von sich reden macht, und daß seine Existenz Eingeweihten bekannt ist, nicht aber der Antifa.
Besonders häufig sind Exemplare dieser Gattung in der islamkritischen Szene anzutreffen, und zwar in allen Phasen der Konversion: als Rechtsliberale, die dem Islam bloß dessen offenkundige politische Unkorrektheit ankreiden; als Anhänger eines konservativen Christentums; als Verteidiger des Abendlandes; auch harte Nationalisten finden sich unter ihnen, wenn auch nur vereinzelt.
Solche Menschen haben sich meist die angenehmen persönlichen Umgangsformen ihres linksliberalen Herkunftsmilieus bewahrt, dessen ideologische Borniertheit aber abgestreift, und zeichnen sich durch eine erfrischende Offenheit aus: Sie haben gelernt, Denkschablonen zu mißtrauen.
Man erkennt solche Rechten gewissermaßen daran, daß man sie nicht erkennen kann. Ihr Habitus hat sich im Vergleich zu früheren Lebensphasen kaum geändert, und jemand, der aussieht wie ein grünwählender GEW-Lehrer, kann in Wahrheit durchaus ein Rechter sein. Belustigend, die irritierten Blicke zu sehen, wenn ein solcher Mensch im Kreuzberger Café statt der erwarteten taz die Junge Freiheit aufschlägt, oder wenn gar eine Protestantin, die jedem Kirchentag zur Zierde gereichen würde, zustimmend Carl Schmitt zitiert.
Ja, es ist nur eine Minderheit. Aber der Realitätsdruck, der sie dazu gebracht hat, wirkt auch auf alle anderen, die in diesem Milieu tätig sind, und rüttelt an ihren Überzeugungen. An der Oberfläche sind solche Veränderungen nicht sichtbar, aber am Grunde der Moldau wandern die Steine.