In dubio pro Israel – Werner Sonne über bundesdeutsche Staatsräson

(Rezension aus Sezession 54 / Juni 2013)

von Sebastian Pella

»Jede Bundesregierung und jeder Bundeskanzler vor mir war der besonderen historischen Verantwortung für die Sicherheit Israels verpflichtet.

Die­se his­to­ri­sche Ver­ant­wor­tung Deutsch­lands ist Teil der Staats­rä­son mei­nes Lan­des. Das heißt: Die Sicher­heit Isra­els ist für mich als Bun­des­kanz­le­rin nie­mals verhandelbar.«

Die­se von Ange­la Mer­kel 2008 im israe­li­schen Par­la­ment geäu­ßer­te Offen­ba­rung steht am Beginn von Wer­ner Son­nes Buch. Der lang­jäh­ri­ge Aus­lands­kor­re­spon­dent und Stu­dio­lei­ter der ARD ver­sucht hier­in die Hin­ter­grün­de deutsch-israe­li­scher Bezie­hun­gen auf­zu­hel­len und Beweg­grün­de für das Han­deln der maß­ge­ben­den Poli­ti­ker auf­zu­zei­gen. Ein Schlüs­sel­mo­ment in Son­nes Dar­le­gun­gen ist die für posi­tiv befun­de­ne Tat­sa­che, daß es eine Nor­ma­li­sie­rung der Bezie­hun­gen die­ser Län­der auf­grund der His­to­rie nicht geben könne:

Alle deut­schen Regie­rungs­chefs seit Ade­nau­er haben sich damit aus­ein­an­der­ge­setzt, alle haben auf ihre Wei­se eine Kon­stan­te deut­scher Poli­tik zu bestä­ti­gen gewußt: Wenn es um Isra­els Sicher­heit geht, dann gel­ten ande­re Maß­stä­be als im Umgang mit ande­ren Staaten.

Der Autor läßt auch kei­nen Zwei­fel dar­an, daß »ohne die mil­li­ar­den­schwe­ren Wie­der­gut­ma­chungs­zah­lun­gen gleich zu Beginn der 50er Jah­re und die eben­falls noch in die­sem Jahr­zehnt begon­ne­nen heim­li­chen deut­schen Waf­fen­lie­fe­run­gen … der jun­ge Staat der Juden viel­leicht gar nicht über­lebt« hät­te. Und obgleich Son­ne einen über Jahr­zehn­te gewach­se­nen »Ero­si­ons­pro­zeß, der die Distanz zu Isra­el und sei­ner Poli­tik immer grö­ßer wer­den läßt«, dia­gnos­ti­ziert, muß er ein­räu­men, dies beschrän­ke sich auf die »Bezie­hun­gen zwi­schen den Zivil­be­völ­ke­run­gen« und mit­nich­ten auf Poli­tik und Diplomatie.

Auch »die Zusam­men­ar­beit im Rüs­tungs­be­reich boomt, die Koope­ra­ti­on der Geheim­diens­te ist so eng wie eh und je, die Bezie­hun­gen zur Bun­des­wehr und zur Bun­des­po­li­zei sind gut«, faßt Son­ne das viel­ge­stal­ti­ge Dog­ma von der Sicher­heit Isra­els als Deutsch­lands Staats­rä­son zusam­men. Das Buch schil­dert viel­fach Bekann­tes, doch stützt der Autor sei­ne Dar­le­gun­gen auf Gesprä­che mit Poli­ti­kern, Diplo­ma­ten und hoch­ran­gi­gen Geheim­dienst­mit­ar­bei­tern aus bei­den Staa­ten. Auch bestä­tigt die Schrift eini­ge Details, die gewöhn­lich als rech­te Ver­schwö­rungs­theo­rien abge­tan wer­den und nun­mehr Ein­gang in die mas­sen­me­dia­le Dis­kus­si­on fin­den könnten.

Begin­nend bei dem von Kon­rad Ade­nau­er 1953 mit Isra­el geschlos­se­nen Wie­der­gut­ma­chungs­ab­kom­men, schil­dert Son­ne, wie Ade­nau­er um Buße bemüht war und gleich­zei­tig die Reha­bi­li­tie­rung Deutsch­lands anstreb­te, indem er immense Zah­lun­gen an den jun­gen Staat Isra­el mög­lich mach­te. Eben­so wird dar­ge­stellt, wie oft­mals Finanz- und Waf­fen­trans­fers an Öffent­lich­keit und Gesetz vor­bei ermög­licht wur­den: Franz Josef Strauß ließ die Israe­lis mit Waf­fen ver­sor­gen, die Bun­des­re­gie­rung betei­lig­te sich an der Finan­zie­rung der israe­li­schen Nukle­ar­for­schung, da das Aus­wär­ti­ge Amt 1965 erklär­te, dies wer­de den »Ein­druck auf das Welt­ju­den­tum nicht ver­feh­len«. Die mili­tä­ri­sche Hil­fe für Isra­el erreich­te ihren Höhe­punkt nach dem Golf­krieg 1990/91. Eben­so stellt der ARD-Jour­na­list dar, wie deut­sche Tech­nik die Schlag­fer­tig­keit sowie Kampf­kraft der israe­li­schen Pan­zer­waf­fe dras­tisch erhöhte.

Ins­be­son­de­re der Auf­bau des Kom­man­dos Spe­zi­al­kräf­te (KSK) in den 1990er Jah­ren wird in die­sen Pas­sa­gen in den Fokus gerückt und skiz­ziert, wie die israe­li­schen Erfah­run­gen der asy­m­e­tri­schen Krieg­füh­rung (Ent­füh­run­gen, Gei­sel­nah­men, Ter­ror­an­schlä­ge) »Ein­gang in die Lehr­plä­ne der Bun­des­wehr« fan­den und anders­her­um die deut­schen Grund­sät­ze der Inne­ren Füh­rung von den israe­li­schen Streit­kräf­ten erör­tert wur­den. Auf­schluß­reich sind Son­nes Aus­füh­run­gen über das Ver­hält­nis des Bun­des­nach­rich­ten­diens­tes (BND) zum israe­li­schen Geheim­dienst Mos­sad. »Der BND war und ist der ver­län­ger­te Arm der Bun­des­re­gie­rung, wenn es um die Sicher­heit Isra­els geht«, hält er fest.

Die Staats­rä­son wird in die­ser Dar­stel­lung bei­na­he zu einer Isra­el-Hörig­keit, die nur von dem unver­fro­re­nen Vor­ge­hen des Mos­sads gegen­über den deut­schen Behör­den über­trof­fen wird. So berich­tet ein ehe­ma­li­ger BND-Mit­ar­bei­ter, daß die Israe­lis »weder auf Hier­ar­chien noch auf den deut­schen Rechts­staat« Rück­sicht näh­men und sich der Mos­sad seit jeher »auf deut­schem Boden ziem­lich frei« bewe­gen kön­ne, was bis zu Mord­an­schlä­gen auf deut­sche Staats­bür­ger gehe. Ein Risi­ko gehe der Geheim­dienst nicht ein, da »im Zwei­fels­fall … in Deutsch­land zuguns­ten Isra­els ent­schie­den« werde.

Indem Son­ne Fak­ten und Erkennt­nis­se aus sei­nen Gesprä­chen anein­an­der­reiht, wird dem Leser ein recht offe­nes Bild ver­mit­telt, zu wes­sen Guns­ten das Pen­del in den deutsch-israe­li­schen Bezie­hun­gen bis heu­te aus­schlägt. Lei­der beläßt es der Autor bei der rei­nen Dar­stel­lung und ver­säumt es, eige­ne Ana­ly­sen vor­zu­neh­men und Schluß­fol­ge­run­gen zu ziehen.

Wer­ner Son­ne: Staats­rä­son? Wie Deutsch­land für Isra­els Sicher­heit haf­tet, Ber­lin: Pro­py­lä­en 2013. 256 S., 19.99 €

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