… und das wird wohl jeder tun, der noch alle Tassen im Schrank hat. Ionescos Rhinozerosse lassen mal wieder grüßen. Nun aber ein paar Worte zum Thema “Religionsunterricht”, wobei meine persönliche Erfahrung auf meine Schulzeit in Österreich Anfang der Neunziger Jahre zurückgeht.
Wie man sich nun genau so einen “Ethik”-Unterricht vorzustellen hat, weiß ich nicht, Tatsache allerdings ist, daß sich der Religionsunterricht in der Praxis inzwischen ohnehin längst im Vermitteln von “ethischen” und sozialen Werten erschöpft, und die Lehrer sind wohl in der Überzahl linke bzw. linksliberale, gutmenschliche, politisch korrekte und allgemein recht arglose Gesellen, mentalitätsmäßig irgendwo zwischen Mutter Teresa, John Lennon und einem südamerikanischen Befreiungstheologen angesiedelt.
Zumindest in meiner Schulzeit hat diese schluffige Zivildiener- und Grünwählerfraktion deutlich dominiert, und deren Unterrichtspraxis war dahingehend, daß man den Reli-Unterricht reinen Gewissens vor dem Herrn schwänzte oder totalverweigerte, ich erinnere mich etwa an die Ankündigung eines Lehrers zu Jahresbeginn: “Es gibt drei Noten: eine verdiente, geschenkte und nachgeschmissene Eins.”
Ich bin mir todsicher, daß im nun zwangsaufoktroyierten “Ethik-Unterricht” vorzüglich “linke” Werte als “ethisch” gepriesen werden, was zu einer allgemeinen kulturhegemonialen Strategie gehört, rechte Werte als “unethisch” zu brandmarken. Wer etwa gegen Masseneinwanderung ist, hat nicht nur unrecht, er ist auch noch böse, und “Rechtssein” wird synonym mit einem vagen ethischen Defekt und Schwefelgeruch.
Nun ist aber Religion an sich alles andere als das bloße Vermitteln von ethischen Banalitäten und Anleitungen zum Bravsein. Als Jugendlicher war ich fasziniert von Religion, aber es war die mystische, tiefenpsychologische, irrationale und ästhetische Komponente, die mich heftig anzog, das “Heilige” und “Sakrale”. Der Religionswissenschaftler Rudolf Otto faßte dies unter dem Begriff des “Numinosen” zusammen, dessen Komponenten er als das “Schauervolle” (tremendum), “Übermächtige” (majestas), “Ganz Andere” (mysteriosum) beschrieb.
All das fand ich eher in manchen Filmen von Pasolini oder Carl Dreyer oder in der Musik von Arvo Pärt und den Liedern der Hildegard von Bingen als im sterbenslangweiligen und krampfhaft auf “Aktualität” getrimmten (“in Afrika sterben soundsoviele Millionen Kinder an Hunger, in Jugoslawien gibt es Krieg und Gewalt”) Religionsunterricht, und eher noch in einer dunklen, kühlen gotischen Kirche voller Rosenkranz murmelnder Weiblein, als in der ökumenischen Schulmesse in einer Art Turnhalle aus hellem Ikeaholz mit knallbuntem, “modern” gemalten Kreuzgang. Meine Lehrerin fand die Hildegard-von-Bingen-CD, die ich ihr lieh, niederdrückend, sie war mehr eine Anhängerin einer diffusen Wohlfühl-Religiosität und empfahl mir, mir im Theater Godspell anzusehen.
Irgendwann ging ich dann im Rausch jugendlicher Verwirrung und Sinnsuche zwecks Inskription auf die katholische Fakultät der Universität Wien, im Gothic-Look, um den Hals einen Rosenkranz und mit einem selbstgedruckten T‑Shirt der von religiösen Obsessionen heimgesuchten Kultband Current 93 angetan. Ich ergriff aber schon nach zehn Minuten panisch die Flucht, da dort neben zwei, drei Nonnen alles von diesen bärtigen, biederen, brillen- und sandalentragenden Religionslehrertypen mit Achtziger-Jahre-Sozialisation okkupiert war, die mir schon in der Schule ein Anathema waren, Gestalten, die aussahen, als ob sie jeden Moment die Klampfe zücken und “Kumbaya My Lord” singen wollten, oder einen zwingen, sich zum Lichtermarsch gegen Ausländerfeindlichkeit einzureihen.
Wir leben in metaphysisch stocktauben, blinden und unmusikalischen Zeiten, es gibt wenig Sensibilität für diese Dinge. Daran kann und soll natürlich auch der schönste Religionsunterricht nichts ändern. Er könnte aber etwas anderes. Ich frage mich verwundert, warum kein Mensch weit und breit im Rahmen dieser Pro-Reli-Diskussion auf die naheliegendste Idee gekommen ist, das einzige und für alle Parteien – Gläubige wie Atheisten – Sinnvolle zu tun, und ein Fach mit dem Namen, sagen wir, “Religionskunde” einzurichten, in dem ein solides Grundwissen über Geschichte, Dogma und Ikonographie der Weltreligionen vermittelt wird. Zusätzlich sollten Grundkenntnisse über die Religionen der Antike unterrichtet werden, die ja nicht weniger zu den Grundlagen des Abendlandes gehören wie das Christentum.
Die Kenntnis der Religionen ist der Schlüssel schlechthin, die Kulturen, ihren Geist, ihre Seele, ihre Träume, ihre Angst und Hoffnung, ihre Politik und ihre Kunst zu verstehen. Es ist erschreckend, wie wenige Menschen heute eine Ahnung haben von diesen entscheidenden Dingen, die ja über Jahrtausende unser “mind-set” gebildet haben, und selbst unserer durchsäkularisierten Zeit als Grundlage dienen. Und wie kann man ohne dieses Wissen Phänomene wie den aufstrebenden Islamismus verstehen und einschätzen? Selbst hartnäckigen roten Ossi-Atheisten wird man ja wohl diese Allgemeinbildung zumuten können, damit ihnen wenigstens halbwegs klar wird, woran sie eigentlich nicht glauben. Das wäre die sauberste und sinnvollste Lösung, und man könnte diesen Unterricht konsequent laizistisch halten, was aber auch heißt, daß die Schüler nicht mit linksideologischem Gemenschel und ähnlichen Plattheiten belästigt werden.