Das hätte Ornithologen wohl nicht gefallen, gefährdete damals aber noch keinen Bestand. Heute brächte man eine solche Zahl der gesprenkelten Delikatessen auf einmal nicht mehr zusammen, denn der Kiebitz ist nahezu vom Aussterben bedroht.
Wer in diesem Jahr durch Mecklenburg und Vorpommern fährt, der achte bei allem Oh! und Ah! die Alleen entlang mal auf die Artenvielfalt. Falls ihm Tier- und Pflanzenarten noch vertraut sind. Gab es vor ein paar Jahren mitten in den weiten Raps- und Weizenfeldern noch eindrucksvolle Inseln leuchtenden Klatschmohns, so sind die endgültig verschwunden. Kornblumen haben wir noch, hier und da. Alles “Unkraut”, selbst an den Feldrändern, ist mit massiertem Herbizideinsatz über Jahre hinweg totgespritzt worden.
Einige Gifte wurden zwar abgesetzt, vor allem wegen des Bienensterbens, andere ersetzen sie. Statistiken sind schwer zu beschaffen, der Gebrauch der Mittel nach Art und Menge kann auf den riesigen Schlägen kaum kontrolliert werden, ebensowenig wie der weitere Einsatz unzulässiger Restbestände. Vom reinen Mengeneintrag an Insektiziden und Herbiziden dürfte ein mecklenburgischer Intensiv-Acker kontaminierter sein als es die Gegend um Bitterfeld zur Zeit der DDR-Chemie je war. Es sieht schön aufgeräumt auf in der Ödnis. Tötet man Wiesen- und Weidenvegetation mit Pflanzengiften ab, um sich Diesel und Zugmaschine fürs Umpflügen zu sparen, nennt man das neuerdings “chemischer Umbruch”. – Durch das Ausfahren von Gülle aus der Massentierhaltung steigen überdies die Nitratwerte im Boden und den Gewässern, meßbar bis in die Ostsee hinein. Man darf getrost vermuten, daß die Landwirtschaft weit mehr Schaden anrichtet als die schnell geschmähte Industrie.
Dank der Symbiose zwischen grüner Lobbyarbeit und herauszuschlagender Sonderprofite für Großagrarier gibt es zudem kaum mehr Brachflächen, die früher, als dafür noch dicke EU-Prämien einzustreichen waren, wertvolle ökologische Nischen boten. Auch die Allerletzten davon sind jetzt in den Reproduktionskreislauf des Energiepflanzen-Anbaus einbezogen. Die Tendenz zur Monokultur ist augenfällig und schnell erklärt: Eine 500-Kilowatt-Biogasanlage braucht zur Rentabilität 300 Hektar Mais. Der steht bundesweit auf 2,7 Millionen Hektar, und wo er wächst, wächst nichts anderes mehr. So stellt man sich Iowa vor.
Weil sich der Anbau wieder lohnt, sind die Bodenpreise explodiert. Leisten können sich das nur die neureichen Großgrundbesitzer. Sie lassen ihre Agrarunternehmen von Inspektoren und Controllern bewirtschaften, sitzen aber selbst in den Gemeinderäten und maßgeblichen Verbänden, um dort ihre Interessen wahrzunehmen, was nicht schwerfällt, da die Einheimischen sich weniger engagieren, für die Natur schon gar nicht. Großfläche sorgt für vergleichsweise niedrige Lebensmittelpreise, heißt es, und schafft Arbeitsplätze. Wegen der Technisierung und Chemisierung wenige, aber immerhin.
In den intensiv bewirtschaften Monokulturen im waldärmsten Bundesland nimmt die Zahl der Singvögel rapide ab. Die Schwalben werden jährlich weniger. Zwar gibt es große Stallungen, aber das sind geschlossene, nahezu sterile Systeme. Wo man früher nach der ersten Brut ganze Wolken von Jungstaren sah, freut man sich heute über ein paar einzelne. Der Rückgang betrifft nahezu sämtliche Arten. Das alles interessiert hier kaum jemanden. Wer keine Vielfalt mehr kennt, vermißt sie auch nicht.
Helmholtz
Sehr treffend und frei jeder übertriebener Dramatik. Mecklenburg ist durch die Großschläge und guten Bodenwertzahlen "Vorreiter" auf dem Gebiet der Landschaftszerstörung. Brandenburg - glücklicherweise mit schlechteren Böden geschlagen - folgt auf dem Fuße. Die zuständigen Landesbehörden sind durch Überalterung, Unterbesetzung und teilweisen Interessenkonflikten (Landwirte beraten / überwachen - Industrieveranstaltungen extra für Behördenmitarbeiter) und eine oftmals unkritische Einstellung gegenüber Herbizid- und Pestizideinsätzen nicht in der Lage hier wirksam einzugreifen.
Optisch sehen die Landschaften idyllisch aus - ich würde jedoch aus gesundheitlichen Gründen wirklich niemanden empfehlen, ein Picknick am Feldesrand durchzuführen.
Inzwischen sehe ich die Nitratbelastung durch Viehhaltung als das kleinere Übel gegenüber der völlig überdimensionierten chemischen Behandlung durch Herbizide / Pestizide (nicht selten 10mal pro Jahr / Schlag).