Wertvollste geschichtliche Errungenschaft! Weiß jeder Sozialkundelehrer. Erzählt er den artigen Kindern. Der Fall Mollath zeigt aber: Auch darin manifestieren sich vor allem Herrschaft und Macht. Und wo machtvolle Herrschaft institutionalisiert ist, offenbart sie heute wie früher das, was Kritiker aller geschichtsphilosophischen Hegelei gern als anthropologische Konstanten auffassen. Unter anderem also Selbstgerechtigkeit und Selbstgefälligkeit.
Obwohl in der Causa Mollath die Ungerechtigkeit Bände spricht, indem nicht nur klar ist, daß der Mann mit seinen damaligen Anschuldigungen gegen die Hypo-Vereinsbank Recht hatte, obwohl nicht richtig ermittelt, dafür aber vieles ignoriert wurde, obwohl die Gutachten unlauter zustanden kamen, obwohl keine faire Verteidigung gewährleistet war, konnte ein Mann, der sich eingestandenermaßen nicht immer geschickt verhielt, zu einem Psychopathen gestempelt werden, der – offenbar weitestgehend unschuldig – seiner Rechte beraubt in die Psychiatrie geschlossen wurde. Maßregelvollzug entrechtet weit mehr als Knast. Kafka reloaded.
Das zuständige Landgericht Regensburg, das nach allem menschlichen Verständnis den Prozeß neu aufrollen müßte, zuckt mit den Schultern, zieht sich auf juristische Phrasen zurück und lehnt eine Wiederaufnahme des Verfahrens trotz neuer Fakten und Zeugen rundweg ab. Es kann keinen Grund dafür erkennen, denn zur Neuverhandlung reiche es nach Buchstabenlage nun mal nicht, daß neben Sorgfaltsmängeln einfach Fehler gemacht worden seien. Nein, es müsse sich da schon „um strafbare Verletzungen der Amtspflicht“ handeln. Und das sei ja wohl überhaupt nicht der Fall. Und selbst wenn: Sollte Rechtsbeugung nachgewiesen werden können, wäre die ohnehin verjährt. Basta. Pech gehabt. Der Mann bleibt, wo er ist.
Daß selbst die Staatsanwaltschaft und die Justizministerin insistieren, also die Exekutive, die da wohl die Judikative revidieren möchte, interessiert das Gericht nicht. Es ist ja unabhängig und frei. Glücklicherweise.
Welchen Zweck erfüllt aber Gewaltenteilung, wenn innerhalb der Gewalten selbst die alte menschliche Selbstherrlichkeit blüht? Gewaltenteilung, das bedeutet zuerst, was man lange vergaß – Gewalt! Und im Falle Mollath funktioniert nicht mal deren Teilung. Abgesehen davon, daß Mollath mit dem Gnadenerlaß eines aufgeklärten Monarchen wohl besser dran und der Gerechtigkeit so schneller Genüge getan wäre, ja daß ihn vielleicht gar die Scharia menschlicher zu behandeln wüßte, verallgemeinere man den Gedanken: Die Legislative und damit die Exekutive stützen sich auf eine fragwürdiger werdende Legitimation, weil immer weniger Bürger zur Wahl gehen und sich überhaupt der Demokratie, ihrem eigenen öffentlichen Handlungsraum, entfremden. Und die Judikative kann offenbar nur mangelhaft kontrolliert werden. Effizient schon gar nicht. Das läßt am “Rechtsstaat” zweifeln.
Was bleibt? Zum einen gerade noch die vierte Gewalt, die Presse. Ohne sie wäre Mollath schon verloren, denn die Öffentlichkeit dürfte ohne freie Medien von seinem Schicksal kaum erfahren haben. Und dann ist da aber noch einer, der völlig vergessen wird: Der Souverän selbst! Der Souverän hierzulande ist das Volk! Eigentlich ja schon fast ein politisch inkorrekter, nämlich nationalistisch anmutender Begriff. Mit fragwürdigen Attributen: Das Volk, der große Lümmel! – Genau der müßte sich jetzt und in anderen Fällen Aufmerksamkeit verschaffen. Bisher raunt er nur auf Facebook. Und zwar sehr, wirklich sehr populistisch.
Aber bitte, man verstehe das nicht als Aufforderung zu Protest und Gewalt, sondern als den Wunschtraum von souveräner Nachdrücklichkeit im Sinne von: I have a dream! Wer für ein paar Prozente mehr Zaster, in Tierhaltungsfragen und für oder gegen Stromsorten auf die Straße geht, der sollte es um der Kardinaltugend Gerechtigkeit willen erst recht probieren können – dabei wertvolle Erfahrungen sammelnd, wie weit es mit der Souveränität geht und was es mit all den geteilten Gewalten auf sich hat.
Martin
Die Gewaltenteilung ist in der Tat ein sehr hohes Gut, dass es sogar noch zu intensivieren gilt!
Schauen wir uns die Justiz in Bayern einmal genau an:
Hier gibt es keine strikte Laufbahntrennung zwischen Richteramt und Staatsanwaltschaft. Richter und Staatsanwälte haben daher immer das Problem, dass jeder den Job des anderen nur allzu gut kennt und daher evtl. zu viel "Verständnis" für den anderen aufbringt.
Aber in Fällen, wo viele Grundrechtseingriffe des Staates (Durchsuchung der Wohnung, Abhören etc.) mit einem sog. "Richtervorbehalt" ausgestattet sind, kann diese "Nähe" dann schon einmal zu einem Problem werden, sprich, wird das Verlangen dann noch ohne Vertrauensvorschuss gegenüber der Staatsanwaltschaft, unvoreingenommen und unabhängig geprüft?
Wird eine von einem "Kollegen" vorgetragene Anklage nicht mit einem ebensolchen Vertrauensvorschuss gewürdigt?
Sind nicht alle dadurch irgendwie "Befangen"? Wenn es einmal zu einer Anklage kommt, dann ist die Wahrscheinlichkeit für einen Freispruch erstaunlich gering (man schaue nur einmal auf die Freispruchsquote) - auch das gibt zu denken ...
Übrigens: Eine ebensolche Laufbahnverquickung gibt es auch bei den Verwaltungsgerichten und den Finanzgerichten! Kein Verwaltungsrichter, der nicht auch ein paar Jahre im höheren Dienst der Verwaltung war und viele Richter, die aus der Finanzverwaltung kommen.
Im Fall Mollath will man vermutlich lieber den Weg des Freilassens ohne Wiederaufnahme des Verfahrens gehen, worüber ja noch eine Entscheidung aussteht. Aus falscher richterlicher "Solidarität"?
Auf der anderen Seite: Wer einmal in einem öffentlich wirksamen Fall wirklich Akteneinsicht nehmen konnte und dies mit der Berichterstattung abgleicht, der muss sehr oft feststellen, dass man durchaus öfters zur Auffassung kommen kann, es handele sich um 2 verschiedene Fälle. Außenwahrnehmung und Binnenwahrnehmung eben - Dies muss zur Entlastung der Richter angebracht werden.
Dennoch: Die Berufung zum Richteramt muss anders laufen, als bisher (Warum nicht auch durch Wahl, wie beim großen Bruder USA?). Es muss ferner in juristischen Dingen, bei denen die Richter innerhalb desselben Bundeslandes betroffen sind, eine zwingende Zuweisung an ein Gericht außerhalb des betroffenen Bundeslandes her - oder es muss sonst eine Form der weisungsunabhängigen internen Revision geschaffen werden.
Die Gewaltenteilung ist das A und O eines Rechtsstaats. Die Richter seien dazu aufgefordert, sicher wieder an dem klassisch liberalen Verständnis der Grundrechte zu orientieren, welche die Grundrechte als Abwehrrechte des Individuums gegen einen übermächtigen Staat sehen.
Übrigens: Der Gnadenweg steht Herrn Mollath grundsätzlich auch bei uns frei ...
Herr Mollath hatte aber das Pech, dass ihm das verurteilende Gericht keine volle Schuldfähigkeit zugesprochen hatte, denn nur dadurch hatte er dann das Problem der Anweisung der Unterbringung in ein psychiatrisches Krankenhaus. Ohne diese verminderte Schuldfähigkeit hätte Mollath zumindest schon längst seine Strafe abgesessen und wäre frei. Siehe dazu auch:
https://www.theeuropean.de/heinrich-schmitz/7038-der-mollath-paragraf
Überhaupt gibt es ein ansteigendes Problem der Psychopathologisierung in unserem Land. Eine falsche Bemerkung gegenüber einem Polizisten bei einer Verkehrskontrolle und man kann bei der MPU landen ... Waren nicht auch in der UdSSR die Klapsen voll mit Abweichlern?