die er während des Zweiten Weltkrieges in Jugoslawien erfahren haben will, während er sich mit einem SS-Mann unterhielt, der auf dem jenseitigen Donauufer Belgrads darauf wartete, mit seiner Einheit den Fluß zu überqueren.Der, so Malaparte, habe ihm von einer schrecklichen Probe für SS-Rekruten der Leibstandarte erzählt: Diese „müssen eine lebende Katze mit der linken Hand am Rückenfell packen, und zwar so, daß sie die Krallen unbehindert zur Verteidigung gebrauchen kann, und mit der Rechten mit einem kleinen Messer der Katze die Augen aushöhlen.“
Malaparte will diese Geschichte einer jungen Prinzessin Luise von Preußen, Enkelin Kaiser Wilhelms II., erzählt haben, eines trügerisch schönen Sommerabends im trügerisch friedlichen Berlin, in der Nähe des Lietzensees. – Die Hohenzollern-Dame reagiert schockiert. Malaparte kommt auf den Siegfried-Mythos, ja sogar auf Christus zu sprechen und bietet dann eine eigenwillige Interpretation der geschilderten Grausamkeit an:
„Sie kennen den Ursprung des Wortes ‚kaputt’? Es ist ein Wort, das vom hebräischen ‚kapparoth’ kommt, welches Opfer bedeutet. Die Katze ist ein ‚Kapparoth’, ist ein Opfer, ist die Umkehrung Siegfrieds: Sie ist ein geopferter Siegfried, ein Siegfried als Versöhnungsgabe. Es gibt einen Augenblick, der immer wiederkehrt, in dem auch Siegfried, der einzige, zur Katze wird, zum Kapparoth, zum Opfer wird, ‚kaputt’ wird: es ist der Augenblick, in dem Siegfried sich dem Tode nähert, in dem Hagen-Himmler sich rüstet, ihm wie einer Katze die Augen auszuhöhlen.“
Malapartes Schlußfolgerung: „Das Schicksal des deutschen Volkes ist es, sich in ein Opfertier, in ein Kapparoth, in ‚Kaputt’ zu verwandeln. Der verborgene Sinn seiner Geschichte ist diese seine Metamorphose von Siegfried zur Katze. Sie dürfen gewisse Wahrheiten nicht außer acht lassen, Luise. Auch Sie müssen wissen, daß wir alle Siegfried sind, daß wir alle bestimmt sind, eines Tages zum Opfertier, zum Kapparoth zu werden, ‚kaputt’ zu sein; daß wir deswegen Christen sind, daß deswegen auch Siegfried Christ ist, auch Siegfried Katze ist.“
Gut, es war heiß an jenem Tag, und Malaparte ist ein auswuchernder Formulierer, der komplizierten, ja kryptisch anmutenden Deutungen zuweilen zuneigt. Sein Werk ist belletristisch, nicht dokumentarisch. Eines aber muß man dieser drastischen Parabel und ihrer Deutung zugestehen: Sie ist eindringlich. Sie ist es im Rückblick und mit Wissen um den Fortgang der Geschichte; und sie ist es ebenso für die Gegenwart.
Die Deutschen als Opfer? Sieht der größte Teil der Welt sicher gar nicht so. Nicht einmal die nachgeborenen Deutschen selbst. Dabei ist gerade der Täter nicht nur grundsätzlich ebenso Opfer – eine Plattitüde! –, er ist gar dramatisches Opfer, indem er zur Schuld, die von eigener Last ist, als Addition des Tragischen noch die Niederlage zu tragen hat, die den Sieger zum grenzenlosen Durchgriff auf seine Existenz befugt. Die Opfer des “Weltbürgerkrieges” – die überlebenden Polen, die Russen, die Juden und all die vielen anderen Nationen, Kulturen und Einzelnen – konnten im folgenden Frieden wenigstens gewürdigt und erhöht werden. Dies ist jedem zu wünschen, der durch andere gelitten hat! Nichts anderes entlastet. Und irgendwann führt für eine menschliche Lösung der Schuld am Verzeihen kein Weg mehr vorbei.
Deutschland jedoch stand das nicht zu. Es galt in Gestalt seiner Nation als Supertäter, dem keine historische Komplexität – etwa im Sinne von Gesamtzusammenhängen – als Milderungsgrund gewährt wurde. Auch und gerade dem Gesamtvolk nicht. Das Phänomen deutscher Schuld sollte Phänomen sui generis bleiben und gerade nicht erklärt oder geklärt werden (können). Höchstens in dem Sinne, wie es Daniel John Goldhagen auf den Punkt brachte: Die Deutschen als Hitlers willige Vollstrecker. Das Nolte-Wort vom „kausalen Nexus“ wurde im Historikerstreit deswegen nicht nur im konkreten, von Nolte selbst dargestellten Bezug verworfen, sondern generell: Es soll hinsichtlich deutscher Schuld wesentlich gar keinen Nexus geben können, denn nur mit diesem Verdikt stellt sich die deutsche Schuld – wie anderseits davon ausgehend der Holocaust – als in ihrer Monstrosität singulär, ja unvergleichlich dar.
War mit Versailles 1919 schon die „deutsche Alleinschuld“ festgestellt, ein radikales Urteil, dem historisch gewaltiges Unheil folgte, so erfolgte 1945 die Zuschreibung, Deutschland wäre nahezu pathologisch unfähig zu jeglicher Einsicht und Sühne – eine Beschämung über Nachfolgegenerationen hinweg. Gewann Deutschland schließlich doch Souveränität, so nur innerhalb der Erlaubnisräume der sehr verschiedenen Siegermächte. Fragwürdig deswegen, weil der Beschämte solcherart echten Läuterungen kaum zugänglich ist. Er kann sie nur vorspielen oder rein erzieherisch etwas mit sich anstellen lassen. Quasi therapeutisch, im Maßregelvollzug der Geschichte. Daß auf der einen Seite das “Wirtschaftswunder”, auf der anderen der “sozialistische Aufbau” die Vergangenheit verdrängten – und verdrängen sollten – paßt ins Bild.
Die „Unfähigkeit zu trauern“ mag auch daher rühren, daß echte, also aufrechte und umfassende Trauer – nicht zuletzt über die verschuldet oder unverschuldet zu beklagenden eigenen Opfer – als solche per se verwehrt wird. All die Verluste der Vertreibung – in den Augen der sogenannten „Welt-Öffentlichkeit“ in Anbetracht des Geschehenen wohl das Wenigste für ein Minimum an Satisfaktion. Für das immerhin gewährte Recht, doch irgendwie weiterbestehen zu dürfen. Dies vor allem aus pragmatischen Gründen, nämlich aus den politisch-strategischen Motiven der sich zerstreitenden Sieger heraus.
Die Teilung der deutschen Super-Täter-Nation als Ergebnis des neuen Zwists der Super-Mächte stellt mit dem Kalten Krieg eine Besonderheit dar, in der Deutsche gegen Deutsche über die durch ihr Land verlaufende Grenze der globalen Systeme hinweg einen Streit ausfechten, der zuerst gar nicht der ihre, sondern eher jener der Großmächte und deren ideologischer Konstrukte ist. Tragisch, ja, zuweilen auch unfreiwillig komisch, indem deutsche Politik, so darin überhaupt frei, Unterstellungen nachredet, die sich eigentlich die jeweiligen Mentoren gegeneinander klarzustellen hatten. Diese System-Auseiandersetzung verdeckt die eigentlich zu leistende Arbeit am Vergangenen über Jahrzehnte!
Schließlich, größtenteils unerwartet, die Entlassung der Nation aus engerer Haftung. Um im Bild zu bleiben: Offener Vollzug. Um so irritierender. Da ist sie wieder, die preußisch-blaue Fläche in der Mitte Europas, historisch weitgehend verkleinert, irreversibel geschrumpft, dabei aber doch, wie fatal!, von immer noch immenser Kraft. Genau deswegen entwickeln sich die vorauseilenden deutschen Versicherungen zu neurotischer Eindringlichkeit, korrespondierend mit dem latenten Verdacht, die Deutschen trügen als einzige die Brutalität gegenüber den Nachbarn schon im nationalen Genotyp. Der relative Reichtum – wie jeder Reichtum ethisch unverdient! Gerade deswegen bitte solidarisch zu teilen. Und ginge es zu Lasten der eigenen Kraft, so doch um so besser, als Prophylaxe, bevor der Lümmel wieder Pickelhaube oder Stahlhelm trägt. Wie es, meinen Verfechter antideutscher Stimmung, so seine Art war.
Sara Tempel
Welch´ interessanter Ansatz Deutschland als das Opfertier, Kapparoth, zu begreifen! Tatsachen sprechen für dieses Bild, vor allem die Bereitwilligkeit der deutschen Nation sich selbst abzuschaffen und in einer neuen Ordnung Europas und der Welt aufzugehen. Die drängende Frage, die sich mir dazu stellt: Wem nützt dieses unser Opfer?
Sollte es uns zu Nietzsches Übermenschen führen, würde ich dieses Schicksal meines deutschen Volkes froh begrüßen!
Leider scheint es aber eher die Macht der Dummheit zu beschleunigen. Ein Opfer für den Massenmenschen? Mit Ortags y Garzet sehe ich folgendes als Kennzeichen unserer Epoche "... nicht dass der gewöhnliche Mensch glaubt, er sei außerordentlich und nicht gewöhnlich, sondern. dass er das Recht auf Gewöhnlichkeit und die Gewöhnlichkeit als Recht proklamiert und durchsetzt." (Der Aufstand der Massen)