Es gibt verschiedene Gründe, einer weltanschaulichen Minderheit zuzugehören: Erbteil, Phlegma, Geltungsbedürfnis, Überzeugung. Tatsächlich erben manche Menschen Glauben oder Ideologie wie man ein Haus, ein Aktienpaket, ein Klavier oder eine alte Puppe erbt. Das hat damit zu tun, daß sie in einer Umwelt großgeworden sind, in der entsprechende Auffassungen vorherrschen. Sie haben sie angenommen, meistens schon als Kind, und früh als selbstverständlich zu betrachten gelernt. Ihre Überzeugungen sind Gewohnheiten.
Ein entsprechend geprägtes Milieu zu verlassen, ist schwierig, schon wegen des Trägheitsmoments, und erst recht, wenn man auf Grund von Schichtzugehörigkeit oder sektenartigem Einschluß mit Sanktionen für den Fall der Abtrünnigkeit zu rechnen hat. Es wird deshalb an der Mitgliedschaft festgehalten, trotz der unangenehmen Folgen, die das nach sich zieht, etwa der Feindseligkeit der Mehrheit. Minderheiten suchen den dadurch entstehenden Druck aufzufangen, indem sie Parallelkarrieren anbieten und (seltener) materielle oder (häufiger) immaterielle Prämien ausloben: das Spektrum solcher Kompensationen reicht vom Auserwähltheitsglauben aller über die Posten weniger bis zur Spitzenfunktion des einzelnen als »Meister«.
Derartige Möglichkeiten erklären bis zu einem gewissen Grad die Anziehungskraft von Minderheiten auf gescheiterte Existenzen, die in der Welt nicht Fuß fassen konnten, die tatsächlichen Ursachen ihres Versagens aber nicht wahrhaben wollen. Zur sozialen Realität von Klein- und Kleinstgruppen gehört außerdem der Mißbrauch herausgehobener Stellungen, deren Inhaber nur das zynische Kalkül treibt und die das Fehlen von Korrektiven nutzen. Es gibt aber selbstverständlich auch das echte Sendungsbewußtsein, das einhergeht mit jenem Einsatz und jener Opferbereitschaft, die die Anhänger begeistern und sie dazu bringen, trotz aller Widrigkeiten an der eigenen Überzeugung festzuhalten.
Eine Führer-Gefolgschaft-Struktur ist an vielen historischen Minoritäten nachzuweisen, aber nicht unabdingbar. Weltanschauliche Minderheiten existieren auch akephal, vor allem dann, wenn es sich um Denkfamilien handelt, also Gruppierungen, die in erster Linie eine Menge gemeinsamer Ideologeme und Konzepte zusammenhält. Bei der intellektuellen Rechten handelt es sich um so eine »kopflose« Minderheit. Aber das ist keineswegs ihre natürliche Verfassung. Der Status als Minderheit erklärt sich vielmehr aus einem Prozeß des Abstiegs, der mit der Niederlage von 1945 begann, die eben auch als Niederlage der Gesamtrechten im Kampf gegen die Gesamtlinke verstanden wurde. Sie schien aufgehalten durch die besonderen Bedingungen des Ost-West-Konflikts, setzte bei der Entspannung zwischen den Supermächten wieder ein und endete schließlich im Siegeszug der großen Emanzipation.
Eine rechte Strukturmehrheit war damit durch eine linke Strukturmehrheit ersetzt, was erklärt, warum sich in der rechten Minderheit nur noch diejenigen finden, die durch Erbteil, Phlegma, Geltungsbedürfnis oder Überzeugung hierher geraten sind. Denn alle Erwartungen eines »Rechtsrucks«, einer »Tendenzwende«, einer »Kulturrevolution von rechts«, eines »Rückrufs in die Geschichte«, einer »Gegenreformation« haben sich als vergeblich erwiesen, während die Substanz immer weiter schwand und mit ihr die Einflußmöglichkeiten, Karrierechancen oder wenigstens komfortablen Nischenexistenzen, die in einer Übergangsphase möglich waren.
Das hat die Zahl der »geborenen« Rechten wie der Phlegmatiker und Geltungsbedürftigen stark reduziert, und für die Intransigenten die Wahlmöglichkeiten drastisch eingeschränkt; es bleiben:
1. Resignation, sprich Aufgabe der bisher verfochtenen Meinung, Anpassung an die der Mehrheit,
2. Dekoration, das heißt Entwicklung eines wahlweise esoterischen oder ästhetischen Modells, das es erlaubt, im Verborgenen oder privatim die bisherigen Auffassungen festzuhalten, ohne daß deren Geltung noch nach außen vertreten würde,
3. Akzeleration, also Beschleunigung der Prozesse in dem Sinn, daß die bisher eingenommene Stellung verschärft und nach radikaleren Lösungswegen gesucht wird,
4. Konzeption, das heißt Aufrechterhaltung der Grundpositionen und deren Fortentwicklung bei dauernder Kritik und Korrektur der getroffenen Vorannahmen in der Erwartung, künftig doch zum Zug zu kommen.
Scheidet man die Varianten 1 und 2 aus, die im Grunde nur individuelle, keine politischen Lösungen bieten, bleiben die Möglichkeiten 3 und 4. Was die Radikalisierung angeht, schimmert bei ihren Protagonisten immer die Auffassung durch, daß die Probleme, die bestehen, nicht als vermeidbare Defekte zu betrachten sind, sondern als Konstruktionsfehler, wahlweise der Massengesellschaft, des Amerikanismus, des Parlamentarismus, der Demokratie. Um die zu beseitigen, müsse das »System« beseitigt werden. Einigkeit darüber, was an seine Stelle treten solle, besteht allerdings nicht, das Spektrum reicht vom Anarchokapitalismus bis zum Staatssozialismus, von der naturgebundenen Volksgemeinschaft bis zu irgend etwas Preußischem.
Nun ist solche Undeutlichkeit bei Alternativentwürfen eher Norm als Ausnahme und prinzipiell kein Einwand gegen sie. Etwas mehr Klarheit muß man aber erwarten bei Beantwortung der Frage, wie ans Ziel gekommen werden soll. Soweit erkennbar, versprechen sich die Befürworter der Akzeleration wenig von der Mitarbeit in einer bestehenden oder Gründung einer neuen Partei, aber auch die Schaffung irgendwelcher »Bünde« oder geheimer »Logen« scheint kaum Anhänger zu haben. Dagegen geistert immer wieder die Idee einer »Bewegung« durch die Köpfe, vor allem einer »Jugendbewegung«. Ist damit nicht gemeint, daß man die Fehlschläge von »Jungenstaat« oder »rotgrauer Aktion« nachspielen möchte, bliebe nur die Bedeutung von Jugendlichen und jungen Erwachsenen in historischen Revolutionen als Bezugspunkt.
Tatsächlich kann man sowohl die Jakobiner wie auch die Bolschewiki und auch die Faschisten oder die Träger der Arabellion als Jugendbewegungen beschreiben, aber es steht auch außer Frage, daß ihre Erfolge sich nicht aus diesem Charakteristikum erklärten. Schon die natürliche Unreife der Trägergruppen spricht dagegen, vor allem aber, daß Bewegungen als solche überhaupt keine Chance auf dauerhafte Wirkung haben. Sie können ein erster Aggregatzustand einer politischen Organisation sein, aber sie müssen in etwas anderes – gemeinhin eine Partei – übergehen. Wenn eine Partei versucht, ihren Bewegungscharakter auch nach der Institutionalisierung aufrechtzuerhalten, bedingt das zwangsläufig ihr Scheitern, oder es kommt zu politischem Mummenschanz. Der Erfolg der Grünen im Gegensatz zu allen möglichen Gruppierungen links der SPD hing ganz wesentlich mit deren Bereitschaft zusammen, den notwendigen Schritt zu machen und sich von allen zu trennen, die Reinheit und Zauber der Anfänge nicht losließen.
Um das Gemeinte noch an einem weiteren Beispiel zu illustrieren: Wer die Entwicklung der Identitären in Frankreich schon etwas länger beobachtet hat, registrierte das Irrlichternde dieser Bewegung, die Abhängigkeit von einzelnen Initiatoren, die ideologische Unklarheit, das Schwanken zwischen Zellen- oder Parteibildung, Kampf um die kulturelle Hegemonie oder Anlehnung an den Front National. Die Aufmerksamkeit, die man Ende vergangenen Jahres nach der Besetzung des Moscheeneubaus in Poitiers fand, erklärt sich denn auch nicht aus dem eigenen Potential der Identitären, sondern aus der Tatsache, daß der Vorfall von Marine Le Pen in einem Fernsehinterview erwähnt wurde. Erst dieses Zusammenwirken von Faktoren – Aktion, Hinweis durch eine Prominente, in einem bedeutenden Medium – zeigte Wirkung.
Allerdings hat auch das keine Initialzündung ausgelöst, was damit zusammenhängt, daß die für einen Durchbruch nötige Disziplin gerade den Bewegungsorientierten regelmäßig fehlt. Hinzugefügt sei noch, daß der FN nach einem kurzen Liebäugeln mit dem Thema »Identität« die Sache wieder fallengelassen hat: zu kopflastig, nichts für die breite Anhängerschaft und die militants, die die Arbeit an der Basis machen, zu uneindeutig, letztlich zu unpolitisch, das heißt zu unklar in bezug auf die Frage »Wer wen?« (Lenin dixit).
Eine Symbolpolitik, die sich, wie die der Identitären, an den Aktionsformen der Achtundsechziger orientiert, hat nur dann einen politischen Gehalt, wenn sie ein geeignetes Publikum – also eines, das mindestens interessiert, besser noch wohlwollend ist – findet. Wenn nicht, dann bleibt eine solche Strategie kontraproduktiv und bindet sinnlos Kräfte. Denn selbst wenn es auf diesem Weg gelingen sollte, den Kreis der Unbedingten zu erweitern, auf die »Mitte« kann man keinen Einfluß ausüben, und auf diesen Einfluß kommt es an. Das zu akzeptieren fällt dem Befürworter der Akzeleration natürlich schwer, weil er von der Notwendigkeit der Tat mit großem »T« überzeugt ist, weil er den Schmerz über die Dekadenz unerträglich findet und seine Verachtung der Unbewegten einen Grad erreicht hat, der ihn deren Haltung moralisch verwerflich erscheinen läßt. Umgekehrt traut er der Einsatzbereitschaft und der Willensanstrengung seiner Minderheit fast alles zu.
Vor allem dieser Voluntarismus ist dem Konzepter suspekt. Er vermutet dahinter den gleichen utopischen Wunsch, der auch den Gegner beherrscht, nämlich, »daß das Leben keine Bedingungen haben sollte« (Gehlen dixit). Für diese Bedingungen interessiert sich die vierte Gruppe am stärksten, was auch eine Temperamentsfrage sein mag, aber nicht nur. Es sind zuerst einmal in der Sache selbst liegende Ursachen, die es nahelegen, die Arbeit an den Grundlagen fortzusetzen. Dazu gehört vor allem die theoretische Schwäche der intellektuellen Rechten. Gemeint ist nicht, daß man es hier mit Dummköpfen zu tun hat, aber eben mit einer unliebsamen Konsequenz jener »nominalistischen« (Mohler dixit) Lagerung des konservativen Denkens, das lieber das Konkrete-Einzelne angeht als das Große-Ganze.
Faktisch hat es seit den 1960er Jahren keine umfassende Anstrengung von dieser Seite gegeben, so etwas wie einen ideologischen Gesamtentwurf zu schaffen, und selbst wenn man von den Problemen absieht, die es aufwirft, daß Generation für Generation durch die Begrifflichkeit des Gegners in ihren Vorstellungen bestimmt wird und die Faktenkenntnisse in einem dramatischen Tempo schwinden, bleibt es doch dabei, daß das Hauptproblem an diesem Punkt liegt: Wir haben keine »Politik«, kein Manual, auf das man jeden hinweisen, das man dem Interessierten in die Hand drücken kann und das den Schwankenden überzeugen würde.
Immerhin haben wir eine Zeitung, die als aktuelles Nachrichtenorgan unverzichtbar ist und die Geschehnisse aus unserer Sicht kommentiert, und ein Institut, das aus eigener Kraft mehr zustande gebracht hat, als sämtliche Stiftungen, Vorfeldorganisationen und Gesprächszirkel im Umfeld der bürgerlichen Parteien. Aber das sind nur erste Schritte, mühsam genug, dauernd gefährdet, nicht zuletzt durch die Mühsal und den Mangel an eindrücklichen Erfolgen. Es ist verständlich, daß das den einen oder anderen irre werden läßt an dem eingeschlagenen Weg und er nach Abkürzungen sucht, aber Metapolitik – denn darum handelt es sich für die vierte Fraktion – ist nur so und nicht anders zu treiben.
In Abwandlung einer berühmten Formel Max Webers kann man sagen »Metapolitik ist das langsame, geduldige Bohren dicker Bretter«. Selbstverständlich ist das nicht jedermanns Sache, begeistert das nur wenige, möchten die anderen »etwas machen«, wollen es »spannend«, »prickelnd« oder »sexy«, aber die Erfahrung, die große konservative Lehrerin, zeigt doch, daß nur die Verfügung über eine hinreichend gesicherte Faktenbasis und Klarheit der Kernbegriffe etwas bewirken kann. Etwas bewirken kann, nicht muß, das heißt: eine solche Arbeit setzt die Auffassung voraus, daß das, was da getan wird, in jedem Fall getan werden sollte, weil es das Richtige zur Kenntnis bringt und zu verbreiten sucht.
Selbstverständlich wird diese Tätigkeit nicht als Selbstzweck betrachtet, es bleibt das Ziel, mit den eigenen Überzeugungen auf die der anderen zu wirken. Der Linken ist das mehrfach gelungen – 1789 genauso wie 1968 –, aber nicht wegen der Macht ihrer Verschwörungen oder der Güte ihrer Einfälle, sondern weil die Lage günstig war. »Erkenne die Lage« (Schmitt dixit) ist die erste Forderung, die erfüllen muß, wer Einfluß gewinnen will. Und die Lage, die deutsche Lage, spricht jedenfalls dagegen, daß irgendeine schweigende Mehrheit nur auf die Einrede oder Ermutigung der rechten Minderheit wartet, um endlich zu sagen, was sie immer sagen wollte.
Die Stellung einer Partei wie der »Alternative für Deutschland« ist insofern symptomatisch. Dieser Versuch, den gesunden Menschenverstand zu organisieren, setzt auf die Mobilisierung der oben erwähnten Mitte, was angesichts der bestehenden Kräfteverhältnisse die einzig denkbare Option für ein anderes politisches Handeln ist. Was passiert, sobald diese Mobilisierung gelingt, steht auf einem ganz anderen Blatt, hängt wesentlich davon ab, ob sich die Entwicklung zuspitzt oder nicht. Sollte eine Zuspitzung erfolgen, wird das zwangsläufig zu einer Polarisierung führen und das heißt notwendig dazu, daß der Blick auch wieder auf die Rechte fällt und die Frage gestellt werden wird, ob sie etwas anzubieten hat, jenseits von Nostalgie, apokalyptischer Sehnsucht, Wünschbarkeiten und Parolen.
Der Konservative als »Mann der Krise« (Molnar dixit) kann dann Gehör finden, aber den Prozeß, der bis zu diesem Punkt führt, kann er nicht selbst einleiten und nur bedingt vorantreiben, denn es handelt sich um das Ergebnis des Handelns und Unterlassens der Mächtigen, mithin seiner politischen und ideologischen Gegner. Deshalb wird man sich in Geduld fassen müssen. – Daß Geduld eine konservative Tugend ist, liegt auf der Hand, aber man unterschätze nicht ihr Umsturzpotential.
Ein Fremder aus Elea
Ich sehe nur die Gefahr, daß die Wahrnehmung der Probleme so spät einsetzen wird, daß die Sachzwänge das weitere Handeln vollständig bestimmen werden.
Deshalb würde ich dafür plädieren, Problembewußtsein zu fördern. Es ist ja nicht so, daß die Menschen nicht tausend unrealistische Wunschvorstellungen mit sich herumtragen würden, und bei jeder einzelnen kann man deutlich machen, daß es so nicht gehen wird. Da gibt es also viel zu tun.
Hmm... privat würde ich jedem empfehlen, auf Autarkie hinzuarbeiten, nur für den Fall, daß es mit der Gesellschaft nichts mehr wird. In Mecklenburg-Vorpommern sollte das gehen. "Juncker" ist übrigens nur in Deutschland ein Schimpfwort, ansonsten von Holland bis Finnland nicht. Deutschland sieht darin nur das Andere, obwohl es das Andere schon seit 100 Jahren nicht mehr gibt. Das ist eine ziemlich schwere psychische Störung, und ich sehe auch nicht recht, wie es bergauf gehen könnte, so lange es verpönt ist, glücklich und stolz auf seinem Besitz zu sitzen und von der Erde Früchten zu leben.
Freilich, das löst gesellschaftlich gar nichts, aber wer weiß, ob gesellschaftlich überhaupt noch etwas gelöst werden wird.