Bei Nele Nomans – 1. September 1700

Es ist ja vor einigen Monaten eine Satire erschienen, verfaßt von einem auch uns nicht bekannten Autor: er hat Swifts Gulliver fortgeschrieben, oder besser: auf die heutigen Verhältnisse in Deutschland übertragen. Weils gerade gut paßt, bringen wir Auszüge aus einem Kapitel, in dem Gulliver über den Universitätsbetrieb aufgeklärt wird.

Lil­li­put erstaunt mich immer wie­der und ver­än­dert so lang­sam mein frü­her äußerst nai­ves Bild. Zu den größ­ten Über­ra­schun­gen gehört dabei Frau Nele Nomans, Pro­fes­so­rin hono­ris cau­sa im Fach Staats­leh­re der Uni­ver­si­tät Sal­wa. Ich lern­te sie bei einem Open Day der Hoch­schu­le ken­nen. Wir hat­ten gleich einen Draht zuein­an­der. Ich moch­te ihre zuwei­len hoch­sar­kas­ti­sche Art, kein Blatt vor den Mund zu neh­men. Und so lud ich sie noch zu Kaf­fee und Kuchen in den Aus­län­der­club ein.

Als ich sie frag­te, durch wel­che wis­sen­schaft­li­che Leis­tung sie ihre Beru­fung ver­dient habe, kam es knapp und schnörkellos:

„Jede Uni braucht Geld. Da ist man eben auch mal auf mich ver­fal­len und hat mich sozu­sa­gen eingekauft.“

„Ja, aber …“

„Heu­te zählt zwar immer noch eine ellen­lan­ge Publi­ka­ti­ons­lis­te, die meist nur belegt, wie wenig jemand wirk­lich forscht. Aber wich­ti­ger sind ande­re Schlüs­sel­qua­li­fi­ka­tio­nen, vor allem die Fähig­keit, Fremd­mit­tel herbeizuschaffen.“

„Und das konn­ten Sie?“

„So dach­te man wohl. Und nicht mal ganz falsch. Denn ich besit­ze ein viel gefrag­tes Mei­nungs­for­schungs­in­sti­tut. Da kommt schon was rein. Lil­li­puts Poli­ti­ker sind schließ­lich im Dau­er­wahl­stress und wol­len fast stünd­lich wis­sen, wie das Volk tat­säch­lich denkt. Sie selbst erfah­ren es in ihrer Par­al­lel­ge­sell­schaft ja kaum. Neben­bei gesagt: inter­es­siert es sie auch nur inso­weit, um zu ent­schei­den, wel­che Ange­le­gen­hei­ten man bes­ser offen­siv, wel­che defen­siv verfolgt.“

„Was heißt das?“

„Na ja, über wel­che Pro­jek­te man all­ge­mein und offen abstim­men kann – even­tu­ell sogar durch das gan­ze Volk – und wel­che eher im Gehei­men an der Bevöl­ke­rung vor­bei ent­schie­den wer­den müssen.“

„Ein Bei­spiel?“

„Dis­ku­tie­ren und ent­schei­den darf das Volk etwa über den Bau eines umstrit­te­nen Ver­kehrs­kno­ten­punkts wie jetzt in Stur­ro oder ob ein Fluss umge­lei­tet wer­den soll, um einen Hafen zu ver­brei­tern. Da lässt man die Leu­te so lan­ge rum­to­ben, bis sich nach Jahr­zehn­ten die Din­ge durch neue Umstän­de erle­digt haben oder ein­fach nie­mand mehr von den Alten in der Regie­rung ist, den man für frü­he­re Äuße­run­gen ver­ant­wort­lich machen kann.“

„Und wo darf es nicht mitreden?“

„Zum Bei­spiel, ob wir irgend­wo in der Welt ein biss­chen Krieg füh­ren sol­len. Oder ob die Leu­te Lust haben, Lil­li­put voll­kom­men im Trans­tas­ma­ni­schen Bund auf­ge­hen zu las­sen und mit ihren Pri­vat­ver­mö­gen dafür zu haf­ten. Ganz zu schwei­gen von der Fra­ge, wer von den Zuge­wan­der­ten auf Dau­er hier blei­ben darf und wer nicht. Das alles weiß die Lil­li­put-Eli­te viel bes­ser, und ihre Pro­blem­lö­sun­gen sind offen­bar durch­weg weiser.

Ja, es gibt sogar Ent­schei­dun­gen, da trau­en sich selbst unse­re Volks­ver­tre­ter nicht mehr ran und dele­gie­ren sie des­halb, klamm­heim­lich und für ihre Wäh­ler kaum bemerkt, an über­ge­ord­ne­te trans­tas­ma­ni­sche Kom­mis­sio­nen, die kraft höhe­rer Ein­sicht und unbe­zwei­fel­ba­rer Objek­ti­vi­tät stets das Wohl der gan­zen Mensch­heit im Blick haben. Deren zuneh­men­de Unfehl­bar­keit wächst übri­gens in dem Maße, wie sie sich von den kon­kre­ten Pro­ble­men vor Ort ent­fer­nen. Ein gera­de­zu zau­ber­haf­tes Prinzip.“

„Sie zwei­feln daran?“

„Kei­ne Spur!“ lach­te sie. „Sonst gel­te ich noch als Dextristin.“

„Zuge­ge­ben. So ein Ver­dacht ist hier all­zu schnells­tens aus­ge­spro­chen. Aber müs­sen wir nicht stän­dig vor sol­chen Umtrie­ben wach­sam sein. Das hier­zu­lan­de Pro­gres­si­ve steht schließ­lich auf dem Spiel.“

„Lie­ber Herr Gul­li­ver, glau­ben Sie wirk­lich, dass die Welt unter­geht, wenn eine bestimm­te Cli­que mal etwas Dampf unter ihren Gesä­ßen spürt? Und wie prak­tisch ist so ein Schreck­ge­spenst für alle Regie­ren­den! Wir alle gut­bür­ger­li­chen Lil­li­putzwer­ge wis­sen doch eigent­lich über die stän­dig Geschol­te­nen aus ers­ter Hand gar nichts. Die repu­tier­li­chen Zei­tun­gen boy­kot­tie­ren sie, und auch von den Gesin­nungs­schutz-Agen­ten erfuhr man bis­lang nicht gera­de Sub­stanz­rei­ches. Sicher ist nur eins: Wären sie wirk­lich so gefähr­lich, schrie­ben unse­re Jour­na­lis­ten freund­li­cher über sie. Was wir wis­sen, ver­brei­te­ten Vor-‚Denker’ für die Mas­se. Auf sie kommt es an, kam es immer an. Auf die Weni­gen im Besitz von Publi­ka­ti­ons­mit­teln wie etwa Fre­da mit „IMAGO“. Die erklä­ren dann ande­ren die Welt, genau­er: ihre Welt bzw. die Welt, von der sie möch­ten, dass wir sie so sehen. Und ganz Lil­li­put folgt wie eine Schafsherde.“

„Ist das nicht ein wenig übertrieben?“

„Schau­en Sie sich die Sto­ry an, die ich ges­tern in der ‚Gene­ra­le’ gele­sen habe. Natür­lich irgend­wo auf Sei­te 17 oder so. Der­ar­ti­ge Pein­lich­kei­ten brin­gen es schließ­lich nicht auf die Titel­sei­te. Da hat ein – wie sich nach­träg­lich her­aus­stell­te – ent­lau­fe­ner Irren­häus­ler und ehe­ma­li­ger Pfar­rer in einem Berg­dorf des Nor­dens über Wochen die Schlag­zei­len dik­tiert. Er sah Baum­for­ma­tio­nen und Plan­ta­gen­kul­tu­ren in Form von gigis­ti­schen Ordens­bur­gen ange­legt und infor­mier­te die Öffent­lich­keit. Dies führ­te zu Rodun­gen auf Tau­sen­den von Hekt­ar. Sie wer­den jetzt wie­der müh­sam auf­ge­fors­tet, nach­dem bekannt wur­de, dass der gute Ex-Pries­ter seit sei­ner Jugend an einem noto­ri­schen Seh­feh­ler litt. Tau­sen­de, die damals am Ort waren, müss­ten dies eigent­lich bes­ser gese­hen haben, aber sag­ten nichts. Im Gegen­teil: Man mel­de­te sogar wei­te­re angeb­li­che ‚Gigax-Baum­grup­pen’. Inzwi­schen sind wenigs­tens die sofort ver­haf­te­ten Förs­ter und Plan­ta­gen­be­sit­zer wie­der frei. Und da fra­ge ich Sie, wo bleibt Ihr mün­di­ges Volk?“

„Nun, nun, ein Berg­dorf im Norden …“

„Sol­che Berg­dör­fer gibt es über­all, auch in Mil­den­do. Und ihre Bewoh­ner sind nicht nur ‚nie­de­res Volk’ oder Hin­ter­wäld­ler. Intel­lek­tu­el­le oder ande­re Ver­tre­ter des gut­si­tu­ier­ten Wahl­pö­bels machen da kei­ne Ausnahme.“

„Oha!“

„Sehen Sie die Berg­ket­te am Hori­zont mit den drei Gip­feln im Zen­trum? Von links nach rechts: Mount Giant, Mount Zwerg­li und Teu­fels­horn. Wel­cher ist der höchste?“

„Mount Giant natür­lich, Das sieht doch ein Blinder.“

„Ver­mut­lich selbst der. Nur unse­re Teil­neh­mer am Staats­leh­re-Semi­nar sahen es nicht. Ich habe mir ein etwas maka­bres Expe­ri­ment erlaubt. Und es pas­sier­te natür­lich, was ich vor­aus­ge­sagt hatte.“

„Was denn?“

„Ich habe fünf Leit­ham­mel – Par­don, in mei­nen Vor­le­sun­gen spre­che ich stets von Opi­ni­on lea­ders – vor­her gebe­ten, laut­hals eine fal­sche Ansicht zu ver­kün­den und sie pseu­do­kri­tisch zu begrün­den im Sin­ne von: In frü­he­ren Zei­ten hät­te man in Teu­ta­ni­stan das Gigan­ti­sche favo­ri­siert und unter dem­ago­gi­schem Ein­fluss einen Berg eben grö­ßer gese­hen, als er wirk­lich ist. Heu­te durch­schau­ten wir das natür­lich sofort und wüss­ten daher genau, dass nur ‚Zwerg­li’ der höchs­te sein kann. Und sie­he da, jetzt ‚erkann­te’ es auch die Mehr­heit des Kur­ses, und die Min­der­heit drucks­te her­um oder ent­hielt sich der Stimme.“

„Das ist ja gräss­lich“, ent­fuhr es mir. „Gibt’s das nur in Lil­li­put oder auch anderswo?“

„Prin­zi­pi­ell über­all. Nur eben hier im Extrem. Man hat in den letz­ten hun­dert Jah­ren ein biss­chen viel an den Leu­ten her­umer­zo­gen. Sie wis­sen eigent­lich gar nicht mehr, wer sie sind und was sie wirk­lich wol­len. Sie trau­en sich auch nicht recht und fle­hen gera­de­zu danach, dass es ihnen einer sagt. Als Gigax Erfolg hat­te, woll­ten vie­le natür­lich groß und stark sein. Frei­heit, eine eige­ne Mei­nung waren da nicht so wich­tig. Als Gigax fiel, kam die gro­ße Lee­re. Man begriff sich selbst nicht mehr und wech­sel­te flugs die Sei­ten. Nicht ein­mal nur aus Oppor­tu­nis­mus, son­dern schlicht, um wie­der ein wenig geführt zu wer­den. Also konn­te man nun nicht klein genug sein, um es dem Welt­geist recht zu machen. Mal sehen, was nächs­tens kommt.“

„Ja, aber so kann man doch nicht leben …“

„O doch, man gewöhnt sich dar­an. Vor allem, so lan­ge man ver­meint­lich Böse zum Jagen hat, falls sie nicht all­zu stark sind. Aber ich woll­te eigent­lich nur sagen: Es kommt zu allen Zei­ten weni­ger aufs Volk an als auf die, die ihm vor­sa­gen, wie es den­ken soll und was ihm angeb­lich bekommt. Eine Pries­ter­kas­te also, meta­phy­sisch oder säkular.“

„Ist Lil­li­put denn eine Theo­kra­tie, wie ich neu­lich Leu­te habe flüs­tern hören?“

Frau Nomans lach­te hell auf:

„Nein, Herr Gul­li­ver, die­ses Fass machen wir heu­te gewiss nicht mehr auf. Sie schei­nen mir ohne­hin für den Tag hin­läng­lich scho­ckiert. Auch hab ich bald Vor­le­sung. Dafür muss ich das eben Gesag­te noch ein wenig aka­de­misch ver­klau­su­lie­ren, d.h. weit­hin unver­ständ­lich machen. Sonst gel­te ich als nicht aus­rei­chend seri­ös oder kom­me gar wegen ket­ze­ri­scher Rede auf den Index. Also, bis nächs­tes Mal!“

Und fort war sie.

 

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