Der “Westen” in Gestalt der USA hat der ihm mißliebigen, im Bürgerkrieg befindlichen Assad-Regierung eine rote Linie gezogen, die diese nicht überschreiten dürfe, den Einsatz von Giftgas. Dieser Einsatz soll jüngst erfolgt sein – in Vororten von Damaskus und während Giftgas-Kontrolleure der UN bereits im Land waren. – Wer das Gas gegen Zivilisten eingesetzt habe, die Regierung oder die Rebellen, darum allerdings soll es bei den jetzt durch die Inspektoren erfolgenden Untersuchungen nicht gehen. Von Belang sei nur, DASS Nervengas nachzuweisen wäre.
Sicher, es liegt längst nicht alles zutage; und vermutlich ist eine eindeutige Klärung nicht im Interesse des “Westens” – schon gar nicht, solange es Entlastungsgründe für die Assad-Regierung gibt. Aber die kritische Öffentlichkeit sollte diesmal aufmerksamer sein, weil sich die Abläufe gleichen. Man erinnere sich der Szenarien vor der Bombardierung „Rest-Jugoslawiens“, an die Vorbereitung der Intervention in den Irak, in mancher Hinsicht auch an die „Befreiung“ Libyens.
Die Legitimierung des Angriffs auf “Rest-Jugoslawien” erfolgte maßgeblich durch Verweis auf das angebliche Massaker von Rugovo im Januar 1999. Der damals vor Ort befindliche OSZE-Beobachter Henning Hensch entlarvte längst, was Verteidigungsminister Rudolf Scharping damals der Presse bot. Es gab kein Rugovo-Massaker. Aber es gab maßgeblich daraufhin die Bombardierung jugoslawischer Städte durch die NATO, einvernehmlich mit einer rot-grünen Bundesregierung und getragen von der Kampf-Argumentation ihres Außenministers Joschka Fischer: “Nie wieder Krieg, nie wieder Auschwitz.” Die anderen also vergleichen durchaus. Deswegen wurde der Angriff ohne UN-Mandat – völkerrechtswidrig – als ethisch voll gerechtfertigt dargestellt.
Genau so, wie es der britische Verteidigungsminister William Hague jetzt fordert. Man wisse genug. Es bedürfe längst keiner weiteren Bestätigungen oder Legitimierungen mehr. – Die Peinlichkeit, in Gestalt von Colin Powell den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen belogen zu haben, ist gut erinnerlich. Solche Umstände erspart man sich lieber. Powell selbst hat seine damalige Lügerei längst bedauert und ist politisch offenbar ein gebrochener Mann.
Man abstrahiere also: Es wird immerfort ethisch, menschenrechtlich, humanitär im Sinne universeller Normen argumentiert, um solcherart eine Mimikry herzustellen, hinter der sich rein pragmatisch-strategische Absichten verbergen. Ich unterstelle: Man will kein Volk retten, das angeblich von einem entgrenzten Diktator hingeschlachtet wird, der sogar in seiner eigenen Hauptstadt und quasi schon unter Beobachtung Giftgasgranaten verschießen läßt. Man will in diesem Fall die antiamerikanische Restkonstellation Syrien-Hisbollah-Iran treffen will, um gleichzeitig Rußland zu schwächen. Selbst um den Preis, einen sunnitischen Extremistenstaat herbeizubomben.
Was hier geschieht, folgt eben nicht Kants „Ewigem Frieden“, sondern als Globalstrategie Carl Schmitts Freund-Feind-Theorie der reinen Sachlichkeit. Man kann das auch früher bei Thomas Hobbes und Niccolo Macchiavelli nachlesen. Nur daß dergleichen Orientierung gerade von deutscher Politik reflexartig verneint würde.
Das Problem der Politik: Sie biegt sich Semantiken hin und vermeidet klare Rede über ihre eigentlichen Ziele. Wie wir lesen können, geht es nicht um Beweise; es geht vielmehr um Zuschreibungen und viable Konstruktionen zugunsten eigener Zweckdienlichkeit. Widerlich ist das vor allem deswegen, weil “der Westen” als Moralapostel auftritt. Und sich der Begriffe bedient, wie sie ihm passen. Daß die USA ihre Geschichte mit einer “ethnischen Säuberung” – gerichtet gegen die Indianer – begannen, wird ihnen selbst nie als eine solche oder gar als ein “Völkermord” gegolten haben. Ebensowenig wie alles andere, was für sie Mittel heiligt. Das Vorgehen der Serben bzw. der noch-jugoslawischen Armee gegen eine islamische und kriminelle Guerilla schon. Die Warlords dieser Guerilla regieren jetzt den Kosovo.
Sicher, Krieg ist – nach Clausewitz – die Fortsetzung von Politik mit andern Mitteln. Will man das, kann man es so ausdrücken. Und diskutieren. Es bedarf dazu nicht der Instrumentalisierung von Moral. Die Lüge im Gewand des moralischen Zieles war immer die peinlichste.
(Bildnachweis: Sendeturm Gleiwitz, Flickr/Jan Utecht)
Wurstblume
Wir leben in einer multipolaren Welt, in der jeder für sich das beste herauszuholen versucht. USA, Türkei, England, Saudi-Arabien & Co sollen tun, was sie für richtig halten.
Aber bitte nicht mit unserer Unterstützung. Das friedensbewegte Deutschland hat einen "guten" Krieg entdeckt, in dem Gut und Böse endlich mal klar verteilt sind. Danke, wann hat man das schon mal. Dementsprechend gibt es eine kriegsfreundliche Einheitsfront der pazifistischen friedensnahen Parteien (also alle), die dafür sorgt, dass USA und Türkei ihren Vasallenstaat Syrien bekommen. Die Minderheiten in Syrien tun mir leid, und auch Europa wird noch "was auf die Fresse" bekommen, denn die neuen Vasallen werden nicht lange Vasallen bleiben.