In säkularen Gefilden feiert man das schon mal Ende August. Und es ist wirklich schon das meiste abgeerntet, ganz abrupt, riesige Flächen sind nach ein, zwei Tagen abgeräumt, leergeräumt.
Wenn Gülle ausgebracht wird, in unseren Breiten also die Massentierhaltungsscheiße, ist der Rucksack des Fahrzeugs gigantisch, und es sind dicke Schläuche, die die Verdauungsreste des Hochleistungsfutters auf´s Feld bringen. Heute sah ich dünne Arme, weit auskragend, und die Tönnchen auf den Maschinen waren fast zierlich. Heißt: Fenster zumachen, die spritzen Gift. Der Acker sah noch fast kahl aus, es dürfte die erste Spritzkur für Wintergerste gewesen sein. Es ist also Herbst, die Meteorologen wissen das seit einer Woche.
Die Krippenspielverantwortliche der Gemeinde fragte gerade nach, wer von den Kindern dieses Jahr mitmache. Sei ja bald wieder soweit; das Einstudieren beginne demnächst.
Und unsereins tut so, als sei Hochsommer. Um Mittag zeigte das Thermometer 29 Grad (Schatten), ich packte die Kinder samt Hausaufgaben und Gummiboot ein, es ging zum Badesee. Die Schwimmbereichbegrenzungsbojen waren bereits abgeräumt, das große Trampolin im Wasser auch. Der Aussichtsschuppen des Bademeisters auf angeschütteter Höhe war leer. Die mittleren Kinder verschwanden mit dem Boot, und zwar für eine geschlagene Stunde. Außer Sichtweite! Die sommerliche Bojenschnur ums sechsfache, mindestens, überrudert! Ohne Absprache! Nach dem Badebereich knickt der See ab, das Dahinter haben wir nie erforscht.
Wo sie waren, in der Zeit, während ich, nach einer Stunde etwas nervös geworden, durch Schilfdickicht und durch stachliges Ufergrün watete, wespengestochen und wasserleichenerwartend?
„Wir waren im Geheimen Deutschland“, strahlen der verlorene Sohn und die verlorene Tochter. Der See sei nach dem Knick jenseits der Badestelle „fast so groß wie der Bodensee“. Sie hatten Abenteuer erlebt, ungeahnte. Seien kurz im Algendickicht gestrandet, hätten um ihr Leben gerudert. Ein Bläßhuhn habe der Tochter beim Aufflattern die Wange gestreift, und zwar so richtig. Es gab eine Schramme auf der Wange (mehr Dreck als Schramme), es gab Tränen, es gab kein Eis für die beiden. Da bin ich hart. Sie hatten das Geheime Deutschland gesehen, was brauchten sie noch weitere Süßigkeiten?
Die Mutter hingegen, ich also, war während des Kinderausflugs in die Weltfremde in einem anderen Teil des Geheimen Deutschland gewesen. Vor dem Besorgtsein, vor dem Leichensuchgang. Die Dreizehnjährige nämlich hatte statt einer Bootstour Hausaufgaben vor sich. Das ging rasch. Nach der Pflicht die Kür, nämlich Lektüre des gerade ausgeliehenen Büchleins „Rassismus. Die 101 wichtigsten Fragen“. Die Tochter interessiert sich sehr für solche Fragen. Das schmale Bändchen ist weder in einem Antifa-Verlag (sondern bei C.H. Beck) erschienen noch von einer hyperambitionierten Studentin ohne andere Sorgen verfaßt worden. Die Autorin, Susan Arndt, ist Professor; mit einem namhaften Historiker hat sie vier Kinder.
Die Tochter liegt mit dem Buch im Sand und zitiert mir Satzfetzen. Das Titelbild zeigt ein Photo von 1940. Ein schwarzhäutiger Mann steht vor einem Filmplakat. Er äugt, mehr lässig als verzweifelt, auf das Plakat, das eine Weiße zeigt, Greta Garbo. Über dem Mann kündet eine Wandtafel: Colored Balcony + Open + Saturday Sunday. Heißt: am Wochenende dürfen farbige Menschen in diesem Kino auf dem zweiten Rang Filme ansehen. Die Fiesheit der Szenerie ist unübersehbar. Anscheinend ist weder Samstag noch Sonntag, und der junge schwarze Mann muß draußenbleiben.
Die Autorin aber ärgert sich im Vorwort wie verrückt darüber, daß der Verlag dieses Coverfoto ausgewählt hat. Denn: Es steht „im Widerspruch zu einer zentralen Grundthese dieses Buches, nämlich der, dass Reproduktionen rassistsicher Annahmen, Worte, Handlungen, Strategien, in welcher Absicht auch immer, nicht zu rechtfertigen sind.“
Daß vom Verlag ein Motiv aus den USA genommen wurde, stört die Autorin zusätzlich. Als gäbe es in Deutschland weniger Rassismus! Ein Problem ist auch, daß der Photograph ein weißer Mann ist. Und daß er den Schwarzen wie „lüstern“ wirken läßt. Zumindest die Autorin empfindet es so: Daß hier der „rassistische Mythos“ dargestellt würde, wonach „Schwarze Männer“ [“schwarz” wird großgeschrieben, “weiß” nicht] „sexuell hyperaktiv seien“.
Die Tochter lacht verlegen. Es ist ja kein Kinderbuch.
Die Tochter liest Frage 3 vor: „Wieviele Hautfarben gibt es?“ Antwort: „´Hautfarben´ sind nicht von Natur aus sichtbar, sondern wir sehen sie, weil Rassismus dieses sehen erfunden und instrumentalisiert hat.“
Die Tochter findet Gefallen an dem Buch. Es ist entzückend, süß und hochengagiert geschrieben. Ich soll, wie in einem Quiz, die Antworten zu ein paar der 101 Fragen erraten.
„Ist Barack Obama ein ‘Farbiger´?“ Nein, das sagt man so nicht. Das Wort definiere Menschen über ihre Hautfarbe, wobei für den Wortnutzer Sommersprossen und dergleichen keine Rolle spielten. „Will man sich dem Rassismus sprachlich entgegenstellen, so stehen viele Ersatzbegriffe zur Verfügung, darunter Schwarze und People of Color.“
Weiter zu Frage 48: „Wer befreite Deutschland vom Nationalsozialsmus?“ Antwort: Es sei „besonders in Deutschland nicht annähernd angemessen gewürdigt worden, daß an der Befreiung vom Nationalsozialismus „Millionen Schwarze beteiligt waren.(…) Das gilt analog auch für Millionen Asiat_innen, Australier_innen und Amerikaner_innen.“ Wir staunen.
Und staunen weiter. Lassen uns von der Professorin erklären, warum der Jakobsweg in die Reconquista führt und daß das Pilgern ebendort noch heute einer pan-christlichen Parteiergreifung gleiche. Und inwiefern der Gang auf diesem Weg mit Antiislamismus, Judenfeindlichkeit und kolonialem Rassismus verzahnt sei.
Weitere Fragen:
- Kann Naturschutz rassistisch sein? (Ja, „leider“.)
- Ist es rassistisch, Schwarzen in die Haare zu fassen? (Klar. Seltsame Antwort auf diese seltsame Frage: „Wenn einem gesagt wird, ich möchte deine Haare anfassen, weil ich neugierig auf sie bin, dann heißt das auch: Du siehst gar nicht aus wie ich, ich aber sehe ’normal’ aus.“)
- Ist die Emma rassistisch? (Und wie!)
- Dürfen Kinder I.-Bücher lesen? Besser nicht. Die Professorin schreibt I., weil sie das rassistische Wort, das mit –ndianer endet, nicht schreiben mag: „An einem Elternabend wollte ich andere Eltern davon überzeugen, daß Kinder diese I.-Bücher nicht benötigen. Nur wenige verstanden, was ich meinte.“
Taucht man ordentlich tief ein in den Antirassismus-Tümpel, wird es höllisch schwer, sich nicht zu verstricken. Algendickicht überall, lauter Schlingpflanzen, die nur drauf lauern, Sprecher_inn hinabzuziehen ins den finsteren Orkus des Rassismus.
„Afrikaner_innen können schnell rennen“: ein rassistischer Satz.
Die Frage: „Wo kommst du her?“: rassistisch, falls, beispielswiese auf einer Party an eine Person of Color gerichtet. Denn diese Frage
nervt, weil dahinter kein Zufall, sondern ein ständig wiederbelebtes Prinzip steht, das sich spätestens dann zu erkennen gibt, wenn eine Antwort wie „aus Berlin“ die fragende Person nicht befriedigt, sondern zu der Nachfrage veranlasst : „Ja, aber ich meine, wo kommst du denn eigentlich her? Die Frage „wo kommst du her?“ beinhaltet in diesem Kontext [Party-Kontext; kein derbes Anquatschen auf der Straße!, EK]: „Du siehst so aus, als seist du nicht aus Deutschland. Bist du schon hier geboren? Du fällst (mir) auf, weil du nicht weiß bist. Wo kommen denn deine Eltern her? Wie lange bleibst du?“
Ich lese, Rassismus sei unser kollektives Erbe.
„In allem, was wir wissen, steckt ein Stück rassistische Wissensgeschichte. Egal, ob wir Pippi Langstrumpf oder die Bibel lesen, Herr der Ringe sehen, Mozart oder Hip Hop hören, immer befinden wir uns in einer Geschichte, die der Rassismus uns erzählt.”
In Kunst, Literatur und Wissenschaft habe „Rassismus aktive Fürsprecher_innen“ gefunden. Er habe sich überall „eingenistet“, in Medien, Schulbüchern, Universitäten, Apotheken, Lebensmitteln und Gesetzen. „Es gibt keinen Ort, an dem Rassismus nicht ausgemerzt werden müßte.“
Die Tochter kichert und blättert vergnügt weiter. Das sei echt witzig! Gut gemacht! Ich entgegne, soo lustig sei das auch nicht.Leute wie die Autorin verstünden vermutlich wenig Spaß. Die nähmen ihre Sache, ihr Ausmerzungs-Anliegen bierernst.
Mir wurde klar, daß wir unter zwei ganz unterschiedlichen Vorraussetzungen geschmökert hatten. Die Tochter ging im Ernst davon aus, daß das eine Satirenummer sei. Sie will mir bis jetzt nicht glauben, daß der Band sich als ernsthafter Ratgeber versteht. Wer sollte denn solch ein Büchlein als Lachnummer konzipieren? Irgendwelche abgedrehten Rechten, oder was?
Sie: „ Quatsch. Das ist doch einfach feinster Humor. Total überspitzt, total überdreht. Die Sache wird doch damit auf den Arm genommen. Keine Ahnung, vielleicht die Leute von der Titanic? Harald Martenstein?“
Ha-ha-ha.
Dann machte ich mich auf die Suche nach den verschollenen Bootsflüchtlingen.
Ich halte meine Tochter für weltfremd, es ist natürlich ihrem Alter geschuldet. So herrlich weltfremd wie dieser Tag; so tun, als wär Hochsommer, dabei steht der Winter fast schon vor der Tür.
Marcus Junge
Oh Ihre Tochter hat das schon richtig erfaßt. Fast alles was die offizielle BRD so treibt, ist doch in dieser Art zu betrachten, entweder man kann (noch) darüber lachen (oder schon wieder?) oder man kann nur noch, ob des allgemein hofierten Wahnsinns, weinen oder man will wild um sich schlagen, um diesen Irren Moses zu lehren.
Wirklich wichtig ist doch dabei nur eines, sie nimmt das Schwachmatentum, verfaßt von einer Professorin aus dem Elfenbeinturm der Gender/Rassismus-Tanten, in keiner Weise ernst. Damit zeigt Ihre Tochter mehr Hirn und Vernunft, als die gesamte Antifa, 95% der Medien und 99% "unserer" Politiker.
Ich wünsch mir oft genug, ich könnte darin auch (noch) Satire sehen.