45. Todestag Romano Guardini

(Text aus dem Band Vordenker des Staatspolitischen Handbuchs, Schnellroda 2012.)

von Harald Seubert

Guardini wurde als Sohn einer aus Südtirol stammenden Mutter und eines italienischen Geflügelgroßhändlers geboren. 1886 übersiedelte die Familie nach Mainz, wo Guardini das humanistische Gymnasium absolviert.

Nach Stu­di­en der Che­mie und Natio­nal­öko­no­mie ent­schied er sich, zusam­men mit dem Jugend­freund Karl Neun­dör­fer, Theo­lo­gie zu stu­die­ren. Roma­no Guar­di­nis lebens­lan­ger Freund, Josef Wei­ger, gehör­te mit in den Tübin­ger Freund­schafts­kreis, der glei­cher­ma­ßen von einer Neu­an­eig­nung des gro­ßen katho­li­schen Erbes und den geis­ti­gen und ästhe­ti­schen Gärun­gen und Bewe­gun­gen der Zeit vor dem Ers­ten Welt­krieg bestimmt war.

1915 pro­mo­vier­te Guar­di­ni über Bona­ven­tura, 1922 habi­li­tier­te er sich über den­sel­ben Kir­chen­leh­rer. In den nächs­ten Jah­ren war Guar­di­ni an maß­geb­li­cher Stel­le in der katho­li­schen Jugend­be­we­gung tätig, vor allem im Quick­born mit dem Zen­trum der Burg Roth­fels. Neben einer Neu­ge­stal­tung der gesam­ten Lebens­füh­rung bil­de­te die Reform der Lit­ur­gie, wobei dem Logos ein ver­stärk­tes Gewicht gewid­met sein soll­te, einen Schwer­punkt der Neu­ori­en­tie­rung. Bis 1939 such­te Guar­di­ni die Burg Roth­fels als eine Gegen­welt zu bewah­ren, auch wenn er seit 1934 bespit­zelt wur­de. Er woll­te sie zu einer christ­li­chen Aka­de­mie for­men, was bis zu der erzwun­ge­nen Schlie­ßung auch weit­ge­hend gelin­gen sollte.

Bereits 1923 erhielt Guar­di­ni den neu­errich­te­ten Lehr­stuhl für Christ­li­che Welt­an­schau­ung an der Ber­li­ner Fried­rich-Wil­helms-Uni­ver­si­tät. Die Titu­la­tur, die auch sei­nen spä­te­ren Mün­che­ner Lehr­stuhl prä­gen soll­te, war Pro­gramm: Inmit­ten des pro­tes­tan­tisch gepräg­ten Ber­lin soll­ten­die Grund­phä­no­me­ne und Kräf­te der eige­nen Zeit aus christ­li­cher Per­spek­ti­ve gedeu­tet wer­den, im Sinn einer frei­en, auch ästhe­tisch hoch­ge­bil­de­ten Katho­li­zi­tät, die die gro­ßen Tra­di­tio­nen neu aneig­ne­te. Der Welt­an­schau­ungs­be­griff folg­te dabei den geis­ti­gen und metho­di­schen Vor­ga­ben der her­me­neu­ti­schen Schu­le von Dil­they bis Troeltsch. Die Ein­lö­sung zeig­te sich in den mor­pho­lo­gisch sou­ve­rä­nen Deu­tun­gen Guar­di­nis, die von der Patris­tik, von Augus­ti­nus zu Pla­ton zurück­rei­chen, wobei er aber die tho­mis­ti­sche Tra­di­ti­on nicht ver­leug­ne­te. Ein poly­pho­nes Wahr­heits­ver­ständ­nis, das zugleich auf den abso­lu­ten Grund gerich­tet ist, bil­det gleich­sam die Mit­tel­ach­se aller Arbeiten.

Schon in den frü­hen drei­ßi­ger Jah­ren kri­ti­sier­te Guar­di­ni den inner­welt­li­chen Mes­sia­nis­mus des NS-Regimes; er ver­wies auf den unlös­ba­ren Nexus zwi­schen jüdi­scher Reli­gi­on und christ­li­chem Glau­ben, der sich schon aus der Exis­tenz Jesu erge­be. In den bei­den letz­ten Kriegs­jah­ren leb­te Guar­di­ni zurück­ge­zo­gen in Moos­hau­sen, dem Pfarr­ort sei­nes Freun­des Wei­ger. Erst nach 1945 konn­te er sei­ne öffent­li­che Wirk­sam­keit wie­der auf­neh­men, zunächst in Tübin­gen und drei Jah­re spä­ter mit der Beru­fung auf das per­sön­li­che Ordi­na­ri­at in Mün­chen. Von hier aus ent­fal­te­te Guar­di­ni in den nächs­ten Jah­ren eine gro­ße Wirk­sam­keit. Sein vir­tuo­ser und zugleich zurück­ge­nom­me­ner Vor­trags­stil wirk­te weit in das Bür­ger­tum hin­ein. In gro­ßen Zyklen, die sich stets der exis­ten­ti­el­len Dimen­si­on des Den­kens aus­setz­ten, inter­pre­tier­te er Pla­ton, Augus­ti­nus, Dan­te, Pas­cal, Kier­ke­gaard, Dos­to­jew­ski und Höl­der­lin. Im Zen­trum eines lang­jäh­ri­gen Vor­le­sungs­zy­klus stand aber die Ethik, bei Guar­di­ni ver­stan­den als umfas­sen­de Leh­re von der Kunst der Lebens­ge­stal­tung. Ergän­zend dazu wirk­te er als über­zeu­gen­der, auf die Stun­de hören­der Pre­di­ger und Lit­urg in der St.-Ludwigs-Kirche bei den Mün­che­ner Universitätsgottesdiensten.

1950 erschien die glei­cher­ma­ßen essay­is­tisch prä­gnan­te und weg­wei­sen­de Stu­die Das Ende der Neu­zeit. Guar­di­ni sieht die anti­ke und mit­tel­al­ter­li­che Welt­sicht durch eine grund­sätz­li­che Geschlos­sen­heit und Ord­nung, nicht zuletzt durch eine Har­mo­nie gekenn­zeich­net, von der sich die Neu­zeit ablöst. Die­se Tren­nung vom Gött­li­chen und Hypo­sta­se des End­li­chen ber­ge immense Gefah­ren. Man hat dies als Ableh­nung der Neu­zeit miß­ver­stan­den. Deren Res­sour­cen sieht Guar­di­ni in der Tat an ihr Ende gelangt. Er eröff­net aber zugleich eine künf­ti­ge Per­spek­ti­ve: auf den Glau­ben, der in der Moder­ne sei­ne Selbst­ver­ständ­lich­keit ver­lo­ren hat und damit ein neu­es escha­to­lo­gi­sches Bewußt­sein ermöglicht.

Ins­ge­samt ist Guar­di­ni nur zu ver­ste­hen, wenn man sei­nen janus­köp­fi­gen Blick, zurück in die Ver­gan­gen­heit und in die offe­ne nach-neu­zeit­li­che Zukunft vor­aus, wür­digt. Grund­le­gend für Guar­di­nis phi­lo­so­phi­sche Mor­pho­lo­gien und Phä­no­me­no­lo­gien ist sei­ne Gegen­satz­leh­re (u. a. 1925 und 1955 in ver­schie­de­nen Fas­sun­gen vor­ge­legt). Der Gegen­satz ver­weist auf das unver­füg­ba­re Gesetz der Pola­ri­tät und unter­schei­det sich damit eben­so von der spe­ku­la­ti­ven Dia­lek­tik Hegels wie auch von der Dia­lek­tik der Para­doxa­li­tät bei Kier­ke­gaard und in der Exis­tenz­phi­lo­so­phie. Vom ein­zel­nen Phä­no­men sucht Guar­di­ni in einem glei­ten­den Über­gang auf das umgrei­fen­de Gan­ze zu gelan­gen und umge­kehrt. Gegen­sätz­lich­keit ist ihm zufol­ge »unab­leit­bar«, weil ihre Pole nicht aus­ein­an­der zu dedu­zie­ren und auch nicht auf­ein­an­der zurück­zu­füh­ren sind. Über­dies bedarf der Begriff der Anschau­ung und umge­kehrt. Guar­di­ni sah sich selbst bewußt eher am Ran­de der aka­de­mi­schen Welt (es wird berich­tet, daß er das Hör­saal­ge­bäu­de, als Aus­druck von Distanz und Respekt glei­cher­ma­ßen, vor jeder Vor­le­sung umrun­de­te). So übte er eine legen­dä­re Strahl­kraft auf unter­schied­li­che Geis­ter, von Han­nah Are­ndt bis Vik­tor von Weiz­sä­cker, aus, hat­te aber im enge­ren aka­de­mi­schen Sinn kaum Schüler.

Guar­di­nis Denk­stil war wesent­lich künst­le­risch bestimmt, wes­halb er in den spä­ten Jah­ren auch in der Mün­che­ner Aka­de­mie der Schö­nen Küns­te eine her­aus­ge­ho­be­ne Wir­kungs­stät­te fin­den soll­te. In sei­ner Mün­che­ner Zeit wand­te sich Guar­di­nis Deu­tungs­kunst auch Phä­no­me­nen wie dem Film zu. Wenn er schon mit der Schrift Der Hei­land 1935 eine pro­fun­de christ­li­che Kri­tik der NS-Ideo­lo­gie vor­ge­legt hat­te, so konn­te er dar­an 1950 mit der Unter­su­chung Der Heils­brin­ger anknüp­fen, einer bahn­bre­chen­den Stu­die für das Ver­ständ­nis von tota­li­tä­ren Ideo­lo­gien als Poli­ti­sche Reli­gio­nen. Wenig bekannt ist Guar­di­nis Bemü­hung um ein hegen­des »Ethos der Macht«, das gegen­über den anony­men Mäch­ten zur Gel­tung zu brin­gen sei, die sei­ner Dia­gno­se gemäß immer deut­li­cher zuta­ge tre­ten, das aber auch die cha­ris­ma­ti­sche Macht und Herr­schaft zu domes­ti­zie­ren weiß.

Schrif­ten: Von hei­li­gen Zei­chen, Würz­burg 1922; Der Gegen­satz. Ver­su­che zu einer Phi­lo­so­phie des Leben­dig-Kon­kre­ten, Mainz 1925; Christ­li­ches Bewußt­sein. Ver­su­che über Pas­cal, Leip­zig 1935; Der Herr. Betrach­tun­gen über die Per­son und das Leben Jesu Chris­ti, Würz­burg 1937 (16. Aufl. 1997); Welt und Per­son. Ver­su­che zur christ­li­chen Leh­re vom Men­schen, Würz­burg 1939; Der Tod des Sokra­tes, Bern 1945; Das Ende der Neu­zeit. Ein Ver­such zur Ori­en­tie­rung, Mün­chen 1950; Die Macht. Ver­such einer Weg­wei­sung, Mün­chen 1951; Ethik. Vor­le­sun­gen an der Uni­ver­si­tät Mün­chen, hrsg. v. Hans Mercker, 2 Bde., Ost­fil­dern 1993.

Lite­ra­tur: Bert­hold Ger­ner: Roma­no Guar­di­ni in Mün­chen. Bei­trä­ge zu einer Sozi­al­bio­gra­phie, 3 Bde., Mün­chen 1998–2005; Franz Hen­rich: Roma­no Guar­di­ni, Regens­burg 1999; Mar­kus Zim­mer­mann: Die Nach­fol­ge Jesu Chris­ti. Eine Stu­die zu Roma­no Guar­di­ni, Pader­born 2004.

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