weniger Aufmerksamkeit wird dagegen ihrem ideologischen Überbau gewidmet. Der an Orwell geschulte Leser wird aufhorchen, wenn er erfährt, daß es in Paris einen “Rat für Toleranz und Versöhnung” gibt, der dem EU-Netzwerk angehört, und der genau das ist, wonach er klingt.
Dieser “European Council for Tolerance and Reconciliaton” (ECTR) hat einen Entwurf vorgelegt, dessen Richtlinien “in den europäischen Staaten gesetzlich verankert werden” sollen. Es handelt sich dabei um ein weiteres “Antidiskriminierungs”-Programm, das “Toleranz” mit intoleranten Mitteln fördern soll.
Ein kritischer Artikel auf heise.de berichtet:
Ein bislang unbeachtetes Europäisches Rahmenstatut zur Förderung der Toleranz sieht in Sektion 2e vor, dass die EU “konkrete Maßnahmen” ergreift, um Rassismus, Vorurteile nach Hautfarbe, ethnische Diskriminierung, religiöse Intoleranz, totalitäre Ideologien, Xenophobie, Antisemitismus, Homophobie und “Anti-Feminismus” zu “eliminieren”.
Während die meisten Begriffe in der Liste inzwischen derart etabliert sind, daß ihre ideologische Herkunft und Färbung nicht mehr auffällt, ist den Autoren ein verdächtiger Lapsus widerfahren, nicht nur in dem Wörtchen “eliminieren”:
Der letztgenannte dieser Begriffe stößt unter anderem deshalb auf Kritik, weil es sich beim Feminismus um keinen der genetisch oder kulturell determinierten Gruppenmerkmale handelt, sondern um eine politische Ideologie. Hätten die Verfasser des Papiers gewollt, dass nicht die Kritik am Feminismus, sondern an Frauen als Gruppe eliminiert werden soll, dann hätten sie den Begriff “Misogynie” verwenden müssen.
Und selbst dieser Begriff wäre dehnbar genug gewesen, um seinen Zweck zu erfüllen. Der Autor kommentiert weiter:
Ob eine “Eliminierung” von Kritik, wie sie das auf dem Server des Europaparlaments gehostete Papier fordert, mit dem deutschen Grundgesetz vereinbar wäre, ist ausgesprochen fraglich: Das liegt zum einem am Artikel 5 der Verfassung, in dem die Meinungs‑, die Presse‑, die Kunst- und die Wissenschaftsfreiheit geschützt sind. Werden diese Grundrechte eingeschränkt, dann müssen höherwertige Schutzgüter betroffen sein. Zum anderen könnten sich andere politische Ideologien wie die Sozialdemokratie, der Ökologismus, der Libertarismus oder der BüSo-Keynesianismus auf den Gleichheitsgrundsatz aus Artikel 3 des Grundgesetzes berufen und fordern, dass auch die Kritik an ihnen verboten wird.
Und das sind bei weitem nicht die einzigen Falltüren des Statuts. Auch an anderen Punkten ist es genauso doppelzüngig und verlogen, so sprachlich und gedanklich vermatscht und verwaschen, wie man es von totalitären Gehirnwäschereien gewohnt ist. Eingeleitet wird es durch eine pathetische Litanei, fast schon im Stil der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung:
Weil der Respekt für die menschliche Würde auf der Anerkennung der menschlichen Vielfalt basiert und dem eingeborenen Recht jeder Person, anders zu sein;
Weil die Toleranz Offenheit für ungewöhnliche Ideen und Lebensentwürfe fordert;
Weil das Prinzip der Toleranz das Gegenteil jeder ungesetzlichen Diskriminierung bedeutet;
Weil die Toleranz eine vitale Rolle für das Gelingen der Koexistenz verschiedener Gruppen innerhalb einer einzigen nationalen Gesellschaft (single national society) spielt,
“Gruppe” bedeutet hier, um das festzuhalten:
Eine Anzahl von Menschen, die durch rassische oder kulturelle Wurzeln, durch ethnische Herkunft oder Abstammung, durch religiöse Zugehörigkeit oder sprachliche Bande, durch Geschlechtsidentität oder sexuelle Orientierung, oder andere Merkmale ähnlicher Natur miteinander verbunden sind.
Weiter im Text:
Weil eine solche Koexistenz das Gefüge einer nationalen Gesellschaft bereichert und stärkt, sollte sie nicht die grundlegende Identität dieser Gesellschaft oder ihrer Werte, ihrer Geschichte, ihrer Hoffnungen und Ziele beeinträchtigen
Weil Integration in eine einzige nationale Gesellschaft nicht Assimilation bedeutet;
Weil Koexistenz und Kooperation in einer demokratischen Gesellschaft voraussetzt, daß die Individueen und Gruppen einander wechselseitige Zugeständnisse machen;
Weil der Respekt für die unterschiedlichen Merkmale verschiedener Gruppen die gemeinsame Bande einer verantwortlichen Staatsbürgerschaft in einer demokratischen und offenen Gesellschaft als Ganzes nicht schwächen darf;
… müssen sich die Sozialingenieure und Umerzieher ans Werk machen. Was nichts anderes bedeutet, als daß der Staat alle Probleme lösen soll und aktiv eingreifen, um die “Intoleranz” zu “eliminieren”. So will das Statut die Regierungen dazu verpflichten, sicherzustellen, daß “Intoleranz” weder in “vertikalen” (Staat-Individuum) noch in “horizontalen” (Individuum-Individuum) Beziehungen praktiziert wird.
Wie das dann konkret aussehen soll, beschreibt der Autor von heise.de so:
Sieht man sich weitere Punkte aus dem Papier an, dann wirkt zudem die Forderung nach einer Eliminierung von “totalitären Ideologien” etwas paradox. So ist in Sektion 1b beispielsweise davon die Rede, dass es zukünftig schon als “Verleumdung” gewertet werden soll, wenn sich jemand über eine der aufgeführten Gruppen lustig macht. Und in Anmerkung 3 zu Sektion 3 betont man, dass dieser Toleranzzwang nicht nur für den Umgang von Regierungen mit Bürgern, sondern auch für den Kontakt aller Individuen untereinander gelten müsse. Sektion 6c verlangt, dass neue Behörden eingerichtet werden, die dies überwachen. Sektion 7 fordert, dass Verstöße nicht als einfache, sondern – strafverschärfend – als “qualifizierte” Straftaten gelten sollen (wie beispielsweise gefährliche Körperverletzung). Jugendliche Täter sollen in speziellen Programmen zu einer “Kultur der Toleranz” umerzogen werden. Sektion 8 regelt, dass die Vorgaben bereits in den Grundschulen Teil des Unterrichts werden und Sektion 9 schreibt den Radio- und Fernsehsendern Mindestprogrammanteile vor, in denen sie das “Klima der Toleranz” verbreiten sollen.
Das schmeckt natürlich alles mehr nach Nordkorea als nach “Toleranz”. Dies ist die natürliche Folge der Aporien, die sich aus einer rein liberalen Gesellschaftstheorie ergeben. Da wird zum Beispiel folgendes Recht “garantiert”:
Freiheit des Ausdrucks, inklusive der Freiheit, Informationen zu suchen, zu erhalten und weiterzugeben, ungeachtet von Landesgrenzen, sowohl mündlich, als auch schriftlich, in gedruckter Form, im Rundfunk oder in elektronischen Medien (inklusive des Internets).
Klingt supergut, aber dann kommen die “Einschränkungen”, die “für eine demokratische Gesellschaft notwendig” sind. Etwa “Nationale oder internationale Sicherheit”:
Die Toleranz darf nicht mißbraucht werden, um Terrorismus oder die Subversion des nationalen und internationalen Friedens und der Sicherheit zu propagieren.
Dann: “Öffentliche Ordnung” – Demonstrationen dürfen nicht in Unruhen ausarten, die “Notwendigkeit der Verbrechensbekämpfung” verlangt, daß Menschen nicht in der Öffentlichkeit ihr Gesicht bedecken dürfen, auch sollten “Gotteshäuser” (“places of worship”) nicht an bestimmten sensiblen Orten errichtet werden.
Nächster Punkt: “Öffentlichkeitspolitik” und “öffentliche Moral”. Das ist nun besonders interessant:
Toleranz bedeutet nicht, daß sich eine Gruppe von der Gesellschaft als Ganzes isolieren darf, und sich damit der Notwendigkeit des Austausches mit anderen Gruppen entzieht.
Toleranz bedeutet nicht, daß Praktiken wie weibliche Genitalbeschneidung, Zwangsverheiratung, Polygamie oder jegliche Form der Ausbeutung und Domination von Frauen geduldet werden dürfen.
Und schließlich: “Schutz der Rechte und Freiheiten anderer”.
(i) Toleranz ist keine Einbahnstraße. Mitglieder einer Gruppe, die von der Toleranz profitieren wollen, müssen diese ihrerseits sowohl der Gesellschaft als Ganzes entgegenbringen, als auch Mitgliedern anderer Gruppen und den Dissidenten und Mitgliedern der eigenen Gruppe.
(ii) Es gibt keinen Grund für Toleranz gegenüber den Intoleranten. Das ist von besonderer Wichtigkeit im Hinblick auf die Freiheit des Ausdrucks (im Original “freedom of expression”, man könnte auch übersetzen: “Meinungsfreiheit”- M.L.). Diese Freiheit darf nicht dazu benutzt werden, andere Gruppen zu diffamieren.
Man kann nun in diesem Statut einerseits eine Orwell’sche Infamie sehen, andererseits ist es wohl auch ein Ausdruck der Hilflosigkeit angesichts der sich häufenden “Integrationsprobleme”. Man will hier eine Gesellschaft auf einer schiefen Ebene aufbauen, und wundert sich, wenn die Gebäude wackeln. In dem Moment werden dann der Staat und der Büttel gerufen, und tausend Paragraphen aufgestellt, um sich als Stützwerk entgegenzustemmen.
Das Dilemma, das solchen Entwürfen zugrunde liegt, ist dieses: einerseits will man von der Idee nicht lassen, daß “diversity” eine ungeheuer prima und alternativlose Sache und eine unglaubliche “Bereicherung” für “die Gesellschaft” ist, andererseits steht man vor dem Problem, daß eben diese “diversity” de facto erhebliche und andauernde Konflikte zwischen den “Mitgliedern” der “Gesellschaft” erzeugt. Das verläuft nach dem Prinzip des englischen Sprichworts: “You can’t have your cake and eat it.” – Entweder man behält den Kuchen, oder man ißt ihn. Entweder man schlachtet das Huhn, oder man läßt es Eier legen. Entweder bleiben die Eier intakt, oder man macht ein Omelett daraus.
Der Grund für diese Sackgassen und Widersprüche ist wie gesagt, daß diesem Modell ein falsches und illusorisches Menschen- und Gesellschaftsbild zugrundeliegt. Man nimmt “Gleichheit” (die meistens unter der Hand mit “Gleichwertigkeit” oder gar “Gerechtigkeit” gleichgesetzt wird) als faktische Grundlage an, paradoxerweise nicht, weil sie eine Tatsache ist, sondern weil sie eine sein soll. Dann wird die “Gleichheit” wieder als Ziel in die Zukunft verlegt. Und wenn sich die Wirklichkeit dann durch die Hintertür anmeldet, wird alles getan, um sie auszusperren. Es paßt also, wie man so schön sagt, hinten und vorne nicht.
Es ist daher auch bezeichnend, daß gleich mehrere Punkte des Statuts offensichtlich gezielt daraufhin ausgerichtet sind, die problematischeren Punkte der muslimischen “diversity” zu kappen, wie dem aufmerksamen Leser nicht entgangen sein wird. Kein Wunder, denn es sind gerade diese “Gruppen”, die sich am meisten dem utopischen Idealbild widersetzen. Generell läuft die Vorstellung der “wechselseitigen Zugeständnisse”, wie es in dem Text heißt, darauf hinaus, daß jede “Gruppe” ihre Eigenarten und Interessen freiwillig stutzt, bis alle in den Koffer passen.Und was nicht paßt, soll dann der Allretter Staat im Prokrustes-Bett passend machen.
Dabei wird als völlig selbstverständlich vorausgesetzt, daß all diese “Gruppen” absolut gleichen Status haben, das heißt also, daß die autochtonen Völker gegenüber den Einwanderern prinzipiell keinerlei kulturelle oder nationale Vorrechte genießen. Damit wird aber nicht mehr “Gleichheit” verwirklicht, sondern schon von vornherein ein erhebliches Ungleichgewicht etabliert, denn in dieser Rechnung haben die Einheimischen mehr zu verlieren als die Zuwanderer. Nicht nur haben sie die Einwanderung “in ihr Haus” zu akzeptieren, sie werden auch noch genötigt, den Gästen ein Opfer zu bringen und sich ihnen teilweise anzupassen.
Wenn in dem Statut von der “grundlegenden Identität einer Gesellschaft”, die “nicht beeinträchtigt” werden soll, die Rede ist, dann klingt das angesichts der weiteren Ausführungen eher wie eine Alibi-Formulierung. Denn ernsthafte Gedanken und Maßnahmen, wie denn diese “grundlegende Identität” erhalten und stabilisiert werden soll, sucht man vergebens.
Und wie soll dieser “Koffer”, in den alle “Gruppen” hineingepackt werden, denn nun aussehen? Die Alternative zur ausdrücklich abgelehnten “Assimilation”, die man sich vorstellt, ist, daß man all die “diversen” Gruppen zu einer Zustimmung zu einem linksliberalen “Toleranz”- und “Antidiskriminierungs”-Programm nötigt, also das Mittel zum Zweck macht.
Und das soll nicht anders gelingen, als durch noch mehr Gesetze, noch mehr Indoktrination, noch mehr Umerziehung. Der Sozialingenieur denkt sich: wenn bloß alle so wären wie ich, dann könnte die “diversity” endlich funktionieren. Sie sind es aber leider nicht, also muß der Stadt eingreifen, um sie dazu zu zwingen und zu erziehen.
Spätestens ab diesem Punkt werden all die schönen “Garantien” der “Grundrechte” ad absurdum geführt und unter der Hand wieder aufgehoben. Da der Begriff der “Toleranz” unscharf gefaßt ist und kaum mehr als Zustimmung zu gewissen linken Gleichheitsformeln bedeutet, kann praktisch jeder beliebige Dissident als “intolerant” klassifiziert werden, gegenüber dem man dann auch “intolerant” sein darf (endlich!). Ähnliches gilt für “die Gefährdung der öffentlichen Ordnung”, den “Terrorismus” usw. Allzu viele “ungewöhnliche Ideen” werden diesen Filter also nicht passieren, eher wird er sicherstellen, daß more of the same auf den Programmzettel der medialen Kanäle kommt.
Faktisch ist es so, daß diese Richtlinien freilich schon längst in mehreren europäischen Ländern umgesetzt werden. Speziell an Großbritannien kann man beobachten, daß dabei in der Praxis keineswegs gleiche Maßstäbe angewandt werden. Die “Antirassismus”- oder “Antidiskriminierungs”-Keule wird fast ausschließlich einseitig eingesetzt, um den Widerstand der Mehrheit gegen die “Diversity”-Politik zu brechen, und sie zu mehr und mehr Zugeständnissen zu erpressen. Der Paragraphen- und Überwachungsterror geht also vorzugsweise gegen die Einheimischen und “ihre Freiheit des Ausdrucks”, vor allem wenn es um die Selbstbehauptung ihrer eigenen Kultur geht. Dagegen werden, was etwa die Moslems betrifft, häufig beide Augen zugedrückt, nicht zuletzt aus Angst vor “Rassismus”-Vorwürfen.
Das ist, was die europäischen Staaten letzten Endes erwartet, wenn sich das ECTR durchsetzt. Hier übrigens die Namen einiger seiner Mitglieder, meistens have-beens, die sich nun anderweitig beschäftigen:
José Maria Aznar, ehemaliger Premierminister von Spanien
Erhard Busek, ehem. Vizekanzler von Österreich
George Vassiliou, ehem. Präsident von Zypern
Vaira Vike-Freiberga, ehem.Präsidentin von Lettland
Rita Süssmuth, ehem. Sprecherin des Deutschen Bundestags;
Göran Persson, ehem. Premierminister von Schweden;
Talât Sait Halman, ehem, türkischer Kulturminister
Aleksander Kwasniewski (Vorsitzender des Rates; ehemaliger Präsident von Polen)
Viatcheslav Moshe Kantor (Co-Vorsitzender, Präsident des Europäischen Jüdischen Kongresses)
Marvin Lederer
Als ich vor mehr als zehn Jahren ein Highschool-Jahr in den USA verbrachte hielt ich das oben erwähnte Sprichwort "You can't have your cake and eat it" für banal und zudem nicht sehr anschaulich. Heute muß ich sagen, daß es kaum eine Weisheit gibt, gegen die mehr gesündigt wird als die, daß man eben nicht zwei Sachen wollen soll die einander ausschließen. Man kann das auch bei sich selbst feststellen, am meisten aber sieht man es in der Politik, ja tatsächlich besteht eigentlich das gesamte zeitgenössische poltitische und leider auch gesellschaftliche Wollen aus unvereinbaren Gegensätzen. Einwanderung UND Sozialstaat, Karriere UND Kinder, Multikulturalität UND Frieden, Freiheit UND Sicherheit und so weiter.