Sie führte den Jüngling aus der Reserve gegenüber dem NS-Staat zur Befürwortung der bundesdeutschen Nachkriegsrepublik mit ihrer demokratischen und marktwirtschaftlichen Ordnung, drängte den eher linksliberalen SPD-Sympathisanten zum deutlichen Protest gegen Umstände und Begleitfolgen der 68er-Revolte in Bildungswesen und Medienlandschaft, ließ den international anerkannten Meinungs- und Sozialforscher am Ende seines Lebens sogar kritische Worte über seine geliebten Vereinigten Staaten finden.
Aus ärmlichen Verhältnissen kommend, vereinigten sich bei Scheuch Ehrgeiz, Tatkraft, intellektuelle Neugier und Begabung zu einer steilen Karriere. Zunächst arbeitete er nach dem Abitur 1948 als Rundfunkjournalist in Köln, studierte anschließend dort Volkswirtschaft und Soziologie (Dipl.-Volkwirt 1953, Promotion 1956). Als Schüler des aus der Emigration zurückgekehrten René König avancierte er rasch zur Methodenautorität der deutschen Soziologie, wurde 1961 in Köln habilitiert und nach mehreren USA-Aufenthalten (1951 Bachelor of Arts, 1959–60 sowie 1962–64 Lecturer in Harvard, u. a. für Militärsoziologie) schon 1965 zum Professor für Soziologie ernannt. Er gründete Forschungsinstitute und ‑initiativen und wirkte in zahllosen Gremien und Arbeitskreisen mit. Inhaltlich tat er sich vor allem mit Untersuchungen zum Wahl- und Freizeitverhalten der Deutschen hervor.
Einer breiteren Öffentlichkeit wurde Scheuch erst im Zusammenhang mit den Umbrüchen nach 1968 bekannt, in denen er anfänglich noch eine historisch berechtigte Korrektur zu dem von ihm als restaurativ erlebten Adenauer-Staat vermutete, aber bald zu einem der schärfsten Kritiker der APO wurde. Scheuch urteilte nicht deduktiv aufgrund einer weltanschaulichen Grundorientierung, sondern als betroffener Bürger und Hochschullehrer, als ein mit historischen und sozialen Fakten vertrauter Empiriker und als Verteidiger unseres Gemeinwesens. (Persönlich hat er übrigens sein Umschwenken immer bestritten, nur der Zeitgeist habe sich geändert.) Scheuch äußerte sich nun schonungslos und sprachmächtig zu allgemeinpolitisch brisanten Themen, was ihm selbst in seinem eigenen Fach, der Soziologie, den despektierlichen Ruf eines Konservativen und Rechten einbrachte.
Wesentlichen Bestandteil seiner Publizistik bildete die Auseinandersetzung mit der Kulturintelligenz (Künstler, Wissenschaftler, Journalisten, Funktionäre) in der massenmedial geprägten Moderne. Er sah in ihr einen neuen Klerus, der sich im Besitz der historischen Wahrheit wähne, über die richtigen Bedürfnislagen der Menschen befinde und an die kalkulierbare Machbarkeit gesellschaftlicher Strukturen glaube. Die Sozialwissenschaften lieferten dazu nicht mehr wissenschaftliche Befunde, sondern ein quasitheologisches Heilswissen einer vollkommenen Gesellschaft. So hätte sich die aufklärerische Funktion der Intellektuellen mit ihrer wachsenden Machtteilhabe in Gegenaufklärung verwandelt.
Besonders bemängelte er die ablehnende Haltung vieler Linker zur Wiedervereinigung und ihr idealisiertes DDR-Bild. Zahlreichen ihrer Behauptungen fehle der Realitätsbezug. So sei Deutschland [1991] nach allen empirisch-statistischen Untersuchungen ein Land, in dem es keine extremen politischen Strömungen gebe und auch keine ausländerfeindliche Stimmung, die westlichen Werte wären längst akzeptiert; es lasse sich im Gegenteil ein deutscher Sonderweg eher bei den Grünen in ihrer technik- und konsumfeindlichen und außenpolitisch neutralistischen Haltung ausmachen. Die scheinbare Konversion ehemaliger Sozialisten zu westlichen Prinzipien war für ihn lediglich der Übergang von der marxistischen Kritik der Ökonomie zur Kritik des kulturellen Überbaus.
Scheuch beschränkte seine Angriffe keinesfalls auf die Linke, auch das ethische Versagen der Funktionseliten in Wirtschaft, Politik und Verbandswesen prangerte er an (Scheuch war einige Jahre Mitglied der CDU gewesen). Zeitweilig konnte man ihn für das Sprachrohr des »kleinen Mannes« halten, ohne daß es ihm gelungen wäre, dauerhaft in die Domänen der öffentlichen Meinung einzudringen.
Schriften: Kulturintelligenz als Machtfaktor? Intellektuelle zwischen Geist und Politik, Zürich 1974; Muß Sozialismus mißlingen? Sieben Aufsätze, Asendorf 1991; Wie deutsch sind die Deutschen? Eine Nation wandelt ihr Gesicht, Bergisch-Gladbach 1991; Cliquen, Klüngel und Karrieren. Über den Verfall der politischen Parteien, Reinbek bei Hamburg 1992; (mit Ute Scheuch) USA – ein maroder Gigant? Amerika besser verstehen, Freiburg i. Br./Basel/Wien 1992; Die Spendenkrise. Parteien außer Kontrolle, Reinbek bei Hamburg 2000; (mit Ute Scheuch) Deutsche Pleiten. Manager im Größenwahn, Reinbek bei Hamburg 2001; Sozialer Wandel, Wiesbaden 2003.
Literatur: Karl-Siegbert Rehberg: Nekrolog, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie 55 (2003), Heft 4; Ute Scheuch: Erwin K. Scheuch. Eine Biographie, Bad Schussenried 2008; dies.: Erwin K. Scheuch im roten Jahrzehnt, Bergisch-Gladbach 2008.