10. Todestag Erwin K. Scheuch

(Text aus dem Band Vordenker des Staatspolitischen Handbuchs, Schnellroda 2012.)

von Rainer Waßner

Stete Offenheit für neue Erfahrungen mit Menschen war ein wesentlicher Zug in Scheuchs Persönlichkeit.

Sie führ­te den Jüng­ling aus der Reser­ve gegen­über dem NS-Staat zur Befür­wor­tung der bun­des­deut­schen Nach­kriegs­re­pu­blik mit ihrer demo­kra­ti­schen und markt­wirt­schaft­li­chen Ord­nung, dräng­te den eher links­li­be­ra­len SPD-Sym­pa­thi­san­ten zum deut­li­chen Pro­test gegen Umstän­de und Begleit­fol­gen der 68er-Revol­te in Bil­dungs­we­sen und Medi­en­land­schaft, ließ den inter­na­tio­nal aner­kann­ten Mei­nungs- und Sozi­al­for­scher am Ende sei­nes Lebens sogar kri­ti­sche Wor­te über sei­ne gelieb­ten Ver­ei­nig­ten Staa­ten finden.

Aus ärm­li­chen Ver­hält­nis­sen kom­mend, ver­ei­nig­ten sich bei Scheuch Ehr­geiz, Tat­kraft, intel­lek­tu­el­le Neu­gier und Bega­bung zu einer stei­len Kar­rie­re. Zunächst arbei­te­te er nach dem Abitur 1948 als Rund­funk­jour­na­list in Köln, stu­dier­te anschlie­ßend dort Volks­wirt­schaft und Sozio­lo­gie (Dipl.-Volkwirt 1953, Pro­mo­ti­on 1956). Als Schü­ler des aus der Emi­gra­ti­on zurück­ge­kehr­ten René König avan­cier­te er rasch zur Metho­den­au­to­ri­tät der deut­schen Sozio­lo­gie, wur­de 1961 in Köln habi­li­tiert und nach meh­re­ren USA-Auf­ent­hal­ten (1951 Bache­lor of Arts, 1959–60 sowie 1962–64 Lec­tu­rer in Har­vard, u. a. für Mili­tär­so­zio­lo­gie) schon 1965 zum Pro­fes­sor für Sozio­lo­gie ernannt. Er grün­de­te For­schungs­in­sti­tu­te und ‑initia­ti­ven und wirk­te in zahl­lo­sen Gre­mi­en und Arbeits­krei­sen mit. Inhalt­lich tat er sich vor allem mit Unter­su­chun­gen zum Wahl- und Frei­zeit­ver­hal­ten der Deut­schen hervor.

Einer brei­te­ren Öffent­lich­keit wur­de Scheuch erst im Zusam­men­hang mit den Umbrü­chen nach 1968 bekannt, in denen er anfäng­lich noch eine his­to­risch berech­tig­te Kor­rek­tur zu dem von ihm als restau­ra­tiv erleb­ten Ade­nau­er-Staat ver­mu­te­te, aber bald zu einem der schärfs­ten Kri­ti­ker der APO wur­de. Scheuch urteil­te nicht deduk­tiv auf­grund einer welt­an­schau­li­chen Grund­ori­en­tie­rung, son­dern als betrof­fe­ner Bür­ger und Hoch­schul­leh­rer, als ein mit his­to­ri­schen und sozia­len Fak­ten ver­trau­ter Empi­ri­ker und als Ver­tei­di­ger unse­res Gemein­we­sens. (Per­sön­lich hat er übri­gens sein Umschwen­ken immer bestrit­ten, nur der Zeit­geist habe sich geän­dert.) Scheuch äußer­te sich nun scho­nungs­los und sprach­mäch­tig zu all­ge­mein­po­li­tisch bri­san­ten The­men, was ihm selbst in sei­nem eige­nen Fach, der Sozio­lo­gie, den despek­tier­li­chen Ruf eines Kon­ser­va­ti­ven und Rech­ten einbrachte.

Wesent­li­chen Bestand­teil sei­ner Publi­zis­tik bil­de­te die Aus­ein­an­der­set­zung mit der Kul­tur­in­tel­li­genz (Künst­ler, Wis­sen­schaft­ler, Jour­na­lis­ten, Funk­tio­nä­re) in der mas­sen­me­di­al gepräg­ten Moder­ne. Er sah in ihr einen neu­en Kle­rus, der sich im Besitz der his­to­ri­schen Wahr­heit wäh­ne, über die rich­ti­gen Bedürf­nis­la­gen der Men­schen befin­de und an die kal­ku­lier­ba­re Mach­bar­keit gesell­schaft­li­cher Struk­tu­ren glau­be. Die Sozi­al­wis­sen­schaf­ten lie­fer­ten dazu nicht mehr wis­sen­schaft­li­che Befun­de, son­dern ein qua­si­theo­lo­gi­sches Heils­wis­sen einer voll­kom­me­nen Gesell­schaft. So hät­te sich die auf­klä­re­ri­sche Funk­ti­on der Intel­lek­tu­el­len mit ihrer wach­sen­den Macht­teil­ha­be in Gegen­auf­klä­rung verwandelt.

Beson­ders bemän­gel­te er die ableh­nen­de Hal­tung vie­ler Lin­ker zur Wie­der­ver­ei­ni­gung und ihr idea­li­sier­tes DDR-Bild. Zahl­rei­chen ihrer Behaup­tun­gen feh­le der Rea­li­täts­be­zug. So sei Deutsch­land [1991] nach allen empi­risch-sta­tis­ti­schen Unter­su­chun­gen ein Land, in dem es kei­ne extre­men poli­ti­schen Strö­mun­gen gebe und auch kei­ne aus­län­der­feind­li­che Stim­mung, die west­li­chen Wer­te wären längst akzep­tiert; es las­se sich im Gegen­teil ein deut­scher Son­der­weg eher bei den Grü­nen in ihrer tech­nik- und kon­sum­feind­li­chen und außen­po­li­tisch neu­tra­lis­ti­schen Hal­tung aus­ma­chen. Die schein­ba­re Kon­ver­si­on ehe­ma­li­ger Sozia­lis­ten zu west­li­chen Prin­zi­pi­en war für ihn ledig­lich der Über­gang von der mar­xis­ti­schen Kri­tik der Öko­no­mie zur Kri­tik des kul­tu­rel­len Überbaus.

Scheuch beschränk­te sei­ne Angrif­fe kei­nes­falls auf die Lin­ke, auch das ethi­sche Ver­sa­gen der Funk­ti­ons­eli­ten in Wirt­schaft, Poli­tik und Ver­bands­we­sen pran­ger­te er an (Scheuch war eini­ge Jah­re Mit­glied der CDU gewe­sen). Zeit­wei­lig konn­te man ihn für das Sprach­rohr des »klei­nen Man­nes« hal­ten, ohne daß es ihm gelun­gen wäre, dau­er­haft in die Domä­nen der öffent­li­chen Mei­nung einzudringen.

Schrif­ten: Kul­tur­in­tel­li­genz als Macht­fak­tor? Intel­lek­tu­el­le zwi­schen Geist und Poli­tik, Zürich 1974; Muß Sozia­lis­mus miß­lin­gen? Sie­ben Auf­sät­ze, Asen­dorf 1991; Wie deutsch sind die Deut­schen? Eine Nati­on wan­delt ihr Gesicht, Ber­gisch-Glad­bach 1991; Cli­quen, Klün­gel und Kar­rie­ren. Über den Ver­fall der poli­ti­schen Par­tei­en, Rein­bek bei Ham­burg 1992; (mit Ute Scheuch) USA – ein maro­der Gigant? Ame­ri­ka bes­ser ver­ste­hen, Frei­burg i. Br./Basel/Wien 1992; Die Spen­den­kri­se. Par­tei­en außer Kon­trol­le, Rein­bek bei Ham­burg 2000; (mit Ute Scheuch) Deut­sche Plei­ten. Mana­ger im Grö­ßen­wahn, Rein­bek bei Ham­burg 2001; Sozia­ler Wan­del, Wies­ba­den 2003.

Lite­ra­tur: Karl-Sieg­bert Reh­berg: Nekro­log, in: Köl­ner Zeit­schrift für Sozio­lo­gie 55 (2003), Heft 4; Ute Scheuch: Erwin K. Scheuch. Eine Bio­gra­phie, Bad Schus­sen­ried 2008; dies.: Erwin K. Scheuch im roten Jahr­zehnt, Ber­gisch-Glad­bach 2008.

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