Darin behandelt Zehm, unter dem Pseudonym Pankraz (des Schmollers, nach Gottfried Kellers Novellenzyklus Die Leute von Seldwyla), Ereignisse, Gedanken, aber auch Nebensächliches aus dem Blickwinkel des gesunden Menschenverstandes, der den Utopien abgeschworen hat, deren Wirkungen Zehm in jungen Jahren zu spüren bekam. Zehm trat 1952 der SED bei und nahm zunächst ein Studium am Institut für Zeitungskunde (Leipzig) auf, um nach kurzer Zeit zur Philosophie zu wechseln, wo er bald zu den Lieblingsschülern Ernst Blochs gehörte, der seit 1949 in Leipzig lehrte. 1956 erlangte er den Abschluß als Diplomphilosoph und trat eine Assistentenstelle in Jena an, wo er mit der Ausarbeitung einer »Politisch-theoretischen Konzeption« begann, die mit seinen SED-Genossen scharf ins Gericht ging. 1957 wurde Bloch die Lehrtätigkeit untersagt, seine Schüler flohen in die Bundesrepublik, mußten sich in der Produktion »bewähren« oder kamen, wie Zehm, der wegen »Boykotthetze« zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt wurde, ins Gefängnis.
1960 gelangte er durch eine Amnestie in Freiheit und konnte nach West-Berlin fliehen. 1963 wurde er in Frankfurt am Main (bei Theodor W. Adorno und Carlo Schmid) mit einer Dissertation zu Sartres Politikverständnis promoviert. Zehm setzte sich öffentlich mit der Illusion des Sozialismus auseinander und warnte vor einer Verklärung der Zustände in der DDR. 1964 begann er seine journalistische Karriere bei der Welt, zunächst als Auslandskorrespondent, später als Feuilletonchef und stellvertretender Chefredakteur. Daß die Wahl auf die Welt fiel, war aus Zehms Sicht konsequent, weil sich keine andere Zeitung so der Deutschen Frage annahm und DDR-Unrecht anprangerte. 1970 erhielt er den Theodor-Wolff-Preis, den Journalistenpreis der deutschen Zeitungen. Seit 1975 erschien in der Welt an jedem Montag die Pankraz-Kolumne.
Zehm verstand diese Kolumne als Korrektiv zu dem erfolgreichen Angriff der 68er auf Staat und Gesellschaft. Gleichzeitig kommt darin eine Ernüchterung zum Ausdruck, die sich mit dem Ungenügen der Welt abgefunden hat, ohne zu resignieren. Die immer wiederkehrenden Grundaussagen sind: Die Hoffnung auf Rettung darf man nicht aufgeben. Es bedarf der Institutionen als Halt des Menschen. Es geht um den einzelnen, der nicht einer Utopie zum Opfer fallen darf. Es gibt keine einfachen Lösungen.
Nach dem Tod Axel Springers 1985 kam es bei der Welt zu einem politischen Kurswechsel, und Zehm mußte die Zeitung verlassen. Die Pankraz-Kolumne erschien noch bis 1990 in der Welt, dann übernahm sie der Rheinische Merkur. Seit 1994 ist sie in der Jungen Freiheit zu lesen. Seither ist Zehm dort auch als Autor vertreten und mit ihm kamen weitere ehemalige Springer-Journalisten wie Carl Gustaf Ströhm und Günther Deschner. Den »gesunden Menschenverstand«, den die Pankraz-Kolumne auszeichnet, wählte Zehm auch als Thema seiner ersten Vorlesung in Jena, wo er seit 1990, zunächst als Dozent später als Honorarprofessor für Philosophie, lehrt. Im Zuge dieser neuen Aufgabe hat Zehm in seinen Vorlesungen zahlreiche Themen behandelt, die er immer im Sinne einer Lebensphilosophie, die das einzelne Phänomen würdigt, ohne alles zu kategorisieren, betrachtet.
Der »gesunde Menschenverstand« ist bei Zehm eine »brauchbare Methode des Aushaltens und des Sichzurechtfindens in der modernen Welt«. Diese als Wiedergutmachung für das erlittene DDR-Unrecht gedachte Professur wurde seit Ende des Jahres 2000 von der örtlichen Antifa skandalisiert, was bundesweit für Schlagzeilen sorgte. Der Vorwurf lautete, u. a. wegen seiner Mitarbeit bei der Jungen Freiheit, auf Rechtsextremismus. Zehm erhielt jedoch von der Universitätsleitung Rückendeckung, die seine Aussagen durch die Meinungsfreiheit gedeckt sah. Zehm bestätigten diese Erfahrungen in seinem anhaltenden Kampf gegen »Feigheit und Dummheit, Rechthaberei und Intoleranz«.
Schriften: Historische Vernunft und direkte Aktion. Zur Politik und Philosophie Jean-Paul Sartres, Stuttgart 1964; Pankraz und der gesunde Menschenverstand. Glossen aus der Lebenswelt gegen Dick- und Dünnbrettbohrer, Köln/Graz/Wien 1988; Jenaer Vorlesungen (bislang 9 Bde.), Schnellroda 2004–2010; An der Kehre. Über die Krisen des Kapitalismus, des Westens und der Demokratie, Berlin 2012. Freie Rede. Über Tiefen und Untiefen genauen Sprechens, Berlin 2013.
Literatur: Über den Tag hinaus. Festschrift für Günter Zehm, Berlin 2003; Erik Lehnert: Der Kolumnist, in: Der Freiheit eine Gasse. 25 Jahre Junge Freiheit – eine deutsche Zeitungsgeschichte, Berlin 2011.