80. Geburtstag von Günter Zehm

(Text aus dem Band Vordenker des Staatspolitischen Handbuchs, Schnellroda 2012.)

Zehms Einfluß auf das konservative Denken läßt sich vor allem an seiner wöchentlichen Pankraz-Kolumne festmachen, die als die dauerhafteste Kolumne eines einzelnen Autors nach 1945 gelten kann.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Dar­in behan­delt Zehm, unter dem Pseud­onym Pan­kraz (des Schmol­lers, nach Gott­fried Kel­lers Novell­enzy­klus Die Leu­te von Sel­dwy­la), Ereig­nis­se, Gedan­ken, aber auch Neben­säch­li­ches aus dem Blick­win­kel des gesun­den Men­schen­ver­stan­des, der den Uto­pien abge­schwo­ren hat, deren Wir­kun­gen Zehm in jun­gen Jah­ren zu spü­ren bekam. Zehm trat 1952 der SED bei und nahm zunächst ein Stu­di­um am Insti­tut für Zei­tungs­kun­de (Leip­zig) auf, um nach kur­zer Zeit zur Phi­lo­so­phie zu wech­seln, wo er bald zu den Lieb­lings­schü­lern Ernst Blochs gehör­te, der seit 1949 in Leip­zig lehr­te. 1956 erlang­te er den Abschluß als Diplom­phi­lo­soph und trat eine Assis­ten­ten­stel­le in Jena an, wo er mit der Aus­ar­bei­tung einer »Poli­tisch-theo­re­ti­schen Kon­zep­ti­on« begann, die mit sei­nen SED-Genos­sen scharf ins Gericht ging. 1957 wur­de Bloch die Lehr­tä­tig­keit unter­sagt, sei­ne Schü­ler flo­hen in die Bun­des­re­pu­blik, muß­ten sich in der Pro­duk­ti­on »bewäh­ren« oder kamen, wie Zehm, der wegen »Boy­kott­het­ze« zu vier Jah­ren Zucht­haus ver­ur­teilt wur­de, ins Gefängnis.

1960 gelang­te er durch eine Amnes­tie in Frei­heit und konn­te nach West-Ber­lin flie­hen. 1963 wur­de er in Frank­furt am Main (bei Theo­dor W. Ador­no und Car­lo Schmid) mit einer Dis­ser­ta­ti­on zu Sar­tres Poli­tik­ver­ständ­nis pro­mo­viert. Zehm setz­te sich öffent­lich mit der Illu­si­on des Sozia­lis­mus aus­ein­an­der und warn­te vor einer Ver­klä­rung der Zustän­de in der DDR. 1964 begann er sei­ne jour­na­lis­ti­sche Kar­rie­re bei der Welt, zunächst als Aus­lands­kor­re­spon­dent, spä­ter als Feuil­le­ton­chef und stell­ver­tre­ten­der Chef­re­dak­teur. Daß die Wahl auf die Welt fiel, war aus Zehms Sicht kon­se­quent, weil sich kei­ne ande­re Zei­tung so der Deut­schen Fra­ge annahm und DDR-Unrecht anpran­ger­te. 1970 erhielt er den Theo­dor-Wolff-Preis, den Jour­na­lis­ten­preis der deut­schen Zei­tun­gen. Seit 1975 erschien in der Welt an jedem Mon­tag die Pankraz-Kolumne.

Zehm ver­stand die­se Kolum­ne als Kor­rek­tiv zu dem erfolg­rei­chen Angriff der 68er auf Staat und Gesell­schaft. Gleich­zei­tig kommt dar­in eine Ernüch­te­rung zum Aus­druck, die sich mit dem Unge­nü­gen der Welt abge­fun­den hat, ohne zu resi­gnie­ren. Die immer wie­der­keh­ren­den Grund­aus­sa­gen sind: Die Hoff­nung auf Ret­tung darf man nicht auf­ge­ben. Es bedarf der Insti­tu­tio­nen als Halt des Men­schen. Es geht um den ein­zel­nen, der nicht einer Uto­pie zum Opfer fal­len darf. Es gibt kei­ne ein­fa­chen Lösungen.

Nach dem Tod Axel Sprin­gers 1985 kam es bei der Welt zu einem poli­ti­schen Kurs­wech­sel, und Zehm muß­te die Zei­tung ver­las­sen. Die Pan­kraz-Kolum­ne erschien noch bis 1990 in der Welt, dann über­nahm sie der Rhei­ni­sche Mer­kur. Seit 1994 ist sie in der Jun­gen Frei­heit zu lesen. Seit­her ist Zehm dort auch als Autor ver­tre­ten und mit ihm kamen wei­te­re ehe­ma­li­ge Sprin­ger-Jour­na­lis­ten wie Carl Gus­taf Ströhm und Gün­ther Desch­ner. Den »gesun­den Men­schen­ver­stand«, den die Pan­kraz-Kolum­ne aus­zeich­net, wähl­te Zehm auch als The­ma sei­ner ers­ten Vor­le­sung in Jena, wo er seit 1990, zunächst als Dozent spä­ter als Hono­rar­pro­fes­sor für Phi­lo­so­phie, lehrt. Im Zuge die­ser neu­en Auf­ga­be hat Zehm in sei­nen Vor­le­sun­gen zahl­rei­che The­men behan­delt, die er immer im Sin­ne einer Lebens­phi­lo­so­phie, die das ein­zel­ne Phä­no­men wür­digt, ohne alles zu kate­go­ri­sie­ren, betrachtet.

Der »gesun­de Men­schen­ver­stand« ist bei Zehm eine »brauch­ba­re Metho­de des Aus­hal­tens und des Sich­zu­recht­fin­dens in der moder­nen Welt«. Die­se als Wie­der­gut­ma­chung für das erlit­te­ne DDR-Unrecht gedach­te Pro­fes­sur wur­de seit Ende des Jah­res 2000 von der ört­li­chen Anti­fa skan­da­li­siert, was bun­des­weit für Schlag­zei­len sorg­te. Der Vor­wurf lau­te­te, u. a. wegen sei­ner Mit­ar­beit bei der Jun­gen Frei­heit, auf Rechts­extre­mis­mus. Zehm erhielt jedoch von der Uni­ver­si­täts­lei­tung Rücken­de­ckung, die sei­ne Aus­sa­gen durch die Mei­nungs­frei­heit gedeckt sah. Zehm bestä­tig­ten die­se Erfah­run­gen in sei­nem anhal­ten­den Kampf gegen »Feig­heit und Dumm­heit, Recht­ha­be­rei und Intoleranz«.

Schrif­ten: His­to­ri­sche Ver­nunft und direk­te Akti­on. Zur Poli­tik und Phi­lo­so­phie Jean-Paul Sar­tres, Stutt­gart 1964; Pan­kraz und der gesun­de Men­schen­ver­stand. Glos­sen aus der Lebens­welt gegen Dick- und Dünn­brett­boh­rer, Köln/Graz/Wien 1988; Jena­er Vor­le­sun­gen (bis­lang 9 Bde.), Schnell­ro­da 2004–2010; An der Keh­re. Über die Kri­sen des Kapi­ta­lis­mus, des Wes­tens und der Demo­kra­tie, Ber­lin 2012. Freie Rede. Über Tie­fen und Untie­fen genau­en Spre­chens, Ber­lin 2013.

Lite­ra­tur: Über den Tag hin­aus. Fest­schrift für Gün­ter Zehm, Ber­lin 2003; Erik Leh­nert: Der Kolum­nist, in: Der Frei­heit eine Gas­se. 25 Jah­re Jun­ge Frei­heit – eine deut­sche Zei­tungs­ge­schich­te, Ber­lin 2011.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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