in dem man sich über nichts mehr zu wundern braucht. Aber es gibt immer wieder neue Grade und Variationen an Demenz, die so verblüffend sind, daß selbst mir dazu nichts mehr einfällt.
Heutige Folge: eine Reportage aus Deutschlandradio Kultur (sic), in dem sich multiple Bescheuertheiten zu einem derart exquisiten cluster-fuck ballen, daß mir richtig schwindlig wurde.
Darin geht es um eine Frau Ellen Vegelahn (57) und ihren namentlich ungenannten Mann, die sich in Lissendorf an der Eifel (Einwohnerzahl 1118) einer interessanten Beschäftigung widmen: nämlich der seriellen Buchvernichtung im großen Maßstab, das heißt “einige hundert Tonnen alter Bücher pro Jahr”.
Wer jetzt einen Reflexschock verspürt und Bilder von brennenden Bücherbergen und deklamierenden Studenten in Uniform vor’s innere Auge bekommt, sei beruhigt: die Arbeit dient allein ökologischen Zwecken, nämlich der Herstellung von “Ökowolle”, die zum Dämmen von Häuserwänden verwendet wird.
Ganz versteckt, am Ortsrand von dem kleinen Eifeldörfchen Lissendorf, steht eine Holzlagerhalle. Das schwere Rolltor öffnet sich, nun tauchen Unmengen an Büchern auf – bis unter die Decke stapeln sich Berge von Lexika, Romanen, Ratgebern, Koch- und Kinderbüchern: Rund 300 Tonnen überzählige Exemplare aus den Buchverlagen landen hier pro Jahr. (…)
Eine Arbeit, die wie am Fließband abläuft:
Die drei Arbeiterinnen tragen Gummihandschuhe, denn sie nehmen hunderte von Ratgebern Abitur 2012 einzeln in die Hand, holen die DVDs heraus und brechen dann das Buch mit einem kräftigen Ruck auseinander. Der mit Folie überzogene Einband muss weg, der Rest landet in einem mannshohen Container.
Aus den
zerfledderten Büchern wird später Zellulose-Wolle gemacht. Ein Baustoff, der gern zum ökologischen Dämmen von Häusern verwendet wird, weil er den Energieverbrauch um 24 Prozent mindert.
Nachdem das Buch in der Papiermühle zerhäckselt und anschließend in Fasern aufgelöst wird, sieht das Endergebnis so aus:
Zum Schluss wird mein Buch mit insgesamt 14 Kilo Altpapier-Mikrofasern in einen Plastiksack geblasen und luftdicht verschweißt. Ellen Vegelahn übergibt mir – symbolisch – einen Schuhkarton voller warmer, flauschig weicher, gräulicher Zellulosedämmwolle. Aus meinem Liebesroman sind 220 Gramm Dobry-Ecovilla-Fasern geworden, was übersetzt Ökowolle bedeutet. Sieht aber eher aus wie der Inhalt eines Staubsaugerbeutels.
Welche Buchtitel das sind, die in Riesenauflagen als Ladenhüter liegengeblieben sind, wird auf Anweisung der Verlage aus Imagegründen geheimgehalten. Zwei Hinweise gibt es dennoch:
Hier ist – unter hohen Sicherheitsauflagen – vor ein paar Jahren Dieter Bohlens Erstauflage von “Hinter den Kulissen” vernichtet worden. Oder 30.000 Exemplare von Oskar Lafontaines Biografie “Mein Herz schlägt links”.
Aber auch höherwertiger Literatur wird in Lissendorf die Ehre der Vernichtung erwiesen. Nicht umsonst trägt der Beitrag den Titel “Der Geist von Goethe in der Wand”.
Ellen Vegelahn, die ihr Haus auch mit Buchflocken gedämmt hat, würde selber nie auch nur ein einziges Buch wegwerfen. Selbst ihre Kinderbücher hat sie noch. Sie kennt Kunden, die ihre Häuser nur mit Bücherflocken dämmen und meinen, den Geist von Goethe, Coelho oder Birgit Vanderbeke in den Wänden zu spüren.
“Die ersten Lieferungen, die wir gekriegt haben, da kam ich mir schon vor wie so ein Verbrecher, so ein Buchvernichter, bis man sich mit dem Gedanken angefreundet hat und gesagt hat: Viele Leute haben jetzt durch uns mehr Literatur in der Wand als an der Wand.”
Man könnte nun meinen, das sei witzig gemeint, denn einleuchtenderweise findet sich in einem “warmen, flauschig weichen, gräulichen” Papierzellulosematsch nur mehr relativ wenig “Literatur”, geschweige denn irgendeine Art von “Geist”, sei es nun von Goethe oder Dan Brown. In einem zerschmolzenen Schallplattenvinyl spuken ja auch kein Bach, Sinatra oder Justin Bieber mehr.
Oder kann man sich in Lissendorf auch extra ein paar Kilo Schiller‑, Kant- und Lessing-Wolle bestellen, mit Zertifikat, daß man hier garantiert keinen zerschnitzelten Simmel oder einen zernudelten Konsalik oder sonstige Minderware untergejubelt bekommen hat? Da kehrt er wieder, der bildungsbürgerliche Dünkel: “Ich dämme mein Haus nur mit Nobelpreisträgern und Weimarer Klassik!” Und gibt es für Ossis Sonderangebote aus Marx- und Engels-Papp und Rosa-Luxemburg-Schlamm? Und kostengünstige Sets mit Henning Mankell- und Donna Leon-Kleister für Krimifreunde?
Doch leider lauert der Witz auf einer anderen Treppe. Denn während nun Bohlen und Lafontaine (verständlicherweise) als gut genug befunden werden, um zur Dämmungspampe zermatscht zu werden, gibt es andere Bücher, bei denen Frau Vegelahn eine strenge Grenze zieht. Und nun kommt’s.
“Rechte Literatur haben wir grundsätzlich abgelehnt zu vernichten, ganz ehrlich, das würde ich auch keinem Kunden zumuten: Dämmung aus rechter Literatur, das war für uns immer ein Tabuthema. Was wir auch mal abgelehnt hatten, waren Koranvernichtungen.”
OK … das nun aber mal nach der Reihe. Um zu zeigen, daß sie im Kampf gegen Rechts mitmachen und nicht in einer Reihe mit den bösen Buchverbrennern von gestern stehen, haben sich die Lissendorfer entschlossen, “rechte Literatur” nicht zu vernichten? Goethe darf man bedenkenlos zerschreddern, aber den Föhrer nicht? Und der Koran steht also auf einer Stufe mit “rechter Literatur”? Ist das nicht eine ein bißchen, hm, islamophobe Aussage? Haben wir es hier etwa mit Stürzenberger-Anhängern zu tun? Oder hatte man Schiß vor einer drohenden Fatwa, falls die ortsansässigen salafistischen Kovertiten spitzgekriegt hätten, daß das Wort des Propheten zur Wärmedämmung mißbraucht wird? Oder war es gar Ehrfurcht vor dem heiligen Buch? Wie sieht’s dann mit Bibelvernichtungen aus, geht das in Ordnung?
Oder ist es die Angst, daß die graue Pampe zum Dschihad aufzurufen beginnt? Daß aus der Mauer ein Muezzinruf ertönt? Oder noch schlimmer (und das sieht nach einem dringenden Fall für die Exorzismusabteilung von “Netz gegen Nazis” aus): was ist, wenn der mit Restexemplaren des Ex-Bestsellers “Mein Kampf” gewürzte Papierbrei den ahnungslosen Bürger mit nationalsozialistischen Strahlungen infiltriert? Kann es ein Mensch mit seinem Gewissen vereinbaren, wenn er erfährt, daß seine Wände mit geschichtsrevisionistischen Fusseln gedämmt werden? Wird er es moralisch verkraften, sein Wohlbehagen einem Klitsch aus ehemaligen Landser-Heften zu verdanken??
Und ist die Grenze des Tragbaren erst bei der Deutschen Stimme oder der National-Zeitung überschritten, oder reichen schon ein paar verwurstete Stapel der Wochenzeitung für Debatte, um schlaflose Nächte zu erzeugen? Kann jemand den psychischen Streß ertragen, in einem Haus wohnen zu müssen, das bis an die Decke mit Flocke aus Restexemplaren des Verlags Antaios abgedichtet ist?? Darf man einen Menschen dem Horror aussetzen, lebendig in Zellulosemassen aus alten Sezessions-Exemplaren eingemauert zu werden???
Ich sage: das darf man natürlich niemandem zumuten! Dämmt stattdessen eure Häuser energieschonend mit dem Grundgesetz und verarbeitet es zu Recycling-Toilettenpapier! Stopft eure Matratzen mit dem Tagebuch von Anne Frank aus! Polstert euch mit Hitlers rosa Kaninchen! Tapeziert die Wände mit Elfriede Jelinek! Macht Pappmaché-Tierchen aus Günter Grass-Werkausgaben und den Memoiren von Reich-Ranicki! Und wenn wir schon dabei sind: Spachtelt Öko-Wolle aus Richard David Precht in eure Hausmauern! Pflastert eure Hamsterkäfige mit “Fifty Shades of Grey”! Heizt eure Öfen mit Charlotte Roche, bis die Polizei kommt! Ihr werdet euch vor lauter realpräsentem Geist kaum mehr retten können. Lieb Vaterland, magst ruhig sein… ich jedenfalls dämme nur mehr mit Jünger und Spengler, jetzt erst recht!
ene
Da kann ich mir noch ganz andere heikle Fälle vorstellen.
Thema: Organspende. - Die Krankenkassen werben ja jetzt dafür; und nun stellen Sie sich mal vor: es könnte ja ein Mensch mit bekannt "rechter" Gesinnung zu Tode kommen, welcher einen Organspende-Ausweis bei sich trägt...
Darf man in einem solchen Fall eine beispielweise Niere (oder gar ein Herz!) einem ahnungslosen Bürger implantieren -? Und wenn der das dann erfährt -? Unabsehbare Folgen -
M.L.: Jede Wette, soweit kommt es noch...