Geopolitik ist jener Teil der Politikwissenschaft, der die Bedeutung der geographischen Umgebung auf politische und historische Ereignisse erklärt und den konkreten Rahmen, innerhalb derer politische Akteure handeln, skizziert. Sie untersucht also, inwiefern die natürliche Lage eines Staatsgebildes auf die nationalen Entwicklungslinien einwirkt.
Die Entwicklungslinie der Geopolitik als Fachbereich verläuft über Friedrich Ratzel, Rudolf Kjellèn und Halford Mackinder direkt zum berühmtesten deutschen Erforscher der Geopolitik, Karl Haushofer. Dessen Vita trägt dazu bei, wieso geopolitische Analysen in Deutschland unbeliebt erscheinen: Die Fachrichtung gilt als politisch kontaminiert. Doch die Weltpolitik interessiert sich nicht für politische Korrektheit, und die Geschichte ist nicht an ihr prognostiziertes Ende gelangt – im Gegenteil.
Seit Jahren kriselt die Europäische Union, die Vereinigten Staaten stehen am Rande des finanziellen Kollapses. Beobachter diagnostizieren den „Niedergang des Westens“ (Niall Ferguson) und den „Aufstieg der Anderen“ (Fareed Zakaria). Andere Akteure – Machtzentren – werden immer wichtiger. Neben China und Rußland sind Indien oder Brasilien zu nennen. Staaten konkurrieren auch im 21. Jahrhundert wirtschaftlich, politisch, bisweilen militärisch. Doch nicht nur aufgrund dieser Bereiche drohen Umbrüche. Die Ressourcenknappheit erzeugt einen Kampf um Rohstoffe, an dem sich alle Staaten mehr oder weniger beteiligen. Machtpolitik, die hierzulande viele politisch Handelnde für überholt erklärten, ist mehr denn je ein Faktor der globalen Beziehungen.
In Bielefeld soll – dem Charakter der seit 2004 stattfindenden Ideenwerkstatt entsprechend – durchaus kontrovers darüber diskutiert werden, welche weltpolitischen Alternativen es heute gibt, welche Chance und Risiken sie mit sich bringen und welchen Weg die Bundesrepublik dabei gehen sollte. Dazu hat man mit Alexander Dugin den wohl bekanntesten Geopolitiker Rußlands geladen. Der polyglotte Wissenschaftler und Publizist vertritt das geopolitische Konzept eines „Neo-Eurasismus“ auf der Basis eines in Gegnerschaft zu den USA stehenden, bewußt eurasischen Rußlands. Inspiriert sieht sich der ehemalige Nationalbolschewist von der deutschen Konservativen Revolution, romanischen traditionalen Denkern und der Vielfalt der russischen Ideengeschichte. Dugin ist wohl der einzige im weitesten Sinne neurechte Denker, der zugleich Breitenwirkung entfaltet. Denn er ist seit 2007 ordentlicher Professor an der soziologischen Fakultät der staatlichen Universität Moskau und wirkt seit 2012 als Mitglied des wissenschaftlichen Beratungsgremiums des russischen Parlaments. Dugin wird in Bielefeld zu der von ihm konzipierten „Vierten politischen Theorie“ sprechen, die Liberalismus, Kommunismus und Faschismus gleichermaßen für überwunden erklärt. Weltpolitisch wirbt er für eine multipolare Ordnung souveräner Nationalstaaten.
Neben Dugin wird auch Peter Feist auf dem Podium stehen. Der Berliner Kulturphilosoph kommt aus dem politischen Umfeld des Magazins Compact und referiert zur Frage deutscher Souveränität. Zudem werden von weiteren Gästen demographische Problemstellungen ebenso erörtert wie künftige Bündnismöglichkeiten Deutschlands. Darüber hinaus soll es auch eine Podiumsdiskussion geben, die insbesondere Brasilien thematisiert. Das Land, das nicht nur aufgrund der vergangenen Frankfurter Buchmesse und der anstehenden Fußballweltmeisterschaft im Fokus der bundesdeutschen Öffentlichkeit steht, ist der wichtigste Akteur Südamerikas und vereint nahezu alle Potentiale wie auch Probleme des Kontinents in seinem Inneren. Kenner der Region diskutieren daher die soziale und politische Gemengelage des 200-Millionen-Einwohner-Landes und seine Bedeutung für die globale Politik.
Anmeldungen sind per Telefon (0521 89 41 08) oder Mail (anmeldung [at] bielefelder-ideenwerkstatt.de) möglich. Weitere Informationen und Ankündigungstext auf der Sonderseite der Burschenschaft Normannia-Nibelungen zu Bielefeld. Auf einem eigenen Youtube-Kanal werden nach den meist mit circa 100 Teilnehmern besuchten jährlichen Veranstaltungen die Vorträge präsentiert.