durch seine Forschungsarbeit die behavioristische Vorstellung von der nahezu unbeschränkten Formbarkeit des Menschen und trug maßgeblich zur Verbreitung biologischer Erkenntnisse über die Natur des Menschen bei. Zugleich war er ein bedeutender konservativer Zeitkritiker.
Der 1903 in Altenberg bei Wien als Sohn eines renommierten Orthopäden geborene Konrad Lorenz hatte seit seiner Kindheit das Verhalten von Tieren beobachtet. Nach dem Medizin- und Zoologiestudium, der Promotion und wegweisenden tierpsychologischen Publikationen erhielt er 1940 in Königsberg einen Lehrstuhl für Psychologie. Aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrt, begründete er 1949 in Altenberg in Niederösterreich sein erstes Ethologisches Institut. Seit 1954 forschte und lehrte er am Max-Planck-Institut für Verhaltensphysiologie im oberbayerischen Seewiesen, von 1961 bis 1973 als dessen Leiter. Nach seiner Emeritierung 1973 leitete er wieder die Forschungsstation in Altenberg. 1973 erhielt Konrad Lorenz zusammen mit Niko Tinbergen und Karl von Frisch den Nobelpreis für Medizin und Physiologie.
Konrad Lorenz erkannte als einer der ersten, daß das Verhalten der Tiere nicht nur auf Reflexen auf Umweltreize beruht, wie die Behavioristen glaubten, sondern komplexe angeborene Verhaltensmuster umfaßt, sogenannte Erbkoordinationen, mit denen sie auf Schlüsselreize in Situationen spezifisch reagieren, die für ihren Überlebens- und Fortpflanzungserfolg wichtig sind. Zu den Auslösern gehören neben bestimmten ökologischen und sozialen Bedingungen auch innere Antriebsmechanismen, die z. B. etwa die Handlungsbereitschaft zur Partnersuche oder zum Rivalenkampf bewirken. Das ganze Sozialverhalten, Paarung und Aufzucht, Erkundungs‑, Jagd- und Fluchtverhalten sind durch solche Programme bestimmt. Es handelt sich um genetisch fixierte stammesgeschichtliche Anpassungen, die jeweils genauso charakteristisch für eine Art sind wie ihre morphologischen Merkmale. Durch den Vergleich des Verhaltens, der sogenannten Ethogramme der verschiedenen Arten, kann man deren stammesgeschichtliche Verwandtschaftsbeziehungen ebensogut rekonstruieren wie anhand von morphologischen Merkmalen.
Konrad Lorenz wies darauf hin, daß solche genetischen Verhaltensprogramme sich nicht auf das Tierreich beschränken, sondern daß sie auch das Verhalten des Menschen in vielfältiger Weise bestimmen. So weist das menschliche Verhalten viele Übereinstimmungen mit dem der Tiere auf. Ein Beispiel für ein angeborenes Verhaltensmuster ist die emotionale Reaktion auf das sogenannte Kindchenschema, das Beschützerinstinkte auslöst. Indem er erkannte, daß auch der kognitive Apparat des Menschen evolutionär durch die Auseinandersetzung mit seiner Umwelt entstanden ist, wurde Lorenz zum Begründer der Evolutionären Erkenntnistheorie, deren Grundlagen er schon in seinem berühmten, in der Kriegsgefangenschaft verfaßten »russischen Manuskript« niedergeschrieben hat und die er später in seinem Buch Die Rückseite des Spiegels (1975) veröffentlichte. Die apriorischen Anschauungsformen und Kategorien des menschlichen Geistes sind nicht willkürlich, wie noch Kant glaubte, sondern liefern ein erprobtes Abbild unserer natürlichen Umwelt, das uns das Überleben in ihr ermöglicht hat. Lorenz wies immer wieder auf die »konservative Natur« des Menschen hin. Als von stammesgeschichtlich evoluierten Bedürfnissen und Verhaltensprogrammen bestimmtes Wesen ist der Mensch nicht beliebig konditionierbar. Zwar erfordert die Natur des Menschen kulturelle Führung, Erziehung und Tradition – Lorenz dachte darin wie Arnold Gehlen –, diese müssen jedoch den menschlichen Bedürfnissen angepaßt sein. Die natürliche Bedürfnisstruktur des Menschen kann nicht unbegrenzt und ungestraft unterdrückt werden.
Anders als von Kritikern oft unterstellt, bestritt Lorenz nicht die Sonderstellung des Menschen. Das Ausmaß und die Bedeutung des Lernens haben sich beim Menschen um ein Vielfaches gesteigert. Durch Reflexion und begriffliches Denken kann der Mensch seine Erfahrungen rational objektivieren und mittels der kulturellen Tradierung ist es ihm möglich, sein erworbenes Wissen zu speichern und weiterzugeben. Neben dem in den Genen gespeicherten Wissen verfügt der Mensch so über einen neuen Wissensspeicher, der den natürlichen an Schnelligkeit und Effizienz bei weitem übertrifft. Es sei daher auch keine Übertreibung zu sagen, daß »das geistige Leben des Menschen eine neue Art von Leben« ist.
Seit den 1970er Jahren nahm Lorenz in der Öffentlichkeit die Rolle eines kulturkritischen Mahners ein. In den Büchern Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit (1973) und Der Abbau des Menschlichen (1983) übte er Kritik an der Umweltzerstörung, der Überbevölkerung, der Entfremdung von der Natur, an Egoismus und Konkurrenzdenken. Stand er mit diesen Kritikpunkten auf der Höhe des damaligen Zeitgeistes – zeitweilig galt er geradezu als eine Ikone der Umweltbewegung –, so beinhaltete seine Kulturkritik auch klassische konservative und eugenische Positionen, die schon damals nicht auf ungeteilte Zustimmung stießen. So kritisierte er die zunehmende Unlustintoleranz und Verweichlichung in der Konsumgesellschaft und warnte vor dem Abriß der kulturellen Tradition. Mit der Studentenbewegung hatte sich seiner Meinung nach der normale Generationenkonflikt so sehr verschärft, daß die Generationen einander zum erstenmal mit »ethnischem Haß« gegenüberstünden. Was u. a. dadurch zum Ausdruck kam, daß man sich in einer Art Pseudospezifikation durch künstliche Merkmale der Kleidung, der Haar- und Barttracht und des Verhaltens voneinander abgrenzte.
Lorenz warnte auch vor der Gefahr eines genetischen Verfalls. Er sah in manchen Erscheinungen der modernen Massengesellschaft den Ausdruck von Domestikationserscheinungen, von Ausfallerscheinungen durch nachlassende Selektion. Dazu zählte er die »zunehmende Wertblindheit« und die Hypertrophie stammesgeschichtlich älterer Antriebe wie Sexualität, Nahrungsaufnahme und Aggressivität, die durch evolutionär jüngere und labilere soziale Programmierungen bisher in Schach gehalten wurden. Diese Kritikpunkte brachten Lorenz in linken Kreisen den Ruf der Nähe zum Nationalsozialismus ein, der ihm angesichts seiner großen Popularität zu Lebzeiten aber noch nicht sehr schaden konnte. Erst einige Zeit nach seinem Tod wurde Lorenz – angefacht durch vermeintlich »belastende « Funde aus der NS-Zeit in seinem Nachlaß – zunehmend zum Objekt einer linken Vergangenheitsaufarbeitung. Dem steht aber nach wie vor der große Respekt gegenüber, den er aufgrund seiner wissenschaftlichen Leistungen genießt.
Schriften: Das sogenannte Böse, Wien 1963; Über tierisches und menschliches Verhalten, München 1965; Die acht Todsünden der zivilisierten Menschheit, München 1973; Die Rückseite des Spiegels. Versuch einer Naturgeschichte des menschlichen Erkennens, München 1975; Vergleichende Verhaltensforschung, Wien 1978; Der Abbau des Menschlichen, München 1983.
Literatur: Irenäus Eibl-Eibesfeldt: Konrad Lorenz (*1903), in: Die Psychologie des 20. Jahrhunderts. Bd. VI: Lorenz und die Folgen, Zürich 1978; Kurt Kotrschal/ Gerd Müller/Hans Winkler (Hrsg.): Konrad Lorenz und seine verhaltensbiologischen Konzepte aus heutiger Sicht, Fürth 2001; Heinrich Meier: Konrad Lorenz, in: Caspar v. Schrenck-Notzing (Hrsg.): Konservative Köpfe, München 1978; Franz Wuketits: Konrad Lorenz. Leben und Werk eines großen Naturforschers, München 1990.