110. Geburtstag Konrad Lorenz

(Text aus dem Band Vordenker des Staatspolitischen Handbuchs, Schnellroda 2012.)

von Andreas Vonderach

Konrad Lorenz gehört zu den Begründern der Ethologie, der vergleichenden Verhaltensforschung. Er widerlegte...

durch sei­ne For­schungs­ar­beit die beha­vio­ris­ti­sche Vor­stel­lung von der nahe­zu unbe­schränk­ten Form­bar­keit des Men­schen und trug maß­geb­lich zur Ver­brei­tung bio­lo­gi­scher Erkennt­nis­se über die Natur des Men­schen bei. Zugleich war er ein bedeu­ten­der kon­ser­va­ti­ver Zeitkritiker.

Der 1903 in Alten­berg bei Wien als Sohn eines renom­mier­ten Ortho­pä­den gebo­re­ne Kon­rad Lorenz hat­te seit sei­ner Kind­heit das Ver­hal­ten von Tie­ren beob­ach­tet. Nach dem Medi­zin- und Zoo­lo­gie­stu­di­um, der Pro­mo­ti­on und weg­wei­sen­den tier­psy­cho­lo­gi­schen Publi­ka­tio­nen erhielt er 1940 in Königs­berg einen Lehr­stuhl für Psy­cho­lo­gie. Aus der Kriegs­ge­fan­gen­schaft heim­ge­kehrt, begrün­de­te er 1949 in Alten­berg in Nie­der­ös­ter­reich sein ers­tes Etho­lo­gi­sches Insti­tut. Seit 1954 forsch­te und lehr­te er am Max-Planck-Insti­tut für Ver­hal­tens­phy­sio­lo­gie im ober­baye­ri­schen See­wie­sen, von 1961 bis 1973 als des­sen Lei­ter. Nach sei­ner Eme­ri­tie­rung 1973 lei­te­te er wie­der die For­schungs­sta­ti­on in Alten­berg. 1973 erhielt Kon­rad Lorenz zusam­men mit Niko Tin­ber­gen und Karl von Frisch den Nobel­preis für Medi­zin und Physiologie.

Kon­rad Lorenz erkann­te als einer der ers­ten, daß das Ver­hal­ten der Tie­re nicht nur auf Refle­xen auf Umwelt­rei­ze beruht, wie die Beha­vio­ris­ten glaub­ten, son­dern kom­ple­xe ange­bo­re­ne Ver­hal­tens­mus­ter umfaßt, soge­nann­te Erb­ko­or­di­na­tio­nen, mit denen sie auf Schlüs­sel­rei­ze in Situa­tio­nen spe­zi­fisch reagie­ren, die für ihren Über­le­bens- und Fort­pflan­zungs­er­folg wich­tig sind. Zu den Aus­lö­sern gehö­ren neben bestimm­ten öko­lo­gi­schen und sozia­len Bedin­gun­gen auch inne­re Antriebs­me­cha­nis­men, die z. B. etwa die Hand­lungs­be­reit­schaft zur Part­ner­su­che oder zum Riva­len­kampf bewir­ken. Das gan­ze Sozi­al­ver­hal­ten, Paa­rung und Auf­zucht, Erkundungs‑, Jagd- und Flucht­ver­hal­ten sind durch sol­che Pro­gram­me bestimmt. Es han­delt sich um gene­tisch fixier­te stam­mes­ge­schicht­li­che Anpas­sun­gen, die jeweils genau­so cha­rak­te­ris­tisch für eine Art sind wie ihre mor­pho­lo­gi­schen Merk­ma­le. Durch den Ver­gleich des Ver­hal­tens, der soge­nann­ten Etho­gram­me der ver­schie­de­nen Arten, kann man deren stam­mes­ge­schicht­li­che Ver­wandt­schafts­be­zie­hun­gen eben­so­gut rekon­stru­ie­ren wie anhand von mor­pho­lo­gi­schen Merkmalen.

Kon­rad Lorenz wies dar­auf hin, daß sol­che gene­ti­schen Ver­hal­tens­pro­gram­me sich nicht auf das Tier­reich beschrän­ken, son­dern daß sie auch das Ver­hal­ten des Men­schen in viel­fäl­ti­ger Wei­se bestim­men. So weist das mensch­li­che Ver­hal­ten vie­le Über­ein­stim­mun­gen mit dem der Tie­re auf. Ein Bei­spiel für ein ange­bo­re­nes Ver­hal­tens­mus­ter ist die emo­tio­na­le Reak­ti­on auf das soge­nann­te Kind­chen­sche­ma, das Beschüt­zer­instink­te aus­löst. Indem er erkann­te, daß auch der kogni­ti­ve Appa­rat des Men­schen evo­lu­tio­när durch die Aus­ein­an­der­set­zung mit sei­ner Umwelt ent­stan­den ist, wur­de Lorenz zum Begrün­der der Evo­lu­tio­nä­ren Erkennt­nis­theo­rie, deren Grund­la­gen er schon in sei­nem berühm­ten, in der Kriegs­ge­fan­gen­schaft ver­faß­ten »rus­si­schen Manu­skript« nie­der­ge­schrie­ben hat und die er spä­ter in sei­nem Buch Die Rück­sei­te des Spie­gels (1975) ver­öf­fent­lich­te. Die aprio­ri­schen Anschau­ungs­for­men und Kate­go­rien des mensch­li­chen Geis­tes sind nicht will­kür­lich, wie noch Kant glaub­te, son­dern lie­fern ein erprob­tes Abbild unse­rer natür­li­chen Umwelt, das uns das Über­le­ben in ihr ermög­licht hat. Lorenz wies immer wie­der auf die »kon­ser­va­ti­ve Natur« des Men­schen hin. Als von stam­mes­ge­schicht­lich evo­lu­ier­ten Bedürf­nis­sen und Ver­hal­tens­pro­gram­men bestimm­tes Wesen ist der Mensch nicht belie­big kon­di­tio­nier­bar. Zwar erfor­dert die Natur des Men­schen kul­tu­rel­le Füh­rung, Erzie­hung und Tra­di­ti­on – Lorenz dach­te dar­in wie Arnold Geh­len –, die­se müs­sen jedoch den mensch­li­chen Bedürf­nis­sen ange­paßt sein. Die natür­li­che Bedürf­nis­struk­tur des Men­schen kann nicht unbe­grenzt und unge­straft unter­drückt werden.

Anders als von Kri­ti­kern oft unter­stellt, bestritt Lorenz nicht die Son­der­stel­lung des Men­schen. Das Aus­maß und die Bedeu­tung des Ler­nens haben sich beim Men­schen um ein Viel­fa­ches gestei­gert. Durch Refle­xi­on und begriff­li­ches Den­ken kann der Mensch sei­ne Erfah­run­gen ratio­nal objek­ti­vie­ren und mit­tels der kul­tu­rel­len Tra­die­rung ist es ihm mög­lich, sein erwor­be­nes Wis­sen zu spei­chern und wei­ter­zu­ge­ben. Neben dem in den Genen gespei­cher­ten Wis­sen ver­fügt der Mensch so über einen neu­en Wis­sens­spei­cher, der den natür­li­chen an Schnel­lig­keit und Effi­zi­enz bei wei­tem über­trifft. Es sei daher auch kei­ne Über­trei­bung zu sagen, daß »das geis­ti­ge Leben des Men­schen eine neue Art von Leben« ist.

Seit den 1970er Jah­ren nahm Lorenz in der Öffent­lich­keit die Rol­le eines kul­tur­kri­ti­schen Mah­ners ein. In den Büchern Die acht Tod­sün­den der zivi­li­sier­ten Mensch­heit (1973) und Der Abbau des Mensch­li­chen (1983) übte er Kri­tik an der Umwelt­zer­stö­rung, der Über­be­völ­ke­rung, der Ent­frem­dung von der Natur, an Ego­is­mus und Kon­kur­renz­den­ken. Stand er mit die­sen Kri­tik­punk­ten auf der Höhe des dama­li­gen Zeit­geis­tes – zeit­wei­lig galt er gera­de­zu als eine Iko­ne der Umwelt­be­we­gung –, so beinhal­te­te sei­ne Kul­tur­kri­tik auch klas­si­sche kon­ser­va­ti­ve und euge­ni­sche Posi­tio­nen, die schon damals nicht auf unge­teil­te Zustim­mung stie­ßen. So kri­ti­sier­te er die zuneh­men­de Unlust­in­to­le­ranz und Ver­weich­li­chung in der Kon­sum­ge­sell­schaft und warn­te vor dem Abriß der kul­tu­rel­len Tra­di­ti­on. Mit der Stu­den­ten­be­we­gung hat­te sich sei­ner Mei­nung nach der nor­ma­le Gene­ra­tio­nen­kon­flikt so sehr ver­schärft, daß die Gene­ra­tio­nen ein­an­der zum ersten­mal mit »eth­ni­schem Haß« gegen­über­stün­den. Was u. a. dadurch zum Aus­druck kam, daß man sich in einer Art Pseu­do­spe­zi­fi­ka­ti­on durch künst­li­che Merk­ma­le der Klei­dung, der Haar- und Bart­tracht und des Ver­hal­tens von­ein­an­der abgrenzte.

Lorenz warn­te auch vor der Gefahr eines gene­ti­schen Ver­falls. Er sah in man­chen Erschei­nun­gen der moder­nen Mas­sen­ge­sell­schaft den Aus­druck von Domes­ti­ka­ti­ons­er­schei­nun­gen, von Aus­fall­erschei­nun­gen durch nach­las­sen­de Selek­ti­on. Dazu zähl­te er die »zuneh­men­de Wert­blind­heit« und die Hyper­tro­phie stam­mes­ge­schicht­lich älte­rer Antrie­be wie Sexua­li­tät, Nah­rungs­auf­nah­me und Aggres­si­vi­tät, die durch evo­lu­tio­när jün­ge­re und labi­le­re sozia­le Pro­gram­mie­run­gen bis­her in Schach gehal­ten wur­den. Die­se Kri­tik­punk­te brach­ten Lorenz in lin­ken Krei­sen den Ruf der Nähe zum Natio­nal­so­zia­lis­mus ein, der ihm ange­sichts sei­ner gro­ßen Popu­la­ri­tät zu Leb­zei­ten aber noch nicht sehr scha­den konn­te. Erst eini­ge Zeit nach sei­nem Tod wur­de Lorenz – ange­facht durch ver­meint­lich »belas­ten­de « Fun­de aus der NS-Zeit in sei­nem Nach­laß – zuneh­mend zum Objekt einer lin­ken Ver­gan­gen­heits­auf­ar­bei­tung. Dem steht aber nach wie vor der gro­ße Respekt gegen­über, den er auf­grund sei­ner wis­sen­schaft­li­chen Leis­tun­gen genießt.

Schrif­ten: Das soge­nann­te Böse, Wien 1963; Über tie­ri­sches und mensch­li­ches Ver­hal­ten, Mün­chen 1965; Die acht Tod­sün­den der zivi­li­sier­ten Mensch­heit, Mün­chen 1973; Die Rück­sei­te des Spie­gels. Ver­such einer Natur­ge­schich­te des mensch­li­chen Erken­nens, Mün­chen 1975; Ver­glei­chen­de Ver­hal­tens­for­schung, Wien 1978; Der Abbau des Mensch­li­chen, Mün­chen 1983.

Lite­ra­tur: Ire­nä­us Eibl-Eibes­feldt: Kon­rad Lorenz (*1903), in: Die Psy­cho­lo­gie des 20. Jahr­hun­derts. Bd. VI: Lorenz und die Fol­gen, Zürich 1978; Kurt Kotrschal/ Gerd Müller/Hans Wink­ler (Hrsg.): Kon­rad Lorenz und sei­ne ver­hal­tens­bio­lo­gi­schen Kon­zep­te aus heu­ti­ger Sicht, Fürth 2001; Hein­rich Mei­er: Kon­rad Lorenz, in: Cas­par v. Schrenck-Not­zing (Hrsg.): Kon­ser­va­ti­ve Köp­fe, Mün­chen 1978; Franz Wuke­tits: Kon­rad Lorenz. Leben und Werk eines gro­ßen Natur­for­schers, Mün­chen 1990.

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