Schriftsteller, Partisan, Rebell

52pdf der Druckfassung aus Sezession 52 / Februar 2013

von Richard Millet

Was bleibt dem Schriftsteller in einem Europa, in dem der Gedanke der Nation erodiert, die Entchristlichung allem Anschein nach nicht mehr rückgängig zu machen ist und in dem man die Kultur durch Unterhaltungskultur ersetzt hat – sofern Kultur im weiteren Sinn nicht sowieso Christentum bedeutet, soll heißen die ständige Begegnung zwischen Jerusalem und Athen?

Mag sein, daß die Fra­ge zu weit gefaßt ist oder einer Fra­ge­stel­lung ver­haf­tet bleibt, die inzwi­schen aka­de­misch oder gar jour­na­lis­tisch und somit belang­los ist. Inso­fern bie­tet es sich an, sie auf ein ande­res Ter­rain zu ver­la­gern – wobei eine sol­che Ver­la­ge­rung nicht im stren­gen Sin­ne poli­tisch, his­to­risch oder ethisch ist, son­dern am Rand die­ser Kate­go­rien steht: dort, wo noch Hoff­nung ist; man könn­te eine fri­sche Sicht auf sie gewin­nen. Die­se Ver­la­ge­rung führt zu der Erkennt­nis, daß der Schrift­stel­ler in Euro­pa, wenn nicht gar im Wes­ten, so gut wie nichts mehr gilt.

Allein Deutsch­land hat noch – wo aber sind ihre Nach­fol­ger? – einen Gün­ter Grass, einen Hans Magnus Enzens­ber­ger, ganz zu schwei­gen von Peter Hand­ke, der aller­dings Öster­rei­cher ist: Schrift­stel­ler, denen auf die eine oder ande­re Wei­se Gehör geschenkt wird. Ihre fran­zö­si­schen Kol­le­gen wie­der­um hören sich zumeist nur noch ger­ne reden, oder sie geben sich der Pro­pa­gan­da hin. Zwi­schen den an Grass und an Le Clé­zio ver­lie­he­nen Nobel­prei­sen spielt sich inner­halb eines Jahr­zehnts der Nie­der­gang der Kul­tur, ja einer Welt ab: der Über­gang von einem Modus der Infra­ge­stel­lung, Kri­tik, Erin­ne­rung zu den manich­äi­schen Ver­ein­fa­chun­gen des poli­tisch Kor­rek­ten – soll hei­ßen zur Unmög­lich­keit jeg­li­cher Kri­tik und zur Poli­tik der end­lo­sen Süh­ne (post­na­zis­tisch, post­ko­lo­ni­al, post­christ­lich, post­li­te­ra­risch, posteuropäisch …).

Der zeit­ge­nös­si­sche Schrift­stel­ler arbei­tet sich seit lan­gem weder an der Spra­che noch an der Geschich­te, nicht ein­mal mehr an ethi­schen Kate­go­rien ab, die Lite­ra­tur ist längst auf den Roman redu­ziert und gehört somit zu den Herr­schafts­in­stru­men­ten des Enter­tain­ments und des Spek­ta­kels, wie Guy Debord es bezeich­net. Der Roman als Aus­drucks­form des Post­li­te­ra­ri­schen, also einer auf glo­ba­li­sier­te Roman­zen redu­zier­ten Kon­sens­li­te­ra­tur ohne Stil, wenn nicht sogar ihrer Spra­che ent­leert: eben­die­sem ver­wei­ge­re ich mich als Schrift­stel­ler – und gehö­re damit zu jenen weni­gen euro­päi­schen Schrift­stel­lern, die sich als die letz­ten Schrift­stel­ler begrei­fen, eben­so wie wir uns der trü­ge­ri­schen, ent­frem­den­den Dimen­si­on des Fal­schen ver­wei­gern, die in sämt­li­chen Sys­te­men der kul­tu­rel­len und ins­be­son­de­re der lite­ra­ri­schen Pro­duk­ti­on vor­herrscht, so daß das Wah­re über­haupt nur noch als Aus­nah­me wahr­nehm­bar ist und als sol­che die Herr­schaft des ver­fälsch­ten Nicht-Werts stützt.

Weil ich in Frank­reich die­se Wahr­hei­ten ange­mahnt und dabei vor allem auf­ge­zeigt habe, daß die Ver­nich­tung des Stils jene der Spra­che und somit der Lite­ra­tur, folg­lich die Ver­nich­tung Frank­reichs als lite­ra­ri­scher Nati­on nach sich zieht, hat man mich zum Aus­ge­sto­ße­nen und dann zum Rebel­len titu­liert. Indes betrifft die­se Ent­wick­lung nicht nur Frank­reich. In einem Euro­pa, wo Lite­ra­tur sich gene­rell auf die Nach­ah­mung des eng­lisch­spra­chi­gen Romans redu­ziert (der sei­ner­seits in den meis­ten Fäl­len belang­los ist und als Kopie eines Modells, das sei­ne künst­le­ri­sche Aus­sa­ge­kraft bereits ver­lo­ren hat, zum blo­ßen »Kul­tur­pro­dukt« ver­kommt), wird der Schrift­stel­ler zwangs­läu­fig mit jener ande­ren Form der Belang­lo­sig­keit kon­fron­tiert, näm­lich dem Moralismus.

Unter Mora­lis­mus ist hier ledig­lich die ver­meint­lich ethi­sche Dimen­si­on zu ver­ste­hen, wie sie die poli­ti­sche Kor­rekt­heit der Lite­ra­tur in den an sich selbst erkrank­ten Gesell­schaf­ten auf­zwingt, wo die Ein­wan­de­rung aus außer­eu­ro­päi­schen, ins­be­son­de­re mus­li­mi­schen Län­dern die Unheil­bar­keit die­ser Krank­heit offen­bar wer­den läßt: Der ästhe­tisch-ethi­sche Dis­kurs ist auf­ge­la­den mit dem Spreng­stoff einer gera­de­zu neu­ro­ti­schen Über­schät­zung des Frem­den (des Ein­wan­de­rers, des »Papier­lo­sen«, des Ille­ga­len), die ihre Legi­ti­mie­rung im Mul­ti­kul­tu­ra­lis­mus sucht, soll hei­ßen in der Auf­ga­be der kul­tu­rel­len Ein­heit zuguns­ten eines poli­tisch-reli­giö­sen Sta­tus quo, der sich als ein Aus­lö­ser des Bür­ger­kriegs erweist. Eine Auf­leh­nung gegen die­sen Dis­kurs, gegen die­sen Tat­be­stand, gegen die­se neue Theo­lo­gie des Mensch­li­chen, ins­be­son­de­re der Hin­weis, daß der Mul­ti­kul­tu­ra­lis­mus ein poten­ti­el­ler Bür­ger­krieg ist, hat zwangs­läu­fig den Aus­schluß aus dem Main­stream zur Fol­ge; wer sich auf­lehnt, fin­det sich in der Ver­ban­nung wie­der. Sie macht ihn zum Par­ti­sa­nen, zum Rebellen.

In Frank­reich wer­den die Begrif­fe Par­ti­san und Rebell im all­ge­mei­nen Sprach­ge­brauch in ein­ge­schränk­ter oder abge­wer­te­ter Bedeu­tung ver­wen­det: ers­te­rer vor allem im Zusam­men­hang mit dem Wider­stand gegen die Deut­schen im Zwei­ten Welt­krieg, letz­te­rer als Kli­schee der medi­al-poli­ti­schen Kon­sens­ge­sell­schaft: Je empha­ti­scher ein Schrift­stel­ler, Künst­ler oder eine ande­re Per­son, die sich ihre fünf­zehn Minu­ten im Ram­pen­licht sichern will, als Rebell bezeich­net wird, des­to zuver­läs­si­ger wird er sich als akti­ver Par­ti­sa­nen­kämp­fer für die eta­blier­te Ord­nung erwei­sen – wobei sich im Fall des Kapi­ta­lis­mus, der den ste­tig wach­sen­den Zustrom außer­eu­ro­päi­scher Ein­wan­de­rer in Ver­dre­hung der Tat­sa­chen als his­to­ri­sche Unab­wend­bar­keit aus­gibt, die »Ethik« somit zur Kom­pli­zin der trans­nationalen Ästhe­tik macht, soll hei­ßen der ame­ri­ka­ni­schen Sub­kul­tur, so daß die Natio­nen seit­her als »alt« abge­tan wer­den (mit der gan­zen Ver­ach­tung, die in Frank­reich, wo der Auf­stand gegen die Insti­tu­tio­nen mit einer über­trie­be­nen Auf­wer­tung bio­lo­gi­scher Jugend ein­her­geht, in dem Epi­the­ton »vieux« mit­schwin­gen kann).

Daher ist eine Rück­be­sin­nung auf die Bedeu­tun­gen gebo­ten, die Carl Schmitt dem Begriff des Par­ti­sa­nen und Ernst Jün­ger jenem des Rebel­len ver­lieh, die aber hier wei­ter­zu­ent­wi­ckeln und einem neu­en Kon­text anzu­pas­sen wären. Der Schrift­stel­ler wür­de damit zum Inbe­griff des Par­ti­sa­nen oder Rebel­len, soll hei­ßen zum Ein­zel­gän­ger par excel­lence, wohl­wis­send, daß eine frei­wil­li­ge Ein­sam­keit der Pro­pa­gan­da unge­heu­er suspekt ist. Für mich per­sön­lich bedeu­tet das, in der Ein­sam­keit der Spra­che Halt zu fin­den – im vol­len Bewußt­sein jenes Wider­spruchs, der dar­in besteht, bei einer Tätig­keit allein zu sein, die angeb­lich die Men­schen eint und die ihnen, um mit Émi­le Ben­ve­nis­te zu spre­chen, das Voka­bu­lar ihrer Insti­tu­tio­nen gestif­tet hat.

Schrei­ben bedeu­tet, in den gesun­den Men­schen­ver­stand (der in den meis­ten Fäl­len durch die ästhe­tisch-poli­ti­schen Doxa bedroht oder aus­ge­höhlt wird) einen Abstand ein­zu­fü­gen. Die­ser Abstand ist mei­ne Wei­ge­rung, das lite­ra­ri­sche, poli­ti­sche, ästhe­ti­sche Spiel mit­zu­spie­len. Auf des­sen Ent­hül­lung zie­len von die­sem Zeit­punkt an all mei­ne Bemü­hun­gen ab, indem ich durch mei­nen Stil eben­so wie durch mei­ne Rol­le als Zeu­ge auf­zu­zei­gen ver­su­che, daß mit gezink­ten Kar­ten gespielt wird. Es bedeu­tet, in mei­ner Arbeit von den stän­di­gen Bedeu­tungs­ent­lee­run­gen und demo­kra­ti­schen Zau­ber­for­meln des Reichs des Guten (wobei das Gute hier selbst­ver­ständ­lich das Gegen­teil des­sen ist, was es zu sein vor­gibt: eine dämo­ni­sche Figur) aus- und über sie hin­aus­zu­ge­hen. Schließ­lich bedeu­tet es, sich in einer Abkehr zu ver­or­ten, die man auch als abso­lu­ten Abstand bezeich­nen könn­te: dort, wohin mich nur die­je­ni­gen beglei­ten, die wie ich in Wirk­lich­keit nicht mehr und nicht weni­ger sind als Par­ti­sa­nen der Wahr­heit in einer Welt, in der die Wer­te und Gewiß­hei­ten, zu denen sie einst erzo­gen wur­den, größ­ten­teils für obso­let erklärt, ent­wer­tet, in ihr Gegen­teil ver­kehrt wor­den sind.

Der Schrift­stel­ler arbei­tet also in der Ent­wer­tung, der Außer­plan­mä­ßig­keit, der Rand­stän­dig­keit, zusam­men­fas­send könn­te man sagen: im Wald. Die­se Rück­kehr zum Wald ist mei­len­weit ent­fernt von einem öko­lo­gi­schen Mär­chen. Sie ist in den meis­ten Fäl­len eine meta­pho­ri­sche. Ich möch­te sie als frei­wil­li­ge Apart­heid bezeich­nen, eine bewußt bru­ta­le Wort­wahl: eine Form des inne­ren Exils, das geo­gra­phi­scher Natur sein kann (der Wald als Ort zum Den­ken, Schrei­ben, Leben, eine Zuflucht vor der von Bau­de­lai­re so beschrie­be­nen »Tyran­nei des mensch­li­chen Ant­lit­zes« oder der von Toc­que­ville for­mu­lier­ten »Tyran­nei der Mehr­heit«), das aber vor allem ein sprach­li­ches Exil ist. Als Schrift­stel­ler spre­che ich kei­nes­wegs die glei­che Spra­che wie mei­ne Zeit­ge­nos­sen und kann doch von den­je­ni­gen ver­stan­den wer­den, die sich nicht in die frei­wil­li­ge Unter­wür­fig­keit fügen.

Ich wäh­le nicht; ich »debat­tie­re« nicht; ich spie­le das demo­kra­ti­sche Spiel nicht mit; ich ver­wei­ge­re mich der All­macht der Ethik, sobald sie sich in Gestalt eines ideo­lo­gi­schen Werk­zeugs des Staats prä­sen­tiert (wie zum Bei­spiel der Anti­ras­sis­mus in Frank­reich mit sei­nen Geset­zen und sei­nen halb­staat­li­chen, frei­heits­tö­ten­den Orga­ni­sa­tio­nen). Ich befin­de mich in einem stän­di­gen Pro­zeß des Selbst­aus­schlus­ses: Die­se frei­wil­li­ge Apart­heid ist ein her­vor­ra­gen­der Indi­ka­tor der zeit­ge­nös­si­schen Belang­lo­sig­keit und des­sen, was ich als »Sin­n­ab­nut­zung« bezeich­ne, soll hei­ßen des mehr oder weni­ger pro­gram­mier­ten Ver­zichts auf ein Sein als den­ken­des (soll hei­ßen: nicht-nar­ziß­ti­sches) Selbst mit einer natio­na­len Zuge­hö­rig­keit. Der frei­wil­li­ge Aus­schluß als Ant­wort auf den unbe­ding­ten Wil­len zur Ein­be­zie­hung, wie er für den gut­mensch­li­chen Dis­kurs typisch ist – die­ser Wil­le erin­nert durch­aus an gewis­se Aus­wir­kun­gen des Totalitarismus.

Mein Wald ist die Spra­che und die Ein­zig­ar­tig­keit, die die­se ver­leiht in einer Welt, die taub gewor­den ist für das lau­te Blät­ter­ra­scheln der Erin­ne­rung oder des Unsicht­ba­ren, des Geis­ti­gen. Ohne die Wohl­ta­ten des Ver­ges­sens unter­schät­zen zu wol­len (das hier als die not­wen­di­ge Mil­de einer Begna­di­gung ver­stan­den wer­den soll), eröff­net das Schrei­ben Wald­we­ge, die nir­gend­wo hin­füh­ren (die Heid­eg­ger­schen »Holz­we­ge«) – eben­die­ses Nir­gend­wo ist der Ort des Schrift­stel­lers im glei­chen Sin­ne, wie der Weg oft wich­ti­ger ist als das Ziel.

Der Wald ist die Gegen-Stadt und die Ver­wei­ge­rung gegen­über dem Zahl­rei­chen – oder bes­ser gesagt, dem Zahl­lo­sen. Kein Elfen­bein­turm; kei­ne roman­ti­sche Ein­sam­keit; kein Wan­de­rer. Außer­halb der Stadt zu sein bedeu­tet, sich in den Mit­tel­punkt der Kri­tik zu stel­len, soll hei­ßen mit­ten in den Kampf, der vor allem dar­in besteht, die gut­mensch­li­chen Wer­te in ihre Belang­lo­sig­keit, ihre Falsch­heit, ihre schäd­li­che Macht zurückzuverweisen.

Dafür, daß ich die Ver­bin­dung zwi­schen dem lite­ra­ri­schen Falsch­geld und dem mul­ti­kul­tu­ra­lis­ti­schen Dis­kurs auf­ge­zeigt habe, hat man mich gesell­schaft­lich ver­nich­tet und mir kei­ne ande­re Wahl gelas­sen, als den Weg in den Wald zu gehen, oder bes­ser gesagt, mir bewußt zu wer­den, daß ich mich bereits auf einem Weg befand, auf dem ich mich sel­ber als Sub­jekt behaup­te in einer Bewe­gung, bei der die Objek­ti­vie­rung, das All­ge­mein­gül­ti­ge einer ewi­gen Bedro­hung aus­ge­setzt sind durch ein Sys­tem, das mich als han­deln­des Sub­jekt negiert und mich auf eine Form des Solip­sis­mus oder der nar­ziß­ti­schen Gefan­gen­schaft zurück­zu­wer­fen droht, wäh­rend ich dem abso­lu­ten Außer­halb, der unge­heu­ren Fri­sche der Mor­gen­rö­te, jener Chan­ce zuge­wandt blei­be, zu der mir die gesell­schaft­li­che Nicht­zu­ge­hö­rig­keit gera­ten ist. Ich schrei­be: Ich bin mit der gro­ßen gesell­schaft­li­chen Ver­äu­ße­rung beschäf­tigt, die mir den Zugang zur musi­ka­li­schen Dimen­si­on mei­nes Lebens gestattet.

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