Der goldene Käfig der Kunst

52pdf der Druckfassung aus Sezession 52 / Februar 2013

von Sebastian Hennig

Der Dichter Ezra Pound stellte 1945 im Gorillakäfig des amerikanischen Militärstraflagers bei Pisa fest, daß Redefreiheit ohne die Freiheit, im Radio zu sprechen, nichtig sei. Er meinte zudem: »Mit einem Volk, das die Wahrnehmungen seiner Künstler mißachtet, geht es abwärts. Nach einer Weile hört es auf zu wirken und vegetiert nur noch dahin.«

Die­ser psy­chi­sche Nie­der­gang tritt nicht allein als die Fol­ge von Selbst­miß­ach­tung, Gleich­gül­tig­keit und Hoch­mut auf, er kann zudem von außen, vom Geg­ner, genährt und ver­an­laßt wer­den. Der bes­te Kata­ly­sa­tor die­ser Zer­set­zung ist das Geld. Schlim­mer als das Ver­der­ben, wel­ches die Mit­railleu­sen bei Gra­ve­lot­te in die preu­ßi­schen Rei­hen tru­gen, wirk­ten sich die fünf Mil­li­ar­den Gold­fran­ken an Repa­ra­ti­ons­zah­lun­gen auf Deutsch­land aus. Die Gestalt der Städ­te wur­de in den Grün­der­jah­ren nach 1871 stär­ker zer­stört, als sie­ben Jahr­zehn­te dar­auf vom Bom­ben­ter­ror. Die Roma­ne von Wil­helm Raa­be und Wil­helm von Polenz sind ein Requi­em die­ser frei­wil­li­gen Preis­ga­be des Eige­nen. Richard Wag­ner sprach von der deut­schen Ein­heit, die­se »müs­se über­all hin die Zäh­ne wei­sen kön­nen, selbst, wenn sie nichts damit zu kau­en mehr haben soll­te.« Die Reform­be­we­gung, Bün­di­sche und Geor­ge-Kreis waren eine Reak­ti­on auf das Impe­ri­um des Mam­mons, dem Carl von Stern­heim mit Jus­te Milieu 1920 ein bit­te­res Pam­phlet nach­sand­te. Die Avant­gar­de erwuchs in die­ser Epo­che unter einem Män­tel­chen schein­bar gren­zen­lo­ser Pro­spe­ri­tät her­an, sie ist ein Kind des Bür­ger­kai­ser­tums Wil­helms II. Zu den Refor­men gehör­te auch der Vor­ti­zis­mus in Lon­don, des­sen Wort­füh­rer, Ezra Pound, 1902 ver­kün­de­te: »Die Krank­heit der vori­gen andert­halb Jahr­hun­der­te war die Abs­trakt­heit. Sie griff um sich wie die Schwindsucht.«

Johann Gott­fried Her­der und, nach die­sem, die roman­ti­sche Schu­le ste­hen am Anfang einer frucht­ba­ren Wahr­neh­mung des Eige­nen, nicht nur unter den euro­päi­schen Völ­kern. Die roman­ti­sche Dif­fe­ren­zie­rung folg­te auf eine napo­leo­ni­sche Pau­scha­li­sie­rung, und auf jene folgt bis heu­te eine Nivel­lie­rung unter dem Ban­ner der uni­ver­sel­len Huma­ni­tät und Frei­heit. Es ist so hin­rei­chend bekannt, wie es nur wider­wil­lig ein­ge­stan­den wird, daß der gera­de zum Welt­ge­hirn sich aus­wei­ten­de US-ame­ri­ka­ni­sche Geheim­dienst die Pro­pa­gie­rung der abs­trak­ten, ato­na­len, expe­ri­men­tel­len und moder­nen Dok­trin in den Küns­ten als Uni­ver­sal­spra­che und Frei­heits-Fan­fa­re mit viel Geld im Nach­kriegs­eu­ro­pa durch­setz­te. Der »Kon­greß für kul­tu­rel­le Frei­heit« war nichts ande­res als die Spit­ze des Eis­ber­ges, der mit CIA abge­kürzt wur­de. Es muß­ten dann doch kei­ne Milz­brand­bom­ben auf das »hei­li­ge Herz der Völ­ker« (Höl­der­lin) gewor­fen wer­den. Schwind­sucht wur­de auf Rezept ver­ord­net. Dafür ließ sich das pri­va­te Stif­tungs­we­sen nut­zen: »Beschrän­ken Sie Ihre Aus­ga­ben auf Sum­men, über die pri­va­te Orga­ni­sa­tio­nen glaub­wür­dig ver­fü­gen kön­nen. Ver­schlei­ern Sie das Aus­maß der ame­ri­ka­ni­schen Betei­li­gung. Schüt­zen Sie die Inte­gri­tät der Orga­ni­sa­tio­nen, indem Sie die­se nicht zwin­gen, jeden Aspekt der ame­ri­ka­ni­schen Poli­tik zu unter­stüt­zen.« So heißt es in einer ver­trau­li­chen Anwei­sung. Ein füh­ren­der Stra­te­ge des US-Geheim­diens­tes bekann­te vor sei­nen Mit­ar­bei­tern, daß er gern alle Mit­tel der klas­si­schen Geheim­dienst­tä­tig­keit hin­gä­be für die Vor­herr­schaft im kul­tu­rel­len Wettstreit.

In den roma­ni­schen und sla­wi­schen Län­dern voll­zog und voll­zieht sich die­se Beglü­ckung etwas müh­se­li­ger als in der BRD, wo die Pla­nie­rung der Sze­ne tat­säch­lich als prak­tisch abge­schlos­sen bezeich­net wer­den kann. Die Auf­tei­lung des Lan­des war sei­ne Ret­tung. So wie der schein­bar nutz­lo­se Blind­darm dem Kör­per eine Fül­le immu­ni­sie­ren­der Kei­me bewahrt, wur­de der Natio­nal­rus­se Sta­lin zum Beschüt­zer der deut­schen Kul­tur. Sei­ne Söld­ner haben wohl unse­re Groß­müt­ter ver­ge­wal­tigt, aber nicht unse­re Kul­tur ver­gif­tet. Wer ent­mün­digt im Eige­nen haust, ist auf die Län­ge bes­ser dran als der frei­ge­spro­che­ne Narr in sei­ner gren­zen­lo­sen Frei­heit. Wäh­rend der zivi­le Unge­hor­sam mit dem Gespenst der ABC-Waf­fen und den rea­len Leich­ber­gen der Feu­er­stür­me und Lager gelähmt wur­de, sicker­te die G‑Waffe län­der­weit ein. Denn Geld war es, womit die deut­sche Kunst sturm­reif geschos­sen wur­de. Nur ganz klei­ne Inseln wur­den nicht von der Flut ver­gol­det. Die Rosi­nen­bom­ber der fik­ti­ven Kul­tur der Frei­heit ver­mie­den zivi­le Zie­le und streu­ten ihre Gaben flä­chig breit. Fast alle Bio­gra­phien des künst­le­risch-kul­tu­rel­len Kom­ple­xes der BRD beka­men durch geis­ti­gen Genick­schuß die Rosi­nen der Frei­heit in den Kopf getrie­ben. Sie sind der­art in die­se kol­lek­ti­ve Erfolgs­sto­ry ver­filzt, daß kein offe­nes, geschwei­ge öffent­li­ches oder ver­öf­fent­lich­tes Wort dar­über mög­lich ist. Die Skla­ve­rei ist erst dann per­fekt, wenn die Unter­joch­ten für deren Fort­füh­rung zu kämp­fen bereit sind.

Jeder, der die Indok­tri­na­ti­on der DDR im unauf­ge­reg­ten Wider­stand ertra­gen hat, kommt ins Stau­nen über das Maß an Ideo­lo­gi­sie­rung und Oppor­tu­nis­mus in der BRD. Der Magne­tis­mus von Geld und Ruhm wirk­te zuletzt durch den Eiser­nen Vor­hang. Als der Kul­tur­kampf der Ver­west­li­chung nach ’89 auf Mit­tel­deutsch­land über­griff, war das Feld schon berei­tet. Hin­der­nis­se über­kom­me­ner Gepflo­gen­hei­ten lie­ßen sich nun zumeist mit dem Ver­weis auf das tota­li­tä­re Regime bei­sei­te fegen. Die meis­ten aber waren schon besof­fen von Beuys und Pet Shop Boys. Die vor­sich­ti­gen Zweif­ler waren rasch im Sack: Mach den stil­len Zeu­gen zum Kom­pli­zen und nie wird er gegen dich aus­sa­gen! Die Fut­ter­rau­fe ist breit genug für alle, die bereit sind, dem auf­rech­ten Gang zu ent­sa­gen und auf den Vor­der­fü­ßen vor ihr zu lagern.

Was jüngst Richard Mil­let sei­ne Red­se­lig­keit ein­brach­te (sie­he die Sei­ten 8 bis 11 in die­sem Heft), ist bekannt. Der Weg zur Wahr­heit ist der­art böse mit ver­ren­ken Hin­ge­rich­te­ten ver­ziert, daß vie­len das Blut in den Adern gefriert, sobald sie erwä­gen, ihr Herz auf der Zun­ge zu bringen.

Schluß wird damit wohl erst sein, wenn alle so abge­äschert sind, daß sie sich nicht mehr jucken kön­nen, wenn es sie kratzt. Ost­deutsch­land gibt es nicht mehr. In Mit­tel­deutsch­land zeugt die anhal­ten­de see­li­sche Nie­der­ge­schla­gen­heit der Men­schen von dem phy­sisch-wirt­schaft­li­chen Knock­out nach ’45. Der Wes­ten wur­de ange­fixt mit ton­nen­wei­se Stoff, der high und frei, aber auch abhän­gig und aus­ge­brannt macht. Weil immer grö­ße­re Erd­tei­le ein­ge­schlä­fert wer­den müs­sen, wird der Nach­schub knapp, und wir erwar­ten ein zwei­tes 1989. Eine geis­ti­ge Wie­der­ver­ei­ni­gung durch zusam­men­schie­ßen­de Erfah­rungs­strö­me. Die Rus­sen haben ihre Satra­pen ver- und den Bis­sen fah­ren las­sen. Ihrer öko­no­mi­schen Kolo­ni­sie­rung ent­spricht die geis­ti­ge Ent­mün­di­gung im Wes­ten, wel­che sich ter­ri­to­ri­al aus­dehn­te und noch anhält. Sofern sie nicht völ­lig ver­blen­det sind, zei­tigt die Ver­zweif­lung über ele­men­ta­re Lebens­lü­gen bei den Betrof­fe­nen eine Rest-Aggres­si­vi­tät von enor­mer Durch­schlags­kraft. Und da jeder, der in der Sze­ne reüs­sie­ren will, an ihren weiß­haa­ri­gen Pfört­nern vor­bei muß, wird es noch eine Wei­le still blei­ben. Kra­wall über der Wal­statt und doch: Unser Luna­park ist eigent­lich ein Friedhof.

1966 wur­de die bri­ti­sche Jour­na­lis­tin Fran­ces Stonor Saun­ders gebo­ren. Ihr Buch Who Paid the Piper? CIA and the Cul­tu­ral Cold War (1999) ist getra­gen von der bri­ti­schen Vor­lie­be für Schau­er­sto­rys. Auf dem Umschlag­bild der eben­falls sehr erfolg­rei­chen ame­ri­ka­ni­schen Aus­ga­be führt der Weiß­kopf­ad­ler einen Bors­ten­pin­sel im Schna­bel. Zeit-Her­aus­ge­ber Josef Jof­fe rezen­sier­te die­se Aus­ga­be in der New York Times Book Review und weist die Haupt­the­se des Buches zurück, die Avant­gar­de sei nichts als Muni­ti­on im (Kal­ten) Krieg gewe­sen: »That might be true for Socia­list Rea­list kitsch ext­ol­ling the kolk­hoz. But Jack­son Pollock’s ›Num­ber 6‹ or Mark Rothko’s ›#18‹ can­not be redu­ced to anti-Com­mu­nist artil­lery pie­ces.« Der tra­gi­schen Selbst­tö­tung von Roth­ko wohnt eine ande­re Bered­sam­keit inne: Hier woll­te einer mit Far­be die Ord­nung erschüt­tern und sah sei­ne Bil­der im Foy­er der Cha­se Man­hat­tan wie­der, wo sie wirk­ten, als wären sie dort aus den Wän­den herausgewachsen.

Als das Buch der Saun­ders 2001 im Sied­ler-Ver­lag unter dem Titel Wer die Zeche zahlt … erschien, wur­de es wenig beach­tet und abwie­gelnd bespro­chen. Ganz klar, wenn einer der dar­in beschrie­be­nen Gau­ner inzwi­schen den Ver­dienst­or­den des Lan­des Ber­lin ange­hef­tet bekam. Das ver­grif­fe­ne Buch ist ver­zwei­felt schwer anti­qua­risch auf­zu­trei­ben und im Fern­leih­ver­bund der deut­schen Biblio­the­ken fin­den sich bun­des­weit nur acht Exem­pla­re. Soll­te das Buch ein ähn­li­ches Schick­sal erle­ben wie Son­nen­fins­ter­nis von Arthur Koest­ler, die­ses anti­to­ta­li­tä­re Sowjet­lehr­stück, des­sen Exem­pla­re die KP Frank­reichs auf­kauf­te und damit den Autor reich mach­te? Koest­ler war unter dem Schirm des »Kon­gres­ses für kul­tu­rel­le Frei­heit« einer der Pro­pa­gan­dis­ten des Feld­zugs für Frei­heit und nicht der ein­zi­ge Rene­gat, der zuvor sei­ne Schu­lung in Wil­li Mün­zen­bergs sozia­lis­ti­schem Medi­en­im­pe­ri­um durch­lau­fen hatte.

Zu Recht wur­de dem Buch der Saun­ders hier­zu­lan­de die effekt­voll gro­be Ver­ein­fa­chung in der Argu­men­ta­ti­on vor­ge­wor­fen. Sie berich­tet getreu, ver­steht aber oft nicht, wovon sie kün­det. Denn der prä­zi­se geschil­der­te Pro­zeß war nicht die Ver­schwö­rung des Bösen. Son­dern die Finan­zie­rung der Dum­men. Bevor­zu­gung der Ängst­li­chen und Oppor­tu­nis­ten ermög­lich­te im Selbst­lauf ein erwünsch­tes Ergeb­nis. Als gelen­ki­ge Meer­kat­zen las­sen sie sich an die gro­ße Kino­or­gel von Hol­ly­wood schmie­den, machen Frat­zen und Hop­sa­sa zu deren Getön. In die­ser Fra­ge muß fort­an dif­fe­ren­ziert und sach­lich geforscht wer­den. Kul­tur­pes­si­mis­ti­sche Affek­te füh­ren in die Irre. Es besteht schon seit Ende der sech­zi­ger Jah­re kein Man­gel an veri­fi­zier­ba­ren Fak­ten, wohl aber an küh­len und kennt­nis­rei­chen Köp­fen. Man darf nicht zum Anwalt der Banau­sen wer­den. Denn die Kunst von heu­te ent­hält die ästhe­ti­sche Kon­ven­ti­on von mor­gen. Sie ist immer zunächst eher ver­stö­rend als gefäl­lig. Andern­falls wäre sie nur Aus­druck des Zeit­geis­tes. Aber die Wer­ke eines Dmi­t­ri Schost­a­ko­witsch, der so unfrei wie kaum ein Künst­ler leben muß­te, haben sich im Kon­zert­saal neben Beet­ho­ven und Bruck­ner bewährt – was sich von John Cage, Arnold Schön­berg in kei­nem Fall behaup­ten läßt. Heu­ti­ge Musik­stu­den­ten ler­nen lie­ber, eher und bes­ser ihr Instru­ment ken­nen und hand­ha­ben anhand einer Sona­te von Schost­a­ko­witsch als von Hindemith.

Vom Werk des Ai Wei­wei (Nomen est omen) blieb ohne den Schur­ken-Kon­trast nichts sicht­bar. Zieht man vom rus­si­schen Muschi-Auf­stand den Auf­stand ab, blei­ben rund fünf­zig Pro­zent von dem übrig, was die Kul­tur­jour­na­lis­ten eben­so fes­selt wie guter fran­zö­si­scher Rot­wein und Jazz. Gern wird das auch Off-Sze­ne genannt. Wer ein Volk ver­gif­ten will, muß die anti­to­xi­sche Wir­kung der Kunst zuvor ausschalten.

Außer dem Fall Ezra Pound gab es eini­ge wei­te­re Bei­spie­le von Künst­ler­ver­fol­gung, die gro­ße Kunst letzt­lich nicht zu ver­hin­dern ver­moch­ten: Wäh­rend sein Kol­le­ge Jan Zahr­ad­ni Cek nach zehn Jah­ren im kom­mu­nis­ti­schen Ker­ker an einem Ersti­ckungs­an­fall starb, ret­te­te die Freund­schaft des Kom­mu­nis­ten Vitez­slav Nez­val den tsche­chi­schen Dich­ter Jakub Deml vor der phy­si­schen Ver­nich­tung. Ein Film­künst­ler wie der Arme­ni­er Ser­gej Paradscha­now wur­de für vier Jah­re in die Gesell­schaft von Mör­dern im sowje­ti­schen Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger gesto­ßen, weil er es wag­te, wirk­lich Kunst her­zu­stel­len. Für sei­nen Spiel­film Schat­ten ver­ges­se­ner Ahnen über das west­ukrai­ni­sche Volk der Huzu­len wur­de er inter­na­tio­nal mit Prei­sen über­schüt­tet. Sein zwei­ter gro­ßer Film über den arme­ni­schen Dich­ter Sayat Nova wur­de von der Zen­sur zer­met­zelt und ist heu­te nur in einer kas­trier­ten Form über­lie­fert, die noch ein­drucks­voll genug ist.

Gäbe es die­sen Film so, wie sein Schöp­fer ihn fer­tig­stell­te – er wür­de wie eine Strah­len­ka­no­ne puren ver­sinn­lich­ten Geis­tes die zeit­ge­nös­si­sche Film­pro­duk­ti­on zugrun­de rich­ten. Vor der Lager­haft konn­ten ihn weder der Knie­fall des Lou­is Ara­gon vor Bre­sch­new noch Bitt­schrei­ben der drei berühm­ten »-ni« (Antonio‑, Fel­li- und Rosel­li-) unter den ita­lie­ni­schen Regis­seu­ren bewah­ren. Mit einem Kugel­schrei­ber ermal­te er sich sein Leben wäh­rend der Lager­zeit. Nach Jah­ren der Haft und des Arbeits­ver­bots voll­ende­te er noch zwei Spiel­fil­me, die aber­mals zwei Völ­kern ihr Eige­nes bestä­tig­ten: Die Errich­tung der Fes­tung Suram wur­de dann zum zen­tra­len Meis­ter­werk des geor­gi­schen Kinos. Die Roman­ze des Spiel­manns Aschik Kerib nach einer Erzäh­lung von Ler­mon­tow wur­de das ästhe­ti­sche Leit­bild der Regis­seu­re des Iran. Für die Ver­kör­pe­rung des mus­li­mi­schen Sän­ger­hel­den wähl­te Paradscha­now einen Hoo­li­gan aus den Gas­sen von Tif­lis. Zur Welt­ur­auf­füh­rung in Mün­chen ver­kün­de­te er, nach die­sem Film ster­ben zu wol­len. So geschah es auch. Wäh­rend die meis­ten Fil­me sei­ner Epo­che heu­te film­äs­the­tisch dechif­friert wer­den müs­sen, blei­ben sei­ne Wer­ke bestür­zend frisch wie zu ihrer Entstehungszeit.

Deml, Pound, Schost­a­ko­witsch, Paradscha­now – da haben wir den Maß­stab für ästhe­tisch-ethi­sche Gerad­li­nig­keit im Zeit­al­ter der Lang­stre­cken­waf­fen und des Mas­sen­tou­ris­mus. Durch die frag­wür­di­ge Über­set­zungs­mo­no­po­lis­tin Eva Hes­se wur­de Pounds macht­vol­le Stim­me zur Pop-art umge­polt. Als Allan Gins­burg ihm die Abso­lu­ti­on brach­te, waren für den Dich­ter die Figu­ren um ihn schon längst trans­pa­rent gewor­den. Im Nach­wort der kürz­lich erschie­ne­nen ers­ten deut­schen Gesamt­aus­ga­be von Ezra Pounds Can­tos spricht der Her­aus­ge­ber in einer Fuß­no­te der »Casa Pound« jede Beru­fungs­mög­lich­keit auf ihren geis­ti­gen Patron ab. Die »Casa« sei »eine rech­te Kunst- und Akti­ons­ge­mein­schaft, die 2002 gegrün­det wur­de. Daß sie sich auf Pound beruft, ist inso­fern schon wider­sin­nig, als ihr natio­na­lis­ti­sches und frem­den­feind­li­ches Pro­gramm dem kos­mo­po­li­ti­schen Geist des Pound­schen Werks widerspricht.«

Wer sich selbst über »Casa Pound« infor­miert, der erkennt rasch, daß Heinz Ick­stadt sich hier eli­mi­na­to­risch äußert, obwohl es dafür kei­nen Grund gibt, weder in den Äuße­run­gen noch im Pro­jekt des »Casa«-Initiators Gian­lu­ca Ianon­ne. Auch wird durch sol­che Ein­schät­zun­gen der Faschist Pound, der poli­tisch unzu­rech­nungs­fä­hi­ge, infi­zier­te Mensch, von sei­nem huma­nen Werk geson­dert. Ver­ges­sen wir jedoch nicht: Ezra Pound war der Erfin­der, die geis­ti­ge Heb­am­me von Ernest Heming­way, T.S. Eli­ot und James Joy­ce. Für sein Fes­ti­val alter Musik – bevor es den Begriff eigent­lich gab – ließ er in der Dresd­ner Lan­des­bi­blio­thek eine Par­ti­tur Anto­nio Vival­dis kopie­ren, die 1945 unwie­der­bring­lich ver­lo­ren­ging. Das Schick­sal Dres­dens klingt auf im Pisaner »Can­to LXXV« für den gebür­ti­gen Dresd­ner Brat­schis­ten Ger­hart Münch: »Out of Phle­ge­thon! Out of phle­ge­thon, Ger­hart art thou come forth out of Ple­ge­thon?« Den höl­li­schen Flam­men­strom von Dres­den (der mythi­sche »Phle­ge­thon« des Hades) gestat­tet man sich in den Anmer­kun­gen auf Febru­ar 1944 zurück­zu­da­tie­ren – ein gra­vie­ren­der Feh­ler, denn im Febru­ar 1945, dem tat­säch­li­chen Datum, gab es weni­ger denn je noch einen Grund für die Zer­stö­rung einer Innenstadt.

Das Eige­ne ist nicht das Ziel, aber der Aus­gang. Nur aus der Wur­zel, der Erde wächst es sich zum Licht. Schleim­pil­ze haben kei­nen Ort, sind Zell­kern­an­häu­fun­gen, nicht Pflan­ze, nicht Tier, die plas­ma­tisch zucken. Dres­den wur­de aus­ge­löscht, und sei­ne Schön­heit loh­te wie­der auf. Die euro­päi­schen Juden wur­den aus­ge­merzt und erle­ben einen neu­en März. Die Bom­be von Hiro­shi­ma soll­te den Insel­rit­tern ihren Ten­no aus dem Kopf fegen, und der Gehei­me wur­de hör- und sicht­bar und blieb bis 1989 ver­gött­lich­ter Kai­ser. Was heu­te an hin­ter­las­sungs­fä­hi­gen Wer­ken stumm-bered­ter bil­den­der Kunst geschaf­fen wird, an Musik und Lite­ra­tur, ist so öffent­lich, wie es die Roma­ne des (Büch­nerpreis­trä­gers) Rein­hard Jirgl 1987 waren: zwei Jah­re vor einer Wen­de, die auch heu­te wie­der ansteht.

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