Deutschland hat sich auch immer schon über Goethe gefreut, obwohl es ihn selten las und immer seltener liest oder vielmehr: kaum mehr lesen kann. Auch das vielleicht eine mindestens unbewußte Botschaft des Titels. Bewußt übercoloriert und ikonografisch dicht am Comic erzählt der neue Film Deutschland als Bildungsmärchen. Es spielt an einer dieser Gesamtschulen mit desorientierten Schülern, denen die Kuschelpädagogik ihrer überforderten Lehrer längst nicht mehr gegen Verblödung und Entgrenzung hilft. Ja, obwohl sie alle Potential haben oder mindestens Herzchen sind. Der in den Siebzigern installierte Betrieb wird von einem schwachen sozialpädagogisches Korsett zweifelhafter Anthropologie gerade noch zusammengehalten. Als Farce. Begleiteter Verfall.
Frustration auf beiden Seiten: Die Lehrer skurril bis ins Psychotische oder ausgebrannt. Eher gleich beides. Die Schüler Macker und Tussen, deren Weltbild sich auf das beschränkt, worüber sie an sich selbst verfügen, ihren unsicheren Narzißmus, fixiert auf den eigenen Body und den der anderen.
Rettung naht von außen, gewissermaßen mit einem guten Wilden: Zeki Müller (Elyas M’Barek), schwerer Junge mit Migrationshintergrund, kommt frisch aus dem Knast und will eigentlich nur an den Zaster aus seinem letzten Bruch. Blöderweise ist aber über dem Versteck zwischendurch eine Turnhalle gebaut worden. Also wird er Hilfslehrer, um vor Ort zu sein. Putzige Mimikry. Der Rollenwechsel fällt leicht, weil Zeki über die angesagte Model-Ästhetik mit Waschbrettbauch und Tattoo verfügt und bei ihm sogar das Kettenrauchen dank blankem Gebiß apart aussieht.
Während er nachts am Tunnel gräbt, stellt er über Tage mit der Schulordnung gleich noch die Motivation in der horrenden 10 B sicher, die bisher noch jeden Pauker abkochte. Er schaffte das allerdings nur mit seinen Methoden: Ghettosprache, Bodycheck, Männervorbild – insgesamt nach der Art, wie sie sofort die Staatsanwaltschaft auf den Plan riefe. Alles brachial – von Ausdrucksweise bis Sturmgewehr, und sei es auch nur eine Paintball-Wumme.
Der Film bietet eine gut inszenierte Koketterie mit den Tabus der deutschen Kultusbehörden. Jeder weiß: Ja, die Zustände in den verwahrlosten Klassen- und desillusionierten Lehrerzimmern sind in etwa so wie dargestellt. Das ist das Tragische. Ebenso klar: Es gibt keinen Rambo, der dort testosteronüberschwemmt mit tätowiertem Oberkörper auftaucht und das Rudel zur Räson bringt wie der neue Alpha-Wolf. Also liegt das Komische, wie oft, in der Übertreibung, die den Zuschauer denken läßt: Ach, wenn es nur so wäre. Wie erfrischte solch ein Rabauke die verödete Bildungslandschaft.
Immerhin wird ein wesentlicher Kontrast erlebbar: Zeki Müllers Gegenüber ist die überforderte Referendarin Lisi Schnabelstedt (Karoline Herfurth). Sie bildet in Mentalität wie Rede das gesamte Spektrum jener realitätsfernen Professorenpädagogik ab, die nicht erst seit dem Rütli-Hilferuf grundsätzlich versagt hat und die deutsche Kulturgesellschaft seit bereits zwei, ja drei Generationen unterminiert. Die junge Kollegin Schnabelstedt ist selbstverständlich hochneurotisch – so wie sämtliche ihrer Kollegen mit Ausnahme der auf Pragmatismus reduzierten Direktorin (Katja Riemann) – , aber ihr Charme macht sie zu der Prinzessin, die der Held heimführen kann, nachdem er die Schule vom falschen Zauber befreit hat und sie als halbes Königreich dazubekommt, indem ihm die Chefin glatt das Abi-Zeugnis ausdruckt, was ihm fehlt. Eigentlich ganz so, wie überall ja einfach nur noch Zeugnisse ausgedruckt werden. Quasi gratis.
Zu Hilfslehrer Müllers Didaktik gehört übrigens eine Exkursion. Eingeleitet vom Genörgel des renitenten Schülers Danger (Max von der Groeben): “Nicht schon wieder ins KZ!” – Nein, Zeki konfrontiert mit einem kotzenden Heroinsüchtigen in dessen verlotterter Wohnung und mit dem Klischee-Milieu einer Hartz-IV-Familie – sie Ex-Prostituierte, er Alkoholiker mit Wampe unterm üblichen Feinripphemd. Statik der Verkommenheit. Ein auf den Teppich kackender Hund. Der öde, den Tag verpennende Sohn unweigerlich Nazi, den man besser nicht wecken darf, zumal ja Migranten in der Ausflugsgruppe sind. Zeki Müllers kathartischer Effekt: Wollt Ihr das? – Nö.
Der Obertusse Chantal (Jella Haase) redet Zeki ein, sie wäre hochbegabt, und prompt kommt sie in Schwung und gesellt sich zu den Nerds. Kein großes, aber sehenswertes Kino. Man kann durchaus lachen. Bitter. Der Witz liegt nicht allein in den Pointen, sondern in der ambivalenten Einsicht: So ist es. – Und so ist es doch nicht. Es gibt in etwa diese Schüler, aber es gibt nicht diesen Retter. Das System würde ihn ausscheiden. Er praktiziert eine Revolution, die die deutsche Bildungspolitik – selbst nur in neuen, verbindlichen Regularien – überhaupt nicht will, obwohl allein eine sehr prinzipielle Veränderung sie wieder wahrhaftig werden ließe.
Nein, die Schüler werden weiter im Stich gelassen, weil ihnen die Vorbilder fehlen, die Verbindlichkeit, der Schutz und die Führung, die jeder Heranwachsende braucht, um Orientierung und Anregung zu gewinnen. Kaum mehr ein Pädagoge versteht es, die Relevanz dessen zu vermitteln, was er da treibt, oder auch nur einen kommunikativen Zustand herzustellen, der zu einem inspirierten Verlauf führt.
Zeki Müller vertreibt sich die ihm zufallende Unterrichtszeit zunächst mit DVDs, weil er ja nur Zeit totschlagen will, ist dann aber in nur einem Schritt schon bei Schillers „Räubern“ (Sturm und Drang! Wie passend!) und Shakespeares „Romeo und Julia“ (Liebe!). Prompt wird das Stück als Schülertheater – handlungsorientiert! – aufgeführt. In poppig fluoreszierenden Neonfarben und selbstverständlich in “Jugendsprache”, also gründlich versaut und ordinär. So, wie man sich in Deutschland „Bildung“ vorstellt. Ganz einfach: Alle dort abholen, wo sie nun mal stehengeblieben sind. Und dann bei ihnen bleiben, auf dem geringsten Niveau.
Während ich den Film zuschaue, freut sich neben mir eine Gymnasialklasse. Wie ich erfahre, eine siebente. Sie lachen herrlich ab und misten nebenher mit Popcorn und all den Knisterverpackungen für Chips und Tacos die Sitzreihe voll. Auf die Frage, wer das nun saubermachen wird, kommt sehr höflich die Antwort: Das machen nachher die. – Wer? Die? – Na, die vom Kino!
Nichts gelernt also. Voll die 10 B aus dem Film vor ihrer großen Läuterung. Als das Licht wieder an ist, unterhalte ich mich mit dem Servicemann, der den Kinosaal betritt und die Reinigung beginnt. Mit einem Handfeger, obwohl er einen Industriestaubsauger bräuchte. Sie haben einen schweren Job, oder? – Ach, fragen Sie nicht! Die Kinderveranstaltungen sind die dreckigsten.
Ja, ich habe überlegt einzugreifen. Und doch verzichtet, Zeki Müller zu spielen.
FFlecken
Ich boykottiere schon seit geraumer Zeit sämtliche zeitgenössisch-bundesdeutsche ,,Komödien´´, von Bulli Herbig über Typen a la Mario Barth bis zu Till Schweiger. Die ganze infantile Mentalität die diesen Werken zugrunde liegt, ist mir nun wirklich vollkommen fremd. Humor ist für mich etwas anderes. Wie erwachsene Männer so etwas produzieren können, ich will est gar nicht verstehen. Und überhaupt, die relevanten Kinofilme (des Mainstreams, diverse Autorenfilme sind mir kaum bekannt) der letzten zehn Jahre kann man an einer Hand abzählen.
Anders sieht es im Spektrum der Serien aus - für mich das wahre Kino der letzten zehn Jahre. Ob die meist sehr kapitalintensiven Serien aus Übersee oder vom Kontinent (Sopranos, Breaking Bad, Game of Thrones, Boardwalk Empire, Mad Men, Borgen, Downton Abbey, Im Angesicht des Verbrechens...)
Noch einen Satz zum Filmtitel: Der ist nicht nur peinlich debil - er ist schlicht eine absolute Unverschämtheit.
P.S. Die supercoole Komödie hat schon knapp zwei Millionen Besucher.