Kinderbuchempfehlungen – jeder Satz ein stiller Schlag

Kurz hatten wir überlegt, unseren Kindern Bücher zu verbieten. Wenigstens zeitweilig.

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

Klar, daß wir damit eine Fra­ge aktua­li­sie­ren, die vor 500 Jah­ren (war´s Melan­chthon, der warn­te?) eigent­lich ad acta gelegt wur­de. Aber: Es gibt defi­ni­tiv ein Zuviel an Lektüre.

Das wird ersicht­lich a) an bläu­li­chen Rän­dern unter den Augen, b) an selt­sa­men Fra­gen („gibt es wirk­lich Geis­ter, die nur von Kin­dern gese­hen wer­den?“ u.ä.) und c) an Straf­zah­lun­gen, die in der Leih­bi­blio­thek des­halb zu ent­rich­ten sind, weil sicht­bar stän­dig & über­all gele­sen wird:  beim Man­da­ri­nen­schä­len, beim Haa­re­wa­schen, beim Schu­he­an­zie­hen auf der Ter­ras­se, auf die es in Strö­men regnet.

Wir kau­fen schon lan­ge kei­ne Kin­der­bü­cher mehr und erbit­ten sie auch nicht als Geschenk.  Zuviel ist zuviel, und wenn der Sohn anfragt, ob man nicht die Rum­pel­kam­mer der Mie­te­rin räu­men könn­te, um dort sei­ne Bücher unter­zu­brin­gen, damit er im Kin­der­zim­mer Platz zum Spie­len hat, soll­te das ein deut­li­ches Zei­chen sein.

Wenn Buch­sta­ben, zu Sät­zen und Geschich­ten ver­bun­den, zur Sucht gewor­den sind, liegt ein Pro­blem vor, das mit Eßstö­run­gen ver­gleich­bar ist. Anders als bei her­kömm­li­chen Sucht­mit­teln kann man nicht ganz ohne. Man muß die Zufuhr regu­lie­ren – ein schwie­ri­ges Unterfangen.

Unse­re Kin­der haben Leser­aus­wei­se für vier Leih­bi­blio­the­ken. Die Grund­schul­bü­che­rei ist die ein­zi­ge, die sie unbe­glei­tet plün­dern. Sie ist mit ihrem uralten Bestand, teils aus DDR-Zei­ten, auch rela­tiv unpro­ble­ma­tisch. Gut, mal wer­den ästhe­tisch frag­wür­di­ge Dis­ney-Schwar­ten aus­ge­lie­hen, jüngst gab es ein Mal­heur mit dem häß­li­chen Büch­lein Von einem, der aus­zog das Gru­seln zu ler­nen (Tony Munz­lin­ger), weil dort Splat­ter­bild­chen mit abge­hack­ten Glied­ma­ßen und Blut­fon­tä­nen abge­bil­det waren. Aber okay –  man kann nicht wegen jedem Weh­weh­chen in der Schu­le anrufen.

In der rie­si­gen Leih­bü­che­rei (West) beschie­den sie mir kürz­lich, all die schö­nen Klas­si­ker sei­en zuguns­ten von Pro­blem- und Phan­ta­syt­stof­fen aus­sor­tiert, weil nun, seufz, eine ande­re Gene­ra­ti­on das Sagen habe.

In unse­rer aktu­el­le Haupt­bi­blio­thek (Ost) das glei­che Bild: Der Super­me­ga­hit­best­sel­ler (Start­auf­la­ge 225.000) Schei­ße, schlaf ein! von Adam Mans­bach („Der Tiger däm­mert im Dschun­gel / Der Spatz lässt das Pfei­fen sein / Scheiß auf den Ted­dy, ich hol über­haupt nichts / Augen zu. Kei­ne Zicken. Schlaf ein.“) steht, auf metal­le­ner Stüt­ze her­vor­ge­ho­ben vor der Regal­wa­re, zum Aus­lei­hen im Kin­der­buch­be­reich bereit. Eben­so der über­wit­zi­ge brand­ak­tu­el­le Spuck- und Rülps- Kra­cher Ket­chup für die Köni­gin der israe­li­schen Autorin Rutu Modan, ein “quir­li­ges Anti­be­nimm­buch zum Totlachen”.

Der­weil wer­den im Bück­be­reich an der The­ke die net­ten, teils kaum ange­jahr­ten hüb­schen Büchern zum Ver­kauf (50ct/1 €) feil­ge­bo­ten. War­um? Das sind doch die tol­le­ren Bücher! Timm Tha­ler! Anni­ka und der Stern von Kazan, als Pracht­aus­ga­be! Karl May! Was ist das für eine Ideo­lo­gie, die die guten Bücher aus­mus­tern läßt? Es ist kei­ne Kin­der­buch­aus­lei­her­ver­schwö­rung. Es ist der Markt. Zum Ver­kauf, die Biblio­theks­an­ge­stell­ten ver­si­chern es glaub­wür­dig, ste­hen jene Bücher, die über Jah­re nicht aus­ge­lie­hen wur­den, null mal.

Nein, wir haben genug, wir kau­fen nichts. Oder… nur wenig.

Die Elf­jäh­ri­ge will Gregs Tage­bü­cher (Jeff Kin­ney) aus­lei­hen und  Ricks Ergüs­se (Ant­je Szil­lat) (Ein Voll­idi­ot kommt sel­ten allein, Ein­fach mal die Schnau­ze hal­ten!, Shit hap­pens!, Wie man sei­ne durch­ge­knall­te Fami­lie über­lebt), denn: Das lesen a l l e.

Wir nicht (Greg habe ich mal heim­lich mit­ge­hen las­sen, also ent­lie­hen – als Eltern­lek­tü­re ist das nicht durch­weg schlecht).

Ich habe die Toch­ter auf die Anne-auf- Gre­eng­ab­les-Bücher ver­wie­sen, auf die hüb­schen Dol­ly-Bän­de von Enid Bly­ton, und jüngst zehr­te sie aus­gie­big vom Dan­ge­rous Book for Boys-Wäl­zer, so viel Geschlech­ter­rol­len­frei­heit darf sein. Im Schnitt kom­men auf zehn aus­ge­wähl­te will-aus­lei­hen-Bücher vier darf-aus­lei­hen-Bücher, und das auch nur, weil die Mut­ter schwach und nach­gie­big ist und weil die Kin­der kei­nen völ­lig ver­que­ren Geschmack haben. Die Mut­ter selbst hat ja bis zum frü­hen Erwach­se­nen­al­ter weit­ge­hend Schund gelesen.

Nun hat sie, die Mut­ter, die zeit­ge­nös­si­sche Kin­der-und Jugend­buch­li­te­ra­tur­kri­tik beharr­lich im Blick. Es ist eine Fas­zi­na­ti­on des –weit­ge­hend – schlech­ten Geschmacks.

Gera­de ist das Spe­zi­al “Kin­der & Jugend­buch” der Zeit erschie­nen, dar­in Pho­tos von Kin­dern, die ihre erstaun­li­chen Lieb­lings­bü­cher vor­stel­len. Simon, 14, mit der dicken Bril­le: Rebec­ca von Daph­ne du Mau­rier; Joel­le, 11, Der Jun­ge im gestreif­ten Pyja­ma, die Geschich­te von Schmu­el und Bru­no, bei­de auf ihre Wei­se Opfer des NS-Regimes, O‑Ton Joel­le: „das lenkt mich ab, wenn ich Angst vor Klas­sen­ar­bei­ten habe“.

Ich ging also fest davon aus, daß hier Kin­der und Jugend­li­che über ihre Bücher­lieb­lin­ge schrei­ben. So klang es näm­lich, und so klingt Kin­der­buch­kri­tik meis­tens: herz­lich anbie­dernd, tap­sig und ahnungslos.

Auf einer gan­zen Sei­te stellt die Zeit einen preis­ge­krön­ten kin­der­lo­sen Jugend­buch­au­tor und sein neu­es, fre­ches Buch vor. Der Autor hat sich für´s Zeit-Pho­to die Haa­re keck ver­strub­belt, hat sich bar­fü­ßig in ein win­zi­ges Holz­pult gezwängt und zieht eine halb nach­denk­li­che, halb trot­zi­ge Schnu­te. Weil sei­ne „unbän­dig star­ke“ Buch­hel­din Mau­li­na heißt, hat er sich lau­ter wit­zi­ge Wort­schöp­fung aus­ge­dacht wie „Maul­plo­si­on“. „Maul­be­ben“ und „Maul­na­mi“. Wenn das nicht krea­tiv ist!

Die Kri­ti­ke­rin, die in Wahr­heit eine erwach­se­ne Frau ist, fin­det das „anar­chisch-schöp­fe­risch“ und „kind­lich-ver­spielt“,  sie fin­det es toll. Der Autor ist näm­lich „ein Macher. Jemand, der kein lau­war­mes Mit­tel­maß erträgt“, „er ist ein biß­chen wild“ mit sei­nen Jeans und sei­nem T‑Shirt. Er schreibt über Scheiß­stra­ßen, in die man umzie­hen muß, über aus­ge­flipp­te Kin­der, über „trau­rig-rat­lo­se“, weil behin­der­te Müt­ter. „Er zwingt sei­ne Leser, dahin zu schau­en, wo es weh­tut, auf das, was man nicht wahr­ha­ben will.”

Noch ist sei­ne Mau­li­na-Tri­lo­gie nicht fer­tig­ge­schrie­ben, denn, so der jung­ge­blie­be­ne Aus­den­ker von „Popel­ver­ste­cken“ : „Ich habe echt Schiß davor, das auf­zu­schrei­ben.“ Es sei gestan­den: Ich habe das Mau­lin­a­buch nicht gele­sen. Und nach die­ser Groß­re­zen­si­on habe ich echt Schiß davor.

Auch Peter Härt­ling, es muß wohl jener Peter H. sein, der zugleich ein begna­de­ter Höl­der­lin­for­scher ist und der gera­de acht­zig gewor­den ist, bewegt sich geschmei­dig auf dem aktu­ell rezen­si­ons­wür­di­gen Kin­der­buch­markt. In sei­nem neus­ten Werk tau­schen der Opa und die Mir­jam emails.

„Hal­lo Opa“, läßt Härt­ling sei­ne Mir­jam schrei­ben, „dass es dich so hin­ge­hau­en hat, fin­de ich echt ätzend. (…) Kannst du nicht wie ein nor­ma­ler Mensch auf­pas­sen?“ Hach, so ist sie doch, die Jugend,  „krass“ und „kuhl“! Man sehe: der olle Härt­ling kapiert, wie die kids ticken, der Kri­tik gefällt´s.

Ein wei­te­res Zeit-Kind, das sich durch Netz­re­cher­che als erwach­se­ne Frau her­aus­stellt, tadelt das Ver­sa­gen deut­scher Kin­der­buch­ver­la­ge bei Lese-Apps. Was die­ses elek­tro­nisch auf­ge­motz­te Lese­ver­gnü­gen angeht, gäbe es hier­zu­lan­de lei­der, lei­der „nicht beson­ders viel Inno­va­ti­ves zu ent­de­cken.“ Dabei „wäre so viel mehr mög­lich: Durch Kip­pen, Schüt­teln, Tip­pen, Wischen kön­nen wir (wir!, EK) inter­ak­tiv in die Geschich­te ein­be­zo­gen wer­den.“ Als gelun­ge­ne Lese-App gilt der Publi­zis­tin ein ame­ri­ka­ni­sches Going to Bed Book, wo sich im vir­tu­el­len Bade­zim­mer „das Dis­play lang­sam mit Kon­dens­was­ser über­zieht, das mit dem Fin­ger weg­ge­wischt wer­den muß. Ent­schei­dend ist, daß die Inter­ak­ti­on sinn­voll in das Gesche­hen ein­ge­baut ist.“ Was extrem fas­zi­nie­rend klingt.

Nur: „Wie bringt man älte­re Kin­der dazu, sich spie­le­risch ins Gesche­hen ein­zu­brin­gen und sich immer wie­der mit dem Stoff aus­ein­an­der­zu­set­zen? Denn eine App soll mög­lichst mehr als ein­mal durch­ge­wischt wer­den. Lobens­wert sei die App Chop­sticks, „wo der Leser zum Gestal­ter sei­ner ganz indi­vi­du­el­len Lie­bes­ge­schich­te wird.“

Vier wei­te­re Kin­der­bü­cher wer­den der­zeit hoch­ge­lobt. Das ers­te heißt Akim rennt und fin­det sich auf der Bes­ten­lis­te (Novem­ber)  für jun­ge Leser  (Deutsch­land­funk): “Akims dra­ma­ti­sche Geschich­te von der Suche nach sei­ner Mut­ter gleicht jener von Tau­sen­den ande­rer Kin­der, Män­ner und Frau­en, die auf der Flucht vor Gewalt sind. Sie alle haben ein Recht auf Schutz und auf Asyl. Davon erzählt die­ses von Amnes­ty Inter­na­tio­nal unter­stütz­te Bil­der­buch in bewe­gen­den Wor­ten und Bildern.”

Das zwei­te heißt Alles, wor­um es geht, stammt von der all­seits hoch­ge­lob­ten, in Däne­mark gebo­re­nen, „in Ber­lin und New York“ leben­den Autorin Jan­ne Tel­ler (“Ich habe sehr gern die Mul­ti­kul­tu­ra­li­tät hier. Ich bin so gemischt sel­ber, ich hab’ auch in Afri­ka gelebt.“) und fin­det sich sowohl im Zeit-Spe­zi­al als auch auf der DLF-Bes­ten­lis­te. In den acht Kin­der­ge­schich­ten, die „von ganz unter­schied­li­cher sozia­ler Bru­ta­li­tät“ han­deln, geht es um Rechts­extre­mis­mus geis­ti­ge Behin­de­rung, Gewalt und Rache, Mord und Todes­stra­fe, Zuwen­dung und Aus­beu­tung“ – ein ins Außer­schu­li­sche erwei­ter­ter Sozi­al­kun­de­un­ter­richt also.

Das drit­te heißt „Fräu­lein Esthers letz­te Vor­stel­lung. Eine Geschich­te aus dem War­schau­er Ghet­to“, ist von Adam Jaro­mir und wur­de jüngst in der FAZ breit emp­foh­len. In die­sem Kin­der­buch „wird jeder Satz zum stil­len Schlag, der beklem­men­de Gedan­ken­ket­ten in Bewe­gung setzt,“ dane­ben gibt es illus­trie­rend „aus­ge­zehr­te Kin­der­ge­sich­ter, die Gabrie­la Cichows­ka zwi­schen Col­la­gen aus Dreck, Ruß und Rost, trü­ben Fens­tern und grau­en Fas­sa­den, zeit­ge­nös­si­schen Zei­tungs­schnip­seln und Amts­blät­tern der SS gezeich­net hat.“ – „Cichows­ka und Jaro­mir erspa­ren ihren kind­li­chen Lesern nichts, aber sie schil­dern das Grau­en behut­sam andeu­tend. So notiert Genia, wie sie ein Mäd­chen, das dar­über weint, dass sei­ne Tan­te plötz­lich nicht mehr zu Besuch kommt, mit einem „Schau, ich bekom­me auch kei­nen Besuch“ trös­tet. Sie fährt fort: „Und ich lege sie – einen nach dem ande­ren – in die Schach­tel: Mama, Papa, Aaron … Mei­ne papie­re­ne Fami­lie.“ Jedes Kind ver­steht, dass Fotos alles sind, was dem Mäd­chen von Eltern und Bru­der blieb. (…) Ihr aller Schick­sal wird in den Köp­fen der kind­li­chen Leser ver­an­kert bleiben.“

Wer hat noch kein Weih­nachts­ge­schenk für sei­ne „kind­li­chen Leser?“ Letzt­ge­nann­tes Schau­er­buch spielt im Umfeld des Arz­tes und Wai­sen­hauslei­ters Janusz Korzaks, des­sen Leben 1942 (wohl) in Treb­linka ende­te. Kor­c­zak, das soll­te ich hin­zu­fü­gen, hat bei unse­ren Kin­dern einen sehr ernst­haf­ten Hel­den­sta­tus, sein klei­nes Buch Wla­dek ken­nen sie pas­sa­gen­wei­se auswendig.

Das vier­te kri­ti­ker­seits anemp­foh­le­ne Buch heißt Ich war ein Glücks­kind. Mein Weg aus Nazi­deutsch­land mit dem Kin­der­trans­port, und hier soll wohl der Titel das unglück­se­li­ge Hol­pern bereits trans­por­tie­ren. Ja, ja! Man muß sich mit dem kind­li­chen Leid die­ser zwölf fins­te­ren Jah­ren aus­ein­an­der­set­zen und soll­te das auch sei­nen Kin­dern nicht erspa­ren. Man­che Kin­der- und Jugend­buch­prei­se der ver­gan­ge­nen Jah­re und Jahr­zehn­te haben sol­che Bemü­hun­gen von Autoren und Ver­lags­häu­sern gewürdigt.

Fin­den die­se Geschich­ten aber eigent­lich einen auch quan­ti­ta­tiv ange­mes­se­nen Nie­der­schlag im Kin­der- und Jugend­buch­markt? Außer:

Tau­send Jah­re habe ich gelebt: Eine Jugend im Holo­caust (Livia Bit­ton-Jack­son), Holo­caust: Was damals geschah (Ange­la Gluck Wood), Erzählt es euren Kin­dern: Der Holo­caust in Euro­pa (Sté­pha­ne Bruch­feld u.a.), Der Holo­caust. Ein Buch für jun­ge Leser (Bar­ba­ra Rogas­ky), Lauf, Jun­ge, lauf (Uri Orlev), Der Jun­ge im gestreif­ten Pyja­ma (John Boy­ne), Hanas Kof­fer(Karen Levi­ne) Ich bin ein Stern (Inge Auer­ba­cher), Mich hat man ver­ges­sen: Erin­ne­run­gen eines jüdi­schen Mäd­chens (Eva Erben), Ein Buch für Han­na (Mir­jam Press­ler), Erin­ne­run­gen an Anne Frank (Ali­son Les­lie Gold),Stern ohne Him­mel (Leo­nie Ossow­ski) , Die Blei­sol­da­ten (Uri Orlev), Die end­lo­se Step­pe (Esther Haut­zig), Eine Hand­voll Kar­ten (Rachel van Kooij),Über­lebt: Als Kind in deut­schen Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern (Agnes Sas­so­on), Die Insel in der Vogel­stra­ße (Uri Orlev), Als Eure Groß­el­tern jung waren. Mit Kin­dern über den Holo­caust spre­chen (Judith S. Kes­ten­berg , Vivi­en­ne Koor­land; Ein Bil­der­buch über den Holo­caust für Kin­der ab drei Jah­ren. „ Es ist beson­ders für den Ein­satz im Kin­der­gar­ten oder in der Grund­schu­le, aber auch im Gespräch mit klei­nen Kin­dern geeig­net“, Buch ist ver­grif­fen und gibt es im ama­zon Gebraucht­markt ab 179 €), Mei­nes Bru­ders Hüter. Der Holo­caust mit den Augen eines Malers gese­hen (Isra­el Bern­baum), Wir Kin­der von Ber­gen-Bel­sen (Het­ty E. Ver­ol­me), Lie­ne­kes Hef­te (Jacob Van der Hoeden), Dank mei­ner Mut­ter (Scho­sch­a­na Rabi­no­vici), Und im Fens­ter der Him­mel (Johan­na Reiss), Dorn­ro­se (Jane Yolen), Das Ver­steck auf dem Dach­bo­den (Ani­ta Lobel), und Wer nicht weg ist, wird gese­hen (Ida Vos)

fin­de ich noch Trans­port­num­mer VIII/1387 hat über­lebt: Als Kind in The­re­si­en­stadt (Mar­got Klein­ber­ger), Als Hit­ler das rosa Kanin­chen stahl (Judith Kerr), Ver­steckt wie Anne Frank: Über­le­bens­ge­schich­ten jüdi­scher Kin­der ( Mar­cel Prins, Peter Henk Steen­huis), Ediths Ver­steck (Kathy Kacer), Mal­ka Mai (Mir­jam Press­ler) , …aber Stei­ne reden nicht (Car­lo Ross) und nur weni­ge Dut­zend ande­rer the­ma­tisch ähn­li­cher Bücher.

Sum­ma sum­ma­rum: Es geht schon, mit der Kin­der­buch­aus­wahl, man muß nur ein biß­chen wühlen.Und dabei gucken, daß die Kin­der­au­gen nicht buch­sta­ben­för­mig werden.

 

Ellen Kositza

Ellen Kositza ist Literatur-Redakteurin und Mutter von sieben Kindern.

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Kommentare (33)

G.B.

21. November 2013 09:35

Damals schon gewann beim Lesewettbewerb der 6. Klassen nicht der beste Leser, sondern die mit dem Buch über drogenabhängige Jugendliche und Kinderstrich...

Ansonsten bin ich gegen Kontrolle bei der Bücherauswahl. Kein Vielleser mag auf Dauer diese Negativgeschichten. Vielleicht sollte man vielmehr sorgfältigen Umgang mit Büchern lehren? Ein Buch zu besitzen, kann da schon weiterhelfen. Also die Rumpelkammer aufräumen, Weihnachten vorziehen und die Bücher aus dem Bibliotheksverkauf retten.

Martin

21. November 2013 10:56

Ich frage mich mittlerweile ernsthaft, ob eine Playstation oder ähnliches für die jungen Menschen nicht weniger schädlich ist, solange man auf regelmäßige Bewegung an der frischen Luft achtet, als der Jugendbuchschund, der heutzutage verbreitet wird.

Von der Magenverrenkung, die ich als schon über 18-Jähriger von Gudrun Pausewangs "Die Wolke" vor weit über 20 Jahren erlitten habe, habe ich mich bis heute nicht so richtig erholt - die Stunden an den Daddelautomaten in den GI-Kneipen meiner Heimatstadt haben dagegen meiner Meinung nach keine Spuren hinterlassen ... Ich neige weder zum Amoklaufen noch habe ich ein Punktekonto in Flensburg und auch Zappelanfälle oder Konzentrationsstörungen stelle ich nicht fest ... (Achtung Wortklauber: Es soll so etwas wie Sarkasmus und Ironie geben).

Marcus Junge

21. November 2013 12:38

Das ist zwar ein Thema (Kinderbuch), vom welchem ich keine Ahnung hab / in das ich keinen Einblick hab, aber wenn man die (Un)Zeit als Ratgeber nimmt, dann braucht sich auch niemand über die Lobpreisung solcher Machwerke wundern. Eigentlich braucht man sich in der Irrenanstalt (BRD) über nichts wundern, was Frau Kositza hier aufzählt (anprangert), weil schlicht zu 100% zum großen Plan passend, daher verwundert es mich auch nicht. Warum sollte gerade der Bereich Kinderbuch anders sein, als der Rest? Hast du die Jugend, hast du die Zukunft, wußten schon Lenin / Hitler und die eifrigen Geister der alternativlosen Alternativlosigkeit, die haben von den Meistern fleißig gelernt (nicht nur in dem Punkt).

Carsten

21. November 2013 13:33

Jugendliche haben ein Gespür dafür, dass sie indoktriniert werden sollen. Aufpassen muss man vor allem bei Kinderbüchern, da gibt es viel böswillige rote Propaganda, z.B. "Mama Löwe" von Janosch. Unbedenklich finde ich Sven Nordqvist (Genial: "Die Hutjagd"). "Gregs Tagebücher" sind auch gar nicht so übel, unser Viertklässler hat sie alle verschlungen. Sie enthalten viele gute Spitzen gegen die PC-Pädagogik. Vorsicht auch bei Sachbüchern! Was z.B. im "Was ist was?"-Buch zum Thema Kreuzzüge gelogen wird, geht auf keine Kuhhaut. Da kann man die Jungs besser dem Gesamtepos von "Star Wars" aussetzen. Eine gute Heldengeschichte mit Völkern, Staaten und Kriegen.

Adam Jaromir

21. November 2013 14:00

Ich wollte schon einen erbosten;-) Kommentar schreiben, da fiel mir zum Glück der überaus kluge Satz von Andy Warhol ein: "Don't pay any attention to what they write about you. Just measure it in inches."

Kositza:: Genau, Herr Jaromir, das ist gut und wohlüberlegt! Wo Licht, da auch Schatten!

Rautenklausner

21. November 2013 15:29

Nun gibt es noch die Bilderbücher, Gedichte und Romane für Kinder des anderen Peter H. Den Bären auf dem Foersterball und den Telemach. Den wird man doch in alten DDR-Bibliotheken nicht auszusortieren wagen.

Stil-Blüte

21. November 2013 15:57

Die Inflation aller Bereiche, die Seele, Geist, Leib speisen, wächst ihrem Charakter nach potentiell. Die Liste der Holocaust-Literatur für Erwachsene ist schwindelerregend hoch. Als ich jung war, habe ich mich von einem Buch, von Anne Franks Tagebuch, (neben ein paar anderen vorgeschriebenen KZ-Büchern) erschüttern lassen. Das Beben hat über Jahrzehnte nachgewirkt. Und heute? Siehe 'Finsterworld'

Mit 12, 13 Jahren begann ich, in der Leihbibliothek Erwachsenen-/
Weltliteratur auszuleihen, Fielding, Fallada, Jack London, Tolstoi, Balsac, Stendal, Flaubert, Nexö, Puschkin, Tagore... Die Meister habe ich verschlungen, ohne sie zu verdauen. Ja, es war Freß-Sucht nach dicken Schinken. Die Bibliothekarin war angehalten, mir nur drei Bücher/Woche mitzugeben.

Übrigens wurden in der DDR viele wunderbare Kinderbücher publiziert. Kenner und Liebhaber alter Kinderbücher war mein geschätzter Dozent an der Humboldt-Universität und ehem. Leiter der Staatsbibliothek in Berlin, Prof. Horst Kunze. Er schrieb auch über Kinder-/Jugendliteratur ('Schatzbehalter. Vom Besten aus der älteren deutschen Kinderliteratur', Kinderbuchverlag. 1964.)

Apropos populärstes Kinderbuch? 'Struwelpeter'! Der Frechdachs in Kumpanei mit dem 'argen Wüterich Friederich', dem 'Suppenkaspar' und 'Hans-Guck-in-die-Luft' hat über 550 Auflagen geschafft und - er ist noch immer putzmunter.

PC-Pädagogik? Als Mädchen sucht man nach jenen Stellen, in denen Liebelei, als Junge Abenteuer vorkommen. Bedenklicher ist es wohl, wenn düstere magische Kräfte als Glücksbringer vorgekaukelt werden. Ich habe von einigen Eltern gehört, die aus diesem Grunde ihren Kindern untersagt haben, 'Harry Potter' zu lesen/zu sehen.

Frau Kositza, die glaubhafte Versicherung der Bibliothekarin, es werde nur nach Ausleihzahlen aussortiert, ist ein vorgeschobenes Argument. Glauben Sie mir, es hat System, das mit Generationenwechseln einhergeht. Da greift dann ein Zahnrad ins andere, während vorher von den Älteren noch Sand ins Getriebe gestreut wurde.

Vielleicht gibt es im Verlag 'nordost' bald mal ein schönes Kinderbuch?
hierauf antwort kubitschek: nein.

Mauretanier

21. November 2013 16:52

Naja, übertriebene Aufregung hier.

Ich habe als Kind und Jugendlicher alles gelesen, von Schund bis "Weltliteratur", egal ob links oder rechts konnotiert.

Diese ganzen gezwungenen propagandaversuche schlagen unausweichlich fehl.

Karl May, Jack London waren natürlich meine Helden, genauso wie zu einer Zeit Gary Paulsen, der kurz darauf auch Schullektüre wurde.

Ansonsten, wenn ich mit einschlägiger Propaganda konfrontiert wurde, gerade in Bezug auf die Nazis, habe mich selten wie gewüscht mit der Opferseite identifiziert.

Will heißen, wenn die Anlagen stimmen, wie in meinem Fall, kann man da wenig verderben.

Kositza: Nö, aufregen muß man sich nicht. Ich hab zwei, drei Jahre lang, von zehn bis zwölf etwa, fast ausschließlich jene Opferbücher gelesen, ganz gute ("Damals war es Friedrich" ist ziemlich gut, die Lisa-Tetzner-Bücher auch, sogar die "Rote Cora" hat literarische Qualitäten) und sehr schlechte, wie ich rückblickend finde, und ich habe mich (andere "Anlagen" als Sie) sogar durchaus in der gewünschten Weise identifiziert. (Bis... wann?) Nur: ich finde sehr viel leichter gute Neuerscheinungen auf dem Erwachsenenbuchmarkt als auf dem für Kinder.

Rumpelstilzchen

21. November 2013 18:36

Es gab mal den Antistruwwelpeter von Waechter, damals p.i..

Als meine Kinder in der Pubertät waren, blödelten sie aus Jux und Dollerei den ANTI-Regenbogenfisch.
Dieser bis zum geht nicht mehr vermarktete Kinderbuchklassiker erzählt die Geschichte eines von allen bewunderten Fisches mit Glitzerschuppen, der zu stolz ist, um zu teilen. Erst als er seine Glitzerschuppen verschenkt, wird er glücklich. Kein Kind kam an diesem Buch vorbei.
Dagegen der Anti-Regenbogenfisch: Natürlich hätte er seine Glitzerschuppen niemals verschenken sollen, die anderen Fische sollen nicht so neidisch sein usw. Wir haben Tränen gelacht.
Denkbar wäre auch eine Version, wo dunkelschuppige Fische den Regenbogenfisch überfallen und ihm die Schuppen rausziehen.
Da lob ich mir die Geschichten von Ringelnatz.

Kositza: Ha, den Regenbogenfisch haben wir auch! Meiner ältesten Tochter hab ich den damals ungezählte mal vorlesen müssen. Als sie jüngst sah, daß der jetzt bei der Kleinsten im Regal steht, meinte sie: "Och, der olle Sozi, wollte der nicht längst mal wegschwimmen?"

Zadok Allen

21. November 2013 21:30

Frau Kositza, da Sie einen guten Überblick über den Kinderbuchmarkt haben: Können Sie abschätzen, wie das prozentuale Verhältnis von Gesinnnungskitsch, hedonistischem Anarcho-Quark ("kinderlose Kinderbuchautoren", schön!) und guten, empfehlenswerten Neuerscheinungen beschaffen ist?

Erscheint in diesem Segment heute noch so viel Gesinnungslyrik wie es früher (gefühlt) der Fall war, oder gibt Ihre obige Aufzählung nur eine über die Jahrzehnte aufgestaute Bugwelle wider, die der Markt immer noch vor sich herschiebt?

Ich kann mir gar nicht vorstellen, daß seitens herrschender Kreise viel Wert auf die Lufthoheit über den Kinderbuchmarkt gelegt wird. Einige Kommentatoren haben ja bereits Ähnliches angedeutet: kindliche Lektüre scheint in der Regel keine charakterformende oder ideologisch ausrichtende Wirkung zu haben. Ich persönlich habe mich als Kind von Disney-Kram ernährt, müßte also nach Bahners und seinen "Donaldisten" nun eigentlich zeitgeistig verstrahlt sein. Doch davon ist rein gar nichts hängengeblieben.

Kositza: Was Kinderbuchneuerscheinungen angeht... meiner Einschätzung nach sieht es mau aus; nennen Sie mich gern eine Reaktionesse! Es gibt natürlich immer wieder tolle "Neuauflagen", Der geheime Garten, Grimms Märchen, auch das von Bertelsmann herausgegebene Dschungelbuch (disneyfern) ist einzigartig in seiner Aufmachung, jüngst bei Knesebeck Nils Holgersson, daneben die ganzen Vor- und Grundschulsachen von Urachhaus, für die man kein Anthroposoph sein muß, um sie wertzuschätzen.
Wenn nichts hängenbleibt vom junggelesenen Schund, dann ist das schön und vielleicht nicht ganz extrem selten, aber es ist am Ende doch wie die Geschichte vom Opa, der kettenrauchend 101 Jahre wurde... Vielleicht hat Ihre Kinderlektüre unter der Hand ja doch ihren Charakter geformt, im Sinne einer Fehlzündung...

Stil-Blüte

21. November 2013 22:08

Ja und dann, dann gibt es noch das seligmachende Kinderbuch, das einem nur ganz allein gehört. Bei mir war es Tschechows 'Katschtanka'. Zerlesen wie es ist, habe ich es, im Gegensatz zu meinen anderen Kinderbüchern, nicht meinen Kindern und Kindeskindern weitergegeben, sondern behalten. Und noch eines: 'Märchen aus 1001 Nacht' mit geheimnisvollen Illustrationen! Orient pur!

Die 68er aus Westdeutschland haben beim Besuch der DDR damals nicht nur die 5-Mark-Marx-Engels-Bände gekauft, sondern nicht selten auch für das Eintrittsgeld die liebevoll illustrierten Kinderbücher.

eulenfurz

22. November 2013 00:48

Oje, erst die Bosselmann'sche Rezension über einen der belanglosen BRD-Schema-F-Blödelfilme, dann eine Rezension über die - extra zur Vergewaltigung kindlicher Psychen hergestellte - Bewältigungsliteratur. Als hätte nicht schon jeder anständige Mensch von sich aus ein gesundes Gespür entwickelt, diesem widerwärtigen Krempel aus dem Weg zu gehen.

Es gibt sehr gute russische Spielfilme, wer's braucht, und selbst amerikanische Action-Schwarten sind zehnmal besser, als der chronisch schlecht geschauspielerte und oberlehrerhaft intonierte bundesrepublikanische Film (Ausnahmen, wie "Das weiße Band", bestätigen die Regel. Technisch sehr gut gemacht, kommt aber auch nicht ohne volkserzieherische Tendenz aus).

Wenn Kinder mal fernsehen müssen - man soll es ihnen ja dosieren - dann gibt es Serien und Spielfilme zwischen 1950 und 1980 en masse, Pippi Langstrumpf, Michel, auch DDR-Märchenfilme, und sogar hervorragende neue Filme wie „Mein Name ist Eugen“ (Schweiz 2007). Am besten mit den Kindern zusammen ansehen und danach nochmal durchsprechen. Es ist immer auch gut, mit den Kindern einen gemeinsamen Erlebnishorizont aufzubauen.

Und wenn die Büchereien Karl May für 50 Cent aussondern, dann gilt es wohl, eher dort zuzugreifen und den Zeitgeist-Kram links liegen zu lassen.

Realist

22. November 2013 02:38

Die Hälfte der Kinder liest gar nicht mehr, weil sie nicht richtig lesen können. Der weitaus überwiegende Teil der anderen Hälfte liest diesen ganzen Schrott.

Unter den Blinden ist der Einäugige König. Ach, wie wenig Sorgen machen ich mir um die Zukunft meiner Kinder, und wieviel Sorgen bereitet mir die Zukunft meines Volkes.

Was soll ich noch erwarten von all jenen, welche die Zurschaustellung ihrer eigenen Degeneration sogar höchst amüsant finden (siehe "Fack ju, Goethe")?

Es gibt nicht viele neue deutsche Wortschöpfungen, mit denen ich etwas anfangen kann. "Fremdschämen" jedoch beschreibt präzise das Gefühl, welches mich in den letzten Jahren immer öfter überkommt.

Zu Kinderbüchern aus der DDR fallen mir spontan Falladas "Geschichten aus der Murkelei" ein.

Vielen Dank übrigens, Frau Kositza, für die vielen Warnungen als auch für die Empfehlungen. Dieser Beitrag hat ein dickes Lesezeichen zwecks tiefergehender Recherche bekommen.

Gutmensch

22. November 2013 08:34

Hallo Stil-Blüte,

meines Wissens ist die "10-Jahre-null-Ausleihe"-Regel ist keineswegs vorgeschoben. Ich freue mich ehrlich, dass Frau K. diesen Artikel geschrieben hat und darauf aufmerksam machte; da wo ich wohne, gibt es diese Regel nämlich auch! Und die Bibliothekarinnen hier halten sich auch strikt daran. Vor einiger Zeit erzählte mir eine der Damen, dass der Dürrenmatt nunmehr bedroht sei (eine Dame, deren persönlichem Einsatz es zu verdanken ist, dass ich den wunderbaren Bildband "Das Stundenbuch des Herzogs von Berry" dort noch ausleihen und meinem Kind zeigen konnte). Ich persönlich halte den D. ebenfalls für konsensfähig, eilte zu seiner Rettung und sah mit eigenen Augen das Wunder geschehen: Ein älterer Herr hielt ihn zweifelnd in der Hand. Leider wollte er ihn schon zurückstellen. Also gerierte ich mich als gierige Konkurrenz und erreichte mein Ziel: Der Dürrenmatt wanderte prompt in seinen Ausleihkorb und darf weitere zehn Jahre in der Bibliothek verbringen. Ich hoffe inständig, dass er dort seine verdiente Renaissance erlebt.

Im übrigen finde ich den Artikel noch in einer weiteren Beziehung bemerkenswert: Kritik (ich meine: wirkliche Kritik) an dem Angebot der Bibliothek hört man eher selten. Gewöhnlich sind Eltern stolz wie Bolle, wenn ihre Kinder überhaupt lesen - und noch stolzer, wenn es was Anspruchsvolles (Anne Frank) ist. Bei Filmen verfahren sie da viel strenger (Ich wurde neulich gefragt, ob die Neuverfilmung vom Kleinen Gespenst auch wirklich nicht beängstigend sei). Ich persönlich kenne also nur wenige Menschen, die den Lesekonsum der Kinder begrenzen - oder das offen zugeben würden.

Gruß,

Gutmensch.

Rumpelstilzchen

22. November 2013 09:19

Selbst die kleinsten Kinder durchschauen die pädagogische Absicht, allerdings auf ihre Weise.
Als unsere Kinder klein waren, hatten wir einige Gute-Nacht-Geschichten zur Auswahl. Von der streunenden Katze Molli, dem Eichhörnchen in seinem Kobel und anderem müden Getier war die Rede.
Eines Abends stellte der Jüngste die berechtigte Frage:
" Du Mama, warum müssen die Tiere am Schluß eigentlich immer alle schlafen gehen?"
Möglicherweise fragt eine kleine Gülsen in einigen Jahrzehnten ihre Oma Ayse nach der entsprechenden Nachtlektüre:
" Du Oma, sind vor hundert Jahren alle Deutschen im KZ gestorben ?"

G.B.

22. November 2013 11:35

Was ist die Alternative zum Buch? Sport, Musik, Volkshochschulkurs, Ehrenamt?

Noah

22. November 2013 12:22

Volle Zustimmung an Mauretaniers Zwischenruf. Ansonsten hier noch ein Tip: Die Abenteuerbücher (Spurbücher) von Serge Dalens, Jean-Louis Foncine und Guy de Larigaudie, insbesondere die "Prinz-Erik"-Serie und "Die Bande der Ayacks". Die Bücher gibts es im "Spurbuchverlag" zu kaufen.
https://www.spurbuch.de/de/produktleser-pfadfinder-und-jugendbewegung/product/die-bande-der-ayacks.html

Gustav Grambauer

22. November 2013 14:07

Was ist schlimmer in der Negativität? Niedriger Schund oder Ware mit dem Prädikat "pädagogisch wertvoll"

Man lasse einmal den folgenden Gegensatz auf sich wirken. Hier das Oberlehrer-Machwerk mit erhobenem Zeigefinger, steril, kalt, moralinsauer, kinderfremd, ja geradezu kinderfeindlich, dabei voller P.-C.-Klischees:

https://www.youtube.com/watch?v=ti19O7ldjrs

Kaschiert von Empathie-Selbstreflexions-Permanent-Learning-Teilhabe-Ideologie geht es unterschwellig immer darum, "was man darf" und "was man nicht darf" - bzw. letztlich wie unsere Kinder zu guten BRD-Konsumenten dressiert werden. Unsere Tochter und ihre Freundinnen hassen Conni ...

Der Kanalbetreiber hat sogar noch vermerkt, daß er schön brav seine GEZtapo-Tribute abgedrückt hat!!!

Und hier als Kontrast der Filou, strotzend vor kindlichem Spaß, eine echte Kinderseele, aus der Wirklichkeit geholt, voller Herz und Esprit:

https://www.youtube.com/watch?v=6hxcvlojy5w

- G. G.

sumo

22. November 2013 17:54

ein nachdenkenswerter Artikel, aber nicht ausschließlich der Literatur wegen, sondern auch der Tatsache wegen, daß überhaupt noch gelesen wird. Meine beiden Kinder haben früh angefangen zu lesen, sie haben alles mögliche verschlungen, von belanglosen Büchern bis hin zu dem, was man heute wohl gelesen haben muß, um irgendwie mitreden zu können, sowas wie Tolkiens Herr der Ringe oder Harry Potter.
Mir fiel dabei auf, daß sich alleine durch das Lesen die grundsätzliche Fähigkeit zum Umgang mit der Sprache verbessert hat. Für mich war das früher selbstverständlich, in meiner Schulzeit wurde von mir und meinen freunden noch viel gelesen. Jetzt allerdings fällt mir auf, daß viele Schüler nur noch kurz, abgehackt sprechen, die Orthografie schlimmste Fehler zeigt, man nur noch in der Lage ist, Überschriften zu lesen.
Insofern bin ich zuvörderst zufrieden, daß meine Kinder lesen, und erst in zweiter Linie lege ich mein Augenmekr darauf, was sie lesen.
Es ist allerdings auch so, daß Betroffenheits-und Bewältigungsliteratur gar nicht in meinem Haushalt vorkommt, dafür Bücher, die ich als Kind schon verschlang und die immer noch im Regal stehen. Die mehrbändige Serie von Alexander Wolkow über die Smaragdenstadt(ein Derivat von The Wizard of Oz) ist immer wieder empfehlenswert.
Mir fällt es übrigens ausnehmend schwer, meinen Kindern einen Kauf eines (oder mehreren) Buches/Büchern zu verweigern, weil auch ich fast nie ohne Kauf aus einem Buchladen herausgehe.

Kiki

22. November 2013 22:16

Man verpaßt nichts bzw kaum etwas, wenn man den handelsüblichen Textequark für Kinder in Leihbibliotheken und Bücherläden links liegenläßt; das einzig Dumme ist nur, daß man als Mensch von Geschmack und Anstand genötigt ist, auch für die Kinder eine eigene häusliche Bibliothek einzurichten.

Das ist zwar mit einigen Kosten verbunden, doch es lohnt sich ungemein, denn an richtig guten Werken hat man als Erwachsener zuweilen auch seine Freude (mein Vater hat seinerzeit darum gebeten, uns Wilhelm Busch vorlesen zu dürfen) und wenn man zB. die Prinz Eisenherz Gesamtausgabe oder die Tim und Struppi-Hefte Stück für Stück zusammenkauft hat man über Jahre immer das passende Namenstags-, Weihnachts- und Geburtstagsgeschenk parat (gerade für etwas leselahme Jungs).

Aber es ist schon traurig - als ich ein Kind war, hatte meine Stadtteilbibliothek den kompletten Prinz Eisenherz im Bestand; es gab dort durchaus ein kleines Gegengewicht zum damals schon überbordenden Gesinnungsmüll. Die Dorfbibliothek meiner Kinder dagegen hat nur noch billig zusammengekauften Kram von Bestsellerlisten und pädagogisch wertvolle Zaunpfähle und Prinz Eisenherz oder Tim und Struppi kennt frau dort nicht einmal dem Namen nach.

Schnippedilderich

23. November 2013 02:57

Gelesen wurde bei uns nicht. Jedenfalls keine Bücher. Sparbuch, Telefonbuch und Gesangbuch vom Bistum Mainz ausgenommen. Die Mutter mochte allerdings den Fortsetzungsroman in der Offenbach Post sowie Frau Marias Ratschläge ebenda am Samstag. Die Abendpost/Nachtausgabe muß bei den Eltern überdies eine besondere Zuneigung ausgelöst haben. Weiß heute noch nicht warum. Damit hatte es sich dann aber wirklich.
Bücher, sagte der Vater, müsse man nicht lesen und er sei stolz darauf, noch kein einziges gelesen zu haben, wohingegen die Mutter anmerkte, wir durften nicht lesen, wir mußten schaffen.
Eine reichlich überkandidelte Tante, die sich gern als attraktivste Frau im Städl bezeichnete, schenkte mir zum Geburtstag das "Hölzerne Bengele". Gelesen habe ich es nie, weil bei uns eben nicht gelesen wurde. Später verdarb ich mir die Augen bei nächtlicher Lektüre von Karl May. Noch später packte mich der Ehrgeiz Hegels Phänomenologie zu lesen, das Bild von den abgeschlagenen Krautköpfen ist mir immer noch in Erinnerung. Dann studierte ich Germanistik und wunderte mich, weshalb die Hessenprofessoren andauernd vom Klassenkampf redeten, obwohl es uns doch ganz gut ging. Heute verbringe ich meine Tage auf dem Sofa, weil mir jeder Schritt zur Qual geworden ist, und schwelge in Vorfreude auf Texte von Klonovsky, Mosebach und Henscheid. Ob man mit dieser arg gekrümmten geistigen Entwicklung überhaupt an den schwindelerregenden Debatten der SiN sich beteiligen darf?

Gustav Grambauer

23. November 2013 14:29

Kinder sollten wenn sie wollen leichte Kost bekommen, da kann man sicher nicht viel verderben.

Aber es gibt noch die tiefere Ebene, auf der heute fast nur noch Halt- und Orientierungslosigkeit vermittelt wird. Nichts gegen Phantasie, aber mich stört die Willkür, mit der sich ihrerseits entwurzelte Selbstverwirklichungs-Spinnerinnen (ja: weit überwiegend Autorinnen und Illustratorinnen) Geschichten nach ihrem eigenen Kreativitäts-Gutdünken ausdenken und dabei wie mit der Stange im Nebel in der Kinderseele herumstochern. Ein ganzer Industriezweig mittlerweile!!!

Märchen, Mythen, Sagen, Epen usw. vermitteln dem Kind Zugang zu Archetypen, Richt-Koordinaten und zur Dramaturgie der tieferen Realität - und versetzen es in den Stand, seine Projektionen darauf auszurichten, was es für sein ganzes Leben zugute hat.

Auch wenn ich mir hier wieder die Dornenkrone aufsetze: z. B. die Brüder Grimm waren Eingeweihte in die Mysterien des Tempelrittertums. In einem Grimm`schen Märchenbuch gibt es kein einziges willkürlich gesetztes Wort, alles ist Ausdruck des Webens des Unterbewußtseins, des Volksgeistes usw. und hat aus sich selbst heraus geistig heilende Kraft.

@sumo

"Insofern bin ich zuvörderst zufrieden, daß meine Kinder lesen, und erst in zweiter Linie lege ich mein Augenmekr darauf, was sie lesen."

Ihre oben geschilderten Beobachtungen teile ich selbstverständlich. Ihren Anspruch nicht. Ist das nicht genau die Sorte opportunistische Niveauabsenkung, deutlicher ausgedrückt: Kulturbolschewismus, die hier bei SIN eigentlich oft genug untersucht wurde?!

@Zadok Allen

"... müßte also nach Bahners und seinen „Donaldisten“ nun eigentlich zeitgeistig verstrahlt sein. Doch davon ist rein gar nichts hängengeblieben."

Zumindest haben Sie kostbare, sogar die allerkostbarste Lebenszeit verschwendet.

@Realist

"Ach, wie wenig Sorgen machen ich mir um die Zukunft meiner Kinder, und wieviel Sorgen bereitet mir die Zukunft meines Volkes."

... seufz.

@alle

Hab` mir sehr viele wertvolle Anregungen vermerken können, allerbesten Dank.

- G. G.

Urwinkel

24. November 2013 02:57

Zwei Kinderbücher noch: Fridolin, der freche Dachs von Hans Fallada. Ein Buch, das uns Brüdern unsere Mutter selbstgenüsslich oft vorlas. Und dann noch die "Käuzchenkuhle", ein DDR Kinderbuch (es gibt auch eine Verfilmung dazu), das ich irgendwo rauskramte und mit Düsterschauer las (mit 10 oder zwölf). Genau kann ich nicht mehr wiedergeben, worum es ging. Dazu müsste ich das Buch noch einmal lesen. Aber es ist ein Ferienabenteuer-Roman mit Geschichtsromantik und spielt in Ostdeutschland (Märkische Heide, märkischer Sand, viele Kiefern).

Richard

24. November 2013 13:27

Vielen Dank für diesen tollen Artikel! - und auch für die zahlreichen interessanten Kommentare hier.

Vlt. sollte man noch die beiden großen Artikel der aktuellen JF (S. 25) dazu erwähnen und natürlich den Grundlagenartikel samt Empfehlungen von Frau Kositza. Es müsste Sezession Nr. 32 oder so ähnlich gewesen sein.

Und natürlich hier:
https://www.sezession.de/35955/kinderliteratur-ohne-worte.html

sumo

24. November 2013 21:04

@Gustav Grambauer--deswegen schrieb ich ja "zuvörderst", also gibt es auch noch eine höhere Ebene, auf der dann die Inhalte wichtig sind. Ich habe allerdings auch diverse fernere Bekannte und auch Kollegen, bei denen Lesen als Kulturgut nicht verbreitet ist, man es auf Klischeezeitungen und Überschriften beschränkt. Dies war meine Intention, die alleinige Tatsache des Lesen an sich bereits als positiv zu erkennen.

Gustav Grambauer

25. November 2013 21:04

@sumo

Ach, ich hätte gleich sehen sollen, daß ich da bei Ihnen Eulen nach Athen trage. Welcher Teufel hat mich nur geritten, diesen Senf Ihnen gegenüber noch dazuzugeben, wo es doch eine so große Freude ist, beim Durchgehen all der Kommentare (auch und gerade Ihres Kommentars) eine solche Lese-Sinnigkeit einzutauchen ...

Übrigens!: meine Frau und ich waren in den letzten Tagen erkältet (sic!). Gestern haben wir einen ausgiebigen Familien-Märchen-Tag gemacht. Wir beide hatten noch nie zuvor die Heilkraft von Märchen mit solcher Wucht am eigenen Leib erfahren. Es war unglaublich lösend, auf allen Ebenen, für uns beide.

- G. G.

ichsagnichtja

25. November 2013 22:13

Auf meinem Gärtner-Pörschke-Abreisskalender stand am Samstag:" Die Bildung kommt nicht vom Lesen, sondern vom Nachdenken über das Gelesene." Carl Hilty Da ist was dran. Jedoch sollte man erstmal lesen können und daran Spaß haben. Das ist das Problem, was viele Eltern beschäftigt. Von Frau Kositza zu hören, ihre Kinder seien lesesüchtig, macht fast neidisch.

Stil-Blüte

25. November 2013 23:46

@ Gutmensch

Ich meinte nicht die Bücherfeen in den Leihbibliotheken vor Ort, sondern die Kulturmanager-Nomenklatura in den Kulturabteilungen der Rathäuser u.a. übeergeordneter Instanzen. Sie sind die Bestimmer. (In den Schulen idas gleiche Dilemma, Vorgaben über Vorgaben aus den Bildungsreferaten. Einfach der Politik gehorchend.

Ansonsten: Höchst ersprießliche Beiträge hier!

Gutmensch

26. November 2013 11:13

Liebe Stilblüte,

die "Kulturmanager" stellen ja Regeln auf - z. B. diese 10-Jahre-Regel. Das ist doch gut, das fordert einen heraus ... so war mein Beitrag zu verstehen. Die "Bestimmer" selber zu kritisieren, scheint mir ein eher langweiliges Vorhaben - wer sind die denn bitte und welche Lernkurve darf man dort erwarten? Die unserer Bibliothekarinnen (das ist ein Hochschulstudium, nebenbei bemerkt) ist steiler.

Und ja - in den Schulen gibt´s böses Dilemma, von oben eingerührt ... Aber auch da geht´s ja nicht ganz ohne Regeln - wie die aussehen, ist zweitrangig. Ohne ungezählten Lehrkräfte mit dem persönlichen Ehrgeiz, allen Widrigkeiten zum Trotz zu tun, was richtig ist und die Kinder in der Grundschule das Lesen und Rechnen zu lehren, hätten wir jedenfalls schon lange einpacken können.

G.,

G.

Stil-Blüte

26. November 2013 17:27

@ guter Gutmensch

(das ist ein Hochschulstudium, nebenbei bemerkt) -

wohl wahr, obwohl das Studium immer magerer und der Spielraum vor Ort immer geringer wird; rührendes Engagement. Gerührt. Ist das schon (wie im) Widerstand? Komme selber aus der Branche. Kenne die Ausdünnung deutscher Standardwerke - von oben verordnet und durchgezogen - z. B. an den Goethe-Instituten zugunsten von inflationärer Literatur über Umwelt-, Frauen, Asylpolitik, 3. Reich, Moderne...

Wundert sich ein ausländischer Schüler, daß Goethes Werkausgabe im Lesesaal des Goethe-Instituts nicht mehr zu finden ist. 'Max und Moritz'? Fehlanzeige!

Nicht vergessen: 'Pflichtexemplare' haben Vorrang; der Etat dirigiert.

'Die Bestimmer selber zu kritisieren, scheint mir ein eher langweiliges Vorhaben'

Einspruch: 'Langweiliges' Unterfangen schon, aber gesagt werden darf, nein, muß es doch. Wo sonst, wenn nicht hier?

Eckesachs

26. November 2013 20:58

Guten Abend.

Kennt denn keiner hier ,,Die Abenteuer des Röde Orm" von Frans Bengtson?

Na, das ist ein Buch für Jungens!

Realist

26. November 2013 21:33

Noch ein kleiner Nachtrag, sehr geehrte Frau Kositza. Ich nahm Ihre Ausführungen zum Anlaß, doch mal in der eigenen Stadtteilbibliothek in der Ecke der aussortierten Bücher nach Schätzen zu graben. Und siehe da - Robinson Crusoe, Heidi, Winnetou I und II, Der Ölprinz, Old Surehand I, 5x Hanni und Nanni, und zweimal 5 Freunde war die Ausbeute einer einzigen Expedition.

Motiviert durch diesen Erfolg habe ich spontan das Projekt "Kinder- und Jugendbibliothek im alten Hühnerhaus" ins Leben gerufen. Nochmals vielen Dank für diesen Artikel, der Anstoß kam gerade zur rechten Zeit.

Stil-Blüte

29. November 2013 05:22

Und weil gerade Franz Fühmann unter

Schmalhans, Roggenbrot und Lada

im Gespräch ist - fällt mir sein 'Sprachspielbuch für Kinder' - und für die ganze Familie, möchte ich ergänzen - ein: 'Die dampfenden Hälse der Pferde im Turm von Babel.

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