Konservative Revolution in Europa?

Die "Konservative Revolution" gehört zu den "erfolgreichsten Wortschöpfungen des neueren Ideengeschichtsschreibung" (Stefan Breuer)...

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

und ist den­noch umstrit­ten wie kaum ein zwei­ter Begriff. Das mag sei­nen Grund in den pro­gramms­ti­schen Aus­sa­gen die­ser Denk­rich­tung haben, die sei­ne Geg­ner gern ande­ren Ideo­lo­gien zuschla­gen wür­den. Es kann aber auch dar­an lie­gen, daß die KR als ein spe­zi­fisch deut­sches Phä­no­men ange­se­hen wird und des­halb den Großideo­lo­gien des 20. Jahr­hun­derts zuge­rech­net wer­den soll.

Der neue Band aus der Rei­he “Ber­li­ner Schrif­ten zur Ideo­lo­gi­en­kun­de” wider­legt die­se Auf­fas­sun­gen. Bereits Armin Moh­ler hat­te in sei­ner grund­le­gen­den Arbeit zum The­ma dar­auf hin­ge­wie­sen, daß es nicht nur eine euro­päi­sche, son­dern auch eine uni­ver­sa­le Dimen­si­on der kon­ser­va­tiv-revo­lu­tio­nä­ren Strö­mung gebe.

Tat­säch­lich ent­deckt man bei genaue­rer Betrach­tung eine lan­ge Rei­he von Per­sön­lich­kei­ten, die seit dem Ende des 19. Jahr­hun­derts Ideen ver­tra­ten, die man als „jung­kon­ser­va­tiv“, „völ­kisch“ oder „natio­nal­re­vo­lu­tio­när“ bezeich­nen könn­te, und es gab auch Bewe­gun­gen, die bestimm­te „bün­di­sche“ Züge auf­wie­sen oder Ähn­lich­keit mit dem Land­volk hat­ten. Von Fjo­dor M. Dos­to­jew­ski und Charles Maur­ras bis zu Juli­us Evo­la, T.S. Eli­ot und Sven Hedin reicht ein erstaun­lich wei­tes Spek­trum, das bis­her noch nie unter dem Gesichts­punkt betrach­tet wur­de, daß man es mit Reprä­sen­tan­ten einer gro­ßen, die Geis­tes­ge­schich­te unse­res Kon­ti­nents nach­hal­tig beein­flu­ßen­den ideo­lo­gi­schen Rich­tung zu tun hatte.

Der Band ver­sam­melt Auf­sät­ze zu fol­gen­den Län­dern: Eng­land, Ita­li­en, Nie­der­lan­de, Bel­gi­en und Frank­reich. Am Bei­spiel von Juli­us Evo­la wird zudem die euro­päi­sche Dimen­si­on deut­lich, die auf ein­zel­ne Ver­tre­ter zurück­zu­füh­ren ist. Mit Hans Tho­mas Hakl, Alain de Benoist und Luc Pau­wels sind aus­ge­spro­che­ne Ken­ner der jewei­li­gen Län­der als Autoren ver­tre­ten. Der Her­aus­ge­ber, Karl­heinz Weiß­mann, ist sicher der bes­te Ken­ner der Mate­rie in Deutsch­land, was er nicht zuletzt mit der Neu­fas­sung von Moh­lers Klas­si­ker unter Beweis gestellt hat. In sei­nem Vor­wort wirft Weiß­mann einen Blick auf die rest­li­chen Län­der Euro­pas und kommt zu fol­gen­dem Fazit:

 Es dürf­te […] unmit­tel­bar deut­lich gewor­den sein, daß kei­ne ein­fa­che Ant­wort auf die Fra­ge nach der euro­päi­schen Dimen­si­on der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on mög­lich ist. Der Hin­weis auf eine „Wel­le des anti­de­mo­kra­ti­schen Den­kens“ , die Anfang der drei­ßi­ger Jah­re den Kon­ti­nent erfaß­te, genügt jeden­falls nicht, um zu erklä­ren, war­um sich in bestimm­ten Län­dern kon­ser­va­tiv-revo­lu­tio­nä­re Vor­stel­lun­gen aus­brei­te­ten, in ande­ren nicht; viel­mehr ergibt sich fol­gen­de Bilanz:

• Die kul­tu­rel­le und poli­ti­sche Nähe zu Deutsch­land konn­te för­der­lich wir­ken (Nie­der­lan­de, Bel­gi­en, Schwe­den, mit Vor­be­halt Däne­mark), aber von Zwangs­läu­fig­keit ist kei­ne Rede (Öster­reich, Schweiz),

• die Erfah­rung der natio­na­len Demü­ti­gung und Schwä­che spiel­te sicher eine Rol­le (Ita­li­en, Bel­gi­en), war aber nicht aus­schlag­ge­bend (Frank­reich, Großbritannien),

• was zuletzt bedeu­te­te, daß die Kri­se des libe­ra­len Sys­tems, das als dys­funk­tio­nal betrach­tet wur­de (Frank­reich, Ita­li­en, Bel­gi­en, in gewis­sem Sinn auch die Nie­der­lan­de und Groß­bri­tan­ni­en), den Aus­schlag gab und jene Impul­se frei­setz­te, die dar­auf abziel­ten, eine Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on in Gang zu bringen,

• jeden­falls den Ver­such zu unter­neh­men eine „vier­te Front“ auf­zu­bau­en: gegen Kapi­ta­lis­mus, Kom­mu­nis­mus, Nationalsozialismus.

• Unbe­scha­det davon gilt aber, daß nur in Deutsch­land die Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on zur „domi­nan­ten Ideo­lo­gie“ wer­den konn­te, weil bestimm­te geis­ti­ge Dis­po­si­tio­nen und die kol­lek­ti­ve Demü­ti­gung durch Nie­der­la­ge und Ver­sailler Ver­trag die Ent­wick­lung uner­bitt­lich vorantrieben.

Die Unter­su­chung der euro­päi­schen Aspek­te der Kon­ser­va­ti­ven Revo­lu­ti­on gilt schon lan­ge als Desi­de­rat der For­schung zur Geschich­te des Kon­ser­va­tis­mus. Mit dem Erschei­nen des Ban­des ist ein gro­ßer Schritt in die­ser Rich­tung getan. Er bringt neben­bei eini­ge Ant­wor­ten auf die Fra­ge, war­um sich die KR trotz ihrer Erfolg­lo­sig­keit als so zäh erwie­sen hat, daß ihr auch heu­te noch ein gewis­ses Fas­zi­no­sum nicht abge­spro­chen wer­den kann. Er bringt in uns etwas zum Klin­gen und ver­weist damit auf die Anti­no­mien, die für den Men­schen unüber­wind­lich sind: „Kon­ser­va­ti­ve Revo­lu­ti­on nen­nen wir die Wie­der­ein­set­zung aller jener ele­men­ta­ren Geset­ze und Wer­te, ohne wel­che der Mensch den Zusam­men­hang mit der Natur und mit Gott ver­liert und kei­ne wah­re Ord­nung auf­bau­en kann.” (Edgar Juli­us Jung)

Der Band umfaßt 244 Sei­ten und kos­tet 15 Euro.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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