Weniger Moral wagen?

In Deutschland sind, im Gegensatz zu den Vereinigten Staaten, sogenannte think tanks noch ein recht randständiges Phänomen.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

Damit sind “Denk­fa­bri­ken” gemeint, die Ein­fluß auf die Poli­tik neh­men, indem sie poli­ti­sche Stra­te­gien ersin­nen oder Lösun­gen für zukünf­ti­ge Pro­ble­me vor­be­rei­ten. Im Gegen­satz zu einer PR-Agen­tur sor­gen sie nicht für den schö­nen Schein, son­dern den viel­be­schwo­re­nen “con­tent” in der Poli­tik. Zumin­dest soll­ten sie das.

Daß es sich in Deutsch­land vor allem um Möch­te­gern-Denk­fa­bri­ken han­delt, zeigt bei­spiels­wei­se Ber­lin­po­lis schon dadurch, daß sie ihre Zeit­schrift thinktank genannt haben. Damit am Ende kei­ner sagen kann, er hät­te nichts gewußt.

In der Aus­ga­be Früh­jahr 2009 stellt uns Chef­re­dak­teur Dani­el Dett­ling die “Mini­ma Mora­lia der nächs­ten Gesell­schaft. Zum 60. Jah­res­tag der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land” oder auch die “Skiz­ze einer Char­ta des Gemein­wohls” vor. Dazu gehört u.a. der Auf­satz “Weni­ger Moral wagen”, in dem Caro­li­ne Wal­deck, eine Reden­schrei­be­rin des Bun­des­ta­ges, den Still­stand unse­res Lan­des als Fol­ge der Mora­li­sie­rung öffent­li­cher Debat­ten dar­stellt. Dem­nach haben die libe­ra­le Wirt­schafts­ord­nung und frei­heit­li­che Demo­kra­tie immer weni­ger Fürsprecher.

Ein strah­len­des Come­back erlebt dage­gen die Moral – wenn auch nur in Form von Appel­len und Schuld­zu­wei­sun­gen […]. Das beherz­te Schwin­gen der Moral­keu­le ersetzt als ein­ge­spiel­tes Ritu­al des öffent­li­chen Dis­kur­ses lei­der auch zuneh­mend sach­li­che Begrün­dun­gen. […] Wer heu­te nicht mehr wei­ter weiß, rüs­tet mora­lisch auf.

Wor­te, denen man nur zustim­men kann. Doch wer hier vor­zei­tig jubelt, weil er Geh­lens Ein­sich­ten in der Mit­te der Gesell­schaft ange­kom­men sieht, soll­te den Rest des Tex­tes lesen. Es wird deut­lich, daß die Autorin weder so recht weiß, was Moral ist noch, wie der Mensch beschaf­fen ist:

Wenn es gelingt, den vor­mo­der­nen Glau­ben an die inte­gra­ti­ve Kraft gemein­sa­mer Wer­te abzu­strei­fen, dann könn­te der demo­kra­ti­sche Dis­kurs zu einer Klam­mer wer­den, die unse­re Gesell­schaft zusam­men hält.

Abge­se­hen von den Wer­ten, die in der Tat ein unglück­li­cher Begriff für das Gemein­te sind, leug­net Frau Wal­deck damit, daß es gleich­sam vor­de­mo­kra­ti­sche Vor­aus­set­zun­gen der Demo­kra­tie gibt. Des­halb pro­pa­giert sie den “mün­di­gen Bür­ger” als Ziel einer “Volks­päd­adgo­gik mit poli­ti­schem Bil­dungs­auf­trag”. Doch die­ser mün­di­ge Bür­ger ist ein Aus­nah­me­fall. Vie­le Men­schen leh­nen dan­kend ab, wenn man ihnen sagt, daß Mün­dig­keit etwas mit Pflicht und Ver­ant­wor­tung zu tun hat und las­sen ande­re entscheiden.

Erhel­lend ist zudem, wem Frau Wal­deck zutraut, die Dis­kurs­fä­hig­keit unse­rer Gesell­schaft zu stei­gern: nicht der Poli­tik, nicht den Medi­en, son­dern den Unternehmen.

Von ihnen zumin­dest darf man im Rah­men ihres Eigen­in­ter­es­ses eine Inves­ti­ti­on in die Dis­kurs­fä­hig­keit und damit in die Wei­ter­ent­wick­lung unse­rer demo­kra­ti­schen Kul­tur erwarten.

Die anschlie­ßen­de Begrün­dung für die­se Behaup­tung, daß die Unter­neh­men kein Inter­es­se am Res­sen­ti­ment gegen­über dem frei­en Markt haben kön­nen, über­zeugt viel­leicht den ein oder ande­ren ambi­tio­nier­ten Unter­neh­mer. Damit wäre das Ziel die­ses Bei­trags ja erreicht: Wer, wenn nicht ein think tank, soll es über­neh­men, die­sen Auf­trag zu erfül­len? Fast schon drol­lig ist ange­sichts die­ser Durch­sich­tig­keit, daß Frau Wal­deck ins­ge­heim davon aus­zu­ge­hen scheint, daß es im Bereich der Unter­neh­men immer ganz ratio­nal und dis­kur­siv zuge­hen würde.

Abge­se­hen davon, ist jedes Unter­neh­men doch zumin­dest dar­auf ange­wie­sen, daß sei­ne Arbeit­neh­mer eine so “vor­mo­der­ne” Eigen­schaft wie Ehr­lich­keit mitbringen.

Erik Lehnert

Erik Lehnert ist promovierter Philosoph.

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