Damit sind “Denkfabriken” gemeint, die Einfluß auf die Politik nehmen, indem sie politische Strategien ersinnen oder Lösungen für zukünftige Probleme vorbereiten. Im Gegensatz zu einer PR-Agentur sorgen sie nicht für den schönen Schein, sondern den vielbeschworenen “content” in der Politik. Zumindest sollten sie das.
Daß es sich in Deutschland vor allem um Möchtegern-Denkfabriken handelt, zeigt beispielsweise Berlinpolis schon dadurch, daß sie ihre Zeitschrift thinktank genannt haben. Damit am Ende keiner sagen kann, er hätte nichts gewußt.
In der Ausgabe Frühjahr 2009 stellt uns Chefredakteur Daniel Dettling die “Minima Moralia der nächsten Gesellschaft. Zum 60. Jahrestag der Bundesrepublik Deutschland” oder auch die “Skizze einer Charta des Gemeinwohls” vor. Dazu gehört u.a. der Aufsatz “Weniger Moral wagen”, in dem Caroline Waldeck, eine Redenschreiberin des Bundestages, den Stillstand unseres Landes als Folge der Moralisierung öffentlicher Debatten darstellt. Demnach haben die liberale Wirtschaftsordnung und freiheitliche Demokratie immer weniger Fürsprecher.
Ein strahlendes Comeback erlebt dagegen die Moral – wenn auch nur in Form von Appellen und Schuldzuweisungen […]. Das beherzte Schwingen der Moralkeule ersetzt als eingespieltes Ritual des öffentlichen Diskurses leider auch zunehmend sachliche Begründungen. […] Wer heute nicht mehr weiter weiß, rüstet moralisch auf.
Worte, denen man nur zustimmen kann. Doch wer hier vorzeitig jubelt, weil er Gehlens Einsichten in der Mitte der Gesellschaft angekommen sieht, sollte den Rest des Textes lesen. Es wird deutlich, daß die Autorin weder so recht weiß, was Moral ist noch, wie der Mensch beschaffen ist:
Wenn es gelingt, den vormodernen Glauben an die integrative Kraft gemeinsamer Werte abzustreifen, dann könnte der demokratische Diskurs zu einer Klammer werden, die unsere Gesellschaft zusammen hält.
Abgesehen von den Werten, die in der Tat ein unglücklicher Begriff für das Gemeinte sind, leugnet Frau Waldeck damit, daß es gleichsam vordemokratische Voraussetzungen der Demokratie gibt. Deshalb propagiert sie den “mündigen Bürger” als Ziel einer “Volkspädadgogik mit politischem Bildungsauftrag”. Doch dieser mündige Bürger ist ein Ausnahmefall. Viele Menschen lehnen dankend ab, wenn man ihnen sagt, daß Mündigkeit etwas mit Pflicht und Verantwortung zu tun hat und lassen andere entscheiden.
Erhellend ist zudem, wem Frau Waldeck zutraut, die Diskursfähigkeit unserer Gesellschaft zu steigern: nicht der Politik, nicht den Medien, sondern den Unternehmen.
Von ihnen zumindest darf man im Rahmen ihres Eigeninteresses eine Investition in die Diskursfähigkeit und damit in die Weiterentwicklung unserer demokratischen Kultur erwarten.
Die anschließende Begründung für diese Behauptung, daß die Unternehmen kein Interesse am Ressentiment gegenüber dem freien Markt haben können, überzeugt vielleicht den ein oder anderen ambitionierten Unternehmer. Damit wäre das Ziel dieses Beitrags ja erreicht: Wer, wenn nicht ein think tank, soll es übernehmen, diesen Auftrag zu erfüllen? Fast schon drollig ist angesichts dieser Durchsichtigkeit, daß Frau Waldeck insgeheim davon auszugehen scheint, daß es im Bereich der Unternehmen immer ganz rational und diskursiv zugehen würde.
Abgesehen davon, ist jedes Unternehmen doch zumindest darauf angewiesen, daß seine Arbeitnehmer eine so “vormoderne” Eigenschaft wie Ehrlichkeit mitbringen.