Armin Mohler nannte drei Gründe, als er Siedler im Criticón ein Autorenporträt widmete: Er sei unter den konservativen Autoren einer der »besten und eigenwilligsten Formulierer«, er sei ein typischer Vertreter des konservativen Einzelgängers, der sich mit niemandem gemein machen wolle, und er sei, neben Gross und Altmann, das »konservative Alibi für die Meinungsmacher«.
Siedler wurde in den Medien nicht nur toleriert und verfaßte zustimmungsfähige Essays, sondern spielte über viele Jahre selbst eine herausragende Rolle im Medienbetrieb. Siedlers Familie ist fest in Berlin und Preußen verankert, zu seinen Vorfahren gehören Johann Gottfried Schadow und Carl Friedrich Zelter, sein Vater war als Syndikus in der Industrie tätig. Ein einschneidendes Erlebnis ist für den jungen Siedler, als er und der mit ihm befreundete Sohn Ernst Jüngers wegen Wehrkraftzersetzung zum Tode verurteilt und schließlich zur Frontbewährung, die für Jünger tödlich endet, begnadigt werden. Lebenslang resultierte daraus ein Mißtrauen gegen Mehrheiten und eben die gesuchte Rolle des Einzelgängers. Nach einem Studium der Philosophie, Soziologie und Germanistik wurde Siedler zunächst Generalsekretär des deutschen Büros des »Kongresses für kulturelle Freiheit «, einer antikommunistischen und auf Westbindung zielenden Vereinigung, die, wie später herauskam, vom CIA finanziert wurde und vor allem linksliberale Intellektuelle ansprechen sollte. Anschließend war Siedler Redakteur bei der amerikanischen Neuen Zeitung und von 1955 bis 1963 Feuilletonchef des linksliberalen Tagesspiegel.
Die Essays aus dieser Zeit begründeten seinen Ruf als kulturkonservativer Publizist. Er wechselte dann auf die Verlegerseite und wurde Leiter des Propyläen-Verlages, machte im Springer-Konzern Karriere und führte schließlich alle unter Ullstein zusammengefaßten Verlage. In dieser Zeit erschien sein bekanntestes und wichtigstes Buch, Die gemordete Stadt (1964), das ihn zum Vorreiter einer später einsetzenden Nostalgiebewegung machte, die es nicht mehr hinnehmen wollte, daß die deutschen Altstadtviertel abgerissen wurden, und den Eigenwert der schönen Form betonte. Als Verleger pflegte Siedler vorwiegend die kulturkonservative Seite, hatte Kontakt mit wichtigen Autoren, so Ernst Jünger, der ihm zahlreiche wichtige Hinweise gab. Einer davon war die Veröffentlichung der belletristischen Werke von Pierre Drieu la Rochelle, die zwischen 1966 und 1972 bei Ullstein erschienen. Auch Hellmut Diwalds Geschichte der Deutschen (1978) fällt in diese Zeit, wobei Diwald damals nicht als Rechter galt und auch die gegenchronologische Herangehensweise eher eine experimentelle Sehnsucht verriet.
Im Mai 1979 mußte Siedler Ullstein verlassen und gründete Anfang 1980 seinen eigenen Verlag, den er in wenigen Jahren zu einem erfolgreichen Unternehmen machte. Herausragende Buchprojekte waren Siedler Deutsche Geschichte (13 Bde., 1982–2000), die unter der Überschrift »Die Deutschen und ihre Nation« einen Gegenentwurf zu Propyläen Deutsche Geschichte lieferten, und die Deutsche Geschichte im Osten Europas (10 Bde., 1992–1999). 1993 verkaufte Siedler den Verlag an die Gruppe Random House, wo er bis heute als eigene Marke weitergeführt wird. Siedlers Sohn gründete 2004 den wjs verlag.
Das schriftstellerische Werk Siedlers besteht vor allem aus Essays, die er in verschiedenen Sammelbänden veröffentlicht hat. 1965 erschienen die Behauptungen, die Mohler als »schönste Essay-Sammlung, die ein deutscher Konservativer seit 1945« veröffentlicht hat, bezeichnete. Melancholie über das tote Preußen und die Selbstaufgabe des Bürgertums sind wiederkehrende Motive seiner Aufsätze. 1982 hielt Siedler die Laudatio auf Ernst Jünger zur Verleihung des Goethe-Preises in Frankfurt am Main, in der er Jünger als »die vorläufig letzte Erscheinungsform von Weltliteratur in deutscher Sprache« feierte.
Schriften: [mit Elisabeth Niggemeyer] Die gemordete Stadt. Abgesang auf Putte und Straße, Platz und Baum, Berlin 1964; Behauptungen, Berlin 1965; Weder Maas noch Memel. Ansichten vom beschädigten Deutschland, Stuttgart 1982; Abschied von Preußen, Berlin 1991; Der Verlust des alten Europa. Ansichten zur Geschichte und Gegenwart, Stuttgart 1996; Phoenix im Sand. Glanz und Elend der Hauptstadt, Berlin 1998; Ein Leben wird besichtigt. In der Welt der Eltern, Berlin 2000; Wir waren noch einmal davongekommen. Erinnerungen, München 2004; Wider den Strich gedacht, München 2006.
Literatur: Armin Mohler: Wolf Jobst Siedler. Der tolerierte Konservative, in: Criticón (1983), Heft 75.