Kolberg revisited

Einen aktuellen Anlaß habe ich zwar nicht, aber da ich mich gerade mit der internationalen Filmproduktion des Jahres 1945 beschäftige ...

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

… und ges­tern wie­der den berüch­tig­ten “Durchhalte”-Film “Kol­berg” von Veit Har­lan gese­hen habe, möch­te ich die Gele­gen­heit nut­zen, hier einen klei­nen “film­ge­schicht­li­chen” Faden einzuführen.

“Kol­berg” wur­de 1943, als bereits abzu­se­hen war, daß der Krieg nicht mehr zu gewin­nen war, von Goeb­bels in Auf­trag gege­ben. Der Film soll­te das  “Vom Win­de ver­weht” des Drit­ten Reichs wer­den, eine mil­lio­nen­schwe­re Super­pro­duk­ti­on in Agfa­co­lor mit Heer­scha­ren an Sta­tis­ten und einer ideo­lo­gisch zuge­spitz­ten Botschaft.

Eine Epi­so­de aus den Napo­leo­ni­schen Krie­gen soll­te als his­to­ri­sche Par­al­lel­le die­nen, Har­lan soll­te nach Goeb­bels’ Wei­sung “am Bei­spiel der Stadt, die dem Film den Titel gibt,  zei­gen, daß ein in Hei­mat und Front geein­tes Volk jeden Geg­ner überwindet.” 

Die Urauf­füh­rung fand am 30. Janu­ar 1945 in der bela­ger­ten Stadt La Rochel­le statt, und wur­de in der Fol­ge unter ande­rem in Ber­lin, Dan­zig, Bres­lau und Königs­berg gezeigt. Bis zuletzt blieb “Kol­berg” eines der am fana­tisch­ten ver­folg­ten Pro­jek­te Goeb­bels’, des­sen Anteil dar­an als Qua­si-Fil­me­ma­cher nicht gering ist. Es ist, als hät­te man in der bren­nen­den Nibe­lun­gen­hal­le die letz­ten Ener­gien dar­auf ver­geu­det, eine Wag­ner-Oper zu inszenieren.

Es war aber auch Goeb­bels, der den Film schließ­lich ver­stüm­mel­te und all­zu dras­ti­sche Kriegs­sze­nen her­rauschnei­den ließ, absur­der­wei­se Eska­pis­mus und Durch­hal­te­wil­len kom­bi­nie­ren woll­te.  Die­se Umstän­de ver­lei­hen dem Film etwas Wahn­wit­zi­ges,  Irra­tio­na­les, bei­nah Sur­rea­les, als wäre es eine Epi­so­de aus Fran­cis Ford Cop­po­las “Apo­ca­lyp­se Now”.

Wäh­rend der zwei­te Welt­krieg in sei­ne wohl schreck­lichs­te Pha­se ging, insze­nier­te Har­lan, nicht weit von der Front ent­fernt, mit viel Krach einen Par­al­lell­krieg, ent­rückt in ein Ufa-Reich aus Kunst, Unter­hal­tung und Wunschdenken.

Die bun­ten Kos­tü­me, die blitz­blau­en Preus­sen­uni­for­men, die rot­ge­schmink­ten Lip­pen der Haupt­dar­stel­le­rin­nen, die Paro­len dekla­mie­ren­den ide­al­ge­sinn­ten Men­schen,  die für das Vater­land alles zu opfern bereit sind, und “lever dood as Slaav” sind – all das wirkt heu­te wie eine groß­an­ge­leg­te Selbst­hyp­no­se und ‑belü­gung und aus­sichts­lo­se Beschwö­rung der natio­na­len “mobi­li­sie­ren­den Mythen”, als hät­ten die epi­schen Bil­der noch im letz­ten Moment die Kraft, die Wirk­lich­keit zu ver­än­dern, als könn­te die klas­si­sche “last minu­te res­cue” des Kinos auch im wirk­li­chen Leben zu einem Hap­py End füh­ren. Frei nach Céli­ne, “men­tir ou mour­ir”?

“Kol­berg” mar­kiert auch das Ende von Bil­dern und Über­lie­fe­run­gen, die älter sind als die NS-Ideo­lo­gie. Ein letz­tes Mal sieht man Film Bres­lau, Königs­berg, und Kol­berg, weni­ge Mona­te vor ihrer Zer­stö­rung. Der Film steht auch am Ende einer Ära: in der Beset­zung fin­den sich gro­ße Namen aus der Blü­te­zeit des Wei­ma­rer Kinos, das von der NS-Kul­tur­po­li­tik zer­stört wur­de, Gesich­ter, die man aus den klas­si­schen Fil­men von Mur­nau, Lang und Pabst kennt, die dem deut­schen Film in aller Welt Gel­tung und Respekt ver­schaft hat­ten: Hein­rich Geor­ge, Paul Wege­ner, Gus­tav Diessl, Otto Wer­ni­cke, Gre­ta Schrö­der, Paul Bildt, Mar­ga­re­te Schön. Wer­ni­cke und Diessl waren zusam­men in Fritz Langs letz­tem deut­schen Film “Tes­ta­ment des Dr. Mabu­se” (1933) auf­ge­tre­ten, der in einer Irren­an­stalt ende­te, und nach Langs spä­te­rer Inter­pre­ta­ti­on meta­pho­risch vor dem Natio­nal­so­zia­lis­mus war­nen sollte.

In den bela­ger­ten Städ­ten selbst, inklu­si­ve dem rea­len Kol­berg,  hat sich wohl nie­mand für Hein­rich Geor­ges heroi­sches Gebrum­mel und Kris­ti­nas Söder­baums faux-nai­ves Geflen­ne inter­es­siert. Ande­rer­seits brauch­te nie­mand den Ver­tei­di­gern von Bres­lau erklä­ren, wofür sie kämpf­ten. Vor den Toren stand kein geschmink­ter Lein­wand-Napo­le­on, der den Bür­gern der Stadt bei Über­ga­be einen unblu­ti­gen Skla­ven-Frie­den zusi­cher­te. Es ist zu ein­fach,  den ver­zwei­fel­ten, zähen, heu­te zum Teil unfaß­bar anmu­ten­den Wider­stand der Deut­schen allein durch pro­pa­gan­dis­ti­sche Indok­tri­nie­rung zu erklären.

“Kol­berg” wur­de über Jahr­zehn­te ver­ach­tet und geschmäht wie sonst nur eine Hand­voll ande­re Fil­me des Drit­ten Reichs, und dabei hat man in der Regel sei­nen zutiefst tra­gi­schen Aspekt nicht wahr­ha­ben wol­len. Die apo­kal­py­ti­schen Schre­cken des Unter­gangs des deut­schen Ostens waren lan­ge beharr­lich aus dem Bewußt­sein der (Film-)Geschichtsschreiber abge­drängt wor­den. Man konn­te und woll­te nur die Goeb­bels-Lüge sehen, wäh­rend durch allen ideo­lo­gi­schen Camp den­noch eine erschüt­tern­de Rea­li­tät hin­durch scheint, die allen Betei­lig­ten des Films unmit­tel­bar bewußt war. In einer Sze­ne singt Kris­ti­na Söder­baum einem Kind das alte, zau­be­ri­sche Lied vor: “…der Vater ist im Krieg, die Mut­ter ist im Pom­mer­land, Pom­mer­land ist abge­brannt…” Sie hält inne, Trä­nen stei­gen ihr in die Augen: “Pom­mer­land ist abgebrannt.”

Der gro­ße Hein­rich Geor­ge, Dar­stel­ler des Net­tel­beck, starb 1946 im nun sowje­tisch geführ­ten Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger Sach­sen­hau­sen. Er hin­ter­ließ ein Gedicht mit den Zeilen:

Wenn ich ein­mal frei sein werde,
frag ich mich, was mir noch blieb?
Dich, mei­ne deut­sche Heimaterde,
Dich habe ich von Her­zen lieb!

Nach dem Krieg ließ Sta­lin heroi­sche Fil­me dre­hen, die dem Stil von “Kol­berg” aufs Haar gli­chen und den Sieg über den “Faschis­mus” fei­er­ten,  etwa 1948 in Far­be “Die Schlacht um Berlin”.

Noch ein iro­nisch anmu­ten­der Aspekt, den ich hier mit Scha­den­freu­de ver­zeich­ne: weni­ge Fil­me heben so deut­lich den “demo­kra­ti­schen” Aspekt der NS-Ideo­lo­gie her­vor. In der Eröff­nung­s­e­quenz von “Kol­berg” sieht man in “Bres­lau, 1813” Kolon­nen von kos­tü­mier­ten Sta­tis­ten in Rei­hen durch die Stra­ßen mar­schie­ren, im Gleich­schritt, die Arme inein­an­der ver­schränkt, einen mensch­li­chen Wall bil­dend,  dabei wie in einem Musi­cal sin­gend: “Das Volk steht auf, der Sturm bricht los…” Eine mar­tia­li­sche mensch­li­che Dampf­wal­ze, die ohne Gehirn und Indi­vi­dua­li­tät durch die Stra­ßen rollt. Die Sze­ne wirkt heu­te eben­so unheim­lich wie hys­te­risch komisch.

Wäh­rend im Hin­ter­grund der Schlach­ten­ge­sang zu hören ist, muß Gene­ral Gnei­se­nau dem zau­dern­den Preu­ßen­kö­nig Feu­er unterm Hin­tern machen: “Ein Auf­ruf zum Krie­ge? An das Volk? Wie­so an das Volk? Das ist Sache der Armee!” –  “Das Volk wird die Armee sein, das gan­ze Volk!” Tota­ler Krieg und tota­le Mobil­ma­chung hän­gen eben­so mit der Demo­kra­tie zusam­men, wie die Unter­stel­lung der “Kol­lek­tiv­schuld” der Besieg­ten. Wo alle zusam­men­ste­hen sol­len, sind auch alle irgend­wie ver­ant­wort­lich, im Guten wie im Bösen. Inso­fern setzt die Annah­me der “Kol­lek­tiv­schuld” das NS-Den­ken fort, wird die Kriegs­ge­nera­ti­on zum Teil immer noch in den Bil­dern wahr­ge­nom­men, die die NS-Pro­pa­gan­da von ihr ent­wor­fen hat.

Im Lau­fe des Films wird “das Volk” als eine Grö­ße eta­bliert, die immer recht hat. Nicht das Volk will kapi­tu­lie­ren, sei­ne Frei­heit und sei­ne Hei­mat­er­de auf­ge­ben, es sind immer nur die von ihm ent­frem­de­ten Mili­tärs, Aris­to­kra­ten, Geschäf­te­ma­cher, Drü­cke­ber­ger, Zweck­den­ker und Schlau­mei­er. Die­se sind schlecht, kor­rupt und fei­ge, aber “das Volk” ist immer gut, immer gesund, immer auf­recht, immer bereit “eine Sache um ihrer selbst wil­len zu tun.”

Aus der Mit­te des Vol­kes, nicht aus den herr­schen­den Eli­ten, kom­men die “guten” Füh­rer wie Net­tel­beck, und jeder, der zum Füh­rer gebo­ren ist, kann zu einem sol­chen auf­stei­gen, unge­ach­tet aller Klas­sen­schran­ken. “Kol­berg” ist kein “obrig­keits­gläu­bi­ger” Film, der “Kada­ver­ge­hor­sam”  oder Respekt vor Auto­ri­tä­ten um jeden Preis  pro­pa­giert. Erst wenn der König, die Mili­tärs und der Staat dem Volks­wil­len fol­gen, wer­den sie auf­hö­ren, Kanail­len zu sein, wer­den sie unbe­sieg­bar wer­den. “Kol­berg” demons­triert, daß auch der Natio­nal­so­zia­lis­mus eine qua­si-ros­se­au­is­ti­sche, auf der  “demo­kra­ti­schen Mys­tik” fußen­de Ideo­lo­gie war.

Als die gute alte Demo­kra­tie des 20. Jahr­hun­derts in die Jah­re kam, schick­te sie Boten in alle Rich­tun­gen, die den Grund des Elends in der Welt erfor­schen soll­ten. Als die Boten zurück­ka­men, muß­ten sie erfah­ren aus Ost und West, Nord und Süd,  von allen Com­pu­tern, den Unbe­stech­li­chen, wie man sagt, daß sie selbst, die Demo­kra­tie, die gute alte, die Ursa­che allen Elends war, des 20. Jah­rund­erts. (Hans-Jür­gen Syber­berg: Hit­ler – Ein Film aus Deutschland) 

“Kol­berg” kam 1965 in einer von Erwin Lei­ser kom­men­tier­ten Fas­sung erneut in die Kinos, “mit doku­men­ta­ri­schen Ein­schü­ben ver­se­hen, die dem Publi­kum an den ent­spre­chen­den Stel­len die Par­al­le­len zur natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Pro­pa­gan­da deut­lich machen soll­ten.” (Wiki­pe­dia).  Wäh­rend ande­re NS-Fil­me nach wie vor unter stren­gem Ver­schluß ste­hen,  ist “Kol­berg” inzwi­schen sogar im TV zu sehen gewe­sen. Die Wiki­pe­dia dazu:

Mitt­ler­wei­le wird das deut­sche Publi­kum aber als hin­rei­chend poli­tisch auf­ge­klärt ange­se­hen. Der Film war des­halb bei sei­ner Fern­seh­aus­strah­lung auf ARTE in sei­ner ori­gi­na­len Form zu sehen.

Martin Lichtmesz

Martin Lichtmesz ist freier Publizist und Übersetzer.

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