nach der Scheuer und Faß füllenden Ernte und mit aufkommender Öde und Kälte an die Fleischtöpfe wollte, um sich einen Vollbauchabend zu bereiten. Daher die Riesenbratwurst der Weihnachtsmärkte!
Dann die Stände mit der Wolle: Socken, Strümpfe, Schals, Mützen, die praktischen neben den lächerlichen Varianten, die schlichten neben den bunten. Naheliegende Wärmedämmung. Es folgen Süßes, Kerzen, Schmuck und Edelsteine, dazu der Graveur, schließlich das pädagogisch wertvolle Holzspielzeug. Irgendwo die Alibi-Hütte mit dem begehbaren Krippenspiel, das den wenigsten was sagt.
Dazwischen allerorten Glühwein, der über jahrzehntelange Trinkgewohnheiten so ausgelaugt ist, daß der Einzug des alpinen Jager-Tees jene rettet, denen es auch noch ein wenig um den Alkohol geht. Übrigens eine österreichische Spezialiät, die Heizvariante an Gletscherhängen, dank sogenanntem Inländer-Rum, der Erfindung eines Apothekers aus Krems: In Ermangelung kolonialen Rohrzuckers aus so allerlei k. u. k. Gewürzen und Ingredienzien gemischt, die Rum-Geschmack nachahmen, und vor allem satt mit Ethylalkohol eingeschlemmt. Erst seit 1999 muß diese Basis aus der Zuckerrohrverarbeitung stammen. Insofern etwas mißverständlich: Stroh aus Kärnten! Globalisierter Werbespruch: The Spirit of Austria!
Meine Eltern wollten von mir auf den Ludwigsluster Weihnachtsmarkt gefahren werden, weil der als „Barocker Weihnachtsmarkt“ angekündigt war. Naheliegend, denn Ludwigslust war von 1772 bis 1837 so etwas wie das mecklenburgische Versailles und fungierte noch nach der Novemberrevolution bis 1945 als Sitz der herzoglichen Familie.
Meine Mutter kaufte sich einen Schal von einem Verkäufer aus Peru, einem mit richtiger Inka-Nase. Mein Vater verzehrte eine Thüringer Rostbratwurst, klassischerweise wenigstens mit Senf. Ich spendierte Jager-Tee, obwohl der Golfstrom offenbar noch intakt war. Barock erschien nur die pittoreske Stadt rundum mit ihrem Schloß. Am Weihnachtsmarkt gar nichts. Dort wurde der übliche Budenzauber zelebriert.
Man läuft diese Sonderverkaufsstraße zwischen den Leichtbau-Ständen entlang und ist immer ein wenig deprimiert. Wieder Weihnachten. Und wenigstens auf den Märkten nichts Besonderes. Vielleicht ist man deswegen gern ein wenig überfressen, übersüßt und vom Kärtner Stroh etwas düsig, wozu all das Tingeltangel der gerade wieder aufgetauten konservierten Lieder paßt.
Alles wartet auf Weihnachten und vermutlich sogar darauf, daß es, so wie es modern verstanden wird, nämlich als Fest des Einzelhandels und Wachstumsgedankens, auch wieder vorbei ist. So wie der finster-höllische Knecht Ruprecht zur Witzfigur, Nikolaus, der Bischof von Myra, zum Schoko-Heiligen, das Christkind zum Tinnef und überhaupt das Christentum zu einer Art kunstgewerblicher Kulisse reduziert wurde, verstehen viele das alles vermutlich als eine Werbeaktion von Media-Markt oder Zalando. Je weiter dem gegenüber Distanz gelingt, um so näher kommt man vielleicht wieder dem Lichterfest und dem revolutionären Wunder, daß ein Gott Mensch wurde– an einem Ort, wo es niemand vermuten wollte.
Eines wird mich wieder am meisten ärgern: Daß sich all die Empfindsamen am 24. Dezember die Kirchen für einen Moment ausleihen werden, weil sie es genau dann mal stimmig finden. Wäre ich Pfarrer, so würde ich sie redlich abkanzeln: Ah, da seid ihr ja wieder, auf die ich ein Jahr warten mußte …
Gustav Grambauer
An der Ostfront haben sie in vielerorts in Erdlöchern stilvoller und würdiger Weihnachten gefeiert.
Hier in Zürich finden Sie in keiner größeren städtischen Einrichtung mehr einen Weihnachtsbaum. Der globalisierte Business-Pöbel hat sich längst auf "Seasons Greetings" anstelle von Weihnachtskarten geeinigt. Nur der arme Einzelhandel muß mit der "Santa"-Heuchelei noch sklavisch Umsatz generieren: der Grund, warum es überhaupt noch "Weihnachtsmärkte" (in ihrer Degenerationsform, also in Anführungszeichen, bitte) gibt. (Ausnahmen möchte ich nicht unerwähnt lassen, z. B. den Weihnachtsmarkt in der Berliner Sophienstraße.)
Meine Frau ist medizinische Masseurin. Sie erzählt abends Höllengeschichten von ihren Patientinnen, deren durchschnittliche einerseits ihren Streß jedes Jahr vor Weihnachten exponentiell zu steigern pflegen, bei denen andererseits auf der Massageliege unter Heulkrämpfen unglaubliche Blockaden aufbrechen, wobei sich mit unglaublicher Wucht die Gerinnung selbstverursachten Leids an sich selbst und anderen, oft engsten Familienmitgliedern oder Kollegen, geltend macht. Dann sind sie so stur, dies nicht zu bereinigen und aufzulösen, sondern Jahr für Jahr wieder mit Konsum-Orgien zu kompensieren.
Die Firmen tun das ihrige zu dem Streß dazu, nicht zuletzt mit den in der Schweiz am Jahresende üblichen "Mitarbeitergesprächen" (d. h. i. d. R. ritualisierten und protokollierten Unterwerfungsakten).
Verehrter Herr Bosselmann, wenn ich Ihren Beobachtungen in eine Frage münden lasse, so ist es die Frage, ob es in der Zivilisation einen Kultur-Anspruch auf einen öffentlichen Rahmen für ein Fest der Liebe gibt?
Machen wir besser keine kulturpolitische Doktrin daraus - sie wäre defätistisch, vor allem gegenüber der Moslem-Invasion -, aber nehmen wir mentalreservierend auch hierbei Abstand von der Anspruchshaltung, die manche sonst so sehr bekritteln.
Was hindert UNS daran, das Gesindel draussen vor der Tür zu lassen bzw. die Umstände so zu nehmen, wie sie sind, und das Fest der Leibe einfach gegen die Widrigkeiten der Umstände durchzuzsetzen?!
Für denjenigen, der Weihnachten im christlichen Sinne (und nicht bspw. im Sinne des germanischen Heidentums) feiert, läßt sich dabei an die Tatsache anknüpfen, daß im Annehmen der Widrigkeiten ja genau der Kern des Weihnachts-Mysteriums liegt.
- G. G.