Auf dem Weg sind wir am Cine-Dings vorbeigekommen, dort standen sie Schlange. Wofür wohl? Für die Eisprinzessin-Völlig unverfroren? Für den Breakdancefilm The Battle of the Year? Der unterschiedliche Zuschauerstrom spricht Bände über den Filmgeschmack der Studentenstadt Halle.
Wir sehen Blancanieves, eine Stummfilmadaption des Schneewittchen-Themas. Grandios! Superb! Hinreißend! Zum Weinen schön! Im Kino lese ich die Altersempfehlung „ab sechs“, in der Zeitung (FAZ) las ich „hinreißender Film für alle Alterstufen“. Wie bitte? Nur wegen „Schneewittchen“?
Zu Hause sehe ich, daß es nun eine offizielle FSK-Seite gibt, hier ist der Film mit plausibler Begründung ab 12 freigegeben.
2.12. 2013 – Im Geschichtskurs der großen Tochter werden über´s Jahr verteilt Schülerreferate gehalten. Eine Kurskameradin spricht zu Claus Graf Schenk von Stauffenberg. Die Tochter: “War ziemlich gut. Und witzig: Es kam ein gewisser Dichter zur Sprache: Stefan Dschordsch.“ Witzelt die Nächstjüngere: „Hieß der nicht Steven…?“
Ich weiß noch, wie ein Kommilitone an der Uni – Hauptseminar – mal einen Satz zu Jean Pool fallenließ, und da gab es noch Wilhelm Dilsi…
Nein, man darf nicht hämen, es sind läßliche Fehler. Erinnere mich, wie ich selbst mal über eine Bemerkung über Pieter Trohnies Buch zu Ernst Jünger machte. Mein Gegenüber: „Aber du meinst schon Peter Trawny?“
3.12. 2013 – Über Tage verfolgt mich eine heiße, immer wieder ausgesprochene Kinoempfehlung im Deutschlandradio: Zwei befreundete, verlassene Männer „und ihre fast erwachsenen Töchter“ finden überkreuz zueinander. Heißt: in erotischer Liebe. „Ältere Männer lieben deutlich jüngere Frauen, die ihre Töchter sein könnten.“ Die beiden Lolitas „meistern die Lebensspanne von 10 Jahren souverän, werden zu Gattinnen und Müttern und bleiben dennoch – Liebhaberinnen. Die Männer sind sich der Grenzüberschreitung wohl bewusst, können aber nicht gegen ihre Leidenschaften an und an diesem paradiesisch abgelegenen Ort stört auch kaum jemand die sonnendurchflutete, sinnliche Idylle.“
Hossa, ist das nicht ein bißchen verwegen? Ruft das nicht nach einem antisexistischen # aufschrei?
Ha, Quatsch. Ich hab mir erlaubt, die Geschlechter zu vertauschen. In Wahrheit sind es zwei Mütter, die mit den Söhnen – dradio: „sunnyboys“ – ihrer Freundin einen zweiten Frühling erleben. Na, dann geht´s ja.
4.12. 2013 – Wie haben wir damals mit uns gerungen, bevor wir vor zwei Jahren unser FAZ-Abo kündigten! Unverständlich lang, aus heutiger Sicht. Alle paar Mittwoche mal wird noch heute die „Zeitung für Deutschland“ aus alter Anhänglichkeit am Kiosk gekauft. Was war´s noch mal, über die gelegentlich interessante geisteswissenschaftliche Beilage hinaus, was bis zur Kündigung die Lektüre lohnend machte?
Klar, die Leserbriefe – oft lesenswerter als der redaktionelle Teil. Heute: Dr. Manfred Spieker über Lebenssituationen von Kindern aus gleichgeschlechtlichen Partnerschaften. Spieker hinterfragt die mittlerweile notorische, weil hundertfach zitierte Studie von Martina Rupp, wonach es keinerlei Unterschiede zwischen „Regenbogenkindern“ aus Homobindungen und Kindern mit Vater und Mutter gebe.
Spieker erwähnt nicht, daß jene Bamberger Studie noch weiter ging: Wenn es Unterschiede in der Entwicklung von Kindern in Regenbogenfamilien zu beobachten gebe, „dann eher in positiver Weise“, hieß es hier. Sie seien im Schnitt offener, toleranter, autonomer.
Spieker erwähnt Studien mit gegenteiligem Fazit und ruft eine eben publizierte Untersuchung auf, aus Kanada, wo die Homoehe seit 1995 legalisiert ist. Im Vergleich zu Kindern aus heterosexuellen Haushalten erreichen nur 65% der Regenbogenkinder einen High-School-Abschluß. Regenbogenmädchen haben es noch schwerer. Sie erreichen jenen Abschluß mit der Wahrscheinlichkeit von 45% (bei zwei Müttern) bzw. von 15% (bei zwei Vätern). Unterschiede gibt es also sehr wohl. Wetten, daß es demnächst einen FAZ-Artikel darüber gibt, wie sehr Regenbogenkinder allein von ihrer intoleranten Umgebung („mobben“, „dissen“) daran gehindert werden, sich prima zu entwickeln?
5.12. 2013 – Ziegen und Federvieh sind aus ihren Gehegen entlassen worden und dürfen sich im Garten frei verlustieren. Ist ja längst alles abgeerntet, was uns Menschen schmeckt. Wo das frische Grün spärlich geworden ist, muß zugefüttert werden. Futterweizen ist teuer geworden, Mais hingegen gibt es zum Schleuderpreis. Im Sommer wunderte sich ein vornehmer Gast über die gigantischen Maisflächen rund um Schnellroda. Der Mais wird zum geringsten Teil verfüttert, er wird mit Stumpf und Stiel verheizt. Dabei haben wir einen erstklassigen Nähr-Boden! „Das hier war mal eine gewaltige Kornkammer“, sagte der Gast. „Hm“, machte Kubitschek, „ und jetzt ist es eine Bio-Gaskammer.“ Verlegenes Schweigen. „Biogas-Kammer“, sollte es heißen.
6.12. 2013 – Gerade den aktuellen Rundbrief der Bundeszentrale für politische Bildung (BpB) durchgelesen. Mich fröstelt´s. So viele Schieflagen! Die BpB versucht nach Kräften der Gefahr Nr.1 entgegenzuwirken.
Einmal in ihrer „Schriftenreihe“:
„Rechtsextreme melden eine Kundgebung auf dem Marktplatz an, in der Schule werden vermehrt rassistische Witze erzählt, bei einem Fußballspiel werden Spieler mit Migrationsgeschichte beschimpft – typische Beispiele für Rechtsextremismus und Rassismus in Alltagssituationen. Dem gilt es, aktiv entgegenzutreten“.
Dann per Buch, im Ankündigungstext extrem eloquent formuliert:
„Heutige Rechtsextremisten werben massiv um Jugendliche, und sie spielen dazu geradezu virtuos auf der Klaviatur der Moderne: Sie nutzen Social Media, sie bieten kostenlose Musik und Events, ihr Äußeres greift Trends und Styles auf. Sie tarnen ihre Botschaften mit provokant-subversiven Sprüchen und suggerieren Zugehörigkeit und Zusammenhalt – eine attraktive Perspektive, zumal für junge Leute, die um Respekt ringen. Hinter alledem steckt allerdings nach wie vor der gleiche menschenverachtende Inhalt: Wer den kruden Vorstellungen moderner Rechtsextremisten nicht entspricht, wird diffamiert, ausgegrenzt und verfolgt.“
Dann per Vortrag für „alle interessierten Bürger und Bürgerinnen“:
„Jeder vierte europäische Jude scheut sich, in der Öffentlichkeit eine Kippa zu tragen. Welche Strategien und Instrumente haben sich historisch als die erfolgversprechendsten erwiesen im Kampf gegen Antisemitismus? Was braucht es an öffentlichen politischen, künstlerischen, ästhetischen Interventionen?“
Du liebe Güte! Man muß wohl sehr provinziell wohnen, um, wie wir, von all diesen Schieflagen so wenig mitzubekommen. Gibt´s keine anderen politisch bildbaren Probleme?
Doch. Es gibt im aktuellen Angebot der BpB auch ein „Streitraum-Gespräch“, in dem mal kritisch gefragt wird, warum „ die Kritik an Menschenrechtsverletzungen leiser“ wird, „wenn es homosexuelle Menschen sind, deren Rechte verletzt werden? Oder trügt der Eindruck?“
Neinnein! Jeder Eindruck ist subjektiv, steht für sich und soll gelten gelassen werden. Es sind schon arge Zeiten.
von_der_Marwitz
Ja, was ist nur mit der FAZ los?
Seit Wochen, Monaten Verlautbarungsjournalismus zur Groko-Bildung,
Hessen, NSA und ein völlig zerfahrenes Feuilleton. Vielleicht liegt das aber auch daran, dass in Deutschland aktuell einfach nicht so viel los ist?
Oder dass die Eliten inzwischen so austauschbar geworden sind, dass Widerstand gegen "Zeit"- und "Süddeutsche"-Mainstream einfach sinnlos ist.
Da liest man doch lieber die Presse aus einem Krisenland mit grösserer ideologischer Bandbreite. Nehmen wir ein Land, in dem zwar formell die Groko regiert, ansonsten aber die Absurditäten für jedermann offensichtlich sind. Die italienische Presse ist meinungsfreudig und nimmt kein Blatt vor den Mund. Kein Wunder in einem Land, in dem Zeitunglesen immer noch zur Öffentlichkeit gehört. Dagegen große Ödnis und liberaler Einheitsbrei
in der Schweiz. Das bringt mich dazu, über das umgekehrte Verhältnis von wirtschaftlichem Erfolg bzw. relativem Wohlstand und Qualität der Presse nachzudenken...
Aber es gibt ja Trost. Die Wahrscheinlichkeit, sich auf den Seiten der "sezession" zu amüsieren ist mindestens so hoch wie die, sich mit dem Feuilleton der FAZ zu langweilen.
Gute Unterhaltung (z.B. Bosselmanns und Kositzas melancholische Reportagen aus der Provinz) und metapolitisches Kampfblatt sind kein Widerspruch.
PS: Noch ist nicht alles verloren, wenn selbst im Osten Stauffenberg-Biographien abgefragt werden - mit oder ohne Dschorsch.