Alain de Benoist wird heute 70!

(Text aus dem Band Vordenker des Staatspolitischen Handbuchs, Schnellroda 2012.)

von Michael Böhm

Hinsichtlich Alain de Benoists, dem Vordenker der Nouvelle Droite, existieren viele Mißverständnisse. Eines davon ist, ihn als »Antiaufklärer« oder »Gegenaufklärer« zu betrachten.

Denn zu Phä­no­me­nen all­ge­mei­nen, also poli­ti­schen Inter­es­ses Stel­lung zu neh­men, sie zu hin­ter­fra­gen, zu kri­ti­sie­ren, sie »auf­zu­klä­ren« – dem fühlt sich bis heu­te der fran­zö­si­sche Phi­lo­soph, Jour­na­list und Schrift­stel­ler ver­pflich­tet. Aller­dings macht er dabei vor den nor­ma­ti­ven Hin­ter­las­sen­schaf­ten der Epo­che der Auf­klä­rung nicht halt. Dies gilt im beson­de­ren Maße für sei­ne dezi­dier­te Ableh­nung des Ega­li­ta­ris­mus. Anders als kon­ser­va­ti­ve Autoren, führt de Benoist den Ega­li­ta­ris­mus jedoch expli­zit auf das Chris­ten­tum zurück, das nur einen Gott kennt, vor dem alle Men­schen gleich sind. Über­haupt säku­la­ri­sier­te sich die christ­li­che Reli­gi­on in sei­nen Augen selbst und steht für ihn am Anfang all jener moder­nen Ver­wer­fun­gen, die er in über 50 Büchern und Tau­sen­den von Zeit­schrif­ten­ar­ti­keln immer wie­der kri­ti­sier­te: den Mono­the­is­mus des kapi­ta­lis­ti­schen Mark­tes, der welt­weit die ver­schie­dens­ten Kul­tu­ren und Lebens­for­men zer­stört; den men­schen­recht­li­chen Uni­ver­sa­lis­mus, der das Poli­ti­sche mora­li­siert; die auf­klä­re­ri­sche Idee des voll­kom­men eman­zi­pier­ten Sub­jekts, die sich im poli­ti­schen und öko­no­mi­schen Libe­ra­lis­mus äußert.

Die Moder­ni­sie­rungs­er­schei­nun­gen im Frank­reich des 20. Jahr­hun­derts dürf­ten dabei de Benoists intel­lek­tu­el­le Ent­wick­lung zu einem radi­ka­len Kri­ti­ker der moder­nen Gesell­schaft samt ihrer ideo­lo­gi­schen und reli­giö­sen Grund­la­gen bestärkt haben: Seit dem Zwei­ten Welt­krieg indus­tria­li­sier­te sich das eins­ti­ge Agrar­land rasant und ebne­te dabei nicht nur die bäu­er­li­che Lebens­welt ein, son­dern auch die sozia­len Milieus in den Städ­ten und deren gewach­se­ne Kul­tur. Der Krieg in Alge­ri­en sowie die anschlie­ßen­de Auf­ga­be der eins­ti­gen fran­zö­si­schen Kolo­nie durch de Gaul­le – letz­te­re resul­tier­te aus dem moder­nen Effi­zi­enz­den­ken – taten das übri­ge, daß sich de Benoist als Stu­dent zu Beginn der 1960er Jah­re auf der Sei­te der anti­gaul­lis­ti­schen Rech­ten in Frank­reich als poli­ti­scher Jour­na­list engagierte.

Als Reak­ti­on auf die geschei­ter­te Algé­rie fran­çai­se-Kam­pa­gne der fran­zö­si­schen Rech­ten sowie ihre auch spä­ter erfolg­los geblie­be­nen Ver­su­che, poli­ti­schen Ein­fluß zu neh­men, grün­de­te de Benoist mit ande­ren Intel­lek­tu­el­len 1968 in Paris den Grou­pe­ment de recher­che et d’études pour la civi­li­sa­ti­on euro­pé­en­ne (GRECE), den ers­ten rech­ten Dis­kus­si­ons­klub in Frank­reich seit 1945. Die­ser ver­sucht bis heu­te in sei­nen Zeit­schrif­ten wie Élé­ments oder Nou­vel­le Éco­le, eine Alter­na­ti­ve zur moder­nen Gesell­schaft auf­zu­zei­gen. Trotz sei­ner nam­haf­ten Mit­glie­der, zu denen in der Ver­gan­gen­heit u. a. auch der Nobel­preis­trä­ger Kon­rad Lorenz gehör­te, sah sich der GRECE immer wie­der Angrif­fen wegen ver­meint­lich »rechts­extre­mer Ten­den­zen« aus­ge­setzt. Zu den spek­ta­ku­lärs­ten zählt dabei die gegen den GRECE gerich­te­te Pres­se­kam­pa­gne von 1979. In der öffent­li­chen Wahr­neh­mung bezeich­net dies denn auch die Geburts­stun­de jener ideo­lo­gi­schen Strö­mung, als deren Prot­ago­nist Alain de Benoist bis heu­te gilt: Nou­vel­le Droi­te – Neue Rechte.

De Benoist läßt sich in der Tra­di­ti­on der fran­zö­si­schen Enzy­klo­pä­dis­ten ver­or­ten: Berühmt für den Hun­ger nach weit­ver­streu­ter Lek­tü­re, hat de Benoist Spe­zi­al­ge­bie­te nie sys­te­ma­tisch ver­tieft, son­dern eher ein Werk der Syn­the­sen geschaf­fen. Sein Gedan­ken­ge­bäu­de ist vor allem inter­es­sant auf­grund sei­ner Ori­gi­na­li­tät und Bril­lanz und weni­ger auf­grund sei­ner Tief­grün­dig­keit und dok­tri­nä­ren Kohä­renz. »Ich«, so äußer­te de Benoist ein­mal, »habe ver­sucht einen ori­gi­nel­len Gedan­ken zu kon­stru­ie­ren, aus­ge­hend von sehr unter­schied­li­chen Autoren.« Tat­säch­lich speist sich de Benoists Den­ken aus den ver­schie­dens­ten Quel­len: Neben der anti­uti­li­ta­ris­ti­schen Phi­lo­so­phie Fried­rich Nietz­sches und der iden­ti­tä­ren Demo­kra­tie­theo­rie von Jean-Jac­ques Rous­se­au, spie­len dar­in das Staats­den­ken von Carl Schmitt und die kul­tur­re­la­ti­vis­ti­schen Über­le­gun­gen von Clau­de Lévi- Strauss eine ent­schei­den­de Rol­le; aber genau­so kom­men dar­in die reli­gi­ons­wis­sen­schaft­li­chen Theo­rien von Geor­ges Dumé­zil und Mir­cea Elia­de zum Tra­gen oder Ana­ly­sen von Psy­cho­lo­gen wie Hans Jür­gen Eysen­ck und Ver­hal­tens­for­schern wie Kon­rad Lorenz.

Sein 1979 von der Aca­dé­mie fran­çai­se mit dem Grand Prix de l’Essai aus­ge­zeich­ne­tes Buch Vu de droi­te (dt. Aus rech­ter Sicht) bezeich­net den Ver­such, die Eck­pfei­ler einer dem Men­schen gemä­ßen, orga­ni­schen Welt­sicht auf ratio­na­ler Basis zu skiz­zie­ren. Zen­tra­ler Refe­renz­punkt de Benoists ist dabei die anti­ke, vor­christ­li­che Welt. Auf­grund ihrer Göt­ter­viel­falt, ihrer tri­funk­tio­na­len Glie­de­rung und ihres zykli­schen Geschichts­bil­des, begreift er sie als zeit­lo­ses Ide­al und trans­po­niert deren Struk­tu­ren in sei­nen Schrif­ten immer wie­der in die Gegen­wart: So erscheint ihm etwa die anti­ke Reichs­idee als Vor­bild dafür, mit plu­ra­lis­ti­schen Geset­zes­for­men die Iden­ti­tät der ver­schie­de­nen Kul­tu­ren zu stär­ken, zu erhal­ten und zu inte­grie­ren. De Benoist, der gegen Ende der 1960er nicht müde wur­de, die intel­lek­tu­el­le Armut der tra­di­tio­nel­len Rech­ten zu bekla­gen, und dazu ermun­ter­te, ihr ein trag­fä­hi­ges ideo­lo­gi­sches Kon­zept zu geben, sieht die Unter­schei­dung zwi­schen poli­ti­scher Lin­ken und Rech­ten mitt­ler­wei­le als über­holt an.

Kaum ver­wun­der­lich, wid­met er sich heu­te ver­stärkt The­men, die bis­lang vor allem die intel­lek­tu­el­le Lin­ke angin­gen: der Kon­sum­kri­tik und der Öko­lo­gie. Aller­dings erhält er dabei nach wie vor sei­ne antie­ga­li­tä­re Ori­en­tie­rung auf­recht. De Benoist gilt nicht zuletzt dar­um als umstrit­ten und als Soli­tär unter den poli­ti­schen Den­kern unse­rer Zeit. Bezeich­nen­der­wei­se sag­te der ame­ri­ka­ni­sche Phi­lo­soph Tho­mas Mol­nar ein­mal über ihn: »Alain de Benoist hat Pro­ben eines bemer­kens­wer­ten intel­lek­tu­el­len Mutes abge­legt, ich wür­de sagen der Zivil­cou­ra­ge ange­sichts der Haie des Einheitsdenkens.«

Schrif­ten: Die ent­schei­den­den Jah­re. Zur Erken­nung des Haupt­fein­des, Tübin­gen 1982; Hei­de sein zu einem neu­en Anfang. Eine euro­päi­sche Glau­bens­al­ter­na­ti­ve, Tübin­gen 1982; Aus rech­ter Sicht, 2 Bde., Tübin­gen 1983/84; Kul­tur­re­vo­lu­ti­on von rechts. Gramsci und die Nou­vel­le Droi­te, Kre­feld 1985; Demo­kra­tie. Das Pro­blem, Tübin­gen 1986; Auf­stand der Kul­tu­ren. Euro­päi­sches Mani­fest für das 21. Jahr­hun­dert, Ber­lin 1999; Tota­li­ta­ris­mus, Ber­lin 2001; Wir und die ande­ren, Ber­lin 2008; Abschied vom Wachs­tum. Für eine Kul­tur des Maß­hal­tens, Ber­lin 2009; Am Ran­de des Abgrunds, Ber­lin 2012.

Lite­ra­tur: Micha­el Böhm: Alain de Benoist – Den­ker der Nou­vel­le Droi­te, Schnell­ro­da 2008; Loren­zo Papi­ni: Radi­ci del pen­sie­ro. La rifles­sio­ne poli­ti­ca di Alain de Benoist, Pisa 1995.

Beach­ten Sie bit­te auch den Bücher­schrank “Alain de Benoist” im Sor­ti­ment des Ver­lags Antai­os – dort kön­nen Sie ver­schie­dens­te Bücher vom Meis­ter­den­ker aus Frank­reich erwerben.

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