In der vorwöchigen Ausgabe hatten sie einen Grundsatzartikel von Alice Schwarzer zur Prostitutionsdebatte abgedruckt. Und jetzt, in der aktuellen Ausgabe, das: Das turmhohe Alice-Schwarzer-Museum in Köln wurde eingeweiht. Mit Blaskapelle und ordentlich Prominenz, „Kai Diekmann mit schickem Dreitagebart“, Maybritt Illner, Sandra Maischberger, „beide in lila“.
Die Schwarzer sagte laut Zeit in der Eröffnungsrede, ihr eigener „Beitrag zur Zivilisierung Deutschlands“ sei „aus der Geschichte der Menschheit nicht mehr wegzudenken.“ Auf einem Neonlichtband läuft der Spruch „mein Bauch gehört mir“, übersetzt in alle Weltsprachen. „An den Wänden findet der Besucher Fotos kirchlicher Würdenträger mit empörend frauenverachtenden Zitaten.“ JessesSezession im Netz! Ich muß noch ein paar Zeilen weiterlesen um´s zu kapieren: eine Satire. Difficile est saturam non scribere (Juvenal).
9. 12. 2013 – Auf Deutschlandradio „Kultur“ stellt Martin Böttcher die deutschen Charts vor. Von Platz 10 runter werden die nach media control derzeit bestverkauften Alben präsentiert und angespielt. Zu den Gepflogenheiten dieser Rubrik gehört es, einen Titel der erstplazierten CD in Gänze zu Gehör zu bringen. Leider ist ausgerechnet dieser Sendungsmitschnitt nicht online greifbar.
Was sagte Böttcher noch mal über Freiwild, die erneut Platz eins stellten? „Musik von Untermenschen für Untermenschen?“ Nein, er sprach wohl von schlechter Musik für schlechte Menschen, von „völkischem Gegröle“, und die Moderatorin sekundierte mit resoluter Stimme „… und deshalb wird das hier auch nicht gespielt. “ Stattdessen durfte die Nr. 2 , Robbie Williams, singen, und zwar:
I wanna be a man, mancub/ And stroll right into town/And be just like the other men/Oh, oobee doo/I wanna be like you
Okay, das ist nun wirklich gute Kunst für gute Menschen. Und doch, der Trotz siegt: Bestelle gleich das neue Album als „Premium“-Variante im Freiwild-Shop. Kenne jemanden, der sich drüber freuen wird.
10.12. 2013 – „Seht uns an: Noch nie gingen in Afghanistan so viele Schule, noch nie waren Frauen öffentlich so aktiv. Diese Schülerinnen protestieren in Herat gegen Korruption“. So lautet die Bildunterschrift unter einem großen Photo, mit dem die Süddeutsche Zeitung einen Artikel über eine Gouverneurin in Afghanistan illustriert.
Gut, wir folgen dem Aufruf und sehen die Schülerinnen an. So wie sie dasitzen, könnten es die Stufen der Frankfurter Konstablerwache sein, auf denen sie hocken. Drei von vier tragen riesige Sonnenbrillen mit bunten Plastikgestellen, zwei modern-verschlissene Bluejeans, zwei futtern aus einer Plastiktüte Chips. Eine hält ein rosaweißes Handy in ihrem Schoß, eine andere hat pinkkrallige Fingernägel. Das Chipstütenmädchen guckt frech, die anderen drei Gesichter strahlen teigige Aufmüpfigkeit aus. Immerhin, sie sind dezidiert gegen Korruption. Das ist mal ein Anfang.
11.12.2013 – „Aber wir müssen…!“ „Quatsch. Dann mußt D u halt nicht.“ „Aber – ist doch eine Hausaufgabe! Wenn einer sagt, er kann´s nicht, kriegt er ne schlechte Note.“ „Dann wäre die in diesem Fall Art Ehren-Fünf. Etiam si omnes…“ „… ego non, klar. Aber ich kann´s eh schon auswendig.“
Es geht um die Auswendiglernhausaufgabe des Weihnachtssongs, der natürlich nicht an die coole Barbarei des Weihnachtssongs heranreicht. Trotzdem ein dümmliches Stück. Enttäuschend deshalb, weil die Musiklehrerin – Grundschule – eigentlich äußerst prima ist. Ihr verdanken wir, daß in den vergangenen Jahren zahlreiche Stücke von Margarete und Wolfgang Jehn Einzug in unseren familiären Liederschatz gehalten haben. Aber jetzt das!, zu unschöner Melodie:
„Die Zeit rennt uns davon, dabei ist viel zu tun, ich hab noch immer keine Geschenke. Der Weihnachtsstress, der nervt, so geht das jedes Jahr. Es ist so weit, es ist Weihnachtszeit.“
Bah.
12.12. 2013 – Wieder Hausaufgaben, diesmal die junge Gymnasiastin. Sie sollen einen Brief verfassen: ein von den Widrigkeiten geplagter Sachse (in dessen Rolle sie schlüpft) an den Frankenkönig Karl.
Unkt die ältere Schwester: „Wieso eigentlich ´Brief‘? Wieso nicht gleich ´ne email?“
Die Töchter grinsen und zählen die Empörungs- und Bittbriefe auf, die sie in ihren Geschichtsstunden schon verfassen mußten. Zuletzt einen an Napoleon, davor einen, den ein Chinese an Wilhelm II. verfaßt haben könnte. („Habt ihr wirklich ´Boxeraufstand´gelernt?! Soll man heute nicht mehr sagen, das ist lingua imperialisti!“, schulmeistert die Größte die Zweitgrößte.) An den grausamsten deutschen Diktator, heißt es auf Nachfrage, mußten bislang keine Briefe geschrieben werden. Hätt´der solche Eingaben nicht besonders nötig gehabt? Vermutlich würde ein solches Vorhaben bereits an der Anrede scheitern. „Lieber Herr Hitler“? „Sehr geehrter -“? So weit kommt´s noch!
13.12. 2013 – So hielten es bessergestellte Familien in vergangenen Zeiten: Im Winter wurde der Landsitz geschlossen und die Stadtwohnung übergesiedelt. Ein mondäner Wunsch! Immerhin kann gelegentlich dem teilbeheizten Rittergut entflohen werden. Heute Kulturtag in Frankfurt: erst im Jüdischen Museum die Schau „1938. Kunst, Künstler, Politik“, hernach die Théodore-Géricault-Schau in der Schirn.
Im Jüdischen Museum am frappierendsten dieser Eindruck: Die einander gegenübergestellten Kunstkritikerinnen Luise Straus-Ernst (in Auschwitz ermordet) und Bettina Feistel-Rohmeder, einst als „Kämpferin gegen Juden und verjudete Künstler“ bejubelt, gleichen sich im Portrait wie Zwillinge. Die Schau ist pädagogisch extrem zurückhaltend, und man staunt, daß der Fall Gurlitt nicht hineinaktualisiert wurde.
Das Prinzip „Stolperstein“ wurde hier umgekehrt: Man läuft über die Räume hinweg auf einem Flickenteppich, in den man hier und da unversehens zentimetertief versinkt. Die Museumsdame macht beizeiten darauf aufmerksam. Straucheln ist erwünscht, fallen wäre unschön.
Carsten
Frei.Wild ist auf Platz 1 und wird trotzdem nicht gespielt? Großartig! Dasselbe passierte 1977 den Sex Pistols mit "God save the Queen". Konservativ ist heute der wahre Punkrock!