zu moderner Vedutenmalerei heraus – gewissermaßen eine contradictio in adiecto, denn Veduten gibt es eigentlich nicht mehr; sie gehören in das Barock – als detailgenau gezeichnete oder gemalte Ansichten von Architektur, Stadt und Landschaft, als auf allerkleinste Kleinigkeiten versessene Bilder, die die weite Welt, das Anderswo zeigten, aparte Mitbringsel des neuzeitlich reisefreudigen Bürgertums von seiner aus Bildungsgründen absolvierten Grand Tour.
In Deutschland ist Canaletto bekannt, dem Dresden, Pirna und die Sächsische Schweiz großartige Ansichten des augusteischen Zeitalters verdanken. Aber nach der Zeit seines Wirkens setzte erst schleichend, dann beschleunigt der Niedergang dieser, nun ja, sehr qualifizierten und aufwendigen Gebrauchskunst ein. Denn schon im 19. Jahrhundert beginnt die Photographie ihren Siegeszug, und je mehr sie sich technisch perfektioniert, je schneller sie Bilder aufzunehmen und zu entwickeln vermag, um so mehr tritt das langsame und konzentrierte Zeichnen hinter sie zurück und wird wieder zu dem, was es war, zur Kunst. Während die Welt sich Ansichtskarten schreibt, die wiederum in unserer Gegenwart vom digital-virtuellen Bild verdrängt werden, das nicht nur abbildet, sondern mit seinen Photoshop-Möglichkeiten Darstellungen generiert und damit mehr denn je zu manipulieren versteht. Walter Benjamin sprach in anderem Zusammenhang vom “Auraverlust”.
Ich lernte einen sympathischen Autodidakten kennen, der seine Bilder zu mecklenburgischen Motiven noch immer mit dem spitzen Bleistift zeichnet, so minutiös und fein gestrichelt, daß er Tage, ja Wochen für eine Vedute braucht – mit dem etwas zwanghaft anmutenden Anspruch, daß etwa bei einem backsteingotischen Rathaus selbstverständlich die Zahl der Ziegelreihen genau stimmt. Was der Mann mit Akribie anfertigt, das wirkt photographisch genau. Verkauft er seine Veduten auf Märkten oder an den Handel, wird er oft gefragt: Ist das wirklich alles gezeichnet? Mit Bleistift? Und er antwortet: Ja, alles gezeichnet. Mit dem Bleistift hier. – Viel, viel Aura.
Aus über zweihundert Veduten wählte ich an die dreißig aus, um so einen bildsamen Streifzug durch das nordöstliche Bundesland von der Ostseeküste bis zur brandenburgischen Grenze zu entwerfen, versah diesen Reigen klassischer Impressionen mit einem kunstgeschichtlichen Vorwort und regionalhistorischen sowie landeskundlichen Begleittexten von hoffentlich gefällig feuilletonistischer Diktion. Das alles ließ ich in einer renommierten Greifswalder Druckerei aufwendig verarbeitet und fadengeheftet produzieren – ein Buch, das man gern hinlegt, gern aufschlägt und mit dem man auf genußvolle Weise einen tiefen Einblick in die Landesgeschichten Mecklenburgs und Vorpommerns nimmt.
Dieses Buch wird den Autor und mich lange überleben. Es ist so hergestellt, daß man es noch in zweihundert Jahren aufschlagen kann, ohne daß die Seiten fein gestrichenen Papiers abgegriffen oder gar aus der Bindung gelöst sein werden. Der Band kostet beinahe dreißig Euro; und der Künstler bekommt ein Honorar.
Noch was? Nur die Anmerkung, daß das alles offenbar unüblich ist. Lege ich den Band den Buchhändlern in den mecklenburgischen Städten vor, sind sie bisher alle beeindruckt. Sie erkennen ihre Heimat sogleich. Dann raunen sie: Ziemlich teuer. Sehr teuer! Zu teuer! – Ich antworte mit einem Vergleich und sage nur: Halber Tank! Nicht mehr und nicht weniger: Halbe Tankfüllung. – Die Händler, rechnende Geschäftsleute, wiegen das Haupt und fragen, was denn der Künstler dafür hinlegen mußte, also finanziell so einbrachte. Ich antworte: Der Künstler bringt die Kunst ein und erhält eine Gewinnbeteiligung sowie Freiexemplare. – Ach, hat der nichts bezahlt? Ich: Weshalb muß, weshalb soll der Künstler sein Buch bezahlen, wenn der Verlag, so klein der auch sei, es aus freien Stücken herausbringen will? – Große Verwunderung. Und: Weshalb in Deutschland produziert? Polen, Litauen, Tschechien! Dort ist es billig, saubillig! Und weshalb die Fadenheftung? – Damit es ewig hält! – Ja, aber das ist doch heute gar nicht mehr üblich, daß man das so macht! Ohne Zuschüsse! Ein Buch als Handwerkskunst! Fadengeheftet!
Nein, ist offenbar nicht üblich. Ist gar nicht mehr drin, heißt es, heutzutage. Muß doch viel preiswerter sein! Und in hoher Auflage wird es im Einzelstück richtig billig! – Kann ich alles so nicht, beherrsche ich nicht, habe ich keine Lust dazu, ebensowenig wie ich des Polnischen, Litauischen, Tschechischen mächtig bin, obwohl – ich weiß, ich weiß – dort die Kundenberater längst Deutsch sprechen. Bin ein schlechter Geschäftsmann und drücke die Kosten, indem ich meine Lebensansprüche reduziere und mir keinen Autor leiste, sondern selbst der Schreiber bin. Kurios!, heißt es dann. Und so gern hätte ich Kollegen, die ein ähnliches Abenteuer abziehen, mit denen ich symbiotisieren könnte. Wie mit Baal Müller oder Antaios! Und Kunden, die mit einem halben Tank losfahren, damit sie sich noch ein Buch einpacken können.
Realist
Ein sehr schönes Projekt. Ich persönlich würde das Bild auf dem Deckblatt zwar nicht als Gemälde, denn vielmehr als Zeichnung klassifizieren, und auch der gedankliche Brückenschlag zur Vedutenmalerei etwa eines Bellotto will mir nicht ganz gelingen. Für mich ist dies eine Landschaftszeichnung.
Der Horizont ist meines Erachtens nach handwerklich hervorragend. Die Texturen und Schattierungen der Felsenformationen lassen die Unbekümmertheit des Autodidakten erahnen. Meine Hirnwindungen fanden in den Steinmustern sowohl Augen, Nasen als auch diverses Getier, wie Vögel und Hasen (übrigens vielen Dank für die hohe Auflösung). Eine derart hohe Dichte an Assoziationen sind mir ein sicheres Zeichen für eine gewisse Ungenauigkeit, welche, ohne Frage, den eigentlichen Charme der Zeichnung ausmacht, für die Verdute jedoch untypisch ist.
Insgesamt hätte ein höherer Kantenkontrast der Szene mehr Authentizität verliehen. Auch bei diffuser Lichtstimmung zeichnet Gegenlicht hohe Tonwertunterschiede zwischen Kante und Fläche.
Wenn es denn die moderne Verdutenmalerei gibt, so ist sie meiner Ansicht nach bei Vertretern der so geschmähten digitalen Malerei zu finden. Bert Monroy's Damen Station scheint mir da ein bekanntes Beispiel.
Die Feinen Striche sind auf meinen Wunschzettel gewandert. Ich freue mich auf die Motive und ein intensiveres Studium der zeichnerischen Umsetzung.
Ein frohes neues Jahr wünsche ich.