Wo nicht mehr qualifiziert werden kann – ob nun im engeren Sinne in der Bildung oder im weiteren gesamtgesellschaftlich –, da bleibt nur das Quantifizieren. Daß unsre Regierungen und der sie überwölbende obskure Brüsseler Apparat wie in einem Kafka-Motiv lediglich Großbuchhaltungen, also quasi Großraumbüros vorstellen, kann man einerseits als das versachlichte und im Sinne der Aufklärung vernünftige Herrschen und Beherrschen ansehen. Rationalität als Staatsräson. Ebenso wie die Firmen und Bürger ist selbstverständlich jeder Staat gehalten, verantwortungsvoll seinen Etat zu berechnen, indem er mit den Abgaben der Einwohner verantwortungsvoll umgeht. Immerhin ist Geld das faszinierend praktische Medium, über das der Austausch physischer und geistiger Ressourcen im Sinne “knapper Güter” als gesamtgesellschaftlicher Stoffwechsel erfolgt.
Nur scheint darüber hinaus kaum noch etwas gedacht zu werden und zu geschehen. Es wird eine Zirkulation verwaltet, die sich selbst erzeugt und selbst erhält. Eine Selbstbefriedigung der Zahlen. Das funktioniert ausgezeichnet, solange nur dreierlei zählt – Produzent, Ware und Verbraucher. Ohne Frage sehr existentielle Bereiche. Nur für alles andere, was Existenz geistig, ideell, leidenschaftsvoll noch sein mag, findet der Mensch, dieses transzendierende und von einer metaphysischen Sehnsucht getriebene Wesen, immer weniger. Alles kann, ja muß Ware werden, so die Logik. Was für diese Konversion nicht geeignet ist, das gibt es auch nicht. Inspiration? Kaum mehr auffindbar, wenn man sie nicht aus sich selbst zu schöpfen vermag. Man durchmißt die Gänge zwischen den überbordenden Regalen des Super-Marktes und wartet auf sein Damaskus-Ereignis.
Mittlerweile tragen selbst die Chausseebäume eingenagelte Registraturnummern. Und den Abiturienten ist lediglich der ihnen im Dienstleistungsbereich Gymnasium erreichbare „Schnitt“ wichtig, preist er sie doch für den Markt aus wie ein Bar-Code.
Über Jahrhunderte leerten sich erst die Kirchen; jetzt sterben die Orchester und Theater; es bleiben die Festivals und Events sowie all der Klamauk des ewig Gleichen, der sich aber rechnet, weil für die Masse Masse geboten wird. Sinngebung, das gilt als ideologisch, mithin gefährlich, tendenziell faschistoid. Die politische Leitlinie der Gleichbehandlung, Gleichstellung und all der rechtlichen Diskriminierungs‑, also Unterscheidungsverbote deutet auf Normierung hin. Das mystifizierte Wort von der politischen Mitte meint den Durchschnitt, der überall paßt. Was rechts und links übersteht, gehört kupiert und irgendwie so recycelt, das daraus wieder nur Mitte wird.
Erst in der Digitalisierung findet die Quantifizierung ihr ideales Vehikel. Sie endlich erfaßt nicht nur alles, sondern vermag eine ganze Scheinwelt zu generieren, selbst Farben, Bilder, Musik, die neue, fehlerfreie und sterile, aus Nullen und Einsen aufgebaute “Erfahrungswelt”, in die man jenseits der analogen hineinschlüpfen kann wie in ein Wunderland. Immer mehr „Verbrauchern“ reicht sie mit ihren starken Reizen völlig aus und substituiert eine gefährlich und unhygienisch empfundene Wirklichkeit. Es mag Kinder geben, die wunderschöne Wälder nur noch aus dem 3‑D-Kino der Fantasy-Konzerne kennen. Befand sich zwischen den einstigen Stubenhockern und der Welt da draußen nur eine Scheibe aus Glas, durch die immerhin Tatsachen zu erkennen waren, ist dort jetzt eine Mattscheibe installiert, hinter der eine Rechenmaschine Faszinationen erzeugt.
Wo das Geld endlich alles ist, da wird die Zahl Leitsymbol und alle Ästhetik Werbung.
Rüganerin
Baudrillard sagte es doch auch mal sehr treffend:
„Der virtuelle Mensch, bewegungslos vor seinem Computer, macht Liebe per Bildschirm und hält seine Vorlesungen per Telefonkonferenz. Er wird ein Bewegungsbehinderter, und zweifellos auch ein geistig Behinderter.“
Wieder ein sehr schöner Artikel, der ganz meinen Ansichten entspricht!
Wir,auch ich in meinem jungen Alter zähle mich noch dazu, kennen diese Welt noch ohne diese Massendigitalisierung, ohne diese unendliche Flut des "du mußt konsumieren" im heutigen Sinn.
Was bedeutet das aber für unsere Nachkommen, in so einer Welt aufzuwachsen? Es gar nicht anders zu kennen? Was bedeutet dies für UNSERE ZUKUNFT!