5. Todestag Samuel P. Huntington

(Text aus dem Band Vordenker des Staatspolitischen Handbuchs, Schnellroda 2012.)

von Wiggo Mann

Der Politikwissenschaftler Huntington zählte zu den jüngsten Akademikern der USA. 1946 erwarb er an der Yale-Universität seinen ersten Abschluß und setzte sein Studium nach dem Militärdienst an der Universität von Chicago und der Harvard-Universität fort.

Mit 23 Jah­ren war er der jüngs­te Dozent Har­vards, wo er 1951 auch pro­mo­vier­te. Bereits sein Buch The Sol­dier and the Sta­te (1957) sorg­te für Auf­se­hen und lös­te eine anhal­ten­de Kon­tro­ver­se aus. Hun­ting­ton beschreibt dar­in die Ver­än­de­run­gen in den Bezie­hun­gen zwi­schen Bür­gern, Mili­tär und Staat. Sei­ne schar­fe Ana­ly­se trug dazu bei, daß er 1959 zum stell­ver­tre­ten­den Direk­tor des Insti­tuts für Kriegs- und Frie­dens­for­schung an der Colum­bia-Uni­ver­si­tät beru­fen wur­de. In sei­nem Werk Poli­ti­cal Order in Chan­ging Socie­ties (1968) ana­ly­siert er, aus­ge­hend von der Deko­lo­ni­sie­rungs­wel­le und der Eska­la­ti­on in Süd­ost­asi­en, die Ent­wick­lun­gen der sech­zi­ger Jah­re und prä­sen­tiert sei­ne Moder­ni­sie­rungs­theo­rie. Dabei geht Hun­ting­ton davon aus, daß Moder­ni­sie­rung zwangs­läu­fig zu Pha­sen der poli­ti­schen Insta­bi­li­tät füh­re. Zur Über­win­dung die­ser Tur­bu­len­zen auf dem Weg zur Demo­kra­ti­sie­rung sind laut Hun­ting­ton poli­ti­sche Insti­tu­tio­nen erfor­der­lich, durch die Dik­ta­tu­ren bzw. Ein­par­tei­en­staa­ten ver­hin­dert wer­den kön­nen. Die­se Theo­rie wand­te er auch auf Viet­nam an und beriet US-ame­ri­ka­ni­sche Entscheidungsträger.

Der seit 1963 in Havard leh­ren­de Hun­ting­ton wur­de 1973 zunächst stell­ver­tre­ten­der Direk­tor des Zen­trums für inter­na­tio­na­le Bezie­hun­gen, 1978 schließ­lich Direk­tor (bis 1989). Auf­grund des­sen und sei­ner Tätig­keit als Koor­di­na­tor der Sicher­heits­pla­nung für den Natio­na­len Sicher­heits­rat unter Prä­si­dent Car­ter fällt es sei­nen Kri­ti­kern schwer, ihn poli­tisch als »Rech­ten« abzu­stem­peln. Hun­ting­ton beriet ver­schie­de­ne Regie­run­gen bei der Umset­zung poli­ti­scher Refor­men, dar­un­ter auch die süd­afri­ka­ni­sche, die sich durch das Modell des »power-sha­rings« einen Aus­weg aus der Rol­le des Paria­staa­tes erhoff­te. Bei die­sen inter­na­tio­na­len Bera­tun­gen ver­folg­te Hun­ting­ton immer das Ziel eines welt­wei­ten Aus­baus der Demo­kra­tie. Er räum­te jedoch ein, daß Demo­kra­tien häu­fig sehr zer­brech­li­che Regie­rungs­for­men sein könn­ten. Dar­über hin­aus akzep­tier­te er auch repres­si­ve Maß­nah­men im Rah­men der Auf­stands­be­kämp­fung. Sei­ne The­se vom »Zusam­men­prall der Kul­tu­ren« ist in die­ser Hin­sicht eine bemer­kens­wer­te Kurs­kor­rek­tur, bei der er, ver­mut­lich auch basie­rend auf eige­nen Erfah­run­gen, u. a. zu der Schluß­fol­ge­rung kommt, daß west­li­che Wer­te ein­ma­lig und kei­nes­wegs uni­ver­sal sei­en. Die 1993 auf­ge­stell­ten The­sen waren eine Reak­ti­on auf den Zusam­men­bruch des bipo­la­ren Welt­sys­tems und den Auf­stieg der USA zur allei­ni­gen Supermacht.

Als zu »kon­ser­va­tiv« und »holis­tisch« kri­ti­siert, ver­schärf­te Hun­ting­ton 2004 durch die Ver­öf­fent­li­chung von Who Are We? ein wei­te­res Mal sei­ne Posi­ti­on. Er kri­ti­siert dar­in die Zuwan­de­rungs­po­li­tik der USA und macht den Mul­ti­kul­tu­ra­lis­mus als Bedro­hung für die US-ame­ri­ka­ni­sche Iden­ti­tät aus. Er beleuch­tet außer­dem die demo­gra­phi­schen Ver­schie­bun­gen und die dar­aus resul­tie­ren­den Fol­gen für den zukünf­ti­gen Zusam­men­halt der USA. Hun­ting­ton kann als poli­ti­scher Rea­list betrach­tet wer­den, der in der Lage war, die Schwä­chen der eige­nen Über­zeu­gun­gen zu erken­nen und zu über­den­ken. Sein Moder­ni­sie­rungs- und Demo­kra­tie­op­ti­mis­mus scheint mit dem Ende des Kal­ten Krie­ges zuneh­mend zu ver­blas­sen. Sei­ne Kul­tur­kampf­theo­rie, in der »Eth­ni­zi­tät«, Lokal­po­li­tik und »Zivi­li­sa­ti­on« die Glo­bal­po­li­tik bestim­men, erwies sich als eine rea­lis­ti­sche Pro­gno­se. Die Har­mo­nie­ver­spre­chen eines »Endes der Geschich­te« und der »mul­ti­kul­tu­rel­len Gesell­schaft« sind weit­ge­hend widerlegt.

Der ein­zi­ge Vor­wurf, den man Hun­ting­ton machen könn­te, ist der, daß er den Anteil der eth­ni­schen Kon­flik­te unter­schätzt hat. Die­se stel­len die Mehr­zahl der Kri­sen­her­de. Den­noch blieb deren Eska­la­ti­on, zu welt­wei­ten Zivi­li­sa­ti­ons­krie­gen, bis­her aus. Nach den Anschlä­gen vom 11. Sep­tem­ber 2001 äußer­te sich Hun­ting­ton zuneh­mend besorgt über eine Sicher­heits­la­ge, die für die Men­schen im Wes­ten ein dau­er­haf­tes Leben mit dem »Quas­i­k­rieg« bedeu­ten wür­de. An die Stel­le der Bedro­hung durch zwi­schen­staat­li­che Krie­ge sei die durch ter­ro­ris­ti­sche Akteu­re im Inland getre­ten. Er riet den USA davon ab, im Irak ein­zu­mar­schie­ren, und emp­fahl eine stär­ke­re Kon­zen­tra­ti­on auf die inne­re Sta­bi­li­tät des eige­nen Lan­des, des­sen Insti­tu­tio­nen durch Mul­ti­kul­tu­ra­lis­mus und Iden­ti­täts­er­o­si­on geschwächt sei­en. Hun­ting­ton schien zu ahnen, daß sei­ne »kul­tu­rel­len Bruch­li­ni­en« sich schon lan­ge nicht mehr durch den Bal­kan oder das Hima­la­ya-Gebir­ge zie­hen, son­dern durch die Stra­ßen ame­ri­ka­ni­scher Groß­städ­te oder die Gren­ze zu Mexiko.

Schrif­ten: The Sol­dier and the Sta­te. The Theo­ry and Poli­tics of Civil-Mili­ta­ry Rela­ti­ons, 1957; Poli­ti­cal Order in Chan­ging Socie­ties, New Haven 1968; Ame­ri­can Mili­ta­ry Stra­tegy, Ber­ke­ley 1986; The Third Wave. Demo­cra­tiza­ti­on in the Late Twen­tieth Cen­tu­ry, Nor­man 1991; Kampf der Kul­tu­ren. Die Neu­ge­stal­tung der Welt­po­li­tik im 21. Jahr­hun­dert, München/Wien 1996; Who Are We? Die Kri­se der ame­ri­ka­ni­schen Iden­ti­tät, Hamburg/ Wien 2004.

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