„Alt aber bezahlt“ prangte auf den Prolo-Karossen (auch unser Bäckerwagen trug diesen Aufkleber, und ich dachte immer, es hätte mit dem ausgelieferten Brot zu tun: daß es vom Vortag wäre, dafür aber billig), außerdem diese beiden Indianersprüche (Erde nur von den Kindern geliehen und „daß man Geld nicht essen kann“).
Beliebt waren auch Aufkleber mit Korsika- und Sylt-Silhouetten und Freizeitpark-Sticker. Ich schätze grob aus der Erinnerung, daß in der Achtzigern jedes zweite Auto irgendwie beklebt war. Ausgerechnet im facebook-Zeitalter ist man extrem dezent mit transportablen Botschaften. Falls mich meine Wahrnehmung nicht trügt, ist heute allerdings eine Ost-West-Kluft auszumachen. Über den Daumen gepeilt fährt in Westdeutschland jedes hundertste Auto eine Botschaft spazieren, im Osten der Republik mögen es an die 5% sein.
„Todesstrafe für Kinderschänder“ ist hier einigermaßen verbreitet als Heckscheibenbekenntnis. In der sächsischen Provinz neulich, knallgelb, ebenfalls heckscheibenbreit: „Tanzt ihr Nutten der König hat Laune“. Vielleicht die hervorragende Liedzeile aus einem hochintelligenten Song? Gestern gesehen, in feiner Fraktur, Frau am Steuer: „The Life is painful“. Ob´s dem Lobpreis einer Musikkapelle dient oder – als melancholisches Weh – von einem erfahrungsgesättigtem Leben künden will?
Vor der Sporthalle steht immer ein Auto, dessen Heck in blutroten Buchstaben verkündet: „I“ – großes Herz – „Bono Vox“, und das farbige Konterfei des geliebten Sängers ist als überlebensgroßes Bild in die Botschaft eingelassen. (Ich hab bislang erfolglos nach dem Fahrer geschaut. Fahrerin?) Ein weiterer Wagen, der mir laufend über den Weg fährt, verkündet mit drei Ausrufezeichen „Sport frei“, es müssen wahre Verzückungsspitzen sein, gigantische Temperaturerhöhungen, kurz: ein großer Enthusiasmus, der den Autoinhaber so botschaftsfreudig macht.
Heute ein schwarzer Kleinbus, beschriftet mit einer tragischen Nachricht am Seitenfenster: „Jenny. 1.3. 2008-12. 9. 2013. Du hast uns so viel gegeben.“ Auf der Heckscheibe, ich sah es erst später, ein schönes Pferdeportrait. Die Leute hier haben einfach mehr Gefühl. „Ich bremse auch für Tiere“ war früher allerdings auch im Westen weit verbreitet.
8.1. 2014
Wie man’s macht, macht man’s falsch:
Der Fachbereich Angewandte Sozialwissenschaften der FH Dortmund wird demnächst einen Studiengang “Armut und Flüchtlingsmigration” anbieten. In einem zur Hälfte aus praktischer Sozialarbeit bestehendem Studium sollen die Studenten “migrationpädagogische Kompetenzen” gewinnen. Es soll der Aufbau “kultursensibler Beratungs- und Unterstützungsangebote” fokussiert werden. Das wird allgemein gutgeheißen. Viele Flüchtlinge und Arme kämen nicht gut mit dem deutschen Behördenwirrwarr klar.
Und doch gibt’s auch Schimpfe: Die Süddeutsche beklagt, daß per Logo – anscheinend ist es bei Erscheinen der Meldung bereits entfernt – ein „rumänisches Klischee“ aktiviert worden sei: Ein wandernder Bauer mit Esel. So geht’s schon mal nicht! Und im Ernst: logisch wird aus armen und beflüchteten Ländern auch mit Sidecut, Smartphone und Klapprechner eingewandert. Kuck! Kuck! Ia!
9.1. 2014
Wie man’s macht, macht man’s falsch II:
Kakadu, der Kinderfunk im Deutschlandradio, präsentiert eine achtteilige Sendereihe: „Was haben Angela Merkel, Kleopatra, Anna Frank und Hildegard von Bingen gemeinsam? Sie sind starke Frauen aus Geschichte und Gegenwart“ Die zuständige Reporterin „erzählt…, was die Menschheit ihnen verdankt.“
Das ist im Ansatz natürlich liebgemeint: mal über Frauen zu reden. Ich stelle mir eine achteilige Serie vor: „Was haben Alexander der Große, Guido Westerwelle und Henry Maske gemeinsam? Sie sind starke Männer.“ Es geht noch besser. Im Ankündigungstext heißt es weiter:
„Während Kleopatra versuchte, sich gegen die Weltmacht Rom zu behaupten, ist Anne Frank durch ihr Tagebuch zu einer Symbolfigur für alle Opfer der nationalsozialistischen Vernichtungspolitik geworden.“ Wirklich: während?
10.1. 2014
Ist das wahr, Harald Martenstein? Daß eine Hausfrau aus einer US-amerikanischen Kleinstadt jeden Monat zigzehntausend Dollar mit einer Bigfoot-Reihe verdient, in deren Folgen affenähnliche Waldwesen junge Frauen entführen mit dem Ziel, Affenkinder zu zeugen? Daß es nach dem 70 Millionen-Erfolg der Unterwerfungssaga Shades of Grey nun ein Genre gibt, daß von Fachleuten unter den Begriff „kryptozoologische Erotika“ gefaßt wird?
Daß in den jüngsten Folgen Buchserie jener Hausfrau nun auch „Wikinger und Werwölfe mit unerfülltem Kinderwunsch“ unterwegs sind? „Je partnerschaftlicher und sensibler die echten Männer werden, desto größer wird der Buchmarkt für das Tier im Mann“, schlußfolgern Sie in ihrer Kolumne im Zeit-Magazin. Ob’s einen adäquaten Sexfantasy-Markt für Männer gibt? Wie ginge der? Steinzeitlich?
11.1. 2014
Der Fall des Hitzlspergers: Also schwul. Alle kreischen: Super! Respekt! („Brave and right decision. Respect“, twitterte der bekanntlich zwischen den Sprachen stehende Lukas Podolski) So toll! „Bin stolz auf dich!“ (Arne Friedrich), Bundesverdienstkreuz: her!, um im gleichen Atemzug zu ätzen: Wieso gibt es eigentlich so ’nen Rummel? Ist doch extrem normal, was soll die Aufregung?
Als Ballsportfremde ist mir Hitzlsperger, der „Linksfuß gegen Rechts“ (Die Welt), nur als Blogger der Antifa-Plattform „Störungsmelder“ bekannt, als Träger des Julius-Hirsch-Ehrenpreises für Zivilcourage gegen Rassismus und Rechtsextremismus „im Fußball“. Also, wo ist das Problem jetzt? Das Problem, sagt Klaus Theweleit im dradio, sei nicht die „Kurve“, sondern die grundlegenden „Kommando-und Hierarchiestrukturen“ im Fußball: Die Person und Funktion des Schiedsrichters sei „das undemokratischste, was wir in der Gesellschaft überhaupt haben.“
Ach so, der schwarze Mann als Buhmensch. Apropos Mensch: Der Sprecher der Kanzlerin vermeldete ebenfalls Glückwünsche zum sexuellen Bekenntnis. Man lebe in Deutschland weitgehend in Respekt voreinander, unabhängig davon, „ob der Mitmensch Männer oder Frauen liebt“. Die Bild tutet per Titelschlagzeile ins gleiche Rohr: „Respekt! Hitzlsperger bekennt: Ich liebe Männer!“ Die Menschheit lieben, das klänge in meinen Ohren noch artig. Aber dieser geschlechtsdiskriminierende Plural?
Grau
@ topic Ganz süß der Arne Friedrich: "Wenn ich homosexuell wäre, würde ich es jetzt sagen"
Das erinnert arg an den sonst zum Thema 3.Reich gepflegten Auftritt bestimmter Nachgeborener "Ich hätte ganz sicher ..."
Vielleicht könnte der Herr F. ja ersatzweise tatsächlich irgendwas bekennen, um die ersehnte Aufmerksamkeit der Medien zu bekommen? Irgendwas wird doch wohl der nötigen Enthüllung wert sein.
hic Rhodos, hic salta