Bauernlegen

von Heino Bosselmann

Zu schlimmen Verläufen passen schlimme Worte: „Land Grabbing“ ist ein solcher Begriff. Neuerdings wird er für den Ausverkauf von Flächen mitteldeutscher Landwirtschaft üblich und war gerade im Zusammenhang mit der „Grünen Woche“ wieder öfter zu hören.

Mehr noch als die sozia­le Dis­kre­panz der Nati­on ver­lie­ren die Kon­ser­va­ti­ven und Rech­ten den Boden und damit Land­wirt­schaft, Natur und länd­li­che Viel­falt aus dem Auge. Sie über­las­sen die­ses Feld weit­ge­hend den Phra­sen einer längst im Lob­by­is­mus ange­kom­me­nen, ver­meint­lich grü­nen Poli­tik. – Eigent­lich bäu­er­li­che Land­wirt­schaft gibt es auf dem Gebiet der eins­ti­gen DDR kaum mehr – mit ver­hee­ren­den Kon­se­quen­zen für die dor­ti­ge Regio­nal­struk­tur und vor allem ‑kul­tur.

Wäh­rend ein klei­ner Fami­li­en­be­trieb um die 30 Hekt­ar zum Über­le­ben benö­tigt und die west­deut­schen Höfe im Durch­schnitt 50 Hekt­ar umfas­sen, akku­mu­lie­ren gro­ße Agrar­ge­sell­schaf­ten wie die „KTG-Agrar“ und vie­le ande­re im Osten Flä­chen von 30.000 Hekt­ar und mehr. So läuft es ansons­ten nur in halb­kor­rup­ten Schwel­len- und Entwicklungsländern.

Der Deutsch­land­funk zitier­te in einem her­vor­ra­gen­den Bei­trag von Almuth Knig­ge dazu gera­de Dr. Jörg Ger­ke von der „Arbeits­ge­mein­schaft bäu­er­li­cher Land­wirt­schaft“: „Das ist Land­wirt­schaft, die nicht mehr mit den natür­li­chen Gege­ben­hei­ten rech­net, son­dern nur noch nach dem eige­nen Aktio­närs­in­ter­es­se betrach­tet. Das ist das Schlech­tes­te, was pas­sie­ren kann, ist aber für die agrar­po­li­tisch Ver­ant­wort­li­chen in Ost­deutsch­land ein inter­es­san­tes und akzep­tier­tes Modell”. Wo sich der Boden aber in der Hand weni­ger befin­det, so Dr. Ger­ke gegen­über dem Sen­der wei­ter, da gebe es auch weni­ger Mög­lich­kei­ten für die Ent­wick­lung und einen qua­li­ta­ti­ven Wan­del. Der länd­li­che Raum ver­ödet, die Leu­te geben ihre ohne­hin gerin­gen poli­ti­schen Teil­ha­be­mög­lich­kei­ten resi­gniert auf. Sie ver­bin­det nichts mehr mit ihrer hei­mi­schen Landschaft.

Nach dem Unter­gang der DDR fie­len der Bun­des­re­pu­blik 2,1 Mil­lio­nen Hekt­ar des ehe­ma­li­gen Acker­bo­dens des „Arbei­ter- und Bau­ern­staa­tes“ zu. Mit der „Boden­ver­wer­tungs- und Ver­wal­tungs-GmbH“ über­nahm eine Abtei­lung der unse­li­gen „Treu­hand­an­stalt“ deren Ver­pach­tung und den Ver­kauf. Zunächst sicher­ten sich die aus den „Land­wirt­schaft­li­chen Pro­duk­ti­ons­ge­nos­sen­schaf­ten“ (LPGen) ent­stan­de­nen und frisch pri­va­ti­sier­ten Agrar­un­ter­neh­men den größ­ten Anteil und konn­ten ihn meist bil­lig auf 20 Jah­re pach­ten. Nach Ende die­ser Ver­trä­ge steht die­se Boden­mas­se wie­der zur Ver­fü­gung und reizt jetzt die ganz gro­ßen Anle­ger und Spe­ku­lan­ten, weil die mit der Ein­be­zie­hung aller Flä­chen für „grü­ne Ener­gie“ eine Ren­di­te von vier bis sechs Pro­zent ein­fah­ren. Oft­mals han­delt es sich dabei um bran­chen­frem­de Unter­neh­men, deren ein­zi­ge „Kom­pe­tenz“ in ihrer finan­zi­el­len Potenz besteht. Sie las­sen den Acker hoch­tech­ni­siert von Lohn­un­ter­neh­men mit weni­gen Ange­stell­ten bear­bei­ten und che­mi­sie­ren, und sie bau­en an, womit sich Kas­se machen läßt, vor allem also „Bio-Mas­se“ zur Gewin­nung ver­meint­lich „nach­hal­ti­ger Roh­stof­fe“ – ein Vor­gang, der – in Kon­kur­renz von Tank und Tel­ler – wie­der­um die Prei­se von Getrei­de und Fleisch steigert.

2013 kos­te­te ein Hekt­ar land­wirt­schaft­li­cher Nutz­flä­che schon durch­schnitt­lich 15.411 Euro! Gegen­über dem Vor­jahr eine Stei­ge­rung von zwölf Pro­zent. Schon bis dahin ver­lief die Preis­ent­wick­lung rasant. – Bäu­er­lich ori­en­tier­ten jun­gen Leu­ten, die nach Land suchen, feh­len die Mit­tel, es über­haupt erst erwer­ben zu kön­nen. Zu teu­er, preis­lich hoch­ge­trie­ben von den Agrar­rie­sen und dem Bund, der sich über den Rei­bach freut. Weil nach Flä­che abge­rech­net wird, fas­sen die Far­mer-Gigan­ten zudem rie­si­ge EU-Sub­ven­tio­nen ab. Der Deutsch­land­funk rech­ne­te vor, daß die „KTG-Agrar“ allein schon neun Mil­lio­nen Euro aus Brüs­sel ein­streicht, wäh­rend 44 % der Bau­ern in Deutsch­land nicht mal 5.000 Euro jähr­lich erhalten.

Dr. Ger­ke weist zudem dar­auf hin, daß gemäß einer Stu­die der Uni­ver­si­tät Jena 95 % der dama­li­gen LPG-Umwand­lun­gen als geschei­tert gel­ten müs­sen. Die nach der Wen­de aus­ge­schie­de­nen LPG-Mit­glie­der (85–90 %) wur­den weit­ge­hend um die ihnen zuste­hen­de Antei­le gebracht. In der „Schwe­ri­ner Volks­zei­tung“ sah Meck­len­burgs Land­wirt­schafts­mi­nis­ter Back­haus die Schuld für die feh­ler­haf­ten Umwand­lun­gen teil­wei­se bei den damals her­bei­ge­zo­ge­nen west­deut­schen Beratern.

Seit 2012 exis­tiert als Zusam­men­schluß von Stu­den­ten und Aus­zu­bil­den­den ein hoch­in­ter­es­san­tes „Bünd­nis Jun­ge Land­wirt­schaft“. Die­se enga­gier­ten Leu­te suchen drin­gend nach Boden, um dort bäu­er­lich wirt­schaf­ten zu kön­nen. Obwohl den mit­tel­deut­schen Regie­run­gen mehr als 500.000 Hekt­ar BVVG- und Lan­des­flä­chen zur Ver­fü­gung ste­hen, erfol­gen kei­ne Betriebs­grün­dun­gen. Im Gegen­teil, es wird wei­ter an die Agrar-Rie­sen ver­pach­tet, um die „effi­zi­en­te Groß­be­triebs­struk­tur“ bei­zu­be­hal­ten. Das Bünd­nis sieht sich poli­tisch weit­ge­hend im Stich gelas­sen und steht ohne Lob­by da.

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Kommentare (30)

Waldgänger

20. Januar 2014 08:46

Vielen Dank für diese sehr interessante und wichtige Zusammenstellung.

Ein Fremder aus Elea

20. Januar 2014 10:47

So ist es halt, auch nicht erst seit der Wende.

Habe ich gestern einen längeren Beitrag zu verfaßt:

https://bereitschaftsfront.blogspot.com/2014/01/wirtschaftliche-anker.html

Im übrigen wird kein Bauer darüber klagen, wenn die Preise für Nahrungsmittel steigen.

Das kann man doch nicht gleichzeitig wollen, eine gesunde Landwirtschaft und niedrige Preise für Nahrungsmittel.

Unke

20. Januar 2014 11:45

Ein paar Anmerkungen auf die Schnelle:
1. Die Bauernkriege (in personam Thomas Müntzer) waren ein Stützpfeiler bzw. Kronzeuge im Geschichtsverständnis der DDR. Das weiß sogar ich als Wessi (warum etc. ist eine andere Geschichte; es gab im Westen in den 70ern und 80ern die Diskussion einer „Geschichte von unten“ [mittlerweile längst in den Lehrplänen verankert, selbstverständlich] die auch an uns Schölern nicht ganz folgenlos vorüberging).
2. Dass landwirtschaftliche Betriebe, auch und zumal in Mitteldeutschland, einen wesentlichen Teil ihres Geschäftsmodells aus der EG/EU-Agrarpolitik bezogen, war schon direkt nach der Wende so. Zeitungsberichte waren voll davon.
3. Die Zentralisierung des Privatisierungseigentums ist nun wahrlich kein Privileg der Ost-LPGs, sondern vielmehr Ergebnis der „Privatisierungen“ (besser: Oligarchisierung) im ehemals kommunistischen Osten.
Was haben denn im konkreten Fall die LPG- Mitglieder mit ihren Anteilen gemacht? Versoffen?
4. Die Berichte über (junge) Landwirte widersprechen sich. Einerseits hört man, dass in der Schweiz und offenbar auch in Mitteldeutschland ausgebildete Landwirte keinen Hof zur Pacht oder zum Kauf finden; andererseits gibt’s ja die Klage, dass Landwirte keinen Nachfolger für ihren Hof haben. Was genau ist da denn nun gebacken?
5. Der Aufkauf von Ländereien durch Finanzinvestoren ist, wenn nicht initiiert, so doch durch die Finanzkrise 2008 ff. beschleunigt worden. Amerikaner kaufen sich in Deutschland ein, Deutsche in Rumänien etc. Das passiert teilweise als internationales Monopoly (wie beschrieben), teilweise als Einzelaktion: Wenn ein Privatinvestor Zugang zu, sagen wir, Rumänien hat, so kauft er sich von der fälligen Lebensversicherung eben dort ein Stückchen Land. Zusammen verteuern beide Trends das Land (mindestens vorübergehend), das ist richtig; ob dadurch auch die Nahrungsmittelpreise steigen, ist alles andere als zwangsläufig (Das kommt, ohne das aus Platzgründen ausführen zu wollen, auf das Verhalten des Staates an).
Auf einer etwas abstrakteren Ebene erkennt man das immer wiederkehrende Muster: Es ist derjenige der Gewinner der Papiergeldlotterie, der das inhärent wertlose Kredit- bzw. Scheingeld („Papierschnipsel“) gegen „echte“ Vermögenswerte eintauscht. Und nun darf ich die Phantasie der Leser anregen, wer (international) dieses Spiel (erfunden hat und) am besten beherrscht. :-)

Rucki

20. Januar 2014 13:01

Der Irrsinn, landwirtschaftliche Flächen zur Erzeugung von "Biosprit" und "Biostrom" zu nutzen, statt für Lebensmittel, toppt jeden DDR-sozialistischen Blödsinn um Längen. Es muss insgesamt mehr Energie zum Anbau und Erzeugung dieser Pflanzen aufgewendet werden als letztlich dabei rauskommt. Nur durch üppige Subventionen ist diese Art von Irrsinn (Wirtschaft kann man das beim besten Willen nicht nennen) aufrecht zu erhalten.

Das ist übrigens im Westen unserer Bunten Republik keineswegs besser. Außer Mais ist im Münster- und Emsland nicht mehr viel zu sehen. Mit Riesenwindmühlen zur Erzeugung von Strommüll wird die großflächige Zerstörung unserer Kulturlandschaft vollends abgerundet.

Das Geschäft machen Großgrundbesitzer und Banken sowie die hochsubventionierte Wind- und Solarindustrie, solange das Geld fließt.

Dahinter steht der ersatzreligiöse Ökologismus (Natur ist dein gütiger Gott), vermischt mit ein bisschen Käsmann-Christentum (Bewahrung der Schöpfung) in Verbindung mit Höllenängsten (Klimawandel, Atomverseuchung) und dem Versprechen eines "ewigen Lebens" mit Biolebensmittel und "gesunder" Ernährung, möglicht mit Müsli und Rohkost ohne Fleisch.

Heino Bosselmann

20. Januar 2014 14:13

@Unke: Vielen Dank. Meine Einlassung: Ein signifikanter Wandel der Verwertbarkeit des Bodens trat ein, als Stillegungsflächen, für die in den Neunzigern und darüber hinaus EU-Prämien kassiert wurden, für die Bio-Biomassen-Produktion (Sprit, Gas) wieder in den Reproduktionskreislauf einbezogen wurden – mit immensen Folgen übrigens für die Verringerung der Artenvielfalt und mit einer Tendenz zur Monokultur. Als es mit Biosprit und Biogas so richtig losging, war für manche auch wieder richtig zu verdienen. Zu 3.) Die LPG-Bauern, die ursprünglich Anteile in die alten Genossenschaften eingebracht hatten, sind nach der Wandlung dieser zu Agrarunternehmen offenbar nicht immer ausbezahlt worden. Ich verweise dazu noch einmal auf die interessante Seite von Dr. Gerke. Die jungen Landwirte artikulieren sich hier.

kolkrabe

20. Januar 2014 15:13

Hier im Münsterland machen sich seit einiger Zeit Fasan, Rebhuhn und Hase rar - sehr zum Leidwesen der Jäger, die nun eine Treibjagd nach der anderen abblasen müssen. Parallel zur Ausdünnung des Wildbestands nahm in den letzten Jahren der Maisanbau exorbitant zu - zusätzlich zu den anderen Todsünden der Landwirtschaft (massenhafter Gülleeintrag, viel zu frühe Wiesenmahd und Pestizideinsatz). Hier keinen Zusammenhang zu vermuten, wäre schon recht abenteuerlich.

Da nun aber viele Jäger auch Bauern sind, leugnet man die offen zu Tage liegenden Zusammenhänge stumpf und zeigt mit dem Finger auf andere mögliche Verursacher: Jogger, Spaziergänger, Radfahrer, Hunde, Raubvögel, Fuchs und Rabe. Zumindest die beiden letztgenannten sollen nun verstärkt geschossen werden (so kann man wenigstens noch eine Weile in der Gegend rumballern bis auch Fuchs und Rabe aus der Landschaft verschwunden sein werden, danach kann man ja auf Ratten und Mäuse gehen, die sicher rasant vermehren werden). Gleichzeitig beklagt sich der Jäger/Bauer über sein mieses Image.

Warum dieser Hinweis an dieser Stelle wichtig ist? Bauern gelten zumindest in weiten Teilen der alten Bundesländer gemeinhin nicht als progressiv oder links. Man rechnet sie in der öffentlichen Wahrnehmung der konservativen, tendenziell rechten Seite zu. Und genau hier liegt der Hase im Pfeffer: Konservativ/rechts wird so mal wieder zum Synonym für Dummheit, Verlogenheit, Gier, Vergewaltigung der Natur. In diesem Teil der Bevölkerung einen Verbündeten zu sehen, geht nach meiner Beobachtung sehr weit an der Realität vorbei.

Ich denke, auch im Westen ist der Boden verloren.

Belsøe

20. Januar 2014 16:02

Immer wieder schliesst sich der Kreis beim Geld. Wären die Menschen (zumal die Entscheidungsträger unter ihnen) nur ein bisschen weniger käuflich, würden sie irgend etwas genug schätzen, um es nicht dem Markt zum Frass vorzuwerfen... Leider reicht es ja nicht mal dazu, überhaupt zu begreifen, dass der Markt frisst.

Im übrigen wären die aus der Grossflächenwirtschaft hervorgehenden Energiebarone durchaus mal eine Sozialstudie wert, laufen ja einige bei mir in der Gegend herum. Oftmals studierte, moderne Leute mit betont urban renovierten Familiensitzen und voll ausgebrochener Tüchtigkeitshalluzination. Die haben allenfalls ihren Vater noch arbeiten gesehen oder doch wenigstens seine Knechte - heute werden dort Zahlen statt Korn gedroschen. Die Monokulturen säht, sprüht und erntet längst ein fremder Lohnunternehmer mit geleasten Maschinen und Billigkräften. Ein grosser Betrieb im Kreis bildet seit neuestem keine landwirtschaftlichen Azubis mehr aus, stellte aber einen Techniker in Vollzeit ein, für die vielen Anlagen. Was zunächst aussieht wie der Neubau eines grossen Stalles, bleibt auf ewig Betonträger und Dach - mit Hunderten Quadratmetern Photovoltaik. Über (Steuer-)Geld spricht man dabei sehr ungern.

Diese Weltordnung hat sogar in der Provinz ein smartes Gesicht.

Heino Bosselmann

20. Januar 2014 16:10

@kolkrabe: Zu Ihrem ersten Teil: Es heißt ja schnell, man weine Philemon und Baucis nach, wenn man die Verödung der durch Großenflächenwirtschaft bestimmten Landschaft beklagt. Allerdings muß man nicht erst Studien des BUND heranziehen, sondern es reicht völlig aus, so wie Sie offenen Auges in der Natur unterwegs zu sein. In Mecklenburg-Vorpommern, dem übrigens waldärmsten Flächen-Bundesland, ist insbesondere durch den Rückgang der Insekten und die Ausräumung von Refugien die Fauna auf dem Rückzug, sieht man etwa von Wildschweinen ab, die die riesigen Maisschläge bevölkern und darin guten Schutz haben. – Zu Ihrem dritten Absatz: Bei uns gibt es "den Bauern" kaum mehr. Statt dessen produzieren anonym wirkende Firmen mit Lohnbetrieben, die selbst keinen Bezug zum Boden als Eigentum mehr haben, unaufgeregt Bio-Masse. Es mutet daher wie eine traurige Karikatur an, wenn dennoch "Erntefeste" gefeiert werden. Obwohl kaum mehr einer erntet. Sie kennen die folkloristischen Überbleibsel, diese aus je drei Strohrollen gefertigten Figuren, Bauer und Bäuerin.

kolkrabe

20. Januar 2014 16:54

@ Heino Bosselmann

Oh ja, diese schaurigen Karikaturen sind mir bekannt - auch aus dem Münsterland.

Und noch mehr: Bei genauerem Hinsehen erweisen sich etwa Bauernmärkte und Verkauf von Hausgemachtem im "Speicherladen" als überteuertes Ebenbild jener Industrieware, die man deutlich billiger im Supermarkt erhält ("Bauernschläue" wäre hierfür ein Euphemismus ersten Grades; man könnte es treffender "Betrug" nennen - Betrug an Verbrauchern, die allerdings landliebe- und landlustmäßig" betrogen sein wollen).

Wo wir schon beim Thema Karikaturen sind: Hier gibt es zwar noch den Bauern - münsterländische Bauern haben noch richtig was an den Füßen, sind aber trotzdem von ihren Wurzeln abgeschnitten. Inmitten hormongeschwängerter Großstallidyllen wird der eigene Nachwuchs quasi unter der Wärmelampe großgezogen, bis der sich "Landjugend" nennen darf (oft verschwägert mit der Jungen Union, dieser Bastion des ländlichen Konservatismus). Man säuft sich in geselliger Runde den noch verbliebenen Verstand weg, singt ein Hohelied auf Jagd und westfälische Sitte und hält überhaupt viel auf die Verbindung mit der katholischen Kirche und dem Schützenverein - alles im Grunde Insignien eines traditionsbewussten Lebens und dennoch nur die folkloristische Tapete der gleichen Technologie- und Gewinnbesoffenheit und abgrundtiefen Dummheit wie anderswo.

Man könnte sogar sagen, dass dieser münsterländische Mummenschanz noch ein wenig anrüchiger ist als das nüchtern kalkulierende Agrargroßkapital bei Ihnen im Osten - letzteres tut immerhin nicht so, als wäre es noch dem eigenen Grund und Boden verbunden.

Zum guten Ende noch ein etwas hässliches, aber überaus passendes Zitat von Heidegger:

"Ackerbau ist jetzt motorisierte Ernährungsindustrie, im Wesen das Selbe wie die Fabrikation von Leichen in Gaskammern und Vernichtungslagern, das Selbe wie die Blockade und Aushungerung von Ländern, das Selbe wie die Fabrikation von Wasserstoffbomben." (Bremer und Freiburger Vorträge, Band 79 der GA, S.27)

Ipse dixit!

Stevanovic

20. Januar 2014 17:48

@kolkrabe

alles im Grunde Insignien eines traditionsbewussten Lebens und dennoch nur die folkloristische Tapete der gleichen Technologie- und Gewinnbesoffenheit und abgrundtiefen Dummheit wie anderswo.

Die Distribution ist fest in Hand von Großunternehmen: unter den weltweit 10 größten Ketten sind die Deutschen Aldi, Lidl und Metro. Das ist eine Macht mit dem Einkaufsvolumen des Bruttosozialprodukts Afrikas. Wenn die Rohstoffe einkaufen, dann passiert etwas. Und zwar das:

https://www.planet-wissen.de/alltag_gesundheit/trinken/milch/milchkuh.jsp

Das Leben ist so, wie sie es aus dem Münsterland beschreiben (in Hessen nicht anders). Und weil die Rechte auf Assoziationen wie Kuh/Kulturlandschaft/ Einzelhandel/Entwicklungsland/fremd im eigenem Supermarkt/qui bono/Agrarwüste mit einem Testbild (Sendestörung, bis wir wieder Neger sagen dürfen) reagiert, wird das auch nichts mit der Reconquista der Lufthoheit im öffentlichem Diskurs. Entfremdung von der Scholle ist auch ein Meister aus Deutschland. Da ist es einfacher, sich einen authentischen Bauernstand mit Kohorten von schweigenden Mehrheiten zu halluzinieren.

Sirius

20. Januar 2014 17:49

Ich halte von der sogenannten bäuerlichen Landwirtschaft ( z.B. in Bayern ) nicht mehr viel. Schon oft habe ich gesehen, wie rücksichtlos diese Gesellen mit schwersten Traktoren sogar feuchte, nasse Böden beackern und diese derart verdichten, daß bis in den Frühsommer dort wegen der Bodenverdichtung große Wasserflächen entstehen, wo keine Pflanze mehr bestehen kann.
Bis an den Straßenrand wird der Boden umgeworfen, damit nur ja kein Grashalm mehr überlebt. Und wenn dann gesät ist, wird der malträtierte Boden mehrmals mit Pestiziden und Insektiziden besprüht.
Im Frühherbst wird dann das so traktierte Erntegut weiterverkauft zur Verarbeitung für den ahnungslosen und meist unkritischen Verbraucher.
Jeder Baum und noch so kleine Strauch wird radikal ausgemerzt, wenn er den riesigen Maschinen im Weg steht. Hauptsache, man kann ungestört mit Vollgas und Musik in der klimatisierten Traktorenkabine über die Äcker jagen.
Vor kurzem habe ich sogar beobachtet, dass ein Bauer seine Wiesen mit irgendeinem Gift bespritzt hat, obwohl er deren Gras für seine Milchkühe benötigt. Hecken, die noch unter Naturschutz stehen, werden heimlich immer weiter beschnitten, so dass nach Jahren nur die Hälfte der Hecke übrigbleibt.
Also: Ich sehe keinen wesentlichen Unterschied zu den Großagrariern im Osten. Bald wird unsere Landschaft auch im Süden Deutschlands aussehen wie die Agrarwüsten im Osten. Trostlos, kaum noch Vögel, kaum noch Insekten und Tiere. Große Hecken und große Bäume kann man den Kindern nur noch in Büchern zeigen.
Die subventionierten Biogasanlagen mit ihrem riesigen Bedarf an organischem Vergasungsmaterial verschärfen diese Situation noch.
Das, was diese sogenannten Bauern hierzulande treiben, kann man als ein noch ungesühntes Verbrechen der Mutter Natur gegenüber bezeichnen. Lange Jahre wird sich die Natur das wohl nicht mehr gefallen lassen, bis sie brutal zurückschlägt.
Glücklich kann sich schätzen, wer zu Hause noch als Kleingärtner, wenigstens von Frühsommer bis in den Frühwinter, selbst gärtnerische Produkte zum Eigenverzehr erzeugen kann. Wer einen größeren Garten hat, sollte sich dort einige Bioecken einrichten und die Natur sich selbst überlassen. Man wird staunen, was sich dort alles entwickelt.
Das macht allerdings Arbeit, aber auch viel Freude.

Gustav Grambauer

20. Januar 2014 18:06

Tonnenideologie / Staatshörigkeit und Papiergeldlotterie / Utilitarismus, man könnte jeweils Monokultur hinzufügen, sind zwei Seiten ein- und derselben Medaille - jenseits eines freien Bauerntums.

"Bauern gelten zumindest in weiten Teilen der alten Bundesländer gemeinhin nicht als progressiv oder links."

Genau das ist das Stichwort, auch für den Osten. Dort hießen sogar die Landmaschinen "Fortschritt".

https://de.wikipedia.org/wiki/Fortschritt_Landmaschinen

Die DDR hat mit unvorstellbarem Aufwand und leider mit Erfolg die klassische Moderne und den Marxismus auch in den Gehirnen der "Genossenschaftsbauern" verankert. Diese haben ihrerseits (auch angesichts des Wettrüstens, welches ja auch auf den Feldern stattfand) brav "Tonnenideologie"

https://de.wikipedia.org/wiki/Tonnenideologie

gesagt und, in der heißen Phase 1990 diskreditiert und paralysiert, auch "Tonnenideologie" und Monokultur bekommen, nur eben unter völlig veränderten Vorzeichen. Der Kernpunkt in der Politischen Ökonomie des Marxismus ist die Steigerung der Arbeitsproduktivität. Das exerzieren ihnen nun Pioneer, DuPont & Co. vor der eigenen Haustür vor.

Ulbricht ist mit Chruschtschow aneinandergerasselt, weil dieser massenhaft junge Leute in der Landwirtschaft bei einfachen Tätigkeiten vergammeln ließ (und dort insbesondere nicht das zweigliedrige System der Berufsausbildung einführte). Für Deutschland hatte er sich vorgestellt, daß das Modell der LPGen bei einer Wiedervereinigung* (die er ab etwa 1964/65 sehr klar ins Auge faßte), auch für westdeutsche Bauern attraktiv sein sollte. Er hatte dabei nicht damit gerechnet, daß "unsere Menschen" ideologisch konsequenter sind als er selbst: ganz auf der "Linie" von "Jeder nach seinen Fähigkeiten ..." sitzt ein typischer halbwegs intelligenter Genossenschaftsbauern-Sohn heute in einem Großraumbüro in einer Millionenstadt.

"Vorwärts" in der Moderne heißt nun mal "Scholle adé". Dieser Sog ist viel, viel stärker als überzüchtete Kampagnen wie die hier vorgestellte:

https://www.youtube.com/watch?v=OQ8RF51add4

Habe übrigens neulich eine Studie über Hobbies von DDR-Jugendlichen in den 80er Jahren gelesen: Fast ganz oben stand die Jagd, in vielen Dörfern hat fast jeder eine Büchse im Schrank gehabt. Wer heute in ostelbischen Wäldern jagt, wissen wir, sicher nicht die Dorfjugend, abgesehen davon, daß heute in der "Freiheit" (und im Gegensatz zur "Diktatur" hihihi) die schriftliche Jagdprüfung eine reine Farce ist, wobei man die besten Chancen als "Amigo" von einem "Spezi" hat - und ein "normaler" Jugendlicher nicht mal mehr ein kleines Einhandmesserchen in der Hosentasche tragen darf.

- G. G.

* Es war ja dann auch nur ein Beitritt nach Art. 33 "GG", keine Wiedervereinigung nach Art 146 "GG", aber das wäre ein anderes Thema wert.

Weltversteher

20. Januar 2014 19:34

Es ist leider auch bei den in Westdeutschland verbliebenen Bauern so wie überall seit dem Krieg. Deutsche Tugenden minus Deutsche Seele ergibt diese beton- und giftstrotzende Perversion unseres Daseins, seit dem Wirtschaftswunder, auf allen Gebieten.
Es fällt im Norden immerhin auf, daß man im Herbst überall Gründüngung (meist Senf) auf den Äckern des Westens sieht, was man in Mitteldeutschland fast nirgends findet. Ein Zeichen für etwas mehr Verstand im Wirtschaften. Aber im übrigen ist es schon meist so wie Kolkrabe schreibt. Man will ja tüchtig und ordentlich sein (richtig schön konservativ); da versucht man schon, den Weisungen des industrialisierten "Bauern"-Verbands zu folgen.
Vielleicht waren ja die Landwirte, die bereits zugunsten der Verbliebenen ihre Höfe aufgegeben haben, die besseren Bauern - augenscheinlich unwirtschaftlich, aber weniger skrupellos.

an Unke, zu 4.:
Es ist ja für Jungbauern, die keinen Hof erben, praktisch unmöglich, für einen Millionenbetrag einen halbwegs auskömmlichen Landbesitz zu kaufen. Die mögliche Zinsknechtschaft (ebenso wie die alternative Pacht) würgte das Gedeihen von Anfang an ab.
Daß die alten Bauern im Westen keine Nachfolger finden, ist eher ein sittliches Problem. Es geht dabei um einen ebenbürtigen Fortsetzer ihrer Arbeit. Haben sie keine Kinder, oder nur mißratene, dann geht es eben nicht. Sie könnten nun ihr Land verschenken oder zu treuen Händen unter dem Marktwert leihen; sofort wären tüchtige Jungbauern da (wenn man sie unter dem Geschmeiß, das dieses Angebobt anzieht, herauskennen kann). Sonst geht es halt den Weg zum raffenden Kapital.

Herr Bosselmann, vielen Dank für dieses Thema! Es ist nicht nur irgendeins, das zufällig weniger beachtet wurde und diese Beachtung vielleicht kaum nötig hätte. Vom rechten Verhältnis zu unserem Boden hängt unser Dasein als Volk zwar nicht hinreichend, aber notwendig ab.

Weltversteher

20. Januar 2014 19:38

An G. Grambauer:
Sie meinen wohl (Jagd in der DDR) "in vielen Dörfern gab es einen, der für alle anderen etwa zehn Büchsen im Schrank hatte". Da konnten sich die (zweifellos zahlreichen) Mitglieder der Jagdgesellschaften mal für einen Abend eine holen und dazu vielleicht noch zwei oder drei "Brennecke", wenn sie unverdächtig waren.

Raskolnikow

20. Januar 2014 19:53

Meister Bosselmanns Artikel,

der viel Wahres enthält, als Startrampe für ein gepflegt-intellektuelles Landwirtshauen herzunehmen, ist schon ein wenig abgefeimt, sogar ruchlos.

Bosselmann beschreibt den Raub; nichts anderes ist, was vor sich geht; von landwirtschaftlichen Flächen durch international agierende Verbrecherbanden, assistiert von der BVVG, einem Konstrukt des herrschenden Regimes, wo sich Pack versammelt hat, das den Knüppel nicht wert ist, den man auf den Buckeln dieser Kapitalhandlanger zerdreschen sollte.

Nein, ich muss mich bei allen ehrlichen Verbrechern entschuldigen. Die haben wenigsten einen Kodex, wie auch immer dieser aussieht. Jenes Gesindel aber, hat Wirtschaft oder Jurisprudenz studiert und zerstört lustlos und ungerührt ganze Landstriche. Ich verabscheue sie, ich verabscheue ihre Rollkoffer, ihre Mens-Health-Frisuren, ihre smartphones, ihre slim-fit-Hemden und ihre gummiartige Fantasiesprache! (Sogar hier bei SiN gibt es Autoren die den Slang dieser Typen beherrschen ... Chapeau!)

Herr Bosselmann, bei uns ist das alles noch harmlos. In Rumänien haben sie beinahe den gesamten Bauernstand ausgelöscht. Jetzt ist die Ukraine dran!

Und Ihr, was macht Ihr? Ihr schimpft auf die hiesigen Landwirte, weil sie nicht wirtschaften, wie Ihr Euch das so vorstellt, als Geistesgrößen und Experten für alles! Dabei seid Ihr doch die "Nachfrager"!

Demnächst beschweren sich Charlie Sheen und Paris Hilton über die Geschäftspraktiken der Zetas oder Beltran-Leyvas ...

Die einen koksen sich die Birne zu und die anderen befreien zum Abendbrot die Zervelatwurst und Formfleischspezereien aus ihren Plastikfolien ...

Dann fresst doch mal wieder Graupen und Grützen aller Art, verzichtet auf Eure Braten, Würste und fleischähnlichen Substanzen, dann können die Landwirte auch die Erträge auf 15 dt bei Getreide runterfahren und die deutsche Kulturlandschaft zu einem parkähnlichen Gebilde umformen, damit sich die Herren Städter beim Sonntagsausflug an den pittoresken Szenen erfreuen können ... Bestimmt winken sie Euch auch gern zu, wie sie so ihre Scholle pflügen mit dem Ochsengespann.

Die heutige Landwirtschaft muss Millionen von größenwahnsinnigen und unbescheiden Fleischkonsumenten mit Fressen versorgen, wie stellen sich die Herren denn vor, wie das vonstatten gehen soll?

Vielleicht mal auf die eigenen Verdienste schauen, bevor man mit dem Finger ... Gute alte deutsche Sitte! Na, wie sieht´s aus? (Und erzählt mir nichts vom Holzhacken, Pflügen und Jagen, bei gelegentlichem Hölderlinzitieren unter dem Sternenhimmel!)

Bevor Fragen kommen: Meine Speisen werden mir von den Dörflern der umliegenden Gemeinden herbeigeschafft. Es langt ihnen, ein paar Minuten zu meinen Füßen sitzend, meinem Geschwätz zu lauschen. Der Bäckerslehrling sitzt sogar bei mir, wenn ich nur so schweige und ihm sinnend mit den Fingern durch´s Haar streife. Und die junge Fleischersgehilfin ist glücklich, wenn ich meine Arme um ihre breite Hüfte lege und mit ihr ein paar Takte tanze. Dafür hängt sie mir die Krautwürste in die Kammer!

Ahoi,

R.

Keine Spinner

20. Januar 2014 21:13

Hallo Kolkrabe,
melden Sie sich bitte mal bei [email protected]
Keine Angst, wir sind keine Spinner...

Stevanovic

20. Januar 2014 21:30

@Raskolnikow

Wovon reden Sie gerade? Das meine ich nicht abfällig, sondern im Ernst. Graupen und Grützen? Die haben meine Eltern gemacht, aus Erinnerung an längst ferne Zeiten, bei den Großeltern habe ich das ein oder andere mitbekommen. So zum probieren, einmal in 10 Jahren. Ich bin mit Supermarkt aufgewachsen, kenne nur den Supermarkt und versorge mich über den Supermarkt. Regionale Spezialitäten sind so exotisch wie Mango und Papaya, wobei ich bestimmt mit einer Mango mehr anfangen kann, als mit den meisten Rübensorten. Und so kenne ich viele Menschen. Die 30 Supermärkte meiner Stadt gehören 4 Unternehmen und haben das gleiche Angebot. Wenn Fleisch billig ist – na dann Mahlzeit. Es ist ein Scheißspiel und ich bin williger Teilnehmer. Unschuldig bin ich nicht. Nur, genau so, wie ich von meinem Fraß zu 100% entfremdet bin, ist es der Industriebauer. Wenn der Träger eines besonderen Bewusstseins sein soll, dann bin ich mit meinen C&A Klamotten Individualist.

Die heutige Landwirtschaft muss Millionen von größenwahnsinnigen und unbescheiden Fleischkonsumenten mit Fressen versorgen, wie stellen sich die Herren denn vor, wie das vonstatten gehen soll?

Nein, das muss sie nicht. Ich kaufe fast nur im Supermarkt und wenn ich das Fleisch da nicht kaufen kann ($?), na, dann werde ich es nicht. Angebote schaffen Nachfrage – wenn es keine Mango gibt, gibt es halt Apfel. „Größenwahnsinnig und unbescheiden“? Nein, wir fressen, was im Angebot ist. Wenn es Graupen wären, dann wäre es halt so. Der Wille des Konsumenten ist eine Legende der Produzenten und gibt banalen ad-hock Entscheidungen eine philosophische Tiefe. Neudeutsch: Bullshit. Das ist genau der Text der Leute mit den Rollkoffern, den Mens-Health-Frisuren, den smartphones und den slim-fit-Hemden: Ich mache den Mist, weil der Kunde es will.


Und erzählt mir nichts vom Holzhacken, Pflügen und Jagen, bei gelegentlichem Hölderlinzitieren unter dem Sternenhimmel!
– versprochen!

Weltversteher

20. Januar 2014 21:33

Herr Raskolnikow, entschuldigen Sie, wenn ich mich schon wieder einmische, aber das ist nun mal mein Thema.

Nun, es geht hier wohl schon um alle Beteiligten in diesem Kampf des internationalen Kapitals gegen die Symbiose von Mensch und Scholle. Und es ist doch verblüffend, daß auch die vermeintlich noch freien Bauern offenbar nicht anders können, als die Zerstörung unserer Lebens-Grundlage zu befördern. Wobei die Frage ist, ob sie tatsächlich Konsumenten mit Fressen versorgen müssen, wie Sie schreiben. Wieso müssen sie das?
Es gibt auch unter den eingesessenen Bauern des Westens kaum einen, der nicht horrend verschuldet wärde. Sein Handeln ist heute sehr oft ein verzweifeltes Zappeln im Netz des "Capital-Dienstes". Diesem dienen muß er!

Es stände auch heute landbesitzenden Menschen frei (die bereits seit Jahrzehnten so gewitzt waren, nicht Bauernfängern mit der Schuldenfalle zu erliegen - also kaum zu finden), mit bestem Wissen und Gewissen das Land zu bewirtschaften. Wenn das anderthalb Arbeitskräfte auf 50 ha nicht schaffen, nun, so könnten sich aufgeklärte Konsumenten (womöglich hiesige Leser im Sinne einer praktischen Sezession) mit einfinden, die für ein karges, aber redliches und beständiges Auskommen die Arbeit (das Dasein) mit teilen. Nur aus solchen könnte allmählich (in Menschenaltern!) ein verläßlicher Bauernstand sich wieder verjüngen.

Was hier noch vertieft werden könnte ist die Frage, ob Boden überhaupt ein handelbares Gut sein kann, ja, ob ein Besitz an ihm - wie an anderen Sachen - überhaupt nachvollziehbar, oder gerecht, oder womöglich anstößig sei.

Grau

20. Januar 2014 22:32

An Raskolnikow
Ich "fresse" Graupen, Kohl und Rüben.
Nur ... es hilft der Land(wirt)schaft nicht.

karlmartell

20. Januar 2014 23:06

https://www.youtube.com/watch?feature=player_embedded&v=WWhjNEkcNOo

Heuschrecken entziehen uns unsere Lebensgrundlage, und wir tun so, als wenn uns das überhaupt nichts angeht.
Derjenige, der mit der Lebensgrundlage von 80 Millionen Deutschen und der Versorgung mit Lebensmitteln, deren Grundstoff immer noch auf unseren Äckern wächst, spekuliert, ist ein Verbrecher. Und diese Verbrecher bestimmen zukünftig die Preise für unsere Lebensmittel.

Wer an Spekulanten und Heuschrecken auch nur eine Hand breit Boden verkauft, ist ebenfalls ein Verbrecher, denn um des schnellen Profits und aus Gier, verkauft man keinen Grund und Boden.
Das sollte uns klar sein, oder sind wir schon so beschränkt, dass wir meinen, die Lebensmittel kommen direkt aus dem Supermarkt.

Mit der Konzentration von Ackerland in der Hand von Bankern/Spekulanten dürfte klar sein, in welche Richtung der Preis von Lebensmitteln demnächst nur noch gehen kann.

Futures auf Lebensmittel und die Tatsache, dass zur "Rettung" des Klimas Lebensmittel für Biogas oder Sprit ver­ballert werden, tun ein Übriges, dass dieser Trend sich wohl nicht mehr wird umkehren lassen angesichts einer bankrotten Politik in der Hand der Bankster und ihrer Konzerne. Solange die Bürger nicht verstehen, was hier passiert, und nicht auf die Straße gehen, macht das Kapital, was es will.

Karl Eduard

21. Januar 2014 09:31

Mit den Subventionen für Biomais und der Bereitschaft, sich die Umgebung des Dorfes mit Windkraftanlagen zuspargeln zu lassen, ist es wie mit den Subventionen für Eier, Milch und Backwaren in der DDR. Das System wird gehörig ausgenutzt und nach uns die Sintflut. Jeder sieht, es ist Mist, aber alle machen mit. Denn wenn der Staat oder die EU materielle Anreize setzen, sich so und nicht anders zu verhalten, wer will den Leuten dann vorwerfen, daß sie über das Stöckchen springen? Wer macht den Eigenheimbesitzer einen Vorwurf, daß sie sich Photovoltaikanlagen aufs Dach schrauben, deren kümmerliche Produktion sie ins Netz einspeisen, die ihnen abgenommen werden muß und mit denen sie die Strompreise nach oben treiben? Ich, du, er, sie, es? Weil wir bessere Menschen sind?

Und wer fährt einen "Diesel", weil der Staat den Dieselkraftstoff nicht so stark besteuert, weil er genau das erreichen will? Haben sich die Leute dafür auch schon mal geschämt? Ich glaube nicht.

Sara Tempel

21. Januar 2014 14:28

@Weltversteher
"Was hier noch vertieft werden könnte ist die Frage, ob Boden überhaupt ein handelbares Gut sein kann, ja, ob ein Besitz an ihm – wie an anderen Sachen – überhaupt nachvollziehbar, oder gerecht, oder womöglich anstößig sei."
Es ist ermutigend, dass etliche der hier Debattierenden in ihrem Denken frei genug sind, sich außerhalb der Strukturen des herrschenden Systems zu stellen! Wir sollten die Sichtweisen anderer Kulturen und Epochen nie aus den Augen verlieren. In diesem Sinne möchte ich den Indianerhäuptling Tecumseh zu Wort kommen lassen:
“Das Land verkaufen?
Warum nicht auch die Luft und das Meer?
Hat nicht der Große Geist all das zum Wohl seiner Kinder erschaffen?”

Kreuzweis

21. Januar 2014 14:28

Bauernlegen?
Selbst in der "Pampa", wo Fuchs und Hase sich angeblich Gute Nacht sagen, läßt der Moloch einen nicht in Ruhe.
Heutzutage muß jedes Schwein und jedes Schaf, selbst wenn es nur privat gehalten wird, von "Großen Bruder" erfasst sein: einen gelben Ohrklip tragen. Wo kämen wir denn hin, wenn der Untertan sich "einfach so" mit Fleisch versorgte.
(Nach meiner Erinnerung konnte man sich im kommunistischen Polen privat Schwein, Schaf oder Ziege halten, ohne daß es 'oben' wen interessierte.)
Neuester Witz: Künftig unterliegen Feuerstellen (Kachel-, Kaminöfen, Küchenherde) einer verschärften Observanz wegen Feinstaub. Der Kaminkehrer kann, falls möglich, eine Nachrüstung verlangen oder den Betrieb untersagen. Er kann im Holzschuppen rumschnüffeln, ob das Holz genügend trocken ist usw. usf. ...
Nur zwei Beispiele (ich könnte noch viele aufführen), wie effektiv der oberste EU-Sowjet heute selbst in die letzte Bauernkatte hineinregiert und das Volk entmündigt.
Und die Leute lassen sich dies alles ohne Widerstand gefallen ...

Belsøe

21. Januar 2014 15:29

wer will den Leuten dann vorwerfen, daß sie über das Stöckchen springen?

Ich. Wir alle. Und sie uns.

Nichts anderes ist Systemkritik.

Waldgänger aus Schwaben

21. Januar 2014 19:21

Also 15 000 Euro für ein ha Ackerland sind ein echtes Schnäppchen. Ich habe vor zwei Jahren das Dreifache in Bayern bezahlt, allerdings in Ortsrandlage. In Bayern gibt es pro ha 360 Euro Direktzuschuss von der EU für Betriebe. Wie es in Brandenburg ist, weiß ich nicht. Aber damit wären die Kapitalkosten ja schon (fast) gedeckt. Für Ackerland als Sicherheit dürfte ein 5 Jahres Kredit zu 2% zu bekommen sein.

Rainer Gebhardt

21. Januar 2014 22:47

Da bin ich wieder mal zu spät mit meinem Text, aber eines Tages werden Erforscher der rechten Szene ihn finden...

Die Entwicklung der Landwirtschaft zur Agrarindustrie beginnt Mitte des 19. Jrhs., wenn nicht schon früher. Zusammenlegen der Flächen, Mechanisierung der Bearbeitung, Züchtung, Intensivierung der Bebauung inkl. Wachstumsbeschleunigung durch Einsatz synth. Dünger (J.v. Liebig!) etc.

Waren um 1800 noch etwa 75 % aller Arbeitskräfte in der Landwirtschaft tätig, sind es heute gerade mal 1,6% (!). Der Anteil des produktiven Gewerbes beträgt 17%, der Dienstleistungssektor macht 73% aus (das ist Wahnsinn; und ob da die Politiker und sonstigen Ideologieproduzenten dazu gehören, weiß ich nicht)) Egal, diese 1,6% „Agrarier“ bewirtschaften den Boden und die Gewässer, erzeugen die Nahrungsmittel (und Energiepflanzen) auf einer Anbaufläche von 14,7 Millionen Hektar.

Importiert werden Nahrungsmittel, die auf Flächen von 18,2 Millionen Hektar im Ausland produziert werden.
Gleichzeitig exportiert Deutschland aber auch immer mehr tierische Lebensmittel wie Fleisch, Wurst, Milch, Eier. Die für Lebensmittelexporte benötigte Anbaufläche stieg in den letzten zehn Jahren im Inland auf 7,7 Millionen ha.

Es gibt Bukoliker, die immer wieder Szenarien entwerfen, in denen Deutschland sich von seinen selbsterzeugten Nahrungsmitteln ernähren könnte. Klar, ist machbar, aber dann müßten Herr und Frau Vielfraß Abstriche an ihrem Speiseplan machen. Auf den Teller kämen die Klassiker: Kartoffeln, Kohl, Kraut, Wintergemüse wie Wirsing. Fleisch? Ja – ein- oder zweimal in der Woche. Und wer im Winter Tomaten essen will, ist hier auf dem falschen Feld. Und diese Selbstversorgung ginge auch nur dann, wenn die Landwirtschaft so intensiv wie bisher betrieben würde. Also mit allem Drum und Dran an Pestiziden, Kunstdünger und Massentierhaltung. Die Alternative wäre Bio-Landwirtschaft? Vielleicht. Aber für eine Vollversorgung müßte Deutschland ca. fünf Millionen ha landwirtschaftlicher Nutzfläche mehr bewirtschaften. Da wären West- und Ostpreußen nicht die schlechteste Option. Doch ist diese Aussicht für immer perdu.

(Ackerland ist übrigens eines der gefragtesten Spekulationsobjekte; das hat hier, glaube ich, schon jemand geschrieben. Interessant ist, daß Spekulanten sehr gern noch mehr der sehr fruchtbaren ukrainischen Schwarzerde in ihren Portfolios hätten. Das Volk, also Frau Timoschenko und ihre Bande will das auch. Weshalb dieser Staat unbedingt demokratisiert und aus den Klauen der russischen Diktatur befreit werden muß.)

Diese nur mal vorab. Fehlt noch die Anmerkung, daß die Deutschen fressen, als gäbe es kein Morgen und daß etwa 21% aller gekauften Lebensmittel im Müll landen. Nicht eingerechnet, was im Handel vergammelt oder als vergammelt deklariert wird. Eine gigantische Menge, die gar nicht erst produziert werden müßte, wenn...ja, wenn der Hund nicht auf einem anderen Acker begraben läge, auf dem Kartoffelacker zum Beispiel. Eine Kartoffel ist "eine Ware wie jede andere", wie ein Rock, Tisch, ein Auto, ein Computer. Waren werden für den Markt produziert und überhaupt nicht für Fritz und Emma oder Kevin und Chantal. Und wo für den Markt produziert werden, kommt Kapital zum Einsatz, jene Form des Geldvermögens, die auf Teufel komm raus auf Verwertung aus ist. Denn Kapital ist leider keine schöne keusche Maid, die sich nach Vergilschen Versen vom Landleben sehnt, es ist eine Hure, die sich dem Meistbietenden hingibt, die sich schon bückt, wenn es nur nach 1% Profit riecht. Und ein Bauer mit 5 Hektar hat eben nicht viel zu bieten. Leider. Den Preis seiner in der Idylle erzeugten Kartoffeln, Eier und Tiere kann er auf dem Markt kaum realisieren, während ein Holländer mit seinen 10.000 Schweinen das Vieh für weniger als die Hälfte verkaufen kann und ein Wiesenhof-Industrieller eine Mio. Hähnchen für nicht mal 2 Euro das Stück in den Supermarkt wirft. Die machen das noch nicht mal freiwillig oder aus Lust an Tierquälerei – der Verwertungszwang des Kapitals treibt die Ausschöpfung aller Produktionsmittel und aller Arbeitsvermögen. Ein Klein- oder Mittelbauer ist da im Weg, wird platt gemacht, muß platt gemacht werden.

Das hört sich nicht gut an, ich weiß, aber zurück geht nicht, und weiter so ist die Katastrophe. Blieben eigentlich nur die Grünen…wenn die Grünen nicht das wären, was sie sind: Ablaßhändler, die denen, die am voll gedeckten Tisch sitzen zu ihrem vollen Wanst noch ein gutes Gewissen verkaufen.

So, g'nug geschwätzt….

Rumpelstilzchen

22. Januar 2014 10:18

@Rainer Gebhardt
Nein, Sie sind nicht zu spät.
Bisher habe ich nur Bauernhof verstanden, da ich von Landwirtschaft null Ahnung habe.
Ihr Beitrag macht mir das Problem verständlich. Als Hausfrau mache ich wohl instinktiv einiges richtig. Muß man kein Gedöns drum machen.
Eine Frage hätte ich: Ist die sog. Permakultur eine konstruktive Gegenbewegung oder sind das alles Spinner?
Die Jugend und auch die eher Unpolitischen sind da nämlich ziemlich eingebunden. Was soll man davon halten:
https://de.wikipedia.org/wiki/Permakultur

Weltversteher

22. Januar 2014 11:59

Es st ein Irrtum, zu glauben, die jetzige Form der Landwirtschaft wäre besonders ertragreich. Der ertragreichste Landbau ist die gärtnerische Bewirtschaftung (unabhängig von den Pestiziden). Der ist mit viel Arbeit und Aufwand verbunden. Kleinbäuerliche Betriebe erwirtschaften auf der Fläche immer noch mehr als die Großbetriebe.
Hinzu kommt bei jeder Rechnung für die Zukunft, daß man ohnehin in hundert Jahren nur von ökologisch bewirtschaftetem Land noch ohne fossilen Energienachschub wird ernten können. Dann ist die Menge auch zweitrangig. (Die Großflächenlandwirtschaft vergiftet ja nicht nur, sondern trägt auch zur Verwüstung bei, also Wassermangel. Klimaverschärfung usw.)

In "Lebenssicherung durch sittliche Währung" zeigt der Verfasser "Germanus Agricola" auf, daß über Jahrhunderte die Preise für bestimmte Lebensmitteleinheiten (ein Brot, ein Bier u.ä.) quasi fest standen, und die Preise der übrigen Güter je nach deren Verfügbarkeit schwankten, sozusagen eine erntegedeckte Währung. Das läßt sich hier nicht näher ausführen, sollte man aber mal studieren. Man darf annehmen, daß frühere Zeiten in ihrer gesamten Verfassung wesentlich "sozialer" waren, als es der Sozialstaat heute sein kann.

Heino Bosselmann

22. Januar 2014 14:16

Ich denke, wir sind durch. - Anderes, Neueres steht an. Vielen Dank!

derherold

22. Januar 2014 17:40

Ich muß leider widersprechen.

Ich kann das aber nur indirekt: Mitte der 90iger hatte ich geschäftlich Kontakt zu einem auf die Vermittlung von Bauernhöfen (im Westen) spezialisierten Immobilienmakler. Der erklärte mir, daß die ostdeutsche Organisation der landwirtschaftl. Flächen "ein Traum" sei. Man habe wirtschaftlich überlebensfähige Größen geschaffen, ohne daß kleine Bauernhöfe zusammengelegt, vertrieben oder aufgekauft worden sind.

Die LPG-Mitarbeiter waren nur selten "Bauern" und nur selten bestand nach meiner Erfahrung Interesse am Führen eines Bauernhofes.

"statt für Lebensmittel,"
Da sieht man, was (gleichgeschaltete) Propaganda bewirken kann.
Man kann zu "Bio-Sprit" stehen, wie man will aber zu glauben, der in Deutschland angebaute und verarbeitete Mais "fehle" als Lebensmittel, ist schon obskur.
Ich kann mich noch an Milch-, Wein- und Butterberge bzw.-seen erinnern oder an den "Nullhof"-Bauern, der mit EG(EU-)-Subventionen seine Produktion einstellte.

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