komme ich noch mal auf das schwule Thema zurück. Gustav Seibt schreibt in der heutigen SZ länglich, warum es „immer noch wichtig ist, Homosexualität öffentlich zu machen.“ In Kürze:
Homosexuelle seien bei uns über Jahrhunderte verfolgt worden. (Dies übrigens kein deutscher Sonderweg – der Stalinsche Homosexuellenparagraph, der Psychiatrie oder Lagerhaft vorsah, wurde erst 1993 abgeschafft). Seibts Fazit: „Ja, die Liebe der Einzelnen ist privat, aber wenn über die verschiedenen Möglichkeiten der Liebe geschwiegen werden muß, dann leidet die Gesellschaft insgesamt.“ Der „Schritt von Hitzlsperger“ sei so wichtig, denn historisch gesehen wäre er noch vor einer halben Minute unvorstellbar gewesen.“
Hier verrechnet sich Herr Seibt gewaltig. Was ist „historisch“ eine „halbe Minute“? Genau: eine halbe Minute. Ich bin vor fünfundzwanzig Jahren – mag einer ausrechnen, wieviel halbe Minuten das sind – aufgewachsen mit der damals populären Musik von Wham, Erasure, Culture Club, Bronski Beat, Frankie goes to Hollywood, Queen, Limahl…, ja, ich habe geradezu Schwierigkeiten, mich an definitiv h e t e r o sexuelle Interpreten zu erinnern, die damals durchs Radio plätscherten. Es war ziemlich normal. Ich kann mich zwar an Aufdeckungsstories erinnern, aber an verdammt wenig Empörung. Als meine deutlich jüngere Schwester mir in ihrer Abi-Zeitung mal jene Typen auswies, die schwul seien, staunte ich. Sie wiegelte ab: Das gelte halt derzeit für cool.
Anno 2014, dies an Hartwig, hat fast jeder eine Handvoll Bekannter, die homosexuell sind. Die Neigung an sich ist nichts Neues. Neu ist die Verlockung, sie auszuleben, Motto: über nichts urteilen, was du nicht ausprobiert hast! In zivilisierten Milieus, erst recht in unseren (meta)politischen Gefilden, so scheint mir, spielen intimste Belange eine eher untergeordnete Rolle, und d a s ist gut so. Problematisch wird’s doch dann, wenn die Sache a) volkspädagogischen Charakter erhält (in der Diskussion um Hitzlsperger überdeutlich) und b) zur orgiastisch-pornographischen Darstellung kommt. Der feuchtfröhliche Christopher-Straßentag, nun auch schon deutlich älter als eine halbe Minute, hat nun mal kein Pendant auf heterosexueller Seite.
13.1. 2014
Was man mittlerweile wissen sollte: Nie einem Menschen, dem man in Deutschland begegnet und der durch seinen Namen oder seine Hautfarbe fremdländisch wirkt, die Frage stellen: „Woher kommst du/kommen sie?“ Die Frage, und sei sie mit einem Lächeln und aus ehrlichem Interesse gestellt, wird als Beleidigung aufgefaßt. Jedenfalls von 100% derer, die sich publizistisch dazu äußern. 227 Menschen mit außerdeutschen Wurzeln, falls ich mich nicht verzählt habe, haben in den vergangenen Jahren solche ehrrührigen Dialoge aufgeschrieben:
Ein Biodeutscher fragt nach der Herkunft, der andere antwortet: „Aus Frankfurt (München/Köln etc.)“
Der Biodeutsche „bohrt nach“ (es ist immer ein plumpes Insistieren): „Ich mein, woher kommst Du eigentlich?“ Der andere antwortet, innerlich schon hochkochend: „Aus Bonames (Hasenbergl/Kalk etc.).“
Der tumbe Biodeutsche schnallt’s nicht und tapst dumpf weiter: Wo denn aber die Wurzeln lägen? Und schon ist er drin in der verdienten Falle, mitten im Sumpf aus Blut und Boden. Yasmin Fahimi soll als „Gabriels linke rechte Hand“ (SZ) die künftige Generalsekretärin der SPD sein. Fahimi aus Hannover „stammend“, hat zugegeben, daß sie „wütend, sehr sogar“ werde, wenn sie gefragt werde, woher sie käme. Merke: Nicht fragen!! Nicht bei fremdklingenden Namen! Kein Interesse zeigen, bloß nicht! Man könnte Aggressionen hervorrufen. Bei manchem Neudeutschen sitzen die anscheinend ganz tief.
14.11. 2014
Sylvia Löhrmann (Grüne) ist die neue Präsidentin der Kultusministerkonferenz, und sie trägt ein Anliegen mit sich: Angesichts der vielen Gedenken in diesem Jahr sei es ihr eine besondere Herzensangelegenheit, den Umgang mit historischen Gedenktagen zu fördern. Sie will die Erinnerungskultur an Schulen stärken. Klingt nicht schlecht – das Bewußtsein, Glied einer Kette von Vor- und Nachfahren zu sein, ist durch den oft blassen Geschichtsunterricht in der Tat schwach ausgeprägt. Nach all den Interviews, die Frau Löhrmann nun gegeben hat, wird deutlich, daß sie sich unpräzise ausgedrückt hat: Schuldkultur soll es heißen. Denn was sind so die Referenzpunkte der nordrheinwestfälischen Schulministerin, die mehrmals mit Schulklassen Auschwitz besucht hat („Nachhaltiger Eindruck“)? Stolpersteinverlegungen, „Schule ohne Rassismus“, ja, sogar „Schule ohne Homophobie“ gibt es in Frau Löhrmanns Land. Diesen Weg, so Frau Löhrmann, müsse man ausbauen.
15.1. 2014
Gestern in der Südeutschen Zeitung eine Reportage über den staatlich angeordneten und vollzogenen Kindesentzug bei den „Zwölf Stämmen“ im schwäbischen Deiningen. Nachdem ein RTL-Bericht aufgedeckt hatte, daß die nach urchristlichen (SZ: „ultrabiblischen“) Maßstäben lebende Gemeinschaft ihre Kinder mit einer Rute züchtigt, sind den Familien der Glaubensgemeinschaft die Kinder entzogen worden.
„Wer die Rute spart, hasst seinen Sohn, wer ihn liebt, nimmt ihn früh in Zucht.“, „Du schlägst ihn mit dem Stock, bewahrst aber sein Leben vor der Unterwelt“, „Züchtige deinen Sohn, so wird er dir Verdruß ersparen und deinem Herzen Freude machen“, so steht es in den Spruchweisheiten des Bibel. Die Reportage will keine rechte Haltung zu dem Kindesentzug einnehmen. Sieben kleine Kinder dürfen ihre Eltern seit zwei Monaten nicht mehr sehen.
Einerseits wird eindrücklich geschildert, wie den stillenden Müttern ihre Kleinkinder aus den Armen gerissen wurden, andererseits heißt es, die Stammesleute „posieren stolz mit ihrer Rute“. Das dazugehörige Bild sieht weder nach Stolz noch nach Pose aus. Es wirkt, als hätten die Zeitungsleute gesagt: Zeigt doch mal für ein Photo her, daß diese „Rute“ kaum mehr als ein steifes Fädchen ist. Zwei junge Erwachsene aus der Gemeinschaft sagen, sie hätten eine hervorragende Erziehung genossen und würden ihre eigenen Kinder ebenso erziehen wollen.
Die Stammesfrauen tragen Rock und haben Anthroposophengesichter, sie wirken nicht verrückt und keinesfalls brutal. Viele Fragen bleiben offen. Heute wirkt es in der SZ, als müsse es dringend einen zünftigen Nachklapp zur unentschlossenen Reportage geben. Ulrike Heidenreich postuliert: man d a r f diesen Eltern nicht nur die Kinder wegnehmen, man m u ß. Die Behörden hätten immerhin Monate gewartet, um den Müttern Zeit zum Abstillen zu geben.
Heidenreich zieht haarscharf sitzende Parallelen zum „kleinen Kevin, der erschlagen im Kühlschrank“ aufgefunden wurde und zu „Jessica, die in ihrem Kinderzimmer verhungerte.“ 2012, so heißt es, seien 40200 Minderjährige in staatliche Obhut genommen worden, so viele wie nie zuvor. Ich kenne aus eigener Anschauung fünf, sechs, sieben Kinder, die seit Jahren seelisch verhungern, es schert kein Amt. Auf die Idee, „ultrabiblisch“ zu leben oder ihre Kinder gar selbst zu unterrichten, kommen diese Eltern freilich nicht.
16.1.
Von wegen, die Frauen von heute“ wissen selbst nicht, was sie wollen! Unter „Sie sucht ihn“ eine Anzeige im Zeit-Magazin:
Blonde Frau sucht Deutschtürken. Wenn Du zwischen 45 und 55 bist, türkisch fühlst und deutsch sprichst sowie über Esprit und Humor verfügst, dann freut sich eine lebendige, gebildete und sportliche Frau im Rhein-Main-Gebiet darauf, Dein „yarim elma“ zu sein.
(„Yarim elma“: halber Apfel, der Adressatenkreis wird’s nicht googlen müssen.)
Langer
Man sieht sich halt ungern an sein Anderssein erinnert. Besonders, wenn man wirklich aus Hannover kommt. Und die Frage lauten muesste: Woher stammen Deine Eltern/Elternteile/Großeltern/etc.
Und immer noch besser als: "Tuerkei, Du Hurensohn! Un' Du?!"