Es ist leicht, über die politische Korrektheit zu lachen; dennoch können wir nicht einfach mit den Augen rollen und die Leute bitten, sie wie eine Bananenschale wegzuwerfen. Denn sie besteht nicht nur aus Propaganda (auch, wenn Propaganda ein Bestandteil ist). Sie ist viel mächtiger. Und es ist nicht so, daß ein Informationsmangel herrschte; vielmehr könnte man sagen, daß es zuviel Information gibt: Die Menschen können sich keinen Reim darauf machen, und sie haben weder die Zeit, noch die Expertise, noch die Energie, um auch nur zu versuchen, den Dingen auf den Grund zu gehen.
Andererseits ist es auch nicht so, daß die Menschen sich nicht selbst bilden könnten – heute ist es jedem möglich, alles zu recherchieren, was sich nur vorstellen läßt, und angesichts der vielen Verschwörungstheorien sind die Leute durchaus bereit, dissidente Standpunkte in Erwägung zu ziehen, öffentliche und offizielle Geschichten und Versionen von Ereigissen zu hinterfragen. Tatsächlich fühlen sie sich dadurch mächtig und aufgeklärt in einer sogenannten Demokratie, in der Politiker mehr oder weniger tun, was immer sie wollen. Es ist auch nicht so, daß Politiker so teuflisch gerissen wären, daß sie ihre Wähler zu jeder Wahl auf’s neue täuschen könnten: Die meisten Menschen zweifeln an Politikern und ihren Versprechen. Viele Menschen wählen das kleinere Übel. Die meisten Menschen können sich nicht dazu aufraffen, überhaupt zu wählen. Der Grund, weshalb manche Ansichten an den Rand gedrängt werden, ist, daß sie als unsterblich angesehen werden. Die politische Korrektheit mag zu einer Lachnummer geworden sein, aber ihre Macht liegt nicht im Geld. Sie liegt in ihrer scheinbaren Legitimität. Egalitarismus als Ethik besteht weiter, weil es eine generelle Übereinstimmung – auch unter Konservativen – darüber gibt, in der Gleichheit etwas unmittelbar moralisch verpflichtendes zu sehen. Auch, wenn es lästig, kostspielig und ineffizient ist; auch, wenn es keinerlei Basis in der wirklichen Welt hat. Die Sittlichkeit eines Ideals sticht die wahrnehmbare Realität.
Daher müssen wir diese Sache unbedingt unter einem ethischen – einem moralphilosophischen – Blickwinkel betrachten. Nicht von einer logischen, einer logistischen oder einer ökonomischen Warte: Egalitarismus ist ein ethisches Problem. Bevor wir darauf hoffen dürfen, uns mit einer traditionalistischen Alternative zur Wehr setzen zu können (was notwendigerweise Hierarchie und Abgrenzung impliziert), muß der Egalitarismus auf der Ebene der Theorie attackiert werden; auf der Ebene der Grundannahmen, denn dort liegt das Fundament seiner Macht. Zertrümmere das Fundament, dann kann etwas neues errichtet werden. Das hätte eigentlich schon vor Jahrzehnten klar sein müssen, wenn nicht vor Jahrhunderten. Denn in jeder Debatte über Souveränität in einem modernen Nationalstaat wie Großbritannien, Frankreich, Deutschland oder den Vereinigten Staaten – ob es um Einwanderung, Globalisierung, Staatsbürgerschaft, Steuern, Terrorismus oder den Wohlfahrtsstaat geht – wird jede einzelne Sache durch das moralische Prisma dahingehend gefiltert, ob sie dem Ideal der Gleichheit widerspricht.
Fangen wir mit der Einwanderung an. Wenn sich Konservative dagegen positionieren, sind ihre Argumente immer praktischer Natur. Meist bemühen sie die Ökonomie: Immigranten kosten mehr, als sie produzieren; sie belasten das Sozialsystem und den öffentlichen Dienst; sie verringern Grundstückspreise. Manchmal wird auch das Recht bemüht: Die Immigranten brechen das Gesetz und sind kriminell. Und in den seltenen Fällen, in denen Argumente hinsichtlich der Identität vorkommen, sind sie soziologischer Natur: Einige Arten von Einwanderern assimilieren sich nicht; mangelnde Assimilation könnte zu ethnischer Abschottung und sozialen Spannungen führen.
All diese Argumente lassen sich von Befürwortern der Einwanderung leicht widerlegen, insbesondere, wenn sie ideologisch motiviert sind. Denn diese können (und sie tun es!) ihre Gegenargumente jederzeit in moralische Worte kleiden: „Sie kommen hierher, um zu arbeiten und Steuern zu zahlen!“, „Sie kommen auf der Suche nach einem besseren Leben hierher!“, „Sie kommen auf der Flucht vor Armut und Folter hierher!“, „Im 21. Jahrhundert ist kein Platz für Engstirnigkeit!“, „Kein Mensch ist illegal!“.
Und in all diesen hochgestochenen Aussagen steckt ein unterschwelliger Vorwurf der moralischen Verworfenheit, weil jeder weiß, daß „Einwanderung“ ein Euphemismus ist; weil jeder weiß, daß das Problem nicht in der Einwanderung an sich, sondern in bestimmten Gruppen von Einwanderern liegt; weil insgeheim und entgegen aller anderslautender Beteuerungen viele (inklusive die Einwanderer selbst) sie weder als gleichwertig, noch als austauschbar mit den Ortsansässigen oder der weiteren europäischen Familie betrachten. Dies impliziert, daß die Einwohner – und jene Familie – eine essentielle Qualität besitzen, die die Einwanderer zu etwas anderem macht, ungleich, was eine Verletzung des ethischen Kodex darstellt, und kann folglich unter keinen Umständen gestattet werden. Und das Resultat ist ein Verlust an Souveränität.
Weil diese Argumente anstatt in praktischen Erwägungen in der Moralphilosophie wurzeln, haben Konservative (die auf abstraktes Denken allergisch reagieren) keine wirksame Antwort darauf. Ihnen fehlen die intellektuellen Waffen, und deshalb enden sie im Kompromiß, im Rückzug und in der Kapitulation, immer und immer wieder, in dieser Sache und in anderen.
Deswegen erscheinen Konservative wie Heuchler: Auf der einen Seite präsentieren sie sich selbst als Verteidiger der traditionellen Nation, auf der anderen verraten sie sie andauernd. Und sie sehen auch aus einem weiteren Grund wie Heuchler aus: Sobald sie anfangen, das zu tun, wofür sie gewählt wurden, werden sie an die Existenz einer Vorschrift erinnert, der sie nie zuwiderhandeln dürfen. Und daran, daß die versprochenen Maßnahmen, deren Einrichtung sie im Interesse von Tradition und Souveränität gerade begonnen haben, unethisch seien: mit anderen Worten daran, daß ihr Anliegen rettungslos verloren ist. Und die Gegenseite weiß das. Sie weiß, daß es nach der Grenzüberschreitung durch Konservative nur genug Druck und den Einsatz der üblichen, unwiderlegbaren Parolen braucht. Denn sollten Konservative versuchen, sich zu verteidigen, kann man sie leicht selbstsüchtig und kleingeistig aussehen lassen – und jedes einzelne Mal zerbrechen. Wer kann solche Menschen respektieren?
Wenn es Widerstand gibt, dann kommt er von Traditionalisten, denen unterschiedslos Ratlosigkeit entgegenschlägt. Der Vizepräsident dieser Gruppe [der Traditional Britain Group, Gregory Lauder-Frost; N.W.] wurde im Sommer von den Medien attackiert, weil er Doreen Lawrence [der Mutter des ermordeten Stephen Lawrence; N.W.] das nötige Verdienst absprach, um Dame des Order of the British Empire zu werden, und weil er andeutete, daß sie nicht zum Besten gehöre, was Großbritannien vorzuweisen habe – denn das war in den alten Zeiten die ursprüngliche Idee: Jemand wurde in den Adelsstand erhoben, wenn man anerkannte, daß er von höchstem Charakter war und dem Land einzigartige Dienste erwiesen hatte, kurz: daß er das Beste repräsentierte. Der Vizepräsident dieser Gruppe wurde auch dafür angegriffen, daß er andeutete, Menschen hätten natürliche Heimatländer – eine Unterstellung, die bedeutet, daß die Heimat eines Menschen nicht von öffentlichen Angestellten vermittels bürokratischer Verfahren festgelegt werden kann. Vanessa Feltz [eine BBC-Moderatorin; N.W.] sagte in ihrer Radiosendung, Gregorys Ansichten seien „unmöglich zu verstehen“… „Unmöglich zu verstehen!“ Sie tat so, als säßen all ihre Kollegen nervös im Studio, nägelkauend, sich an die Schaltpulte klammernd, außerstande, derlei nachzuvollziehen!
Reden wir über die Staatsbürgerschaft. Als im Frühjahr dieses Jahres Lee Rigby [ein britischer Soldat; N.W.] in South East London enthauptet wurde, machte einer seiner Angreifer einem Passanten gegenüber einige Bemerkungen, die dieser aufnahm. Unter anderem sagte er: „Bei Allah, wir schwören beim allmächtigen Allah, wir werden niemals aufhören, Euch zu bekämpfen, bis Ihr uns in Ruhe laßt… Es tut mir leid, daß Frauen das hier mitansehen mußten, aber in unserem Land müssen unsere Frauen das Gleiche mitansehen… Ihr Leute werdet niemals sicher sein. Setzt Eure Regierungen ab… Sagt ihnen, sie sollen unsere Truppen abziehen, damit wir (hier korrigiert er sich!) damit Ihr alle in Frieden leben könnt. Verschwindet aus unseren Ländern und Ihr werdet in Frieden leben.“ Michael Adebolajo [der Attentäter; N.W.] verwendete hier nun wiederholt „Ihr“ in Bezug auf Briten und „unsere“ in Bezug auf andere, islamische Länder. Das Interessante ist, daß Herr Adebolajo gar kein nigerianischer Einwanderer ist. Er ist – genauso wie sein Komplize – ein britischer Vollbürger, geboren in Lambeth, Central London. Seine Aussagen zeigen deutlich, daß weder er, noch sein Komplize sich mit Großbritannien oder dem britischen Volk identifizieren, noch nicht einmal angesichts der mittlerweile sehr dehnbaren Bezeichnung „Brite“.
Das sind Menschen, die Mitte der 80er beziehungsweise Anfang der 90er Jahre geboren wurden, die ihr ganzes Leben im Vereinigten Königreich gelebt haben und an einer britischen Universität unterrichtet wurden, im politisch korrekten, antirassistischen Großbritannien. Tatsächlich lebte der jüngere Angreifer die meiste Zeit seines Lebens unter der Labour-Regierung Tony Blairs – des besten Freundes von Einwanderen und diversity! Offenbar richten sich ihre Loyalitäten nach etwas mächtigerem, essentielleren als ihrer Staatsbürgerschaft aus. Obwohl ihre Familien hier leben, ist ihre wirkliche Familie, wortwörtlich und metaphorisch, anderswo. Ihre essentielle Identität ist etwas, das sie mit sich tragen, innerlich, das mit ihnen überallhin geht; das ist nichts, was auf legalem Wege zu erwerben wäre, oder durch Bildung, oder durch die Länge des Aufenthalts.
Es spricht für sich, daß Blair es für notwendig hielt, jedem Anwärter auf die britische Staatsbürgerschaft einen Treueeid abzuverlangen. Unter normalen Umständen hätte man das für völlig überflüssig gehalten. Und dies ist eindeutig nicht nur auf einige wenige Extremisten beschränkt, denn man hielt eine Zeremonie à la Amerika für ebenso notwendig – aufgrund der Annahme, daß die Willkommengeheißenen ihre Staatsbürgerschaft nicht ernstnähmen und sie rein instrumentell sähen. Und trotzdem wird jeder, der anzudeuten wagt, daß Völker sehr verschiedener Kulturen und Ursprünge natürliche Heimatländer anderswo hätten, nicht etwa als irrend oder uninformiert hingestellt, sondern als amoralisch.
Wir könnten über die internationale Entwicklung reden. Mainstream-Konservative denken, sie müßten unbedingt tausende Millionen Pfund in internationale Entwicklungsarbeit stecken, und sie erhöhen diese Beiträge jedes Jahr. Das tun sie trotz der Haushaltsdefizite, der Schulden und der Kürzungen in anderen Bereichen; und sie tun es, während Rentner und Kriegsveteranen in diesem Land in Armut leben. Es ist offensichtlich, daß das unfair ist. Aber in diesem reichen Land läßt sich dieser Vorwurf leicht kontern – mit der Bemerkung, daß die Armen eine moralische Berechtigung hätten, Forderungen an die Wohlhabenden zu stellen. Das ist ein marxistischer Gedanke, wiederum basiert auf egalitären Prinzipien. Wir sehen also, daß Cameron (als egalitärer Liberaler) kaum die internationalen Entwicklungsgelder kürzen können wird. Er würde als herzlos und amoralisch gebrandmarkt werden.
Es ist schwer vorstellbar, daß der Nationalstaat in diesem Klima überleben wird. Insbesondere, weil er bereits eine Schablone zur Erschaffung von Superstaaten liefert. Und weil aufgrund der Fortschrittsideologie, die sich die Liberalen mit den Linken teilen, der Glaube vorherrscht, man müsse von weniger zu mehr übergehen. Deswegen scheinen der Niedergang des Nationalstaats und die Geburt des multinationalen Superstaats – natürlich nicht von irgendetwas traditionalem, sondern von universalistisch-egalitären Prinzipien definiert – logische und unvermeidliche Entwicklungen zu sein, die kennzeichnend für den menschlichen Fortschritt sind. Aber das ist kein Fortschritt. Es ist nur eines von vielen möglichen Modellen, von denen einige erst noch ersonnen werden müssen.
Ich bin nicht sicher, ob der Nationalstaat es wert ist, gerettet zu werden. Denn er ist ein Produkt seiner Zeit. Er mag den Bedürfnissen einer früheren Ära angemessen gewesen sein, aber hinter der Frage, ob er auch zu unseren heutigen Bedürfnissen paßt, steht ein großes Fragezeichen. Ich würde mich daher nicht darauf konzentrieren, den Nationalstaat zu erhalten, bloß weil wir an ihn gewöhnt sind und er für eine lange Zeit funktioniert hat. Nichts ist unendlich. Unsere Länder werden letzten Endes verschwinden, und die Frage ist, ob wir diesen Prozeß bestimmen, oder ob dieser Prozeß uns bestimmt. Es geht also darum, wie wir die Herrschaft über uns selbst zurückerlangen in einer Welt, in der alte Bindungen umdefiniert, neu erdacht oder gleich ganz ausgelöscht werden, und in der Konservatismus nicht Traditionen konserviert, sondern das, was uns so weit gebracht hat.
Ich denke, das größte Hindernis zum Fortbestand unseres Daseins und unseres Schicksals ist der amoralische Glaube an Gleichheit als das höchste Gut. Dies ist es, was offene Diskussionen verhindert und das, was gedacht werden muß, für undenkbar erklärt. Dies ist es, was die Erwägung einer dringend gebrauchten, traditionalistischen Perspektive verhindert, während der wichtigsten Krise, der sich der Westen dieser Tage gegenübersieht. Dies ist es auch, weswegen ich nicht glaube, daß wir noch mehr Fakten, mehr Statistiken oder apokalyptische Vorhersagen brauchen. Das Wissen ist da draußen, und das war es mindestens für die letzten hundert Jahre; viele Leute sind damit vertraut, oder ahnen es. Was sie brauchen, ist ein Grund, sich im rechtmäßigen Besitz dieses Wissens zu wähnen; ein Grund, sich als rechtschaffene, moralische Menschen zu sehen, während sie radikal und zukunftsträchtig zugunsten der Tradition streiten. Nur dann werden sie in der Lage sein, das offen, mit Hingabe und ohne Furcht zu tun.
Und dafür brauchen wir eine sittliche Kritik des Egalitarismus. Keine Demonstration seines mangelnden Zusammenhangs mit der wahrnehmbaren Realität, sondern eine sittliche Kritik. Kein Bemühen zur Widerlegung der Gleichheit, sondern eine Anstrengung, das Streben nach Gleichheit unglaubwürdig zu machen. Alles andere ist eine Symptombehandlung, ein Verzetteln im Klein-Klein, während das Problem eine Lösung an der Wurzel verlangt – die Ausbringung einer großzügigen Menge Roundup [ein hochwirksames Breitband-Unkrautvernichtungsmittel des berüchtigten US-Saatgutmultis Monsanto; N.W.]. Auf daß wir etwas neues pflanzen mögen, das eine moralische Rechtfertigung bietet – nicht für Gleichheit und ganz sicher nicht dafür, irgendwen herabzusetzen. Sondern für Unterschiedlichkeit, für Exzellenz, für Einzigartigkeit, für Tradition und für wechselseitigen Respekt. Das ist es, was es bedeutet, radikal und traditional zu sein.
Ich habe schon früher über Egalitarismus geschrieben, und in einer anderen Rede werde ich einen Plan zur Verfügung stellen, anhand dessen der Egalitarismus als ethisches System auseinandergenommen werden kann – aber in der Zwischenzeit lade ich Sie ein, sich auch mit diesem Thema zu beschäftigen. Und die Regeln zu ändern, und den Spieß umzudrehen, und radikal zu sein, und traditional zu sein, und zu wissen, daß Sie etwas gutes haben, etwas rechtschaffenes und etwas, wofür es sich zu kämpfen lohnt. Heute, morgen, und immer.
Kai L.
Vielen Dank für die Übersetzung und Veröffentlichung!
Mich treibt schon lange die Frage um, warum selbst die wenigen Politiker, die in zu seltenen Situationen konservative Werte vertreten, eine so geringe Ausbildung in den philosophischen und ethischen Grundlagen besitzen um dezidiert und von Grund auf für ihre Positionen zu streiten.
Vielleicht haben die anderen Foristen hierzu Denkansätze und Erklärungen?