„Art und Maß der Züchtigung muß sich nach der körperlichen Beschaffenheit des Kindes, seinem Alter, nach der Größe seiner Verfehlung und nach seiner allgemeinen sittlichen Verdorbenheit richten. Rechtfertigen diese Umstände die Anwendung solcher Züchtigungsmittel, die eine nachhaltige und schmerzhafte Wirkung hervorrufen, so wird regelmäßig anzunehmen sein, daß damit die Grenzen einer vernünftigen Züchtigung nicht überschritten sind.“
Das ist nicht der Grundsatz der „Zwölf Stämme“, die ungehorsame Kinder mit einem Stöckchen auf den rechten Weg bringen wollen. Nein, das verlautbarte der Bundesgerichtshof noch 1952. Noch in einem Urteil des Jahres 1986 sei eine Tracht Prügel „nach Prüfung der objektiven und subjektiven Umstände“ für zulässig gehalten worden. Prantls argumentiert in dialektischen Volten. Er legt dar, daß das Verbot jeglicher Züchtigung eine höchstmoderne Errungenschaft ist, er stimmt zu, daß der Staat sich nicht als „Obererzieher“ und „pädagogischer V‑Mann“ in die Belange der Familie einmischen darf, er gibt zu bedenken, daß auch der heutige Leistungsdruck auf Kinder als demütigend und „gewalttätig“ gewertet werden könne. Sein Schluß lautet aber, daß der Staat sehr wohl einschreiten muß, erst mit Hilfe von Kinderkrippen, dann durch Trennung von der Familie, da Kinder Rechtssubjekte seien, „Grundrechtsträger mit Menschenwürde“.
In der ersten Reportage der SZ über die „Zwölf Stämme“ war deutlich geworden, daß die grundsätzlich und überzeugungsgemäß friedfertigen Eltern dort es strikt ablehnen, im Zorn ihre Kinder zu züchtigen. Deshalb setzt es keine impulsiven Watschen, deshalb wird die Strafe auch durch ein eher symbolisches Medium, das Stöckchen, ausgetragen. Die SZ schweigt darüber, wie häufig das geschehen ist, und ob die „Schläge“ je sichtbare Blessuren (wie Striemen) hinterlassen haben. Der selbstgerechte Ton der Aufregung legt nahe, daß es sich keinesfalls um „Prügeleien“ handeln kann, sonst hätten sie die Strafmale erwähnt.
Prantl beruft sich in seiner Argumentation auf’s Grundgesetz, wonach „wenn Erziehungsberichtigte versagen oder die Kinder aus anderen Gründen zu verwahrlosen drohen“, die Kleinen von der Familie getrennt werden müssen.
Mein Eindruck aus drei eher unfreundlichen SZ- Artikeln zu den „Zwölf Stämmen“ ist, daß diese Gemeinschaft auf der bundesdeutschen Verwahrlosungsskala zwischen 1 (unverwahrlost) und 10 (extrem verwahrlost) zwischen eins und zwei einzuordnen wäre.
Und, dies bitte nicht aus dem Gedächtnis verlieren: Vorgeburtliche tödliche Gewalt an Kindern wird im Lande Prantls nicht geahndet, sie wird aus der Staatskasse unterstützt.
Um der Frage gleich zu begegnen: Nein, wir verhauen unsere Kinder nie, weder rituell noch spontan. Es gibt keinen Anlaß.
21.1. 2014
Wenn ich dieser Tage Christian Seidel entgehen wollte, müßte ich mir ein Medienverbot auferlegen. Er ist überall. In Perlon-Leggings, Stöckelpumps und mit roten Fingernägeln auf einer vollen Seite in der SZ, im DLF-Interview, dieser Tage auch in einer eigenen Sendung auf Arte. Die BILD schreibt: Ganz Deutschland spricht über Seidel. Nicht mal die Junge Freiheit bietet Erholung, denn wen haben sie im Fragebogen-Inteview: Christian Seidel!
Der großgewachsene Mann hat fast zwei Jahre als Frau gelebt. Nicht aus Gründen sexueller Perversion – gemeiner Gedanke! – sondern um mal „rauszugucken aus dem Männerknast.“ Er hat erst durch die Selbsterfahrung mit den umgehängten schweren Brüsten gemerkt, was für ein „enges Dasein“ das Mannsein ist. Schlimm sei ja, daß es heute zwar „trendy“ sei, wenn eine Frau mit aufgeklebtem Schnurrbart zur Arbeit fahre. (Eine Mode übrigens, die Schnellroda noch nicht erreicht hat, EK.) Aber, leider, als Mann in Frauenkleidern „bist du sofort abgestempelt.“ Es nervte Seidel, den Medienmann, daß alle fragten, warum er in Frauenkleidern rumlaufe. Dabei sieht er sich als Abenteurer, und Abenteurer seien bekanntlich die männlichsten Männer.
Ach, Männer! Auf die ist er nicht gut so sprechen. Die hätten ihm „immer und immer wieder“ mit ihren Fingern in die Brust gebohrt. Seidel findet, die Grenze zwischen Mann und Frau entbehre jeder Logik und jeder Rationalität. Als Frau hatte er „Shoppingattacken wie Fieberschübe“. Seine Wahnsinnserfahrung hat ihn auch traurig gemacht. Schlimmer als die Grabsch-Attacken sei die „kühle Toleranz“ „voll aus der Mitte“ gewesen“. Seine Freunde aus der Kunstszene hätten ihn mit ihrer Mega-Akzeptanz „am meisten geschockt.“ Da sei er in Wolken aus Parfum und schmuckbehängt dahergekommen, „und alle tun so, als seist du ein Mann. Hallo Christian. Völlig absurd.“
Christian Seidel (übrigens verheiratet mit einer Frau) hat sein Experiment aufgegeben, obwohl er gern weitergemacht hätte. „Aber die Gesellschaft kann es nicht ertragen.“ Die SZ-Autorin, die diesem „Wagnis“ offenkundig mit allergrößter Bewunderung gegenübersteht, findet ein Trostwort von Erich Fromm passend: „Die Normalsten sind die Kränkesten. Und die Kränksten die Gesündesten.“ War das nicht von Orwell? Und ging´s nicht ganz leicht anders: „Krieg ist Frieden, Freiheit ist Sklaverei?“
22.1. 2014
Zwei Journalisten werden für ihr fehlerhaftes Interviewverhalten streng gerügt.
1. Markus Lanz sei Sarah Wagenknecht, Linke-Politikerin und bis vor ein paar Jahren Mitglied der „Kommunistischen Plattform“, gesprächstechnisch unangemessen hart angegangen. Über 160 000 Internetmenschen hat das derart aufgeregt, daß sie das ZDF in einer Petition aufforderten, Lanz umgehend zu feuern. Der Sender hat Fehlverhalten eingeräumt, Lanz hat sich bei Frau Wagenknecht persönlich in einem fünfzehnminütigen Telephongespräch entschuldigt.
2. Jürgen Liminski hat einen linken Entrüstungssturm über sich ergehen lassen müssen. Er hatte als DLF-Moderator einen „Familienlobbyisten“ interviewt. Der konservative Europapolitiker Tobias Teuscher sagte darin, daß „eine Mehrheit von Linken, Grünen und Liberalen daran arbeite, Homosexualität als »Leitkultur« in der Europäischen Union festzuschreiben. Liminski verzichte drauf, hier scharf einzuhaken. Dem „Medienbeobachter“ Stefan Niggemeier gefiel das nicht: „Er unterbrach ihn nicht und forderte ihn nicht heraus.“ Niggemeier hat sich mit scharfen Worten an den Deutschlandfunk gewandt. Chefredakteuerin Birgit Wentzien erklärte umgehend, ja, Jürgen Linminksi sei seiner Aufgabe nicht gerecht geworden. Eine „deutlich weniger affirmative Gesprächsführung“ wäre angebracht gewesen.
Bleibt festzuhalten: Affirmative Gesprächsführung: ja, aber bitte nur mit Leuten, die den Zeitgeist affirmieren. (Wenn DLF-Leute mit Jürgen Trittin reden, fühle ich mich immer als belauschte ich einen Flirt.) Bei allen anderen bitte: Wegbeißen, am besten aber gar nicht reden, mit dem Pack. Muß ja nicht jeder zu Wort kommen.
23.1. 2014
Wenn Linke demonstrieren, werden sie „junge Leute“ genannt, „Unzufriedene“, „Engagierte“, wenn’s Nicht-Linke sind, ist die Rede von „Bodensatz“, „Querulanten“, „Dumpfbacken.“ Zum Kochtopf Ukraine kann man als Medienkonsument kaum eine Position einnehmen. Es wirkt natürlich, als hätten die Regierungsgegner alles Recht auf ihrer Seite. Sie stehen ja für Menschenrecht und Selbstbestimmung, und hochengagiert sind sie definitiv. Auffällig wird’s, wenn in der Sondersendung nach der Tagesschau nachgefragt wird, was denn mit der offenkundigen Gewalt sei, die auch von den Demonstranten ausgehe, und die Antwort lautet: Das seien rechte Splittergrüppchen. Was sonst!
Zwei sechzehnjährige Gymnasisatinnen haben einen Leserbrief an die SZ verfaßt. Deren Schulklasse hat sich im Politikunterricht mit den Stellungnahmen von Olaf Scholz zu den Rote-Flora-Randalen in Hamburg auseinandergesetzt. „Der Bürgermeister hat richtig erfaßt, daß gewalttätigen Demonstrationen nichts Politisches zugrunde liegt“, schreiben die Mädchen. Lektion brav gelernt: Linke Krawalle sind nicht linke Krawalle, sondern unpolitisch. Eine Ausnahmeerscheinung ist übrigens das “Interview” in der aktuellen Zeit mit zwei Hamburger Anarcho-Aktivisten.
24.1. 2014
Muß man dauernd meckern? Wo bleibt denn da das Positive?
Klar, das gibt’s in Hülle und Fülle. Zum Glück gibt’s noch Zeitungen, die für solche Refugien ein Auge haben. Über Helene Fischer, „cool und sexy, voller Gefühl und sympathisch“ wurde schon viel geschrieben, aber noch nicht von jedem. Unser Leib- und Magenblatt bildet die „bildhübsche, junge“ Schlagerkönigin in voller Beinlänge ab. Das ist auch wirklich schön: „Helene Fischer erfüllt die weitverbreitete Sehnsucht nach Normalität“. Was will man mehr? Beinahe noch schöner (eher: geiler) ist ein anderer Trend, im selben Blatt aufgetan: Agrarpornos. (Begriff stammt nicht von mir, steht so im Blatt, EK). Dabei geht es um Videoaufnahmen von gigantischen Landmaschinen („echte Kolosse“) im Einsatz, die mit „Räumschild und Gewichten zum Verdichten auf Maissilage für Biogasanlagen herumfahren.“ In „spektakulären Aufnahmen“ voller „Ästhetik“, untermalt durch Technomusik („gerne auch harte und rockige Sequenzen“) werden Großgeräte beim Pflügen der Scholle präsentiert. Es offenbare sich in der Beliebtheit nach diesen Pornofilmchen eine „Sehnsucht nach Urwüchsigkeit“, nach „Erde und Heu“, schreibt ahnungsvoll das Leib- und Magenblatt.
Ja: Es gibt noch Gutes, Wahres, Schönes. Ein Dämlack, der’s nicht sehen will.