indem die Bürger als Souverän beteiligt sind. Im Feuilleton der FAZ („Wir wollen mehr Hannah Arendt wagen“, 04.02.14, S. 30) offeriert die Hamburger Professorin für Politikwissenschaft Christine Landfried ein Fünf-Punkte-Programm, das uns alle, sämtliche 28 Mitgliedstaaten, retten könnte. Sie leitet es mit Hannah Arendt ein, mit deren Begriff von der „Vita Activa“ und einem damit zu verbindenden „Wagnis der Öffentlichkeit“. Im Kern geht es um folgende Schritte:
1.) Die Wahlen zum Europaparlament sollen doch bitte mit der direkten Wahl des Kommissionspräsidenten verknüpft werden. Die Kandidaten dazu bestimmen die europäischen Parteien. Frau Landfried hält dergleichen offenbar bis zum Mai für umsetzbar, so wie sie überhaupt Einigung und Konsens zwischen all den widerstreitenden Parteien und Ländern offenbar als einfache Akte der Vernunft ansieht. Aber die Vernunft hatte es immer schwer, nicht erst seit der Aufklärung.
2.) Um eine gemeinsame Fiskal- und Wirtschaftspolitik hinzubekommen, meint die Professorin, bräuchte es einen „Konvent“ nach Artikel 48 EUV, da bisherige Verträge letztlich nicht ausreichen. In diesem „Konvent“ wären Europaparlament und nationale Parlamente ebenso repräsentiert wie die Kommission. Das sicherte mehr Demokratie als die behäbigen Treffen der Staats- und Regierungschefs. Es könnte endlich über die „Auseinanderentwicklung zwischen reichen und armen Mitgliedsstaaten“ debattiert werden, was die „europaweite Bürgersolidarität“ im Sinne von Habermas sicherstellte. Selbstverständlich innerhalb von „föderalen Strukturen“.
3.) In Ergebnis der Konventsdebatte sollte in einem „europaweiten Referendum“ über Neuordnungen entschieden werden. Ganz einfach. Die Autorin meint wohl, daß so die Ablehnung des früheren Verfassungsantrags der EU in Frankreich und den Niederlanden 2005 auszugleichen wäre.
4.) Dieses Unterfangen müßte durch die Medien unterstützt werden, vorzugsweise durch das deutsch-französische Gemeinschaftsprogramm Arte, aber überhaupt durch nationales, öffentlich rechtliche Fernsehen.
5.) Ausgehend vom Vorschlag einer Arbeitsgruppe des Europäischen Hochschulinstituts in Florenz müßte ein „Euro Governance Forum“ gebildet werden. Es soll über „rechtliche und ökonomische Maßnahmen des Krisenmanagements informieren.“
Damit hätten wir’s dann. Wenn es klappt. Und wenn alle durch Arte informiert sind. Noch einmal wird Hannah Arendt als Autoritätsbeweis zitiert: „Wir fangen etwas an; wir schlagen unseren Faden in ein Netz der Beziehungen. Was daraus wird, wissen wir nie.“
Man muß vielleicht Professorin sein, um rein theoretisch die Hoffnung zu hegen, daß daraus etwas werden könnten. Ohne Häme: Es wird gar nichts daraus. Denn selbst wenn sich eine Direktwahl des Kommissionspräsidenten durchsetzen ließe und gar der Konvent gebildet würde, dürfte man nicht über das hinauskommen, was sich deutsche Professoren schon im Paulskirchenparlament so sehr wünschten und was sie fruchtlos zu pflegen verstanden: Debatten, Debatten, Debatten. Und Protokolle dazu, die niemanden interessieren, weil die Bürger zur EU auf Distanz gegangen sind, um es vorsichtig auszudrücken. Sie haben begriffen, daß es um die Abschaffung der Nationen zugunsten des Marktes und der Globalisierung geht und daß dieser Vorgang mit einer Beschwörung jahrzehntelangen EU-Friedens erinhergeht. Sie verstehen, daß dies gut für die Wirtschaft und eine europäischen Konkurrenzfestigkeit sein mag, aber es geht sie nichts an, weil sie nach wie vor in ihren Vaterländern und Sprachen zu Hause sind. Sie wünschen keinen „Standort“, denn sie verteidigen immer noch Heimat. Schon eine Umfrage zum Verständnis der Strukturen der EU würde erkennen lassen, daß sich kaum jemand damit befaßt, höchstens zwangsweise im Sozialkundeunterricht, wo die Stoffeinheit EU als einer der langweiligsten und abstraktesten Themenkomplexe empfunden wird.
Arte ist ein hervorragender Sender. Er würde sich entscheidend verschlechtern, übertrüge er die Diskussionen eines Konvents. Aber es wird vermutlich nicht einmal diesen Konvent und seine große Einmütigkeit geben, jedenfalls nicht, so lange sich die Krise vertagen läßt und nicht existentiell durchschlägt.
Die FAZ war sich wohl nicht sicher, wo sie den Beitrag unterbringen sollte. Vorn lieber nicht, also besser im Feuilleton, wo noch immer so ziemlich alles vertreten werden kann, auch die Idee von der „Europäisierung der nationalen Öffentlichkeiten“.
Um für „Europa“ – im Sinne der EU – eine Perspektive zu erkennen, lohnt die Lektüre des Beitrages kaum, aber sie hilft verstehen, wie weltfremd Wissenschaft und Politik über Brüssel und das Verhältnis der Bürger und Nationen dazu nachsinnen.